Wieso die FDP so wenig Frauen anspricht

In jenem Moment, als Nicole Bauer ihre Rede im Plenarsaal des Deutschen Bundestags beginnt, wird das ganze Dilemma der Freien Demokraten deutlich. Das höchste deutsche Parlament diskutiert an diesem kühlen Donnerstag im Februar anlässlich des bevorstehenden Weltfrauentags über Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung. Als frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion will sich Bauer selbstverständlich inhaltlich beteiligen.

Der Bundestag ist mit der Debatte, die aus terminlichen Gründen schon im Februar und nicht erst am Weltfrauentag (8. März) stattfindet, seiner Zeit voraus. Das stellt auch Nicole Bauer fest und fügt hinzu: „Ich wünschte, ich könnte das Gleiche auch für die gelebte Gleichberechtigung in Deutschland sagen.“

Das sei allerdings auch nach 16 Jahren unionsgeprägter Regierung und mit einer Kanzlerin an der Spitze nicht möglich. „Doch Dinge ändern sich“, führt Bauer weiter aus. In ihrem Koalitionsvertrag hätten SPD, Grüne und FDP eine klare Ausrichtung hin zu einer modernen Gesellschaftspolitik.

Doch was Bauer nicht erwähnt: Auch in ihrer eigenen Partei ist es mit der gelebten Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen nicht weit her. Was den Frauenanteil angeht, ist die FDP-Fraktion im Bundestag mit knapp 24 Prozent näher an der Union mit 23,4 Prozent als an den Koalitionspartnern Grüne (59,3 Prozent) und SPD (41,7 Prozent).

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Wo man sich auch umschaut bei den Liberalen, die Marke von 30 Prozent Frauen wird fast nirgendwo erreicht. Die gesamte Partei hat 21,6 Prozent weibliche Mitglieder, im Präsidium sind es mit 17 Prozent noch weniger. Ein Drittel Frauen, das scheint in weiten Teilen der FDP immer noch ein weit entfernter Traum zu bleiben.

Der Ruf einer Männerpartei ist für die Liberalen ein echtes Problem. Denn der geringe Frauenanteil bedroht das Narrativ einer Fortschrittspartei, die für eine moderne Breite der Gesellschaft steht.

Christian Lindner, Maren Jasper-Winter, Nicole Bauer und Nicola Beer verfolgen beim 70. FDP-Bundesparteitag die frauenpolitische Debatte

Die FDP ist von einer Geschlechterparität in den eigenen Reihen weit entfernt.

(Foto: dpa)

Die Ursachen für den Frauenmangel in der FDP sind tief verwurzelt und reichen von ideologischen über personelle bis hin zu programmatischen Gründen. Wie diese drei Faktoren den frauenpolitischen Wandel in der Partei ausbremsen, zeigen Gespräche mit liberalen Politikerinnen aller Generationen und Hierarchiestufen.

Wer mit Nicole Bauer ins Gespräch kommt, merkt sofort, dass hier eine Frau spricht, die für ihre Partei und die ganze Bundespolitik in Visionen denkt. Sie zeichnet Zukunftsbilder von einem Plenarsaal, in dem Kinder unterwegs sind, die ihre Mütter und Väter zur Debatte begleiten.

„Wir müssen einen Kulturwandel schaffen, in dem auch die Elternzeit positiv gesehen wird“, sagt Bauer. Für diesen Wandel müssten die Abgeordneten die Kultur vorleben, die sie von ihren Bürgerinnen und Bürgern erwarten.

Bauer ist frauenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion und leitet auch die Gruppe der FDP-Frauen im Deutschen Bundestag. Gemeinsam mit dem erweiterten Vorstandsteam um Judith Skudelny, Nicole Westig, Aniko Merten und Ria Schröder will sie Frauen in der FDP mehr Sichtbarkeit geben.

Die Quote passt nicht zum Liberalismus

Zur aktuellen Situation ihrer Partei sagt Bauer: „Es könnte mehr sein, aber wir arbeiten daran, dass es besser wird.“ Diese Verbesserung soll, wenn es nach ihr geht, ohne eine feste Quote für Listenplätze oder ähnlich starre Vereinbarungen vonstattengehen. Bauer ist eine liberale Feministin, und dazu passt die Quote einfach nicht.

