Wie Asiens strikte Einreiseregeln deutsche Firmen lähmen

Peking, Tokio, Bangkok Masahiko Mori ist verärgert. Seit Monaten hofft der Chef des japanisch-deutschen Werkzeugmaschinenherstellers DMG Mori, dass der Druck vieler Auslandshandelskammern anderer Nationen und japanischer Wirtschaftskreise auf Japans Regierung Wirkung zeigt. Doch die pocht weiterhin auf strikte Einreisebeschränkungen für ausländische Geschäftsreisende, alle Bitten scheinen wirkungslos verhallt zu sein.

Mittlerweile ist die Situation so verfahren, dass sich der Konzernchef mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit wendet. „Wir sind sehr stark betroffen“, sagt Mori dem Handelsblatt.

Denn durch eine Fusion mit Gildemeister verkauft der Konzern in Japan jährlich deutsche Maschinen im Wert von mehr als 100 Millionen Euro. Nur verzögern sich für das an der japanischen Börse gelistete Unternehmen immer mehr Projekte, weil es einfach keine Arbeitsvisa für ausländische Ingenieure erhält.

Mori hat zwar Verständnis dafür, dass Tokio mit dem Aufkommen der Omikron-Variante Einreiseerleichterungen für nicht in Japan ansässige Ausländer nach drei Wochen wieder zurückgenommen hat. Aber er weiß, dass dies Gift für die Wirtschaft ist: Gift für sein Geschäft mit deutschen Maschinen, Gift für die deutschen Unternehmen in Japan, Gift aber auch für die japanischen Firmen selbst.

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„Wenn die Beschränkungen noch für das ganze Jahr bestehen sollten, könnten wir die Kontrolle über unsere ausländischen Gesellschaften verlieren“, sagt Mori. „Denn 20 bis 30 Prozent der Kontrolle basieren auf den menschlichen Kontakten.“

Selbst Weltriesen wie Bosch, in Japan mit Daimlers Truck-Tochter Mitsubishi Fuso der größte deutsche Arbeitgeber, leiden. „Wir haben seit zwei Jahren keine Geschäftsreisen nach Japan unternommen, weil die Bedingungen für kurze Aufenthalte immer inakzeptabel waren“, beklagt Bosch-Japan-Chef Klaus Meder gegenüber dem Handelsblatt.

Das habe nicht nur Auswirkungen auf Kundenbeziehungen, sondern auch auf einzelne Projekte, sagt Meder, der auch Präsident der Auslandshandelskammer (AHK) Japan ist. Bosch Japan könne eine Produktionslinie nicht fertigstellen, neue Arbeitsplätze blieben unbesetzt, so Meder. „Denn wir kriegen die notwendigen Spezialisten nicht ins Land.“

Dies ist nur ein Beispiel für die Herausforderungen, vor denen die deutsche Wirtschaft gerade in vielen Ländern der asiatischen Wirtschaftsregion steht. Während asiatische Geschäftsleute weiterhin in die Europäische Union einreisen können, sperren viele Exportmärkte, darunter vor allem die Wirtschaftsmächte China und Japan, Kurzzeitbesucher nahezu aus – mit immer größeren Folgen für Exporte, Entsendungen von Mitarbeitern sowie Investitionen der Unternehmen.

Quälender bürokratischer Exzess

Beide Länder lassen zwar ansässige Geschäftsleute mit Virentests und Quarantäne grundsätzlich ins Land. China gewährt sogar Personen ohne bestehende Aufenthaltsgenehmigung die Einreise – im Prinzip.

Doch die Hürden sind hoch, und wer sie überwinden will, braucht vor allem eines: viel Zeit. Er benötigt nämlich einen sogenannten PU-Brief, der von einer Provinzbehörde in der Volksrepublik ausgestellt werden muss.

Mit der Omikron-Welle könnte aber auch das wieder schwieriger werden, meint die Auslandshandelskammer Peking. Denn inzwischen wurden viele bestehende Flugverbindungen wieder gestrichen. Zudem schreckt die oft dreiwöchige Hotelquarantäne vor Reisen ab.

In Japan ist die Quarantäne mit zehn Tagen zwar kürzer, doch Einreisevisa sind ebenfalls kaum zu ergattern. Als Folge der rigiden Bestimmungen wird auch die wichtigste Asienkonferenz der deutschen Wirtschaft, die eigentlich in diesem Herbst in Tokio stattfinden sollte, verschoben. Zumindest bis ins kommende Jahr.

Die Planungsunsicherheit einer solchen Konferenz sei zu groß, begründete AHK-Chef Marcus Schürmann. „Viele Teilnehmer reisen aus Deutschland und Asien an und dabei spielen natürlich die rigiden Einreisebedingungen nach Japan einerseits und die Risikoabsicherung einer solchen Großveranstaltung andererseits eine wesentliche Rolle.“

Es ist die zweite Verschiebung der Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft (APK), die ursprünglich bereits 2020 hätte stattfinden sollen. Die neue Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag eigentlich zum Ziel gesetzt, die Konferenz politisch aufzuwerten.

