Berlin Die deutsche Wirtschaft soll im laufenden Jahr stärker schrumpfen als bislang vermutet. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) geht inzwischen von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,5 Prozent aus. Das geht aus der neuen Prognose des Instituts vor, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Zuvor hatten die Kieler eine Schrumpfung von 0,3 Prozent prognostiziert.
2024 soll die Wirtschaftsleistung dann wieder zunehmen, allerdings nur um 1,3 Prozent. Zuvor lag die Prognose bei 1,8 Prozent. 2025 erwarten die Ökonominnen und Ökonomen dann ein Wachstum von 1,5 Prozent.
Die neuen Zahlen verschärfen die Befürchtungen, Deutschland könnte wieder zum „kranken Mann Europas“ werden. Nach europäischer Berechnungsmethode wird Deutschland zwischen 2022 und 2025 um durchschnittlich 1,2 Prozent pro Jahr wachsen.
Unter den 20 Staaten der Eurozone wird das Wachstum laut IfW-Prognose in dem Zeitraum nur in Estland geringer sein. Dort soll der Durchschnitt bei 0,4 Prozent liegen. Andere große Volkswirtschaften in Europa kommen wie Frankreich auf 1,6 Prozent oder Spanien auf 2,8 Prozent.
Die Gründe für Deutschlands anhaltende Konjunkturschwäche sind vielfältig. Die Inflation geht dem Kieler Institut zufolge zwar deutlich zurück. Nach sechs Prozent in diesem Jahr soll in den kommenden beiden Jahren das Ziel der Notenbanken schon wieder nahezu erreicht werden. Die Inflationsrate soll dann jeweils 2,1 Prozent betragen.
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Allerdings wird die Entwicklung vom Rückgang bei den Energiepreisen bestimmt. Die Rate der Kerninflation, die Energie außen vor lässt, soll in den kommenden Jahr noch bei etwa drei Prozent liegen. Die Kieler vermuten, dass das auch mit dem sich steigernden privaten Konsum zusammenhängt, der aus höheren Löhnen resultiert. Das schafft neuen Spielraum für Preiserhöhungen.
Privater Konsum bringt ein bisschen Hoffnung
Generell ist der private Konsum die einzige wirkliche Hoffnung im aktuellen Konjunkturbild. Nachdem die Verbraucherinnen und Verbraucher durch die Inflation über Monate immer weiter an Kaufkraft verloren haben, soll diese im kommenden Jahr durch neue Tarifabschlüsse und höheren Mindestlohn erstmals wieder wachsen. Der private Konsum soll 2024 ein Prozent zum BIP-Wachstum beitragen und damit nahezu für das gesamte Plus verantwortlich sein.
So schnell wird aber auch der private Konsum die Wirtschaft nicht stützen. Im laufenden Quartal erwartet das IfW nochmal eine deutliche Schrumpfung der deutschen Wirtschaft – so stark wie zuletzt nur in der Finanzkrise und in der Corona-Pandemie.
Eine besondere Belastung für die deutsche Wirtschaft ist der schwache Export. Die Ausfuhren spielen eine tragende Rolle für die deutsche Wirtschaft. Aber von den wichtigsten Abnehmern, der EU und China, gehen kaum Impulse aus. Für das laufende Quartal rechnet das IfW mit einem Rückgang der Warenexporte um 0,9 Prozent.
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Die Belastungen führen zu einem deutlich schlechteren Konjunkturbild in Deutschland als in den meisten anderen Ländern. Zwar war der Einbruch in der Corona-Pandemie hierzulande vergleichsweise gering, im Anschluss gab es also weniger aufzuholen. Das hat Deutschland aber längst aufgezehrt. In einigen europäischen Ländern läuft es längst deutlich besser. Allerdings auch nicht in allen.
Spanien
Das IfW erwartet für das Land zwischen 2022 und 2025 ein jährliches Wachstum von durchschnittlich 2,8 Prozent. Vor allem im vergangenen Jahr hatten sich in der Wachstumsrate von 5,5 Prozent eine deutliche Erholung nach der Pandemie gezeigt. Aber auch in den weiteren Jahren soll die Dynamik konstant über der Deutschlands liegen.
Spanien unterscheidet sich vor allem bei seiner Energieversorgung. Das Land besaß an seinen Häfen schon zu Beginn der Energiekrise im Frühjahr 2022 eigene Flüssiggas-Terminals und war kaum abhängig von russischem Pipeline-Gas. Zwar kam es dennoch zu Preiserhöhungen, die konnte die Regierung aber kurzerhand mit einem Preisdeckel abfedern. Schon in diesem Jahr soll die Inflation in Spanien nur noch drei Prozent betragen.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher stehen deshalb recht gut da. Der Verschuldungsgrad der privaten Haushalte liegt nur bei 50 Prozent. In Deutschland sind es laut IfW 56 Prozent. Gleichzeitig kommt der Tourismus weiter in Fahrt.
Italien
Das IfW erwartet für das südeuropäische Land zwischen 2022 und 2025 ein Wachstum von durchschnittlich 1,5 Prozent. Getragen wird das bislang vor allem durch den Bausektor. Trotz Baukrise ist im ersten Halbjahr 2023 die Vergabe der Wohnungsbaukredite im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um nur ein Prozent zurückgegangen. In Deutschland waren es hingegen 50 Prozent.
Insgesamt sind die Bauinvestitionen in Italien nach der Pandemie um 30 Prozent gestiegen und damit deutlich stärker als in den anderen großen europäischen Staaten. Grund ist insbesondere ein groß angelegtes Subventionsprogramm, dass auf weitere Teile der Wirtschaft ausstrahlte. So sind auch die Ausrüstungsinvestitionen deutlich gestiegen.
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Das Programm wird inzwischen allerdings zurückgefahren, was die konjunkturelle Lage in Italien belastet, und weitere Probleme schwelen. Das führt dazu, dass die Konjunktur in Italien zuletzt sogar deutlich schlechter lief als in Deutschland. Im zweiten Quartal ist die italienische Wirtschaft um gut ein halbes Prozent geschrumpft, während Deutschland stagnierte.
Estland
Das IfW erwartet für den baltischen Staat zwischen 2022 und 2025 ein Wachstum von durchschnittlich 0,4 Prozent. Vor allem in laufenden Jahr soll sich mit 2,3 Prozent eine deutliche Schrumpfung zeigen.
Es wäre der zweite Rückgang in Folge. Grund dafür ist vor allem die niedrigere Kaufkraft infolge hoher Inflation. Die Verbraucherpreise stiegen im Jahr 2022 um 19,4 Prozent – der höchste Wert innerhalb der EU.
Aber auch das gedämpfte Wirtschaftswachstum bei den wichtigsten Handelspartnern macht sich in Estland bemerkbar. Die Stimmung in der estnischen Industrie hat sich seit dem Sommer 2022 verschlechtert. Im Mai 2023 lag der von der Europäischen Kommission veröffentlichte Vertrauensindikator bei einem Minus von 17,6 Punkten.
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