Der Liberalismus, dem sich die FDP verschrieben hat, versperrt den Weg für radikalere Maßnahmen zur Förderung von Frauen, wie sie etwa die Grünen seit Jahrzehnten praktizieren. Während die Liberalen auf den „fairen Wettbewerb“ pochen, hat die Ökopartei den Männeranteil der Landeslisten auf maximal 50 Prozent begrenzt.

Auch die Position der Vorsitzenden muss bei den Grünen immer mit einem Mann und einer Frau besetzt sein. Das gilt für die Partei selbst, aber auch zum Beispiel für die Jugendorganisation Grüne Jugend.

Bei den Jungen Liberalen hingegen ist Franziska Brandmann nach ihrer Vorvorgängerin Ria Schröder erst die zweite weibliche Vorsitzende. Brandmanns vier Stellvertreter sind männlich, unter den Landesvorsitzenden der „Julis“ finden sich derzeit zwei Frauen und vierzehn Männer.

Frauen mit Tatendrang

Anzügliche Sprüche, wie sie einst Rainer Brüderle über das Dekolleté einer Journalistin tätigte, wären heute nicht mehr möglich, ist sich Brandmann sicher, „das würde Konsequenzen nach sich ziehen“, sagt sie.

Außerdem sieht sie viele junge Frauen mit Talent und Tatendrang auf dem Weg nach oben. „Ich bin mir sicher, dass man in einigen Jahren sehen wird, dass diese Frauen auch bei den Julis einen Wandel herbeigeführt haben werden“, sagt Brandmann.

Auf einen solchen Wandel wartet Sabine Leutheusser-Schnarrenberger allerdings seit Jahrzehnten. Die ehemalige Bundesjustizministerin ist in regelmäßigem Kontakt mit Brandmann und anderen jungen Politikerinnen. „Auch ich war, wie die Mehrheit der jungen Menschen heute, jahrzehntelang gegen eine Quote“, sagt Leutheusser-Schnarrenberger, „inzwischen bin ich anderer Meinung.“

Die Debatte werde in der Partei sehr emotional geführt, berichtet die 70-Jährige – Hauptgrund sei der Liberalismus als Grundverständnis der Partei, gepaart mit der Überzeugung, dass es durch fairen Wettbewerb alle nach oben schaffen könnten. „Ich sehe das mittlerweile aber nicht mehr als eine ideologische Frage“, sagt Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Die ehemalige Bundesjustizministerin sträubte sich lange gegen eine Frauen-Quote.

(Foto: Reuters)

Sie betrachtet die Quote als notwendiges Vehikel, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Ob es auch ohne klappen werde? „Ich bin bei dem Thema skeptisch, weil ich schon so viele Jahrzehnte die Debatte erlebe“, antwortet sie.

Keine Parität im Kabinett

1994, als Leutheusser-Schnarrenberger zum ersten Mal Bundesjustizministerin wurde, stellten die Liberalen mit ihr und Irmgard Schwätzer (Bauministerium) noch zwei Frauen für ihre fünf Ministerposten auf. Bei Leutheusser-Schnarrenbergers zweiter Ernennung 2009 war sie dann die einzige liberale Frau an Angela Merkels Kabinettstisch.

Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor seiner Vereidigung im vergangenen Jahr das Ziel ausgerufen hatte, die Hälfte seines Kabinetts mit Frauen zu besetzen, kam von der FDP Widerstand.

FDP-Kabinettsmitglieder

Führende FDP-Politiker wehrten sich gegen das Anliegen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Ministerposten zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen zu besetzen.

(Foto: dpa)

„Starre Quotenregelungen sind in der Regel kontraproduktiv, weil sie Menschen auf äußere Merkmale reduzieren“, kritisierte etwa FDP-Fraktionsvize Wolfgang Kubicki. So kam es dann auch, dass die FDP als einziger der drei Koalitionspartner die Parität verfehlte.

Bettina Stark-Watzinger, die einzige Ministerin der FDP auf Bundesebene, genießt an ihrem Arbeitsplatz einen beeindruckenden Ausblick. Auch wenn der Blick aus dem fünften Stock des Bildungsministeriums an diesem Tag im Januar einen wolkenverhangenen Berliner Regierungsbezirk zeigt, lässt die Aussicht über Spree und Kanzleramt erahnen, dass hier eine Politikerin arbeitet, die es bis ganz nach oben geschafft hat.

