Wie Patricia Schlesinger zum Systemrisiko der ARD wurde

Die Personalie, ein eher unfreiwilliger „Scoop“, ergab sich aus einer lange schwelenden Affäre in Schlesingers Heimatsender Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Seit Wochen dringen immer neue brisante Details aus dem Inneren der kleinen Anstalt. Es geht um den Verdacht auf Korruption und üble Tricksereien, um mögliche Günstlingswirtschaft, Missmanagement und dreiste Selbstbedienung – und das alles bei gleichzeitiger Leistungsschwäche.

Dem RBB (Etat: rund 570 Millionen Euro) fehlt es an allen Ecken und Kanten an Geld und Markterfolgen. Im internen ARD-Finanzausgleich müssen andere Anstalten den Sender mitfinanzieren. Sie wolle sich ganz auf die Aufklärung der Vorwürfe konzentrieren, begründet Schlesinger ihren abrupten ARD-Abschied – und wird doch kaum mehr als RBB-Intendantin zu halten sein.

Nach der Dauerkritik und den vielen Querelen trifft sich an diesem Montag voraussichtlich der RBB-Rundfunkrat zur Sondersitzung. Man müsse sich „darüber verständigen, ob das Vertrauen des Rats in Schlesinger als RBB-Chefin weiterhin gegeben ist“, sagt die Vorsitzende Friederike von Kirchbach, eine langjährige Pfarrerin, die von der Evangelischen Kirche ins Amt delegiert wurde. Manches habe sie erst aus den Medien erfahren, hatte sie im „Tagesspiegel“ über die vielen Affären offenbart. Es handele sich um ein „intensives Geschäft“, man dürfe auch nicht vergessen: „Ich mache dieses Amt im Ehrenamt.“

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Der Fall ist Schwerstlast für das öffentlich-rechtliche System, das insgesamt in Deutschland 5,9 Milliarden Euro jährlich von den Bürgerinnen und Bürgern einnimmt. 18,36 Euro monatlich zahlt jeder Deutsche seit Herbst 2021 als „Rundfunkbeitrag“ für ARD, ZDF und Deutschlandradio – eine Summe, die aufgrund der aktuell hohen Inflation weiter steigen soll. Für die Vermittlung solcher Anliegen in den Landtagen, die das abzusegnen haben, war die skandalbelastete Noch-Intendantin Schlesinger am Ende denkbar ungeeignet. Sie wurde zum wandelnden Sicherheitsrisiko fürs Öffentlich-Rechtliche, zum „Imagekiller“.

Spekulationen über Bonuszahlungen

Viele in der ARD, aber auch im ZDF, fragen sich derzeit bange, was da wohl noch herauskommen werde. Gefährlich für die öffentliche Meinung ist etwa, dass Schlesingers Jahresgehalt zuletzt nicht nur um 16 Prozent auf 303.000 Euro stieg, sondern die Geschäftsleitung angeblich auch in den Genuss eines Jahresbonus für 2021 kam. So etwas ist im ARD-System nicht üblich.

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Das Zugeld soll für die Begünstigten bei jeweils 20.000, 40.000, 60.000 und 80.000 Euro gelegen haben, heißt es im Umfeld eines Spitzenmanagers, je nach Leistungserfüllung. Wenn Schlesinger, wie kolportiert wird, die Höchstsumme bezogen hat, läge sie mit insgesamt 383.000 Euro nicht weit weg vom Spitzenverdiener unter den ARD-Intendanten, Tom Buhrow vom ungleich größeren WDR. Der 63-Jährige erhält rund 413.000 Euro.

Der „Frankfurter Allgemeinen“ sagte der RBB, das mit dem Bonus würde „nicht ganz“ stimmen, es gebe seit geraumer Zeit „variable Gehaltsanteile, die sich nach der Erreichung von Zielvorgaben richten“. Konkrete Angaben über das mithilfe der Personalberatung Kienbaum etablierten Systems unterbleiben.

Zunächst hatte Schlesinger argumentiert, mit der üppigen Gehaltserhöhung würde sie nur mit männlichen Intendanten der ARD gleichziehen. Erst zuletzt, wohl unter dem Druck abschätziger Kommentare, kündigte sie coram publico an, über das umstrittene Salär doch noch einmal reden zu wollen. Es dürfte nicht mehr viel nutzen.

Alle Welt fragt sich nun, wie das Verhältnis der Berliner Intendantin zu ihrem Verwaltungsratschef aussah, der solche finanziellen Dinge letztlich maßgeblich zu regeln hat. Als Oberkontrolleur beim RBB wirkte Wolf-Dieter Wolf, 78, bevor er schließlich seine Ämter ruhen ließ. Der mit Orden reichlich dekorierte Immobilienunternehmer ist mit seinen mannigfaltigen Förder- und Aufsichtstätigkeiten eine feste Größe in der Sport- und Kulturszene der Hauptstadt gewesen.

