Zwilling-Chef: Chinas Nationalstolz beeinflusst E-Commerce

Düsseldorf „Die Situation in der Ukraine erschüttert uns zutiefst“, sagte Erich Schiffers, Chef des Messer- und Kochgeräte-Herstellers Zwilling, dem Handelsblatt. Derzeit kümmert sich das Solinger Unternehmen um die Sicherheit seiner ukrainischen Distributoren und Software-Dienstleister.

In Russland habe man die Aktivitäten auf ein Minimum reduziert. Darüber hinaus sieht der Manager, der seit 25 Jahren im Unternehmen ist, ein großes Problem in den aktuellen Preissteigerungen: „Was uns aber richtig Sorgen bereitet, ist die Inflation. Es wird ja nicht nur Gas und Strom teurer.“ So hat Zwilling bereits vor Kriegsausbruch „so viel Lagerbestand wie noch nie in der Geschichte des Unternehmens aufgebaut“.

In den Pandemiejahren profitierte das zur Wehrhahn-Gruppe gehörende Traditionsunternehmen Zwilling davon, dass der Hersteller von Messern, Kochgeschirr und auch Küchengeräten schon früh auf Influencer und Onlinehandel gesetzt hat. Im Gespräch mit dem Handelsblatt erklärt er das Erfolgsrezept, warum er nun in den USA auf fliegende Händler setzt und was man vom spannendsten E-Commerce-Markt der Welt lernen kann.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Schiffers, Zwilling erwirtschaftet mehr Umsatz im Ausland und ist auch in Russland aktiv, was macht Ihnen derzeit mit Blick auf den Krieg in der Ukraine am meisten Sorgen?
Die Situation in der Ukraine erschüttert uns zutiefst. Wir kümmern uns daher intensiv darum, unsere ukrainischen Distributoren sowie Software-Dienstleister, deren Angestellte und Angehörige vor Ort nach Möglichkeit zu unterstützen beziehungsweise in Sicherheit zu bringen. Zwilling steht derzeit in Kontakt mit der Stadt Solingen und Flüchtlingsorganisationen, um hierzulande bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und mit Sachspenden unbürokratisch zu unterstützen. Wir hoffen auf ein schnelles Ende des Krieges, damit weiteres Leid vermieden wird.

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Inwieweit sind Sie von den Sanktionen betroffen?
Wir sind nicht von Sanktionen betroffen, in Russland hat Zwilling lediglich kleinere Umsätze. Wir haben die Aktivitäten auf ein Minimum reduziert und sind insbesondere um unsere Mitarbeiter vor Ort besorgt.

Nach rückläufigen Geschäften hatte Zwilling zuletzt zwei Rekordjahre. Was hat das ermöglicht?
Erstens, dass wir ein Multichannel-Anbieter geworden sind, der die verschiedenen Kanäle wirklich verbindet, und zweitens: Innovationen.

Der Onlineanteil ist bei Zwilling seit 2018 von 17 auf 40 Prozent gestiegen. Haben sich Ihre Verkäufe in der Pandemie vom Fachhandel auf Ihren Shop verlagert?
Nein, in den 40 Prozent Onlinegeschäft ist auch der Anteil unserer Verkäufe über Websites des traditionellen Fachhandels enthalten. Dieser hat uns in den vergangenen 290 Jahren begleitet, und nur wenn er erfolgreich ist, sind wir es auch.

„Die Lieferanten reichen ihre Mehrkosten kompromisslos weiter“

Hierzulande sind Fachhändler aber kaum mit Onlineshops vertreten. Experten schätzen, es sind bestenfalls rund zehn Prozent…
Das stimmt. Aber in den USA, wo wir mehr als 30 Prozent des weltweiten Umsatzes erwirtschaften und zuletzt rund 50 Prozent gewachsen sind, sind es bei den Warenhäusern und im Fachhandel über 20 Prozent, teils bis zu 60. Das ist ein Indikator dafür, wie weit man hier hinterherhinkt. Daher fragen wir uns, wie wir den Handel hierzulande, aber auch in ganz Europa, befähigen.

Am 20. März läuft ein Großteil der Pandemiemaßnahmen aus. In den Lockdowns erlebte selbst das Kochen zwangsläufig einen Boom – und damit auch Zwilling. Rechnen Sie mit einem Rückgang der Umsätze 2022?
Die Antwort ist zweigeteilt: Wir sind optimistisch, dass das Interesse an Kochen und Küche bleibt oder sich sogar noch verstärkt. Aber: Wenn eine Familie einmal nicht in den Skiurlaub fährt, dann stehen rund 4000 Euro für andere Interessen bereit, davon haben wir sicher in der Pandemie profitiert. Und das wird sich ändern. Was uns aber richtig Sorgen bereitet, ist die Inflation. Es wird ja nicht nur Gas und Strom teurer.

