Wie das deutsche Kultmodell Mexiko zur Autonation machte

Mexiko-Stadt Es ist schwer, auf Mexikos Straßen noch einen VW Käfer zu finden. Das frühere Kultauto der Mexikaner mit dem dröhnenden Boxermotor ist 20 Jahre nach Ende der Herstellung in dem Land fast völlig aus dem Straßenbild verschwunden. Manchmal sieht man noch eine liebevoll gepflegte Version eines der vielen Käfer-Fanclubs, ein Exemplar der letzten himmelblauen Edition oder einen aus Einzelteilen resteverwerteten „Vocho“, wie die Mexikaner den Käfer immer liebevoll nannten. Aber man muss schon lange suchen.

Dabei gehörte das deutsche Kultauto lange so untrennbar zu Mexiko wie Tacos und Tequila. Während VW die Produktion des Nachkriegsmodells in Deutschland im Jahr 1978 einstellte, wurde das Modell in Mexiko noch Jahrzehnte gebaut. Irgendwann waren die Mexikaner sogar davon überzeugt, dass der Vocho kein deutsches, sondern ein einheimisches Auto sei.

Der Käfer war aber nicht nur ein Bestseller, sondern in gewisser Weise auch Geburtshelfer für die Autoindustrie des Landes, die heute eine der erfolgreichsten Branchen des Landes ist und Mexikos Wirtschaft auf Kurs hält. Den Grundstein dafür legte die erste Produktion des Käfers: 1967 rollten die ersten Exemplare in Puebla, 120 Kilometer südöstlich von Mexiko-Stadt, vom Band.

Die Beziehung hielt fast ein halbes Jahrhundert. Als der Bucklige in Deutschland allmählich aus der Mode kam, stieg er in Mexiko gerade erst zum Symbol für eine mobile Gesellschaft auf.

Wer lange genug in Mexiko lebt, erinnert sich an die Zeiten, als es in der Hauptstadt praktisch keine anderen Taxis als die zweitürigen Käfer gab. Mal waren sie gelb-weiß lackiert, dann grün-weiß, dann wieder golden. Aber sie waren stets verfügbar und bequem. Einen Beifahrersitz gab es nicht. Wer mitfuhr, nahm gemütlich auf der Rückbank Platz. Dem ikonischen Taxi widmete sogar der Spielzeughersteller Matchbox ein eigenes Modell. 

Bereit für den Export

In Mexiko produzierte Käfer wurden bis 1986 noch nach Deutschland verschifft.

(Foto: Volkswagen)

Dabei begann die Erfolgsgeschichte des VW Käfer eher zufällig. Auf der ersten deutsch-mexikanischen Industrieausstellung 1954 wurden auch ein paar Volkswagen präsentiert. Anschließend nahmen sieben von ihnen an einer über 3000 Kilometer langen Wettfahrt vom Südosten des Landes bis an die Grenze zu den USA teil. Alle Käfer liefen und liefen und liefen ohne Probleme ins Ziel – der Mythos vom unkaputtbaren Auto war auch in Mexiko geboren. 

Aber der Käfer musste sich seinen Platz in einem von großen US-Autos dominierten Markt erst erkämpfen. „Eishobel“ spotteten die Mexikaner zu Anfang über den rundlichen Zweitürer. Aber später lernten sie die Vorteile des Autos schätzen. Der Käfer war leicht zu reparieren und schreckte auch vor schwierigen Bedingungen nicht zurück – das war für Hunderttausende Mexikaner ein überzeugendes Kaufargument. Im besten Käfer-Jahr 1993 war von 395.000 in Mexiko verkauften Autos jedes vierte ein Vocho. Bis 1986 wurden die „Mexiko-Käfer“ sogar auch nach Deutschland exportiert. 

 Internationaler Erfolg des Wirtschaftswunderautos

Nicht nur hierzulande war der Käfer ein Wirtschaftswundermobil: Gebaut wurde das Modell in 20 Ländern auf allen fünf Kontinenten – von Südafrika über die Philippinen, Australien bis Costa Rica, Uruguay und Venezuela. Fast überall wurde der Volkswagen gefertigt oder wenigstens montiert – insgesamt 22 Millionen Mal. In Deutschland war 1978 Schluss, in Brasilien 1996. In Mexiko hielt die Liebe zum Käfer länger.