Auf die Frage, ob sie sich der Verantwortung für andere liberale Frauen in dieser Führungsrolle bewusst sei, antwortet Stark-Watzinger mit einem Wort: „Natürlich.“

Deshalb will sie auch in ihrem eigenen Haus für bessere Geschlechterverhältnisse sorgen. So gebe es zwei weibliche Staatssekretärinnen und zwei männliche parlamentarische Staatssekretäre – auch in anderen Bereichen achte sie auf eine ausgeglichene Verteilung. „Das ist in einem Ministerium mit klaren Führungsstrukturen natürlich einfacher umzusetzen als in einer Partei, die basisdemokratisch organisiert ist“, gibt Stark-Watzinger zu.

Frauen die Bildung, Männer die Finanzen

Ihr Haus, das Bildungsministerium, ist, anders als die FDP, weibliche Führung zudem gewohnt. Seit 1998 hat das Haus nur Ministerinnen gesehen. Das Finanzministerium hingegen führte bis heute noch nie eine Frau.

Stark-Watzinger wäre als ausgebildete Volkwirtin für diese Rolle durchaus infrage gekommen. Doch schon vor der Bundestagswahl stand fest, dass Parteichef Christian Lindner bei einer Regierungsbeteiligung das Finanzressort übernehmen würde.

Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger

Die Politikerin hofft auf Veränderungen in der Gesellschaft und in ihrer Partei.

(Foto: dpa)

Die Bildungsministerin bezeichnet den Frauenanteil in Partei und Bundestagsfraktion als „unbefriedigend“. Sie sehe allerdings auch Veränderungen zum Positiven. Etwa, dass der Frauenanteil in der Fraktion im Vergleich zur letzten Legislaturperiode gestiegen sei.

Auch in der Gesellschaft verändere sich gerade viel, sagt Stark-Watzinger, viele Frauen, die „darauf drängten“, sehe sie. „Wenn ich heute diese selbstbewusste Gemeinschaft von Frauen sehe, bin ich mir sicher, dass gerade etwas passiert“, sagt sie. Wie lange dieser Prozess dauere, da will sie sich nicht festlegen: „Wie viele Jahre das in Anspruch nehmen wird, da bin ich mir nicht sicher“, sagt sie.

Gleich und Gleich gesellt sich gern

Tatsächlich lässt sich dieses von Stark-Watzinger beschriebene Phänomen „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ auch in der FDP recht anschaulich beobachten. Denn dort ist vor allem der Phänotyp „mittelalter Mann aus den alten Bundesländern“ in Führungspositionen angekommen. Menschen also, die dem Parteichef ähneln. Neben Christian Lindner, 43, aus Wuppertal zählen zu dieser homogenen Mannschaft unter anderem auch:

  • Volker Wissing, Digital- und Verkehrsminister, 51, aus Landau
  • Marco Buschmann, Justizminister, 44, aus Gelsenkirchen
  • Christian Dürr, Fraktionsvorsitzender, 44, aus Delmenhorst
  • Johannes Vogel, parlamentarischer Geschäftsführer, 39, aus Wermelskirchen
  • Bijan Dijr-Sarai, designierter Generalsekretär, 45, aus Grevenbroich (ursprünglich Teheran)
  • Michael Zimmermann, Bundesgeschäftsführer, 41, aus München
  • Florian Toncar, parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium, 42, aus Hamburg

Viele Frauen hingegen, wie die ehemalige stellvertretende Bundesvorsitzende Katja Suding oder die Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin haben sich aus der Politik zurückgezogen. Die brandenburgische Liberale Linda Teuteberg ist nach ihrer knapp einjährigen Amtszeit als Generalsekretärin immerhin noch Mitglied des Bundesvorstands der FDP.

Dabei hatte die Partei in der Vergangenheit durchaus einige Versuche unternommen, ihre Führungsriege weiblicher zu gestalten. Seit 1987 gibt es freiwillige Selbstverpflichtungen zur Steigerung des Frauenanteils in Gremien und Parlamenten. Seitdem allerdings ist der Anteil weiblicher Mitglieder in der Partei nicht gestiegen, sondern gesunken.