Wolf-Dieter Wolf

Der Immobilienunternehmer war eine feste Größe in der Sport- und Kulturszene der Hauptstadt.

(Foto: dpa)

Mit Schlesingers Welt gab es viele Berührungspunkte, vielleicht zu viele. So durfte der ehemalige „Spiegel“-Redakteur Gerhard Spörl, Ehemann der RBB-Intendantin, für die Berliner Messe GmbH beraten – Wolf ist in der Messegesellschaft ebenfalls Aufsichtsratschef. Der erfahrene, in er Branche geschätzte Journalist wirkte als Medientrainer für den Anfang 2021 gewonnenen Messechef Martin Ecknig und kümmerte sich etwa um die Festschrift zum 200. Geburtstag der Organisation. Der Tagessatz des Helfers lag in der Spitze offenbar bei 2000 Euro.

Umgekehrt vermittelte der umtriebige Funktionär Wolf, ein Netzwerker erster Güte, dem Sender einen ihm bekannten Berater für ein ambitioniertes Neubauprojekt des RBB, die Errichtung eines „Digitalen Medienhauses“. Consulting-Honorare trugen beachtlich zu den seit 2019 bereits angelaufenen hohen Kosten bei, die Insider auf immerhin 30 Millionen Euro schätzen, ohne dass überhaupt ein Stein verbaut wurde.

Es flog auf, dass Schlesinger – gemäß durchgestochener Entscheidungsvorlage – die Aufnahme eines Kredits von 31 Millionen Euro plante, um die „angespannte Liquiditätssituation“ des RBB zu entlasten. Man sei „in nicht unerheblichem Umfang mit eigenen finanziellen Mitteln für das Bauprojekt in Vorleistung getreten“, hatte Schlesinger demnach angemerkt. Der 31-Millionen-Kreditplan endete im letzten Moment.

Unklar ist, wie es mit dem „Digitalen Medienhaus“ weitergeht. Der Gesamtaufwand für das digitale Wunderding wurde zuletzt auf 100 Millionen, vielleicht sogar 150 Millionen und mehr taxiert. Ein Fass ohne Boden. Auch die Vorbereitungen für das geplante Gebäude ruhen inzwischen. Ob man es überhaupt braucht, ist fraglich.

Skandale häufen sich

Sowohl die Messe GmbH als auch der RBB betonen, es sei alles im rechtlichen Rahmen gelaufen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Im Sender wartet man auf das Ergebnis der Prüfungen durch die externe Rechtsanwaltskanzlei Abel Lutz, die von der eigenen Revision und der Compliance-Beauftragten in Szene gesetzt worden war. Da geht es auch um die Abrechnung von neun Geschäftsessen in ihren Privaträumen, die Schlesinger abgesetzt hatte.

Ein Cateringservice hatte für die geselligen Runden geliefert, mindestens drei, maximal elf Personen waren anwesend. Kosten pro Gast: zwischen 23,12 und 56,54 Euro brutto, ohne Getränke. Sie habe den Austausch mit „Führungspersonen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Institutionen“ fördern wollen, so Schlesinger, und teurere Gaststätten meiden wollen. Die Namen blieben Geheimsache – ganz so wie einst die Spender für Helmut Kohls Parteikasse, merken ARD-Verantwortliche an.

Inzwischen ist die Berliner Skandalchronik so sehr ausgeufert, dass sich manche ARD-Anstalt sogar darüber Gedanken macht, ob der RBB überhaupt als selbständige Einheit noch zu halten ist. Ideenskizzen über eine Reform – die die Politik ohnehin fordert – machen die Runde.

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Demnach könnte der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) nach Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt auch die Zuständigkeit für Brandenburg übernehmen, würde also zur Vier-Länder-Anstalt avancieren. Und der NDR, ohnehin in Mecklenburg-Vorpommern präsent, würde sich um Berlin kümmern. Wenn es so weitergeht, stünde also nicht nur die jetzige Intendantin zur Disposition, sondern gleich der ganze Sender.

Die Karriere von Patricia Schlesinger hätte ruhmreicher enden können. Als Journalistin hatte sie im Norddeutschen Rundfunk (NDR) größte Meriten erworben, etwa als Auslandskorrespondentin in Singapur und Washington oder als Moderation des Politmagazins „Panorama“.

Verheerende publizistische Resonanz

Die Probleme begannen 2016 mit dem Wechsel ins Leben einer Hierarchin. Ihr Sender RBB hat die schlechtesten Marktanteile alle Dritten Programme der ARD und leistete sich in der Not etwa spektakuläre Tarifkämpfe mit den vielen freien Mitarbeitern, weshalb schon Sendungen ausfallen mussten. Für ihre Zeit als ARD-Chefin kündigte Schlesinger etwa den Ausbau von „Tagesschau 24“ zum großen, „klaren“ Nachrichtenkanal an, man sei schließlich „ein großes Vertrauensmedium“. Doch für größere Ergebnisse war ihre Dienstzeit eindeutig zu kurz.

