Wie Manager der Ex-Firma Konkurrenz machen

Amsterdam, Sulzbach, München Mit Mitte 50 wollte es Volker Meyer-Lücke noch einmal wissen. Nach 22 Jahren beim Kaffeeröster Dallmayr kündigte er seinen Managerposten als globaler Einkaufschef. Zusammen mit Marketing-Chef Daniel Rizzotti, 55, seit 18 Jahren bei Dallmayr, gründete er im vergangenen Jahr ein eigenes Kaffeeunternehmen namens Alrighty. „Wir wollen unternehmerisch etwas anpacken, womit wir wirklich noch etwas bewegen können“, sagt der heute 57-Jährige über die Beweggründe.

Alrighty will „Kaffee mit Haltung“ aus der Nische bringen und diesen national und später auch international vertreiben. Die Firma bezieht die Spezialitätenbohnen ausschließlich von Farmern, die entweder jung, weiblich oder aus Afrika sind. Gruppen, die den Gründern zufolge in der Kaffeeindustrie unterprivilegiert sind. „Kaffee kann einen faden Beigeschmack haben, wenn er nicht sozial nachhaltig produziert ist“, so Meyer-Lücke.

Die beiden Branchenkenner und Mitgründer Sebastian Kroth, der 13 Jahre bei Coca-Cola im Marketing arbeitete, konnten Nationaltorwart Manuel Neuer und zwei Unternehmer von ihrer Geschäftsidee überzeugen. Nach der Snackkette Dean&David hat nun auch die Drogerie Rossmann Kaffee von Alrighty ins Sortiment genommen.

„Unternehmergeist ist keine Frage des Alters“

„Mit unserem Branchennetzwerk und unserer Erfahrung können wir einen ganz anderen Aufschlag hinlegen als klassische Start-ups“, glaubt Meyer-Lücke, der für 2024 bereits den Break-even anpeilt. „Wir sind ein David mit der Kompetenz eines Goliath“, sagt Rizzotti, 55, über die Vorteile später Gründer. „Unternehmergeist ist keine Frage des Alters.“

Gerade in der Konsumgüterbranche machen erfahrene Manager ihrem Ex-Unternehmen immer öfter Konkurrenz. „Ältere Gründer punkten mit Fach- und Führungserfahrung und sind meist bestens vernetzt mit Kunden und Lieferanten“, sagt Start-up-Experte Florian Nöll, Partner der Beratung PWC Deutschland. Er stellt fest, dass mehr Menschen mit langjähriger Berufserfahrung erfolgreich gründen.

Gründer von Alrighty

Sebastian Kroth, Daniel Rizzotti und Volker Meyer-Lücke (v.l.) haben lange Jahre als Manager in Großunternehmen gearbeitet. Nun bauen sie ihr eigenes Kaffeeunternehmen auf.

(Foto: Alrighty)

Unternehmen müssen also nicht nur vor ihren klassischen Wettbewerbern und jungen Gründern auf der Hut sein, sondern gerade auch vor ehemaligen Beschäftigten, die ihr Geschäftsmodell angreifen. „Unvoreingenommenheit jüngerer Gründer kann ein Vorteil sein, um eine etablierte Branche durchzuschütteln“, meint Nöll. „Aber Ex-Manager kennen den Markt genau und wissen, wo zukunftsträchtige Marktnischen liegen.“

„Konsumgüterkonzerne haben sehr langfristig Marken und Lieferbeziehungen aufgebaut. Die sind häufig hinderlich, um neue Marktfelder zu erschließen“, beobachtet Florian Huber, Partner der Beratung EY. Sie erscheinen etablierten Unternehmen auf den ersten Blick oft zu wenig lukrativ.

Rituals: Ex-Unilever-Manager gründet Milliardenfirma

Das erlebte auch Raymond Cloosterman, Gründer der Wellnessmarke Rituals, bei seinem alten Arbeitgeber Unilever. Der Marketing-Experte hatte im Konsumgüterkonzern die Marke Dove eingeführt und war einer der jüngsten Direktoren. Dann gab ihm die Zentrale einen visionären Auftrag. Der Niederländer sollte analysieren, wie man passend zum Zeitgeist eine neue Weltmarke aufbaut.