2011 dann unternahm eine Gruppe von Frauen einen für die FDP fast schon radikalen Vorstoß. In einem offenen Brief forderte der sogenannte „Spreekreis“ eine Frauenquote von 40 Prozent für alle Gremien. „Wir wollen nicht zusehen, dass eine weitere Generation von liberal denkenden Frauen schwindende Beteiligungschancen vorfindet“, hieß es in dem Schreiben.

Farbe Pink statt Frauenquote

Der Vorschlag schaffte es allerdings noch nicht einmal bis zur Abstimmung. „Er wurde einfach abgeräumt“, erinnert sich eine der Mitinitiatorinnen heute. Stattdessen fügte die FDP ihrem offiziellen Parteilogo 2015 noch die Farbe Pink hinzu. Aus Parteikreisen heißt es, dabei habe es sich auch um eine Maßnahme gehandelt, um mehr Frauen anzusprechen.

2018 dann ein neuer Anlauf: Eine Arbeitsgruppe Diversity Management sollte „effektive Maßnahmen entwickeln, um neue weibliche Mitglieder und Wähler zu gewinnen sowie mehr Frauen in die Parteiarbeit und die Führungsebene zu integrieren“, hieß es in der Beschlussvorlage.

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Ein Jahr später entstanden daraus Zielvereinbarungen für die Landeslisten der Bundestagswahl, die jeder liberale Landesverband selbst bestimmen konnte.

Das Problem dabei: Laut Informationen des Handelsblatts schlug der größte Landesverband NRW beispielsweise nur eine Quote von 20 Prozent vor. Am Ende waren gerade einmal drei der 19 Bundestagsabgeordneten aus NRW weiblich.

Hildegard Hamm-Brücher

Als Hamm-Brücher 1977 Staatsministerin im Auswärtigen Amt wurde, galt die FDP mit Blick auf Frauen in der Partei noch als fortschrittlich.

(Foto: dpa)

Dabei war es der FDP nicht in die Wiege gelegt, eine Männerpartei zu werden. Schon 1972 verabschiedete sie, als erste deutsche Partei überhaupt, ein Programm zur Gleichstellung der Frau. Doch der Bruch mit der sozialliberalen Koalition 1982 brachte auch einen Bruch mit vielen Frauen der Partei mit sich.

Bekannte Gesichter der Öffentlichkeit wie die Abgeordneten Helga Schuchardt und Ingrid Matthäus-Maier verließen die Liberalen in Richtung der SPD. Auch die Koryphäe liberaler Frauen, Hildegard Hamm-Brücher, damals Staatsministerin im Auswärtigen Amt, sagte in einem Interview vor ihrem Tod rückblickend: „Die sozialliberale Koalition war das einzige Mal, dass ich politisch da verortet war, wo meine Grundüberzeugungen liegen.“

Ampel als Chance?

Laut Gesine Meißner, ehemals liberale Europaabgeordnete und Bundesvorsitzende der „Liberalen Frauen“, waren die von den sozialliberalen Freiburger Thesen geprägten 1970er-Jahre frauenpolitisch die stärkste Zeit für die FDP, die damals auch die frauenstärkste Partei überhaupt war.

„Danach hat die inhaltliche Ausrichtung viele Frauen leider nicht mehr so angesprochen“, analysiert Meißner. Die FDP habe Wirtschaftsthemen mehr in den Vordergrund gerückt und wurde dann lange als eine Partei für Unternehmer wahrgenommen.

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Und so äußern viele Frauen in der Partei die Hoffnung, dass die neue sozialliberal-grüne Ampelkoalition im Bund auch die programmatische Ausrichtung der FDP für Frauen wieder ansprechender machen könnte. Denn schließlich geht es für die Partei im Ringen um die eigene Weiblichkeit um einen ganz entscheidenden Erfolgsfaktor: Frauen als Wählerinnen anzusprechen.

Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, macht der FDP Hoffnung: „Es gibt eine ganz breite Gruppe von Frauen, die das tendenziell identitäre Denken der Grünen ablehnen und sich trotzdem als Feministinnen verstehen.“ Münch ist sich sicher: Wenn es der FDP gelänge, diese Gruppe anzusprechen, hätte sie auch bei der weiblichen Wählerschaft mehr Potenzial.

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