Ampel-Regierung bekommt von Experten kein gutes Zeugnis für Klimaschutz

Berlin Auch mit den geplanten neuen Maßnahmen droht die Bundesregierung ihre Klimaschutzziele zu verfehlen. Nach dem am Dienstag vorgestellten Projektionsbericht des Bundesumweltamtes besteht bei der Minderung von klimaschädlichen Treibhausgasen bis 2030 noch eine Lücke von bis zu 331 Millionen Tonnen. Das Ziel, Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu machen, würde unter den gegebenen Umständen nicht erreicht, schreibt das Umweltbundesamt.

Parallel stellt auch der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung kein gutes Zeugnis aus. Die Klimaschutzmaßnahmen gingen zwar in die richtige Richtung, reichten aber noch immer nicht aus, teilte das unabhängige Gremium am Dienstag in Berlin mit.

Das Bundeskabinett hatte im Juni eine Neufassung des Klimaschutzgesetzes auf den Weg gebracht. Ziel ist, den Treibhausgasausstoß bis 2030 verglichen mit dem Jahr 1990 um mindestens 65 Prozent und bis 2040 um mindestens 88 Prozent zu reduzieren. Aktuell sind es gut 40 Prozent.

Dafür dürfen dann 2030 nur noch 440 Millionen Tonnen an klimaschädlichen Treibhausgasen ausgestoßen werden. Im vergangenen Jahr wurden 746 Millionen Tonnen freigesetzt. 2045 soll die Bundesregierung dann treibhausgasneutral sein.

Statt einzelne Sektoren wie den Verkehr oder den Gebäudesektor, die die gesteckten Klimaziele bisher regelmäßig verfehlen, stärker in die Verantwortung zu nehmen, soll nach dem Klimaschutzgesetz künftig im Fokus stehen, ob der Treibhausgasausstoß insgesamt reduziert wird.

Klimaschutzprogramm mit 130 Einzelmaßnahmen

Dazu hat die Regierung ein Klimaschutzprogramm mit rund 130 Einzelmaßnahmen vorgelegt – von der Einführung des Deutschlandtickets, über die Förderung energetischer Sanierungen bis hin zur Verfahrensbeschleunigung beim Ausbau erneuerbarer Energien.

Bundeswirtschaftsminister Habeck

Habeck hatte bei Vorlage des Programms im Juni erklärt, durch die Maßnahmen schließe die Ampel die von der Vorgängerregierung geerbte Klimaschutzlücke um bis zu 80 Prozent.

(Foto: dpa)

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte bei Vorlage des Programms im Juni erklärt, durch die Maßnahmen schließe die Ampel die von der Vorgängerregierung geerbte Klimaschutzlücke um bis zu 80 Prozent.

Am Dienstag erklärte er, 2021 sei das Bundesumweltamt noch davon ausgegangen, dass die bis 2030 zulässige Höchstmenge für den Treibhausgasausstoß noch um 1100 Tonnen überschritten werde. Diese Lücke habe die Regierung auf – je nach Szenario – rund 200 bis rund 300 Millionen Tonnen geschlossen.

Dass diese Werte tatsächlich erreicht werden, bezweifelt der Expertenrat für Klimafragen allerdings. Das aus fünf Wissenschaftlern bestehende Gremium hat die Aufgabe, das Klimaschutzprogramm zu bewerten, bevor es von der Bundesregierung beschlossen wird.

Wo besonders viel Treibhausgas gespart werden könnte

Allerdings fällt das Urteil sehr verhalten aus. „Bei etlichen Maßnahmen sehen wir die Realisierungswahrscheinlichkeit und die Abweichung zwischen der Realität und den Annahmen der Bundesregierung in den Unterlagen kritisch“, sagte Hans-Martin Henning, der Vorsitzende des Expertenrats. „Die erwartete Gesamtminderung wird daher vermutlich überschätzt.“

Kraftwerk

Das Expertengremium betonte, besonders in den Sektoren Energie und Industrie könne es signifikante Treibhausgas-Einsparungen geben.

