Warum Hamburg die Mobilitätswende besser schafft als Berlin

Berlin Anjes Tjarks steigt in den futuristischen Kleinbus, setzt sich auf die raumfüllende Sitzbank und gibt Interview um Interview. Der „People Mover“, den das Start-up Holon an diesem sommerlichen Juli-Tag im Hamburger Automuseum „Prototyp“ präsentiert, steht dem Verkehrssenator der Grünen gut.

In dem Museum erzählen für gewöhnlich Schwarz-Weiß-Filme von den 60er-Jahren, als die Menschen den „pulsierenden Verkehr“ als Fortschritt feierten und man „der Hand am Lenkrad“ vertraute. Tjarks, das Start-up des Autobauers Benteler und gut hundert Gäste wollen hier den Siegeszug des fahrerlosen Fahrzeugs feiern.

Von solchen Visionen sind andere Städte noch ein Stück entfernt. Der Versuch, den Verkehr neu zu organisieren, läuft aber an vielen Orten. Und mitunter wird daraus ein regelrechter Straßenkampf, wie sich derzeit in Berlin zeigt. Was also hat das innovationsfreudige Hamburg der Hauptstadt voraus?

Gut eine Woche nach der Premiere in Hamburg setzt sich in Berlin die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) abends in einen Bus der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG). Zwei Stunden lang schaut sie dem Fahrer zu, wie er durch die engen Straßen der Hauptstadt zirkelte. Sie weiß jetzt, wie schwer es ist, eine Schleppkurve zu fahren – und dass ein auf die Straße gemalter Radweg den Verkehr nicht unbedingt sicherer macht.

In den ersten acht Wochen ihrer Amtszeit hat Schreiner nicht mit Visionen für gute Presse gesorgt, sondern die volle Wucht einer „aktiven Stadtgesellschaft“ zu spüren bekommen: Fahrradlobbyisten protestierten lauthals, weil sie nach dem Wechsel von Rot-Rot-Grün zu Schwarz-Rot geplante Radwege auf den Prüfstand stellte. Von „Kampfzonen“ und „Kulturkampf“ reden sie in der Hauptstadt. Schreiner erzählt in ihrem Büro, sie sei froh, „dass ich das gleich am Anfang erlebt habe und daraus lernen kann“. Nicht nur die Kommunikation will sie nach der Fahrradweg-Aufregung ändern.

Leicht wird es nicht. Ihr Kollege aus Hamburg sagt: „In Berlin ist alles etwas aufgeregter. Dadurch ist die Offenheit für neue Lösungen nicht so groß.“

Manja Schreiner

Die neue Berliner Verkehrssenatorin machte sofort nach Amtsantritt die Sperrung der Friedrichstraße rückgängig.

(Foto: dpa)

Hamburg und Berlin wollen wie viele Metropolen Mobilität neu organisieren: klimafreundlich, ohne Staus, dafür mit Platz zum Flanieren und Verweilen in einer grünen Stadt.

Vielerorts aber scheitern die Verantwortlichen spätestens am nächsten Wahltag. Mal bringt das Aus des kostenlosen Kurzzeitparkens die Wählerschaft in Rage, ein anderes Mal sorgt eine gesperrte Einkaufsstraße für Wechselstimmung – wie in Berlin.

Mobilitätswende: Ohne Verbündete funktioniert der Wandel nicht

In der Hansestadt hat Senator Tjarks in den drei Jahren seiner Amtszeit Verbündete um sich geschart. Ein wichtiger Mitstreiter ist Henrik Falk, seit 2016 Chef der Hamburger Hochbahn, die die U-Bahn und viele Buslinien betreibt. Falk ist gebürtiger Berliner, arbeitete lange Zeit im BVG-Vorstand und wechselte schließlich nach Hamburg.

Henrik Falk neben Tjarks

Der Chef der Hamburger Hochbahn ist einer der engsten Verbündeten Tjarks’ bei der Verkehrswende.

(Foto: dpa)

Er gilt als Erfinder des „Hamburg-Takts“: Als die Stadt 2018 wegen schlechter Luft-Messwerte Fahrverbote verhängen musste, überzeugte Falk den damaligen Ersten Bürgermeister und heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit einer Idee.

