Was der Erfolg von Rechtsaußen-Parteien in der EU für Deutschland bedeutet

Paris, Rom Die Zeichen, die in Deutschland per Grundgesetz verboten sind, bezeichnete Finnlands neuer Wirtschaftsminister als „schöne Ornamente“: Hakenkreuze. Nicht mal zwei Wochen hielt sich Vilhelm Junnila, Politiker der rechtspopulistischen Finnen-Partei, im Amt. Wenig später geriet auch Finanzministerin Riikka Purra wegen früherer rassistischer Bemerkungen unter Druck. Die Chefin der Finnen-Partei konnte ihren Ministerposten nach einer Entschuldigung für die „dummen Kommentare“ allerdings behalten.

Während in Deutschland noch über den politischen Umgang mit der AfD diskutiert wird, erleben Finnlands Konservative gerade die praktischen Konsequenzen einer Regierungszusammenarbeit mit dem rechten Rand. Der konservative Regierungschef Petteri Orpo ist auf die Rechtspartei angewiesen, die bei den jüngsten Wahlen ihr bisher bestes Ergebnis holte – und seitdem zweitstärkste Kraft im Parlament ist.

Von finnischen Verhältnissen scheint Deutschland noch entfernt. CDU-Chef Friedrich Merz schlug nach Aussagen zu einer möglichen Kooperation mit der AfD auf kommunaler Ebene auch aus eigenen Reihen viel Kritik entgegen. Am Wochenende besetzte die AfD ihre Kandidatenliste für die Europawahl größtenteils mit Politikern, die Europa in eine „Festung“ gegen Migranten verwandeln wollen. Angesichts ihres Höhenflugs mit Werten von um die 20 Prozent stellen sich zwei zentrale Fragen: Kann die Bundesrepublik dem Rechtsruck in der EU widerstehen? Und was kann sie lernen von Ländern, in denen rechte Parteien schon deutlich etablierter sind?

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„Es gibt zwei Strategien für den Umgang mit rechten Parteien: Anpassung oder Abgrenzung“, sagt Professor Frank Decker vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. „Funktioniert hat in Europa bisher keine von beiden, denn nirgendwo ist es gelungen, diese Parteien dauerhaft einzudämmen.“

Europas Rechtsaußen-Parteien wollen salonfähig werden

Als der Rassemblement National (RN) noch den Namen Front National trug und statt Marine Le Pen ihr Vater Jean-Marie an der Spitze stand, galt die Partei als rechtsextrem und war für einen großen Teil der Franzosen unwählbar. Das hat sich inzwischen geändert: In der Stichwahl um das Präsidentenamt holte Le Pen vor einem Jahr mehr als 40 Prozent, der RN ist die stärkste Oppositionskraft in der Nationalversammlung und in einigen Landstrichen praktisch Volkspartei.

Marine Le Pen

Die Anführerin des rechtspopulistischen Rassemblement National bemüht sich um ein gemäßigtes Image.

(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)

Die Rechtspopulistin bemüht sich um ein gemäßigteres Image, in ihrem Umfeld ist von einer „Entteufelung“ die Rede. Als die französische Regierungschefin Élisabeth Borne Ende Mai noch einmal eine Attacke nach altem Rezept gegen die Partei versuchte, wies Präsident Emmanuel Macron sie intern zurecht.

Borne hatte den RN und dessen „gefährliche Ideologie“ in die Tradition des von Nazi-Deutschland installierten Vichy-Regimes gerückt. Laut Medienberichten soll Macron seiner Ministerpräsidentin daraufhin klargemacht haben, dass man die Rechtsaußenpartei nicht mehr „mit den Worten der 1990er-Jahre“ und mit „Moralurteilen“ bekämpfen könne. Man müsse Le Pen politisch stellen.

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Allerdings: Der Unmut über Macrons Rentenreform und die jüngsten Unruhen in den Vororten scheinen derzeit vor allem dem RN in die Hände zu spielen. Die Besonderheiten des Präsidialsystems mit einer Stichwahl verhinderten bisher, dass die Rechtspopulisten in Paris Regierungsverantwortung übernehmen. Doch ob die seit Jahren bröckelnde Front der rechten und linken Mitte gegen Le Pen bei der Präsidentschaftswahl 2027 erneut halten wird, ist keineswegs sicher.

AfD: Radikalisierung statt „Entteufelung“

Eine Entwicklung der AfD nach dem Vorbild des Rassemblement National halten Experten derzeit für unwahrscheinlich. „Die Besonderheit in Deutschland ist die Geschichte des Nationalsozialismus und eine sehr weitgehende Tabuisierung von rechtsradikalen Positionen“, sagt der Soziologe Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Das Tabu führe aber „zu der problematischen Situation, dass die AfD sich in Deutschland noch radikaler zu entwickeln scheint als andere Rechtsparteien in Europa“.