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Für den deutschen Maschinenbau ist die Verschiebung des Termins ein schlechtes Signal. Überhaupt leidet die Branche drastisch unter den Folgen der strikten Einreisebestimmungen. Vor der Krise waren die Deutschen beispielsweise auf dem besten Weg, das Handelsbilanzdefizit mit dem Erzrivalen in Japan auszugleichen. Jedoch sackten die Exporte nach Japan im Jahr 2020 und in den ersten neun Monaten 2021 laut Daten des Verbands deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA jeweils um über zehn Prozent ab, weil die Lieferanten oft nicht mehr für den Aufbau und die Wartung der Produkte garantieren konnten.

Laut vorläufigem Ergebnis einer noch unveröffentlichten Umfrage der Auslandshandelskammer Japan, die dem Handelsblatt vorliegt, beklagen bereits drei Viertel der Unternehmen akut gefährdete Projekte, weil keine Spezialisten einreisen können.

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Eine steigende Zahl von Unternehmen baut daher bereits Personal ab oder verlegt regionale Bereiche aus Japan in andere Länder. „Das rigorose Schwarz-Weiß-Denken der Behörden setzt viele positive Entwicklungen Japans der letzten zehn Jahre aufs Spiel“, warnt Kammerchef Marcus Schürmann. 

In China waren die Ausfuhren zwar zuletzt nach einem Minus im Jahr 2020 wieder gestiegen. Aber viele Projekte verzögern sich bereits, weil nur die Maschinen und Anlagen ins Land kommen, nicht aber das Servicepersonal, erklärt Oliver Wack, der beim VDMA für Ostasien zuständig ist.

In einer Mitte Januar veröffentlichten Umfrage der Auslandshandelskammer in Peking waren die aktuellen Reisebeschränkungen daher erneut ein großes Thema. 42 Prozent der befragten Unternehmen mit Geschäften in China gaben an, dass die derzeitigen Regeln zu ihren drei größten Problemen zählen. Wack erwartet immense Schäden: „Die Rückmeldungen nehmen zu, in denen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen damit rechnen, künftig ins Hintertreffen zu geraten, weil keine persönliche Kontaktpflege mehr möglich ist.“

Südostasien: Risse in der Null-Covid-Front

Nicht alle Länder machten die Grenzen nahezu dicht. Südkorea etwa erlaubt auch kurzfristige Einreisen – unter eng definierten Kriterien. Viele Länder Südostasiens und Australien erleichtern die Bestimmungen langsam wieder, doch viele Probleme bleiben.

Vietnam zählte bis vor Kurzem noch zu den Staaten mit besonders strikten Einreiseregeln. Seit Jahresbeginn jedoch können Ausländer mit dauerhaftem Aufenthaltstitel oder gültigem Visum wieder ohne Sondergenehmigung einreisen, die Quarantänezeit bei der Ankunft wurde von zwei Wochen auf drei Tage verkürzt.

Visa für Geschäftsreisen zu erhalten sei aber immer noch kompliziert, sagt Marko Walde, der die Delegation der Deutschen Wirtschaft in Vietnam leitet. „Man muss Zeit mitbringen“, betont er. Reisen von Monteuren und Technikern müssten noch immer mit größerem Vorlauf geplant werden. „Es gibt derzeit einen regelrechten Stau, was Wartungsarbeiten angeht“, sagt Walde.

Weniger gut sieht es in Australien aus. Dort hat die wichtige Bergbauregion im Westen des Landes angesichts der Omikron-Welle beschlossen, die Reisetätigkeit weiterhin massiv zu bremsen. „Dass die harten Bestimmungen aufrechterhalten werden, ist ein Nachteil für das Geschäftsleben“, sagt Stephan Kirsch, der die Vereinigung deutscher Unternehmen in Westaustralien (WAGBA) leitet.

Den Mitgliedsunternehmen falle es vielfach schwer, Mitarbeiter aus den deutschen Zentralen einzufliegen. „Kleinere Firmen ohne lokale Vertriebsmannschaft haben zudem das Problem, dass sie die Kunden kaum noch persönlich erreichen können.“ Die Akquise neuer Aufträge werde dadurch ausgebremst. Außerdem verschärfe sich zunehmend der Fachkräftemangel.

Montagehalle von Mitsubishi-Fuso in Tokio

Daimlers Truck-Tochter machen die erschwerten Einreisebedingungen nach Japan zu schaffen. So finden faktisch keine Geschäftsreisen mehr statt.