Dafür spürte er drei Monate in den Metropolen der Welt Zukunftstrends auf. Seine Vision: eine emotionale Lifestyle-Marke, die „so bezahlbar ist wie Zara“. Aus kleinen Alltagsroutinen wollte er Rituale machen – daher der Firmenname Rituals.

Nachdem er sein Konzept der Unilever-Spitze vorgestellt hatte, verschwand es dort in den Schubladen. Cloosterman wollte seine Geschäftsidee unbedingt umsetzen: „Das funktioniert aber nicht in einem Konzern, wo man in drei Jahren profitabel sein muss. Dazu braucht es die Energie eines Start-ups“, erzählte er unlängst im Handelsblatt.

Rituals-Gründer Raymond Cloosterman

Der Niederländer gab seinen Managerposten bei Unilever auf, um seine Geschäftsidee umzusetzen. Inzwischen macht er mit der Wellness-Marke Rituals mehr als eine Milliarde Euro Umsatz.

(Foto: Getty Images)

„Angestellte Manager gehen oft nur ungern Risiken ein“, meint EY-Partner Huber. Anders reagierte Rituals-Gründer Cloosterman: Nach 13 Jahren bei Unilever kündigte der vierfache Familienvater und gab seinen gut dotierten Posten samt Chauffeur auf. „Nur meine Frau verstand mich, die aus einem Familienunternehmen kommt.“

Die ersten Jahre waren nicht einfach. Der Gründer hauste mit drei Mitarbeitern in einem muffigen Kellerbüro in Amsterdam. „Wer lange in einem Großunternehmen gearbeitet hat, für den kann es schwer sein, wenn er plötzlich alles alleine machen muss“, weiß Gründer-Experte Nöll.

Weil Banken keinen Kredit gaben, musste Cloosterman kleinlaut bei seinem alten Unilever-Chef anklopfen. Der Konzern wurde Teilhaber, stieg aber nach zwei Jahren wieder aus. „Denn unsere Umsätze waren schrecklich“, räumt Cloosterman ein. Erst nach sieben Jahren war Rituals profitabel, seitdem geht es bergauf. Das Unternehmen verzichtet bewusst auf eigene Fabriken. „So sind wir innovativer, schneller und günstiger als die Multis“, ist der Endfünfziger überzeugt.

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Heute beschäftigt Rituals − bekannt für seine asiatisch inspirierte Duschschäume, Duftkerzen und Cremes − weltweit 9000 Menschen. Mit 1050 Läden in 36 Ländern liegt der Umsatz bei mehr als einer Milliarde Euro. Unilever dürfte sich im Rückblick ärgern, die Geschäftsidee für Rituals nicht selbst umgesetzt zu haben.

Ältere Gründer kommen schwer an Wagniskapital

„Arbeitgeber sollten unternehmerisch denkenden Managern öfter die Chance geben, inhouse zu gründen“, findet Start-up-Kenner Florian Nöll. Zumindest sollten sie als erster Investor eine Gründung von früheren Mitarbeitern unterstützen. Das zahle sich für beide aus: Für Gründer reduziere sich so das Risiko, und Unternehmen behielten Zugriff auf Geschäftsideen, die sich vielleicht zu etwas Großem entwickeln können.

Ohnehin hätten es ältere Gründerinnen und Gründer schwerer, Wagniskapitalgeber zu finden, beobachtet Nöll. Man traue ihnen den unternehmerischen Drive nicht so zu, weil sie lange angestellt waren. „Investoren haben ein gewisses Faible für gradlinige Gründer-Lebensläufe – 80 Prozent sind Absolventen, oft von Privathochschulen.“ Von Gründern mit langer Berufstätigkeit erwarteten Investoren, dass sie finanziell selbst ins Risiko gingen.

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Die Konsequenzen persönlicher Verschuldung sind für Gründer im fortgeschrittenen Alter aber viel höher als mit Mitte 20. „Es fehlen künftige Berufsjahre, um mögliche Verluste auszugleichen“, so Nöll. Späte Gründer sollten darauf achten, nicht ihre Altersvorsorge oder ihr Häuschen komplett aufs Spiel zu setzen.

Im Start-up-Land USA liegt das Durchschnittsalter von Gründern mit 42 Jahren deutlich höher als in Deutschland mit 35 Jahren. Das zeigen Zahlen des US-Statistischen Bundesamts und des Deutschen Start-up-Monitors. Nöll zufolge liegt das unter anderem daran, dass in den USA einträgliche Aktienoptionen als Altersvorsorge verbreitet sind.