Auch wenn sich die AfD von Anfang an zum rechten Rand hin offen gegeben habe, sei sie als Professorenpartei gestartet, „mit einem sehr bürgerlichen und wirtschaftsorientierten Image“. Die extreme Radikalisierung habe erst seit der Flüchtlingskrise 2015 stattgefunden, meint Quent. Die AfD befindet sich mittlerweile im Visier des Verfassungsschutzes.

Auch der Politologe Decker sagt, dass die „Schatten der nationalsozialistischen Vergangenheit“ es Rechtsparteien in Deutschland „objektiv schwerer machen als in anderen Ländern, salon- und mehrheitsfähig zu werden“. Zugleich merkt Decker an, dass diese Parteien in vielen Nachbarländern schon in den 1980er- oder 1990er-Jahren entstanden seien, teilweise noch früher. „Viele der Umstände und Ursachen, die zu ihrer Entstehung geführt hatten, waren auch in Deutschland vorhanden“, erklärt er. „Vor diesem Hintergrund stellt der Aufstieg der AfD in der Tat eine Art europäische Normalisierung dar.“

Keine Entzauberung von Rechtspopulisten in der Regierung

Parallelen weisen Deutschland und Spanien auf: Beide Demokratien sind durch eine historische Diktaturerfahrung geprägt und in der EU so etwas wie Nachzügler beim Erstarken von Rechtaußenparteien. Die spanische Vox wurde wie die AfD erst im Jahr 2013 gegründet.

Doch es gibt auch einen sehr großen Unterschied: Die konservative Partido Popular (PP) hat nach der Kommunal- und Regionalwahl im Mai in zahlreichen Kommunen und Regionen mit Vox eine Regierung gebildet oder sich von ihr tolerieren lassen. Bei der Parlamentswahl vor gut einer Woche verpassten PP und Vox zwar eine gemeinsame Mehrheit, grundsätzliche Bedenken gegen eine Kooperation auf nationaler Ebene haben die spanischen Konservativen aber nicht.

Santiago Abascal

Der Vorsitzende der spanischen Rechtspartei Vox erhielt bei der Parlamentswahl einen Dämpfer.

(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)

Vor etwa zwei Jahrzehnten war eine Regierung mit rechter Beteiligung in der EU noch ein diplomatischer Krisenfall: Als die konservative ÖVP unter Kanzler Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 mit der FPÖ des Rechtspopulisten Jörg Haider eine Koalition einging, verhängten die anderen Mitglieder zeitweise Sanktionen gegen Österreich.

Die FPÖ stürzte nach Skandalen immer wieder ab, schaffte es aber auch immer wieder zurück in die Regierung. Derzeit sind die Rechtspopulisten erneut in der Opposition und liegen in Umfragen mit rund 30 Prozent auf dem ersten Platz. Im Herbst 2024 wird in Österreich gewählt – dann könnte sich sogar die Frage eines FPÖ-Kanzlers stellen.

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Versuche, den rechten Neuankömmlingen die oppositionelle Protestrolle zu nehmen und sie in der Regierung kleinzuhalten, haben in westeuropäischen EU-Staaten bislang nicht funktioniert. „Die These, dass Regierungsbeteiligungen zu einer Entzauberung führen, halte ich für nicht belegbar“, sagt Soziologe Quent. Auch in Finnland sitzen die Rechtspopulisten schon zum zweiten Mal in einer Regierung.

Anders gelagert ist die Situation in den osteuropäischen Ländern, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine ganz eigene Entwicklung der Parteiensysteme erlebt haben.Rechtspopulistische Parteien wie Fidesz in Ungarn oder PiS in Polen sind dort der Mainstream im konservativen Lager“, sagt Decker. Das gelte zum Teil auch für die neuen deutschen Bundesländer:Die Bedingungen des Rechtspopulismus in der alten Bundesrepublik und den neuen Ländern, die immer noch sehr stark durch 50 Jahre DDR geprägt sind, sind nur bedingt vergleichbar.“

Warnungen vor einer Rechtsaußen-EU

Im Europaparlament tritt die Rechte nicht als geeinter Block auf. Da ist zum einen die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer, in der die polnische PiS, die Fratelli d’Italia von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, die spanische Vox und die Schwedendemokraten versammelt sind. Die zweite, noch rechtere Fraktion heißt Identity and Democracy (ID), in der die italienische Lega, der französische RN, die FPÖ und die AfD sitzen.