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Die Regierung habe mit ihren 130 Maßnahmen zwar einen hohen Anspruch formuliert, aber es fehle ein schlüssiges Gesamtkonzept, um wie geplant bis 2030 rund 200 Megatonnen Treibhausgase einzusparen, kritisierte die stellvertretende Vorsitzende des Rates, Brigitte Knopf.

Erschwert wurde die Arbeit der Wissenschaftler, weil sie mit teils widersprüchlichen Gutachten der Bundesregierung arbeiten mussten und die Minderungswirkung geplanter Maßnahmen so nicht richtig einschätzen können. Das gilt etwa für das Deutschlandticket, wo Gutachten für das Verkehrs- und das Wirtschaftsministerium zu sehr unterschiedlichen Annahmen über die Minderungswirkung kommen.

Auch würden geplante Maßnahmen wie der Abbau klimaschädlicher Subventionen nicht konkretisiert, obwohl dieser sowohl dem Klimaschutz als auch dem Bundeshaushalt zugute kommen würde, erklärte Knopf.

Sie verdeutlichte anschaulich, vor welchem Problem die Wissenschaftler standen: Die Bundesregierung habe dem Gremium ein 1000-Teile-Puzzle präsentiert, dessen Bestandteile aber in Wahrheit aus drei verschiedenen Puzzlespielen stammten.

>> Lesen Sie hier: Jetzt kommt die Rechnung für den versäumten Klimaschutz – Ein Kommentar

Laut dem Expertenrat bleibt im Gebäudebereich bis 2030 eine Lücke von insgesamt 35 Millionen Tonnen CO2, die eingespart werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Im Verkehrsbereich sind es bis 2030 zwischen 117 und 191 Millionen Tonnen.

Bei ihren Annahmen lag den Wissenschaftlern die neue Projektion des Umweltbundesamtes, die am Dienstag präsentiert wurde, aber noch nicht vor. Die Behörde attestierte der Bundesregierung zwar durchaus fortschritte beim Klimaschutz.

Das schlägt der Expertenrat vor

So sei die Gesamtlücke im vergleich zur vorherigen Projektion um 70 Prozent reduziert worden. Um die Klimaziele zu erreichen, müsse aber noch mehr passieren. Mit den schon gültigen Maßnahmen bleibe bis 2030 eine Lücke von 331 Millionen Tonnen. Würden weitere geplante Maßnahmen, die noch nicht Gesetz seien, umgesetzt, könne die Lücke auf 194 Millionen Tonnen reduziert werden.

Dafür seien aber erhebliche Anstrengungen erforderlich, betonte der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner: „So müssen in den kommenden sechs Jahren Treibhausgasemissionen zusätzlich reduziert werden, die einem Umfang von etwa 40 Prozent der Emissionen Deutschlands im gesamten Jahr 2022 entsprechen“, sagte Messner.

Das optimistische Szenario sei abhängig vom politischen Willen, geplante klimapolitische Maßnahmen auch umzusetzen, schreibt das Umweltbundesamt. Dass das nicht immer so schnell gehe wie erhofft, zeige das Heizungsgesetz, erklärte der Expertenrats-Vorsitzende Henning. Der Heizungstausch hin zu Wärmepumpen werde sich nun langsamer vollziehen als vom Wirtschaftsministerium geplant, weil nun die kommunen zunächst ihre Wärmeplanung vorlegen sollen.

Wärmepumpe

Der Heizungstausch hin zu Wärmepumpen werde sich nun langsamer vollziehen als vom Wirtschaftsministerium geplant, weil jetzt die Kommunen zunächst ihre Wärmeplanung vorlegen sollen, so Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats für Klimafragen.

(Foto: Boehringer Ingelheim)

Der Expertenrat kritisiert, dass die Bundesregierung nicht wie im Klimaschutzgesetz gefordert auch die ökonomischen, sozialen und weiteren ökologischen Folgewirkungen ihres Klimaschutzprogramms benennt.

Als eine mögliche Maßnahme, um die Klimaschutzziele zu erreichen, schlagen die Wissenschaftler eine konsequente und möglichst frühzeitige Durchsetzung der festen Obergrenze im nationalen Emissionshandel vor, inklusive flankierender Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Absicherung.

Mehr: Die Geschichte des Klimas: Wie wir mit unserer Zukunft spielen

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