(Foto: Reuters)

Fachkräftemangel ist auch ein Stichwort, das Masahiko Mori umtreibt. Der global aufgestellte Konzern kann es sich zwar leisten, rund 40 japanische Ingenieure für mehrere Monate nach Deutschland zu schicken, um sich an den Maschinen ausbilden zu lassen. Aber bei einigen Spezialmaschinen reiche das nicht, sagt Mori.

Sogar die Zukunft der Japan AG sieht Mori inzwischen bedroht. Universitäten und Forschungsinstitute könnten keine ausländischen Studenten und Wissenschaftler mehr ins Land holen. Und selbst das Auslandsgeschäft der Japan AG könnte leiden, so der Unternehmer – über die Kontrolle der Landesgesellschaften hinaus.

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Die japanischen Ingenieure könnten zwar ausreisen, um Anlagen aufzubauen und zu warten. Aber bei der Rückkehr müssten sie trotz Coronatest vor der Abreise und bei der Einreise zehn Tage in Quarantäne, wovon die ersten sechs meist im Hotel abzuleisten sind. „Dadurch sinkt unsere Produktivität“, sagt Mori. „Wir könnten international an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.“

Noch schlimmer als für Großunternehmen sei die Lage allerdings für Japans Mittelstand, so der Unternehmer. „Aber die haben keine starke Stimme.“ Daher sprechen sich immer mehr japanische Konzernchefs und vorige Woche sogar der Unternehmensverband Keidanren für eine Lockerung der Einreisebestimmungen aus.

„Jetzt, wo Omikron das Infektionsgeschehen in Japan bereits bestimmt, gibt es keinen Grund mehr, das Einreiseverbot aufrechtzuerhalten“, sagte Keidanren-Chef Masakazu Tokura. Medien berichten sogar von Demonstrationen ausländischer Studenten und Experten, die dagegen protestieren, dass sie ihre Studienplätze oder Jobs nicht antreten können.

Die strengen Einreisebestimmungen stellen für deutsche Unternehmen eine kaum zumutbare Hürde im Geschäft mit China dar. Sie beeinträchtigen nicht nur das gegenseitige Verständnis, sondern sind für mehr als die Hälfte der Unternehmen auch ein Hindernis für ausländische Investitionen in China und letztendlich auch das Wirtschaftswachstum des Landes. Jens Hildebrandt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China

Auch Unternehmen spüren den Druck der Ausgesperrten. Die Einreiseverbote seien eine große Belastung für die Mitarbeiter, erklärt Bosch-Japan-Chef Meder. „Wenn sich das noch drei Monate hinzieht, werden die meisten Mitarbeiter ihre Geduld verlieren.“ Viele könnten von Entsendungen zurücktreten oder gar das Unternehmen ganz verlassen, mit langfristigen Folgen. „Denn Stellen von Expats kann man nicht einfach lokal besetzen“, so Meder. „Wir haben die Mitarbeiter ja ausgesucht, weil wir vor Ort keine geeignete Besetzung finden konnten.“

Investitionen: Ohne persönliche Reisen droht ein Einbruch

Doch nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen könnte zum Kollateralschaden der Pandemie werden, auch die Investitionen dürften leiden. „Neue Investoren siedeln sich hier nur an, wenn sie sich persönlich ein Bild von dem Standort machen können“, erklärt Marko Walde, der deutsche Wirtschaftsvertreter in Vietnam.

In China wird diese Sorge geteilt. „Die strengen Einreisebestimmungen stellen für deutsche Unternehmen eine kaum zumutbare Hürde im Geschäft mit China dar“, warnt Jens Hildebrandt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China.

„Sie beeinträchtigen nicht nur das gegenseitige Verständnis, sondern sind für mehr als die Hälfte der Unternehmen auch ein Hindernis für ausländische Investitionen in China und letztendlich auch das Wirtschaftswachstum des Landes.“

Neue Vereinbarungen für Investitionen würden kaum noch geschlossen, weil der persönliche Austausch fast unmöglich geworden ist, heißt es. Denn die Chefin oder der Chef eines großen Unternehmens könne es sich kaum leisten, während der Quarantänezeit für zwei bis drei Wochen auszufallen.

Selbst dem aufs Auslandsgeschäft konzentrierten Hongkong, über das lange große Summen nach China flossen, droht nach dem heftigen Eingriff der chinesischen Staatsführung ein weiterer Schlag durch seine strengen Covid-Restriktionen.

Ein Report der EU-Handelskammer über die Finanzmetropole malt ein düsteres Bild. „Wir erwarten eine Abwanderung von Ausländern, wahrscheinlich die größte, die Hongkong je erlebt hat.“ Die Auswirkungen sind noch unklar. Aber die Welt sieht gerade bei den globalen Lieferproblemen, wie langfristig Störungen einer Lieferkette wirken können.

Mehr: Was Reisende zur Ausbreitung von Omikron wissen müssen

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