Der Brief – Deutschland wird stillschweigend fortschrittlich


Bis zu sechs Menschen könnten in Deutschland bald eine Alternative zur Ehe eingehen, ein „Zivilunion der gegenseitigen rechtlichen Verantwortung“ – nur ein Beispiel dafür, wie die Koalitionsregierung des Landes hals stillschweigend die Grenzen des sozialen Wandels verschieben.

Am Ende seiner Amtszeit als britischer Premierminister hatte David Cameron wenig Grund, stolz zu sein. WNachdem sein Vermächtnis der Sparmaßnahmen in Ungnade gefallen ist und ihm das Etikett des Brexit-Ermöglichers fest anhaftet, hat Cameron die soziale Liberalisierung Großbritanniens, insbesondere die Einführung der Homo-Ehe, oft als „eine meiner stolzesten Errungenschaften“ bezeichnet.

Die Erfahrung könnte bald auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und seine unglückselige „Ampel“-Koalition teilen.

Versuche, den grünen Wandel und die angeschlagene Wirtschaft des Landes voranzutreiben, scheinen größtenteils zum Scheitern verurteilt, da jede neue Initiative zu internen Machtkämpfen führt und letztendlich verwässert wird.

Aber bei der Liberalisierung der spießigen Sozialpolitik des Landes, die immer noch mit dem moralischen Staub der christdemokratischen Regierung von Angela Merkel bedeckt ist, macht die „Ampel“ stillschweigend Fortschritte.

Deutschlands Informationsverbot zum Thema Abtreibung? Verschrottet.

Das strenge Einwanderungsgesetz und die Einbürgerungsvoraussetzungen? Liberalisiert.

Selbstidentifikation für Transgender und die Legalisierung von Marihuana? Soll übergeben werden.

Auch seltsame Namenskonstruktionen wie „Fräulein Müller-Obermann“ werden bald nur noch Gegenstand von Nazi-Witzen sein, denn die Deutschen dürfen endlich, wie die meisten ihrer europäischen Landsleute, Nachnamen frei und ohne Bindestrich kombinieren.

Die neueste Ergänzung, die das Justizministerium diese Woche eingeführt hat, ist „Verantwortungsgemeinschaften‘ (ungefähr: Gemeinschaften gemeinsamer Verantwortung).

Bis zu sechs Personen können eine solche Lebenspartnerschaft eingehen, die es den Mitgliedern ermöglicht, in abgeschwächter Form zur Ehe die Vormundschaft und Verantwortung füreinander zu übernehmen.

Natürlich betont das Justizministerium, dass sich dies an Freunde, verwitwete Älteste oder Alleinerziehende richtet, die sich gegenseitig unterstützen – Gott bewahre, dass dies als Wegbereiter für Polyamorie angesehen werden sollte.

Technisch gesehen steht die neue Verbindung jedoch auch bis zu sechs romantischen Partnern offen Die konkreten Vorteile sind im Vergleich zu Ehen nebulös und fast fahrlässig.

Dennoch ist das Konzept im Kern zutiefst fortschrittlich, da es eine neue Rechtsform der Partnerschaft über die klassische Ehe hinaus schafft.

Die progressive Wende stellt einen Erfolg dar, da Deutschland zum EU-Mainstream aufschließt.

Die Liberalisierung des Namensrechts und der Selbstidentifikation sei „überfällig“, sagte Saskia Lettmaier, Rechtswissenschaftlerin an der Universität Kiel, gegenüber Euractiv und verwies auf die Trends und Realitäten in anderen europäischen Ländern, die als Vorbild für die Reformen dienten.

Die Einführung von ‘Verantwortungsgemeinschaften‘ macht Deutschland sogar zu einem europäischen Vorreiter: Nach Angaben des Justizministeriums ist kein Präzedenzfall bekannt.

Sind die Kulturkriege an Deutschland vorbeigegangen?

Am bemerkenswertesten ist jedoch, dass es einer Koalition, die so anfällig für interne Machtkämpfe ist, gelungen ist, reibungslos Gesetze zu verabschieden, die anderswo Kulturkriege entfacht hätten, ohne nennenswerte Gegenreaktionen.

Mehr noch, es ist die FDP, sonst in ganz Europa bekannt für seine Neigung, Umwelt- und Nachhaltigkeitsgesetze zu blockieren, die für die meisten Reformen verantwortlich war.

