China rutscht in die Deflation

China

Die Preise in China sinken.

(Foto: Bloomberg)

Peking Die Gemüsehändlerin auf dem kleinen Markt im Pekinger Stadtteil Oststadt tippt flink auf ihrem Taschenrechner: Fünf Tomaten, zwei Schlangengurken, eine rote Zwiebel und eine Knoblauchknolle. „Genau sieben Kuai“, sagt sie, umgerechnet rund 88 Euro-Cent. Während Verbraucher in vielen anderen Länder unter steigenden Preisen leiden, sinken die Preise in der Volksrepublik.

China ist im Juli in die Deflation gerutscht. Die Verbraucherpreise fielen im Jahresvergleich um 0,3 Prozent. Das gab das Nationale Statistikbüro am Mittwoch bekannt. Als Gründe für den Rückgang gelten die Kaufzurückhaltung der chinesischen Haushalte, sowie die anhaltenden Probleme auf dem Immobilienmarkt.

Ebenfalls negativ entwickelten sich die Erzeugerpreise, die um 4,4 Prozent sanken. Zum ersten Mal seit November 2020 waren damit sowohl Verbraucher- als auch die Erzeugerpreise rückläufig. Viele Ökonomen halten eine negative Preisspirale für gefährlicher als eine Inflation, weil Verbraucher in Erwartung fallender Preise ihre Kaufentscheidungen aufschieben und Unternehmen Investitionen zurückhalten. Das könnte die ohnehin holprige Erholung weiter abschwächen.

Schon jetzt dämpft die vorsichtige Haltung von Firmen und Haushalten den Post-Pandemie-Aufschwung der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Im zweiten Quartal war Chinas Wirtschaft nur 0,8 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen. Die bislang für Juli veröffentlichten Wirtschaftsdaten weisen auf wenig Besserung hin. So brachen die Exporte auf Dollarbasis im Jahresvergleich um 14,5 Prozent ein. Auch die Krise im wichtigen Immobiliensektor hält an.

Trotz aller Probleme sei das „Gerede von einer Deflation in China ist völlig abwegig“, findet Robert Carnell, Chefvolkswirt Asien-Pazifik bei der niederländischen Bank ING. Auch Wang Tao, China-Chefvolkswirtin der Schweizer Bank UBS, geht davon aus, dass die Verbraucherpreise zum Ende des dritten Quartals wieder steigen werden, auch weil sich der Konsum zwar langsam aber stetig erhole.

Warnungen vor japanischen Verhältnissen überzogen

Carnell hält Warnungen vor japanischen Verhältnissen in China für überzogen. Die Situation im heutigen China und im Japan in den 1990er Jahren sei „sehr unterschiedlich“, schreibt er in einer aktuellen Analyse. Denn anders als Japan, das versucht habe, das Platzen der Immobilien- und Aktienblase durch immer neue schuldenfinanzierte Konjunkturpakete abzufedern, übe sich Chinas Staatsführung derzeit in Zurückhaltung. „Ungeachtet aller Spekulationen über Konjunkturprogramme, die jede Woche die Zeitungen füllen, ist nichts gegen Chinas Festhalten an seinem derzeitigen Kurs einzuwenden“, betont er.

Der Ökonom sieht in China derzeit weder eine Aktien- noch eine Immobilienblase. Die Entwicklung an den Aktienmärkten sei in den vergangenen Monaten und Jahren sogar eher durchschnittlich gewesen. Bei den Immobilienpreisen habe es zwar stellenweise Übertreibungen gegeben, auf diese folge nun eine Periode des langsameren Wachstums oder sogar von Preisrückgängen. Insgesamt sei das „weder besonders besorgniserregend noch besonders unerwünscht“.

Die politisch gewollte Korrektur auf dem Immobilienmarkt hält Carnell für „vernünftig“, auch wenn dies bedeute, dass die gesamte Wirtschaft langsamer wachse, so wie es dem Entwicklungsstand Chinas entspreche. Wachstumsraten im Immobiliensektor wie vor der Covid-Krise hingegen hätten „in einer Katastrophe enden können. Vielleicht in einer Katastrophe wie in Japan“, stellt Carnell klar.

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