Das Rechtsaußenlager in Europa hat thematische Überschneidungen, vor allem die Ablehnung von Migration und Klimaschutz, zudem eint sie eine EU-Skepsis. Doch ihre nationalen Interessen sind sehr unterschiedlich. „Man kann nachweisen, dass im Europäischen Parlament die beiden Parteienbündnisse vom rechten Rand den geringsten Fraktionszusammenhalt haben, weil sie sich eben sehr stark auf die jeweilige nationale Politik beziehen“, sagt Decker.

Der Europaexperte Hans Kundnani vom Thinktank Chatham House in London warnt allerdings, dass eine „Rechtsaußen-EU“ denkbar und auch möglich sei. Viele rechte Parteien hätten die Feindseligkeit gegenüber der europäischen Einigung in den vergangenen Jahren gemäßigt und dabei ein eigenes Bild von Europa entworfen, das auf einer gemeinsamen kulturellen Identität basiere. Kundnani spricht von „Ethno-Regionalismus“, der die Verteidigung einer „europäischen Zivilisation“ zum Ziel habe.

Alice Weidel spricht von einer „Festung Europa“

Derartige Töne schlug auch die AfD am Wochenende auf ihrem Parteitag in Magdeburg an: Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik sprach Co-Parteichefin Alice Weidel von einer „Festung Europa“, die man „zum Schutz unserer Heimat“ und „gemeinsam mit unseren europäischen Partnern“ errichten wolle.

Umfragen zufolge könnte sich der Rechtsruck bei der nächsten Europawahl im Juni 2024 noch verstärken. Die beiden rechten Fraktionen im Europaparlament können demnach jeweils mit mehr als zehn Prozent der Stimmen rechnen. Die vier größten Gruppierungen (die christdemokratisch-konservative Europäische Volkspartei (EVP), die Sozialdemokraten, die liberale Renew-Fraktion und die Grünen) dürften hingegen den Umfragen zufolge allesamt Mandate verlieren.

EVP-Chef Manfred Weber (CSU) folgert daraus, dass die Konservativen und Christdemokraten häufiger mit den rechten Fraktionen zusammenarbeiten sollten. Weber hat drei Kriterien für die Zusammenarbeit aufgestellt: Wer pro EU, pro Ukraine und pro Rechtsstaat ist, ist bündnisfähig. Die AfD wäre damit weiterhin tabu, eine Zusammenarbeit mit den Postfaschisten von Meloni dagegen möglich.

Die italienische Regierungschefin war noch keine drei Wochen im Amt, da machte Weber im vergangenen November seine Aufwartung im Palazzo Chigi, dem Ministerpräsidentenpalast in Rom. Während die meisten Politiker in Europa die Regierungschefin skeptisch beäugten, sondierten die beiden schon eine mögliche Zusammenarbeit.

Italiens Ministerpräsidentin Meloni

Die Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia sieht die „Stunde der Patrioten“ in Europa gekommen.

(Foto: IMAGO/ZUMA Press)

Meloni gibt sich staatsmännisch, als große Transatlantikerin, außenpolitisch blieb sie bislang auf der Linie ihrer Vorgänger. Im Februar besuchte sie die Ukraine, um dem Land die uneingeschränkte Unterstützung zu versichern. Auf EU- und G7-Gipfeln hat sie sich schnell etabliert.

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Politische Beobachter glauben, dass Meloni gar nicht anders kann, als sich in Außen- und Finanzpolitik zu zügeln. Zu sehr ist Italien auf die Milliardenzahlungen aus dem Brüsseler Wiederaufbaufonds angewiesen, zu groß sind die wirtschaftlichen Verflechtungen mit der EU. 

Wie Melonis heimliche Agenda aussehen könnte, zeigt sich zunehmend im Inland: Dort driftet Italien gerade spürbar nach rechts ab. Hilfsorganisationen haben es seit Monaten immer schwerer, Menschen aus dem Mittelmeer zu retten. Die Rechte von Minderheiten werden zunehmend beschnitten, aus dem Kabinett kommen zum Teil homophobe Äußerungen. Frauen werden es künftig schwerer haben abzutreiben.

Meloni mischte sich kürzlich auch in den spanischen Wahlkampf ein und ließ sich zu einer Kundgebung von Vox dazuschalten. Dort zählte sie europäische Länder auf, in denen gleichgesinnte Parteien an der Regierung beteiligt seien. „Die Stunde der Patrioten ist gekommen!“, rief sie den Vox-Anhängern zu.

Mitarbeit: Daniel Imwinkelried, Sandra Louven, Helmut Steuer, Carsten Volkery

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