FDP-Justizminister Marco Buschmann hat in erklärtermaßen harmonischer Zusammenarbeit mit seinen Koalitionspartnern erfolgreich einen Gesetzentwurf nach dem anderen vorangebracht.

Lettmaier stellte zwar fest, dass selbst umstrittene Maßnahmen wie die Selbstidentifizierung „wahrscheinlich seit langem eine solide Unterstützung in der deutschen Gesellschaft haben“.

Die kulturellen Bruchlinien verlaufen sicherlich anderswo als in Ländern wie Großbritannien, wo diese Woche im Parlament Regierung und Opposition über die Aussage „Was ist eine Frau?“ aneinandergerieten.

Darüber hinaus weiß jeder, der schon einmal in Berlin – oder an einem FKK-Strand in Südfrankreich – war, dass sich hinter der geordneten deutschen Fassade überraschend viel gegenkulturelles Chaos verbirgt.

Ein typisches Beispiel: Der äußerlich konservative Buschmann tritt nebenbei auch als DJ MBSounds auf SoundCloud.

Es gibt aber auch eine einfachere Erklärung: Die Sozialpolitik ist mehr oder weniger der einzige Bereich, in dem sich die Koalitionspartner einig sind, wobei SPD, Grüne und FDP allesamt liberal eingestellt sind.

Im Vergleich zu David Cameron, der die Homo-Ehe gegen den starken Widerstand der konservativen Tories durchsetzen musste, war die gesetzliche Liberalisierung Deutschlands für die Scholz-Koalition ein Kinderspiel.

Vielleicht sollte die „Ampel“ danach streben, in Bereichen, in denen sie anderer Meinung sind, endlich die gleiche Anmut und Effizienz zu zeigen. Es könnte seine Protagonisten vor Camerons Schicksal bewahren.


Die Zusammenfassung

Eine Last-Minute-Vereinbarung in Berlin hat den Weg für die Verabschiedung des EU-Ziels für 2040 geebnet, die Emissionen schwerer Nutzfahrzeuge um 90 % zu reduzieren, im Austausch für eine Klausel für Fahrzeuge, die mit E-Fuels betrieben werden.

Das von Russland initiierte Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Cyberkriminalität sollte am Freitag abgeschlossen werden, doch der Mangel an Konsens über den Umfang und die Terminologie hat die Zivilgesellschaft dazu veranlasst, die Ablehnung des Übereinkommens in seiner derzeitigen Form zu fordern.

Die Bundesregierung blickt bei der Wasserstoffversorgung in den kommenden Jahren über Europa hinaus und hat sich mit Algerien auf eine Task Force geeinigt, um die Rahmenbedingungen für Importe zu erleichtern.

Der Rat und das Europäische Parlament einigten sich am Donnerstag auf den Vorschlag, Quecksilber in Zahnamalgam im Rahmen der Verpflichtungen aus dem Null-Schadstoff-Ziel der EU vollständig auslaufen zu lassen.

Wenn Sie sich für EU-Verteidigungsfonds und -programme interessieren, schauen Sie sich unsere ausführliche Erklärung an.

Tausende Traktoren gingen am Freitag in einer großen landesweiten Demonstration auf die polnischen Straßen, als lokale Landwirte, inspiriert von ihren Kollegen aus anderen EU-Ländern, ihren Protest gegen den europäischen Grünen Deal und die Importe aus der Ukraine wieder aufnahm.

Nachhaltigkeitsmaßnahmen seien notwendig, würden den Landwirten aber „mit Gewalt“ aufgezwungen, während andere Wirtschaftssektoren – wie der Tourismus – unangetastet blieben, sagte ein Vertreter junger Landwirte im spanischen Katalonien gegenüber Euractiv und warnte, dass die Rechtsextremen die Stimme vernachlässigter ländlicher Gebiete sein wollen in Europa.

Für weitere politische Neuigkeiten sollten Sie den Tech Brief, den Economy Brief und den Agrifood Brief dieser Woche nicht verpassen.

Achten Sie auf …

  • Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič hält am Sonntag seine Abschlussrede auf der Europakonferenz in Harvard.
  • Informelles Treffen der Entwicklungsminister Sonntag-Montag

Die Ansichten liegen beim Autor

[Edited by Zoran Radosavljevic/Alice Taylor]



source-127

Leave a Reply