Ein Vierteljahrhundert war der Käfer konkurrenzlos Marktführer in Mexiko. Das änderte sich erst im Laufe der 1990er-Jahre, nachdem sich mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta auch der Automarkt in Mexiko öffnete. Die Nachfrage ging kontinuierlich zurück. Setzte VW im Jahr 2000 noch 40.510 Käfer ab, waren es 2002 nur noch halb so viel. Zwar war der Käfer mit einem Preis von rund 6500 Euro immer noch das günstigste Auto. Aber für rund eintausend Euro mehr bekam man damals schon einen viertürigen Wagen mit mehr Komfort. 

Weltweiter Erfolg

Auch international war der Käfer ein gefragtes Modell.

(Foto: Volkswagen)

Erst am 30. Juli 2003 – nach 35 Jahren Produktion und 1,7 Millionen Vochos – war endgültig Schluss. Zuletzt rollte eine Nostalgie-Edition vom Band mit Weißwandreifen, verchromten Zierleisten, Hutablage und Sonderlackierung. Die letzten Käfer sollten an die frühen Versionen des Kultautos erinnern.

Zum Schluss wirkte der Käferbau in Puebla wie Kunsthandwerk im Vergleich zu den modernen Fertigungsanlagen, mit denen in dem Werk moderne Autos für die ganze Welt zusammengebaut wurden. Arbeiter im Blaumann setzten wie in Gründertagen jeden Käfer von Hand zusammen, verschweißten Türrahmen und Dachteile. Schutzmaske und Schweißbrenner waren die einzigen Hilfsmittel. Im Ein-Schicht-Betrieb von montags bis freitags liefen in Puebla zuletzt noch rund 53 Käfer pro Tag vom Band.

Heute drängen BMW, General Motors und Tesla nach Mexiko

Doch das mitunter etwas veraltete Käfer-Werk war so etwas wie der Geburtsort für die heutige Autonation Mexiko. Das Land ist mittlerweile der siebtgrößte Autoproduzent und der viertgrößte Autoexporteur der Welt. Vergangenes Jahr liefen in 22 Fahrzeugfabriken von 14 Herstellern insgesamt 3,5 Millionen Fahrzeuge von Band, ein Plus von 11,55 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 

Damit könnte Mexiko bald sogar Deutschland den Platz als sechstgrößter Produzent streitig machen. Der US-Elektroautobauer Tesla beginnt in Kürze mit dem Bau einer Gigafactory nahe der Metropole Monterrey im Norden Mexikos. Das Investitionsvolumen beläuft sich auf fünf bis zehn Milliarden Dollar. Schon 2024 soll das erste Fahrzeug dort vom Band laufen.

VW-Produktion in Mexiko

Heute ist das Land einer der wichtigsten Produktionsstandorte der Autoindustrie weltweit.

(Foto: Volkswagen)

Mit der Ansiedlung von Tesla „bekräftigt Mexiko seine führende Position bei der Herstellung und dem Export von Fahrzeugen in die ganze Welt“, sagt José Zozaya, Chef des mexikanischen Verbands der Automobilindustrie AMIA. „Diese Investition wird weitere anziehen“, sagt der AMIA-Präsident. 

Auch der Münchener Automobilkonzern BMW investiert 800 Millionen Euro in sein Werk in San Luis Potosí in Zentralmexiko. Dort sollen unter anderem von 2027 an vollelektrische Autos hergestellt werden. Zudem will BMW im Land ein Montagezentrum für Hochvoltbatterien bauen. 

Die Ansiedlung von Tesla und BMW kommt zu den acht Elektrofahrzeugfabriken hinzu, die bereits im Land tätig sind und globalen Automobilriesen wie General Motors und Ford gehören. Auch Audi will in seinem mexikanischen Werk bei Puebla perspektivisch den Q5 als Elektroversion herstellen. 

Und auch der Käferschöpfer Volkswagen ist heute im mexikanischen Markt einer der größten Player. Die Produktion in Puebla ist das größte Automobilwerk in Mexiko und nebenbei auch eines der größten Werke im Kosmos des Konzerns. In Puebla arbeiten 13.500 Arbeiterinnen und Arbeiter. 2021 wurden dort insgesamt 294.408 Fahrzeuge produziert.

Aktuell laufen in Mexiko der Jetta, Taos und die Langversion des Tiguans vom Band. Zudem fertigt das Unternehmen in einem eigenen Werk in Silao seit zehn Jahren Motoren. Denn auch VW hat den Käfer mittlerweile lange hinter sich gelassen.

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