Und da ist in der aktuellen Lage keine Entspannung in Sicht.
Bereits vor dem Krieg sind alle Kosten der Vorprodukte um 20 Prozent gestiegen, zusätzlich die zum Teil verzehnfachten Frachtkosten. Die Lieferanten reichen ihre Mehrkosten kompromisslos weiter und bestimmen, wer die Ware überhaupt noch bekommt, es ist ein Verkäufermarkt. Das hemmt das Geschäft natürlich weltweit. Die genauen Wirkungen des Krieges auf das Konsumverhalten können wir noch nicht einschätzen.

Haben Sie selbst bereits Lieferschwierigkeiten?
Wir haben uns im Jahr 2021 gut bevorratet und so viel Lagerbestand wie noch nie in der Geschichte des Unternehmens aufgebaut. In den USA sind diese Vorräte allerdings wegen der guten Geschäfte nahezu ausverkauft.

Dort haben Sie eine eigene digitale Schnittstelle zu den Fachhändlern und Warenhäusern etabliert und ihnen auch die Logistik zu den Kunden abgenommen. Wie hat sich das im zweiten Pandemiejahr entwickelt?
Nun, wir haben im Jahr 2021 mit diesem Dropshipment-Konzept 50 Millionen Euro in den USA erwirtschaftet. Dabei gab es zwei Entwicklungen.

Und die wären?
Einerseits haben die großen Warenhäuser nach einem Jahr gesehen, wie viel Umsatz außerhalb ihres eigenen Webshops entstand. Daher versuchten sie 2021, wieder mehr selbst online zu verkaufen. Dafür haben aber deutlich mehr kleinere Fachhändler das Angebot genutzt. Das ist die gute Botschaft. Denn für viele kleinere Händler ist ein eigener Webshop ja gar nicht wirtschaftlich.

Wie haben Sie die Fachhändler überzeugt?
Mit sehr pragmatischen Lösungen: entweder einer richtigen Schnittstellenintegration unseres Onlineshops in die der Händler oder mit der abgespeckten Version einer händlerindividuellen Landingpage auf unserem Webshop. Bei den noch kleineren Händlern, die in den USA zumindest eine Facebook-Seite haben, konnten wir sie ebenfalls vernetzen. Deren Kunden sind von dort aus mit einem individuellen Link mit einem „Willkommen, lieber Kunde“ direkt in unserem Onlineshop gelandet. Hiermit schaffen wir es, dass ein im E-Commerce unerfahrener Händler ohne Rüstkosten online lieferfähig ist.

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Wie lange haben Sie gebraucht, um diese Schnittstellen und die Logistik startklar zu machen?
Um die sogenannten Dropshipment-Strukturen aufzubauen, braucht man die Schnittstellen und die Logistik, wenn man zum Beispiel 500.000 Aufträge abwickeln will. Solche Strukturen bauen Sie nicht über Nacht auf. Das Projekt begann 2018 und brauchte schon zwei Jahre. Umso erfreuter waren wir, dass wir rechtzeitig vor Corona „ready to go“ waren.

Wann bieten Sie das hierzulande oder in Europa an?
Nach und nach, aber wir wollen ja auch das Offlinegeschäft stärken.

Wie?
Wir haben in den USA und in Europa bereits mehr als 50 sogenannte Experience-Center mit integriertem Bildschirm aufgebaut. In diesem können die Verkäufer digital unterstützt und entsprechend geschult besser beraten. Im Zweifel können sie auch auch ein Produkt, das nicht da ist, direkt online bestellen und zum Kunden liefern lassen.

Das muss doch inzwischen jeder haben.
Ja, aber die Beratung ist entscheidend, so haben wir den Umsatz durch dieses neue Experience-Center pro Einsatzort erheblich gesteigert, zum Teil bis zu 80 Prozent.

Multichannel heißt ja auch, dass Sie im Offlinegeschäft Innovationen brauchen. In den USA haben Sie im vergangenen Jahr bereits 15 Millionen Euro mit Roadshows umgesetzt, gibt es eine Renaissance der fliegenden Händler?
Ja, es ist so richtig amerikanisch. Fand die Roadshow vorher in der Vorkassen-Zone der Händler statt, werden wir künftig mit mobilen Experience-Centern, sogenannten Airstreams reisen. Die Händler vor Ort bewerben das, wenn die Wagen kommen. Das ist keine spinnerte Marketingidee, sondern trägt dem Umstand Rechnung, dass die Leute unterhalten werden wollen.

Also lockt nicht nur der Videostream die Kunden, sondern auch das Event?
Das sind zwei Trends die diametral gegeneinanderstehen und sich gut ergänzen. Man muss immer beides tun.

China gilt als größtes Experimentierfeld im E-Commerce. Das Land ist Ihr wichtigster Markt. Was sind dort die wichtigsten Trends aus Ihrer Sicht?
Seit zwei Jahren ist uns klar, dass dort Social Commerce immer wichtiger wird. Mittlerweile erwirtschaften wir in China rund zehn Prozent unseres Umsatzes darüber und 25 Prozent des Onlineumsatzes.