Der späte Sprung ins Unternehmertum sei oft weniger riskant als in Deutschland. Hier bestraft die gesetzliche Rentenversicherung einen früheren Ausstieg mit hohen Abschlägen.

Auch die Alrighty-Gründer haben berufliche Sicherheit aufgegeben. „Viele haben uns gesagt: Seid ihr aber mutig“, erzählt Rizzotti. Trotzdem bereuen sie den Schritt ins Unternehmertum nicht. „Die Arbeit bei Dallmayr hat uns viele Türen geöffnet, aber irgendwann sind wir an Grenzen gestoßen“, sagt Meyer-Lücke.

Ex-Adidas-Vorstand macht nun nachhaltige Streetwear

Oft sind es nachhaltige Geschäftsideen, für die berufserfahrene Gründer brennen und die sie bei ihrem Ex-Arbeitgeber nicht in der Form umsetzen konnten. So wie beim früheren Adidas-Topmanager Eric Liedtke mit seinem Streetwear-Label Unless. 2019 hatte der Vorstand für globale Markenführung mit 52 Jahren den Sportartikelkonzern nach einem Vierteljahrhundert verlassen. Ihm, dem Kreativen, war nach Einschätzung vieler das Comeback der Marke unter Ex-Chef Herbert Hainer auch zu verdanken. Ganz an die Spitze von Adidas schaffte er es letztlich nicht.

Eric Liedtke präsentiert einen Adidas-Sneaker 2013

Mit 52 Jahren verließ der Vorstand für globale Markenführung Adidas und gründete das nachhaltige Streetwear-Label Unless.

(Foto: Reuters)

Mit Unless setzt Liedtke nun voll auf das Thema Nachhaltigkeit. Davon sprechen inzwischen auch die Großen wie Adidas, Nike und Puma. Doch Liedtke will das Thema konsequenter in den Mittelpunkt stellen. Die Streetwear von Unless soll ohne Plastik auf Pflanzenbasis produziert werden und vollständig recyclebar sein.

„Man muss ihn bewundern, dass er den Weg so konsequent geht“, sagt einer seiner Ex-Weggefährten in Herzogenaurach. Doch werde Unless mit seinem radikalen Ansatz wahrscheinlich in der Nische bleiben. Um das Geschäft zu skalieren, also große Stückzahlen auf den Markt zu bringen, brauche Liedtke wohl einen größeren Partner.

Cosnova hat Kosmetik-Multis verdrängt

Ganz ohne externe Partner haben die Gründer von Cosnova Beauty den Durchbruch geschafft. Christina Oster-Daum und ihr Mann Javier González lernten sich beim Kosmetik-Konzern Coty kennen. Mit Mitte 30 gründeten sie 2001 in ihrem Frankfurter Esszimmer Cosnova.

Gründerpaar von Cosnova

Christina Oster-Daum und Javier González lernten sich im Coty-Konzern kennen. Ihr Beauty-Unternehmen Cosnova verkauft heute in Deutschland so viel Make-up wie kein anderer. Offizielle Fotos der beiden gibt es nicht.

(Foto: Cosnova)

Das Erfolgskonzept ihrer Marken Essence und Catrice: trendige Kosmetika mit guter Qualität zu günstigen Preisen. Diese bewarben sie über Social Media statt wie die großen Konzerne in Hochglanzanzeigen mit Topmodels. Damit schrieb Cosnova die Gesetze der Beauty-Branche um, die bis dato von Multis wie L’Oréal, Coty, P&G beherrscht wurden.

Die Drogeriekette DM hatte als erste den Mut, Essence ins Sortiment zu nehmen. „Cosnovas Stärke liegt darin, schnell auf neue Entwicklungen reagieren zu können“, sagte DM-Chef Christoph Werner einmal. „Bei uns dauert es sechs bis zwölf Monate, bis ein Produkt marktreif ist, bei den Multis im Schnitt zwei Jahre“, erklärt González.

Kein Unternehmen verkauft heute in Deutschland mehr Make-up und Lippenstifte als Cosnova. 2022 überschritt der Umsatz die halbe Milliarde Euro. Cosnova-Gründerin Oster-Daum, Mitte 50, hat noch einiges vor: „Wir wollen Weltmarktführer werden.“

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