Wie Winkelmann die Bauindustrie revolutionieren will

Düsseldorf Ein Haus, einfach im Boden festgeschraubt. Wo sonst ein Fundament aus Beton gegossen wird, hat das Familienunternehmen Winkelmann Group ein anderes Verfahren für den Bau entwickelt: meterlange Bodenschrauben, die als Pfahlfundament eingedreht werden und beispielsweise für Häuser und Garagen dienen.

Das spart am Bau vor allem Zeit. „Wenn unsere Mitarbeiter um sieben Uhr den Prozess auf der Baustelle beginnen, kann wenige Stunden später, bereits am Vormittag, das Haus aufgesetzt werden“, erklärt Besim Jakob. Er ist CEO des Anfang 2023 ausgegründeten Tochterunternehmens Winkelmann Foundation + Construction, das für den traditionsreichen Mittelständler die sogenannte „Foundation Screw“ herstellt.

Für ein Betonfundament müsste mit einem Bagger die Erde ausgehoben werden, ein Souterrain gebaut – und anschließend die Fläche betoniert werden. „Bis der Beton trocken ist, vergehen Wochen“, sagt Jakob. „Die Schraubfundamente können unmittelbar nach dem Eindrehen genutzt werden.“ Und das ist fest: Mit 12.000 Newtonmetern werden die Schrauben in den Boden gedreht – etwa hundertmal so viel Kraft, wie zum Anbringen von Autoreifen per Schlagschrauber benötigt wird.

Das Verfahren, das das bereits 1898 in Ahlen gegründete Unternehmen vorantreibt, spart darüber hinaus auch CO2. Denn ohne Beton kein Zement und damit Verzicht auf einen Klimasünder: Fast acht Prozent der weltweiten Treibhausemissionen gehen auf die Herstellung des wichtigsten Bestandteils des Baustoffs zurück.

In der Produktion fallen dabei etwa 2,4 Milliarden Tonnen CO2 an, mehr als die globale Rechenleistung und der Flugverkehr zusammen erzeugen. Und die Baubranche setzt weiterhin auf den Baustoff: Laut Daten des Thinktanks ACF Architects wird der globale Bedarf an Zement bis zum Jahr 2050 um 20 Prozent ansteigen.

Fachkräftemangel bremst Ausbau

Einsparmöglichkeiten kommen in dem Sektor entsprechend gelegen. „Setzt man ein Haus nicht auf eine Beton-Bodenplatte, sondern auf Schraubfundamente, spart man mehr als 80 Prozent der üblichen CO2-Emissionen bei dem Vorgang ein“, erklärt Jakob.

Das Erdreich unter dem Gebäude wird ohne Betonfundament auch nicht versiegelt: „Sollte aus irgendwelchen Gründen nach 20 Jahren die Garage oder das Haus umgesiedelt werden, muss man nichts aufwendig aus dem Boden heben, sondern nur die Schraube linksherum herausdrehen.“

Das Unternehmen erlebt eine große Nachfragesteigerung, in diesem Jahr hätten sich die Anfragen verzehnfacht, so Jakob. Doch fehlen ihm nach eigenen Angaben Vertriebsleute, um die Angebote auszuarbeiten – „gerade jetzt, da so viele Anfragen da sind“.

Überhaupt macht der Ausgründung der Fachkräftemangel zu schaffen: „Mitarbeiter zu gewinnen ist aktuell schwierig“, berichtet Jakob. Auch im Servicebereich und für das Einsetzen der Schrauben, beides Schwerpunkte, für die dringend Leute gesucht werden.

Denn Winkelmann baut für das Schraubensegment gegenwärtig ein bundes- und europaweites Netz auf, so Jakob. Und dazu benötigt es Fachkräfte, die die Bauunternehmen beim Prozess begleiten: „Der Service besteht nicht nur aus dem Verkauf der Schrauben – vor Ort sind auf der Baustelle auch Statiker und Bauingenieure im Einsatz.“ Die Winkelmann Group hält neben ihren deutschen Standorten auch Standorte in Polen, der Türkei, China den USA und Mexiko.

Und auch die traditionell eher konservative Haltung der Baubranche trägt nach Einschätzung des CEO dazu bei, dass sich das Produkt am Markt nicht so schnell etablieren kann wie gewünscht: „Viele Bauunternehmer in der Branche setzen auf Erfahrung und wollen Produkte und Prozesse nutzen, die sich bereits seit vielen Jahrzehnten bewiesen haben.“

Laut Bauexperten sind sogenannte Gründungsvarianten für Gebäude besonders nachhaltig, die mit einem Minimum an Stahl und Beton auskommen. Ohne Beton kommt der Prozess der Winkelmann-Schrauben aus – doch nicht ohne Stahl.

Um dieses Problem zu lösen, hat Winkelmann nun eine Kooperation mit Thyssen-Krupp Steel ins Auge gefasst, um die Schrauben in der Zukunft aus grünem Stahl herstellen zu können. Bei geeignetem Baugrund wären die Schraubfundamente vor allem für einstöckige Modulbauten, also bei geringen Lasten, denkbar, bestätigt ein Bauexperte, der namentlich nicht genannt werden möchte. Doch für größere und mehrstöckige Bauten gebe es derzeit wirtschaftlichere und nachhaltigere Lösungen. In der Bauindustrie sei das Konzept aufgrund des sehr speziellen Anwendungsspektrums bislang eher in Nischen vertreten.

Das Konzept überzeugt allerdings für den Wiederaufbau in den von russischen Angriffen zerstörten Teilen der Ukraine: Im Januar gingen bei dem Unternehmen entsprechende Anfragen ein – das Schraubkonzept eigne sich gut für den Wiederaufbau vor Ort, hieß es. „Wir sind mit Politikern, Kommunen und Bauunternehmern im Gespräch“, bestätigt Jakob. Dabei geht es aktuell vor allem um die Städte Kiew und Lwiw.

„Beim Wiederaufbau der Ukraine wird serielles Bauen und Modulbau eine große Rolle spielen,“ schätzt der Unternehmer. Vor allem hier seien die Schraubpfahl-Fundamente gut geeignet – und durch den schnellen Prozess zeitsparend. Im September ist das Unternehmen auf einen Kongress zum Wiederaufbau der Ukraine vor Ort eingeladen und wird dort das Konzept präsentieren.

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