Die Sache mit dem „Vertrauensmedium“ hat ohnehin in den letzten Wochen arg gelitten. Die publizistische Resonanz ist verheerend, nicht nur bei Stammkritikern des öffentlich-rechtlichen Systems. „Was ist nur in sie gefahren?“, kommentiert die „Zeit“, auch mit Blick auf Schlesingers luxuriösen Dienstwagen mir Rabatt von Audi. „Schluss mit halben Sachen“, fordert die „taz“. Warum sie als RBB-Intendantin nicht zu halten sei, erklärt auch die „Süddeutsche Zeitung“, nämlich weil sie den „Ruf der Öffentlich-Rechtlichen riskiert“. Von einer „Filz-Affäre“ schreibt die „Frankfurter Allgemeine“.

„Wir werden mit allen beteiligten Stellen in der ARD für einen reibungslosen Wechsel Sorge tragen. Die öffentliche Diskussion um in meinen Verantwortungsbereich fallende Entscheidungen und Abläufe im RBB berührt inzwischen auch die Belange der ARD. Die Geschäftsleitung des RBB und ich sehen unsere Hauptaufgabe jetzt darin, zur Aufklärung dieser Vorwürfe beizutragen und unser Hauptaugenmerk auf den RBB zu richten. Deshalb geben wir den Vorsitz innerhalb der ARD jetzt ab und danken den anderen Sendern für ihre Bereitschaft, uns diesen Schritt zu ermöglichen“, hatte Schlesinger am vorigen Donnerstag erklärt.

Hinter den Kulissen soll „insbesondere der mächtige WDR-Intendant Tom Buhrow auf eine Absetzung Schlesingers als ARD-Chefin gedrängt haben“, analysiert dabei des Onlineportal „Business Insider“ aus dem Haus Axel Springer, das mit nicht nachlassender Hingabe in den vergangenen Wochen alarmierende Erkenntnisse aus der Welt Schlesingers freigegraben hatte – Investigativjournalismus, für die die scheiternde Intendantin auch einmal gestanden hatte.

WDR-Chef Tom Buhrow

Sollte Schlesinger tatsächlich 2021 den höchstmöglichen Jahresbonus erhalten haben, läge sie mit insgesamt 383.000 Euro nicht weit weg vom Spitzenverdiener unter den ARD-Intendanten.


(Foto: imago images/Klaus W. Schmidt)

Zum Schluss wollte die Ex-„Panorama“-Frau wenigsten ihren Ruf retten, und da kommt – wenn man sich umhört – tatsächlich WDR-Chef Buhrow ins Spiel. Am vorigen Donnerstag war zunächst aus dem Umfeld des RBB zu erfahren gewesen, mittags rund um 13 Uhr sei eine Pressemitteilung zu erwarten. Die war offenbar auch vorgeschrieben. Sie enthielt nach Handelsblatt-Informationen die Mitteilung, Schlesinger werde ihr Amt Ende 2022 an Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), abgeben, sie lasse bis dahin aber ihr Amt ruhen.

Für aktuelle Fragen sei dann Buhrow zuständig, erfolgreicher ARD-Vorsitzender der Jahre 2020 und 2021. Offenbar war dies so mit Gniffke abgestimmt – nach internen Erzählungen der letzte aus dem Kreis der Intendantinnen und Intendanten, mit dem die RBB-Chefin noch auf „good speaking terms“ war. Jedenfalls soll es dann kurz vor 13 Uhr zu einem Telefonat Schlesingers mit Buhrow gekommen sein. Der WDR-Obere habe dabei die Gesprächspartnerin darauf hingewiesen, dass sie für ihren per Pressemitteilungsentwurf formulierten Plan die Mehrheit der Senderverantwortlichen brauche.

So kam es zu einer „Schalte“ – an deren Ende der sofortige Rücktritt Schlesingers stand. Ansonsten blieb es bei den vorbesprochenen Personalien. Es war dann allen Anschein nach Gniffkes Idee, die News vom heiklen Abschied Schlesingers per „Tagesschau“ in die erstaunte Welt zu jagen. Noch nie hat in der seit mehr als 70 Jahren existierenden ARD die Frontfrau oder der Frontmann vorzeitig hingeworfen. Ein Eklat. Ein Systemschaden.

Und so wird nun Tom Buhrow im September den Landtagsabgeordneten in Sachsen und Sachsen-Anhalt erklären, warum Deutschland ein starkes öffentlich-rechtliches System und gegebenenfalls höhere Rundfunkbeiträge brauche. Eine heikle Aufgabe. CDU und AfD hatten 2020 in Magdeburg die letzte Gebührenerhöhung blockiert, erst das Bundesverfassungsgericht musste den Weg freimachen. Mit erregten Fragen zum „System Schlesinger“ ist zu rechnen.

Mehr: Tom Buhrow im Interview – „Man darf sich nie zurücklehnen“

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