„Wir haben über drei Milliarden Zwilling-Views 2021 verzeichnet“

Wie funktioniert das genau?
Im Grunde handelt es sich um Teleshopping in einem neuen Medium. Ein Influencer erklärt ein Produkt – das ist Education und Entertainment mit der Möglichkeit, mit einem Klick das Produkt zu kaufen. Das wird auch bei uns kommen.

Sie haben mit dem Schauspieler und Top-Influencer Xiao Zhan ja einen Star in China unter Vertrag. Läuft das Geschäft vor allem über prominente Influencer?
Wir haben mit Xiao Zhan auf Weibo über drei Milliarden Zwilling-Views 2021 verzeichnet. Das ist enorm. Aber der Influencer-Typus in China hat sich stark verändert.

Inwiefern?
Die etablierten Influencer stellen inzwischen ihren chinesischen Background mehr in den Vordergrund. Sie zeigen sich als stolze Chinesen, tragen jetzt eher chinesische Mode, sogar traditionelle Kleidung, wenn sie posten.

Ein neuer digitaler Trend?
Nein, das ist der aktuelle kulturelle Trend in China.

Ist das auch Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins vieler Chinesen?
Ja, China ist nach Umfragen aktuell das Land mit dem größten Nationalstolz. Das strahlt auf unseren E-Commerce aus. Bislang war es gut, wenn man bei Alibaba war und auch bei JD.com, doch jetzt kommen neue, flexiblere Formate auf den Markt.

Und auf welchen Plattformen gibt es diese Formate?
Vor allem auf Tiktok-Commerce. Wir arbeiten, wie andere Unternehmen auch, immer mehr mit chinesischen Marktforschern zusammen. Sie werden immer wichtiger. Die Kosten per Klick werden immer höher.

Also müssen Sie immer mehr Geld ausgeben, wenn Sie eine bestimmte Reichweite und Zielgruppe erreichen wollen?
Einerseits ja, andererseits bekommt man dadurch auch sehr relevante Zielgruppen.

Xiao Zhan

Der chinesische Influencer erreichte drei Milliarden Ansichten, bei seinem Engagement für Zwilling

Glauben Sie, dass die Kunden hierzulande genauso wild darauf sind wie die Chinesen?
Social Commerce wird vermutlich nicht das Ausmaß erreichen wie in China, vielleicht eher im einstelligen Prozentbereit bleiben. Europa ist da am weitesten zurück, das hängt aber an mehreren Faktoren.

Welche wären das?
Erstens hängt es von den Plattformen ab, über die der Commerce abgewickelt wird, die sind schon nicht überall gleich – auch Amazon nicht. Amazon arbeitet hier bislang vornehmlich mit Bildern. Ich könnte mir schon vorstellen, dass Amazon sein Ökosystem nutzen wird, um Livestreaming-Formate auszubauen.

Und woran hängt es noch?
Zweitens ist der Datenschutz hier heute ein ganz anderer als in China oder in den USA. Allein schon deshalb ist das Online-Konsumklima hier gedämpfter. Und das wird vermutlich so bleiben.

Sie sind ja bislang in China eher in den ganz großen Metropolen unterwegs, wollen Sie nun in die Provinzen gehen?
Die Kaufkraft in den 100 anderen chinesischen Millionenstädten steigt ja, da etabliert sich eine Handelslandschaft.

„Mit den in China erlaubten Funktionen weiß man, wo sich der Konsument hinbewegt“

Also investieren Sie in China auch in den stationären Handel?
Ja, denn es gibt in China noch einen weiteren wesentlichen Multichannel-Trend. Mit den dort erlaubten Geolocating-Funktionen weiß man, wo sich der Konsument gerade hinbewegt. Verlässt er zum Beispiel in einem Einkaufszentrum ein Hermès-Geschäft, dann kann er über Wechat angezeigt bekommen, dass es daneben ein weiteres Geschäft gibt, das für ihn interessant sein könnte.

Machen Sie das auch?
Nein, so weit sind wir noch nicht, aber es geht in China ja noch weiter, die Verkäufer werden dort zu den sogenannten Key Opinion Leadern, das heißt, sie können ihre Kunden dann sogar personalisiert ansprechen.

Das klingt etwas unheimlich…
Unsere Verkäufer sind noch keine Key Opinion Leader, aber wir glauben auch in China an die Zukunft des Retails und wollen dort noch mehr Shops eröffnen.

Wie oft sind Sie selbst in China unterwegs gewesen, vor Corona?
Zweimal im Jahr, auch um Lieferanten zu besuchen. Derzeit gibt es nur Videokonferenzen. Mir ist ganz wichtig, dass wir bald wieder in einen echten kulturellen Austausch kommen. Ich hoffe sehr, dass man bald wieder dorthin reisen kann und die Chinesen auch wieder ins Ausland reisen.

Herr Schiffers, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Gewinnwarnung für Deutschland – Was, wenn China sich endgültig hinter Russland stellt?

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