Bis 2030 sollen alle Einwohner binnen fünf Minuten Bus und Bahn erreichen können. Die Menschen sollen laufen, Rad fahren, den Nahverkehr nutzen und nur noch bei jeder fünften Fahrt das Auto.

Das nötige Geld bringt ein anderer Verbündeter von Tjarks auf der Holon-Premiere mit: ein Vertreter des Bundesverkehrsministeriums.

Tjarks mit Verkehrsminister Volker Wissing (FDP)

Gleich nach der Bundestagswahl wandte sich Tjarks an den neuen Bundesverkehrsminister.

(Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen)

Tjarks hat Volker Wissing (FDP) schnell nach dessen Amtseinführung 2021 getroffen und sich als Partner angeboten. Vor einem halben Jahr dann schlossen beide einen Deal: Hamburg wird erste „Metropol-Modellregion“ des Bundes. Der Minister hat das Geld, der Senator die Projekte inklusive einer Vision von autonom fahrenden Bussen oder gar S-Bahnen.

Die Metropolen setzen auf den Bundesverkehrsminister

Manja Schreiner kann den Minister noch nicht ihren Verbündeten nennen. Vergangene Woche Mittwoch besuchte sie ihn das erste Mal. „Wir wollen die Innovationsfreude der Unternehmen und Start-ups nutzen und moderne Mobilität schaffen“, sagt sie. Autonome Shuttles seien „ein wichtiges Element für die Außenbezirke, in denen zwei Drittel der Berliner leben“.

Tjarks will die „digitalste Stadt Deutschlands“ schaffen, Schreiner sagt: „Wir werden Smart City.“ Der Minister hört beides gern.

Berlin hat schon so manche vergrätzt, die heute Verbündete Hamburgs sind, darunter die Firma Moia. Der On-Demand-Service von Volkswagen wollte 2018 in der Hauptstadt starten. Die 330 Rufbusse aber fahren durch Hamburg, sind dort sogar Teil des Nahverkehrs.

„Die Stadt legt uns keine Steine in den Weg“, erzählen sie bei Moia. Bis 2030 soll Moia 5000 autonom fahrende ID.Buzz-Busse in Hamburg betreiben und so den Weg von zu Hause zur Haltestelle des Nahverkehrs auf fünf Minuten verkürzen – für den „Hamburg-Takt“. Prototypen testet Volkswagen bald in Amerika. Auch Holon-Chef Marco Kollmeier schwärmt von Hamburg als „Vorreiter der Mobilität“.

>> Lesen Sie hier: Was der autonome Kleinbus zur Verkehrswende beitragen kann

Berlin hat diesen Ruf nicht, Schreiner weiß aber um den Trumpf der Stadt: Generationen vor ihr hätten weitsichtig einen exzellenten Nahverkehr mit dichten Netzen aus U- und S-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen gebaut. Womöglich könnte Berlin mit der einen oder anderen verlängerten U-Bahnlinie schon bald eine Mobilitätsvision vorleben. Schreiner will das Netz ausbauen.

Auch der Hamburger Tjarks kämpft für den Bau einer neuen U-Bahn-Linie. Die ersten Bauarbeiten für die U5 laufen bereits, doch sie wird so viel kosten, dass Tjarks sich nicht auf eine Summe festlegen mag. Auch hier wird der Bund viel Geld zuschießen. „Es ist wichtig, dass wir überhaupt mal etwas bauen“, sagt er.

Die Mobilitätswende braucht Zeit

Der Grüne Tjarks und CDU-Senatorin Schreiner sind sich darin einig und ebenso in einer grundlegenden Haltung: Verbote bremsen den Wandel. Eine Erkenntnis, die die Wissenschaft bestätigt. „Die Akzeptanz sinkt, wenn Sie ohne Ausgleich Parkplätze wegnehmen und die Anwohner mit ihrem Auto alleinlassen“, sagt Verkehrsexperte Jürgen Gerlach von der Universität Wuppertal mit Blick auf die bisherige Politik in Berlin. Auch sei es wenig hilfreich, einen Pop-up-Radweg anzuordnen, wenn dieser nach 500 Metern wieder auf einer viel befahrenen Hauptstraße endet und nicht genutzt wird. Man müsse einen Plan haben und „alle mitnehmen“.

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Vorzeigestädte wie Kopenhagen und Oslo hätten bereits seit den 80er-Jahren „konsequent nach und nach den Straßenraum umgestaltet“, für die entfallenen Parkplätze zentrale Parkflächen oder Parkhäuser und Tiefgaragen geschaffen und so die Straßen lebenswert und für alle direkt sichtbar gestaltet. „Daran orientiert sich auch Hamburg“, lobt Gerlach.

Dort hat Tjarks auch Autospuren in der City für Busse und Radfahrer reserviert oder den Jungfernstieg an der Binnenalster für den Autoverkehr gesperrt. Lautlos ging das alles nicht. Er musste viel „sabbeln“, wie sie im Norden sagen, und Kompromisse eingehen. So dürfen Busse und Lieferfahrzeuge weiter auf dem Jungfernstieg fahren.

Tjarks ist wichtig zu sagen, dass er 17 Prozent der Straßen saniert hat und einen guten Draht zur Autobahngesellschaft des Bundes pflegt. „Ich bin auch Verkehrssenator für Menschen, die Auto fahren.“

Jungfernstieg in Hamburg

Die Straße an der Alster dürfen neben Radfahrern nur Busse und Lieferanten befahren.

(Foto: Stadt Hamburg)

In Berlin hingegen war die kompromisslos mit Betonbänken gesperrte Friedrichstraße für viele der Impuls, im Februar ihr Kreuz bei der CDU zu setzen. Tjarks kritisiert seinen grünen Parteifreund dafür. Schreiner gab die Straße nach ihrem Amtsantritt sofort wieder frei. Radwege will sie „bedarfsorientiert“ ausbauen.

Berlin: Weniger Straßen für die Hauptstadt?

Beides zusammen klingt nach politischem Sprengstoff. Zugleich aber ist Schreiner für Umwelt und Klimaschutz zuständig, will mehr Stadtgrün und weniger Beton, Verkehr als Teil der Stadtentwicklung sehen. Das bedeutet notfalls wie in Hamburg: weniger Straßen. Und das sagt sie auch.

Im Gegensatz zu Tjarks muss Schreiner noch eine Erzählung finden, um die Stadt zu befrieden. Vielleicht hilft, dass sie „Autoverkehr vermeiden und die Menschen vom Nahverkehr überzeugen“ und sogar – wie die Vorgängerregierung – 60 Kilometer Radwege im Jahr bauen will.

>> Lesen Sie hier: Kommentar: Wissing feiert zehn Millionen Deutschlandtickets – doch auf den zweiten Blick ist das ein Flop

Die Grünen kamen 2022 nur auf 22 Kilometer, Parteifreund Tjarks schaffte in Hamburg immerhin 53. „Wir werden den Turbo einlegen und versuchen, die Vorgaben einzuhalten“, verspricht CDU-Politikerin Schreiner. „Sicher und gut“ sollen die Radwege aber sein. „Für eine qualitätsorientierte Mobilität habe ich viele an meiner Seite“, gibt sie sich optimistisch.

Ein Verbündeter von Senator Tjarks wird ihr ab 2024 zur Seite stehen: Hochbahn-Chef Falk kehrt als Chef zurück zur BVG. Dort könnte er gleich eine neue App wie in Hamburg einführen. Kunden können dort über die „Switch“-App das Deutschlandticket für Bus und Bahn kaufen, ein Taxi oder Sammeltaxi buchen – und vielleicht eines Tages einen „Mover“. „Die Mobilitätswende gelingt nur, wenn wir einen neuen Lifestyle prägen“, gibt Falk die Richtung vor.

Tjarks weiß auch, wie er das bundesweit gültige 49-Euro-Ticket für sich nutzt: Angesichts der hohen Nachfrage gebe es „doch eine ganz andere Grundlage, um von der Politik mehr Geld für ein Deutschlandangebot im Nahverkehr einzufordern“.

Und der „People Mover“ für die Außenbezirke der Stadt? „Das ist das Auto für das Deutschlandangebot, mit dem ich den Nahverkehr in einer ordentlichen Bedien- und Servicequalität zu einem ordentlichen Preis dahin bringen kann, wo er heute nicht ist.“

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