Warum der Bundeswehr der grüne Umbau schwerfällt

Düsseldorf Das Beste an einem Wasserstoff-Panzer wäre die Tarnung: Wer Karsten Pinkwart fragt, wie Panzer der Zukunft mit Energie versorgt werden sollten, bekommt ein Plädoyer für die Wasserstoff-Brennstoffzelle – und zum Teil überraschende Argumente.

Der Fraunhofer-Wissenschaftler und Professor an der Hochschule Karlsruhe sagt: „Die Kombination aus einer Wasserstoff-Brennstoffzelle und einer Lithium-Batterie ist für mich persönlich die ideale Kombination.“

Ein heutiger Leopard-Kampfpanzer mit Dieselantrieb sei vor gegnerischen Truppen schwer zu verstecken. Den Motor sehe man auf der Wärmebildkamera, auch Geräusche und Abgase würden einen Panzer verraten.

Eine wasserstoffbetriebene Brennstoffzelle habe keine bewegten Bauteile, keine thermische Signatur und stoße Wasser als Abgas aus: „Das sind taktisch wichtige Vorteile für ein Militär.“ Die Stromversorgungseinheit sei damit „nicht aufklärbar“. Auch würde die wasserstoffbetriebene Brennstoffzelle effizient arbeiten und sei kleiner als ein herkömmlicher Motor.

Pinkwart forscht seit vielen Jahren für das Bundesverteidigungsministerium an der Energieversorgung der Streitkräfte. Doch das Interesse an seiner Arbeit war noch nie so groß wie jetzt. Kein Wunder: Eine Umstellung der Antriebstechnologie bei sämtlichen Militärfahrzeugen erscheint so komplex, dass bisher kaum jemand ernsthaft darüber nachgedacht hat. Das ändert sich jetzt.

Denn die Bundeswehr soll bis 2045 klimaneutral sein. So will es die Bundesregierung. Dabei scheinen die Probleme längst groß genug.

Abhängigkeit der Bundeswehr von Diesel und Benzin ist riskant

Verteidigungsminister Boris Pistorius hält die Streitkräfte aktuell für nicht verteidigungsfähig. Sie seien nicht gewappnet für einen „offensiv brutal geführten Angriffskrieg“, hatte er kurz nach Amtsantritt gesagt. Jetzt wird von der Truppe auch noch verlangt, den Feind mit Umweltfreundlichkeit abzuschrecken. Das dürfte die Wehrfähigkeit vollends gefährden.

Doch zugleich hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt, wie riskant die Abhängigkeit von Diesel, Benzin oder Erdgas ist. Denn die Rohstoffe liegen vor allem in den Händen von Despoten. Der grüne Umbau könnte deshalb strategisch wichtig werden – und sogar militärisch notwendig.

„Wenn wir uns auf Streitkräfte-Einsätze der Zukunft vorbereiten, gilt: Je weniger fossile Kraftstoffe wir benötigen, desto verteidigungsfähiger sind wir“, sagt Stefan Bayer, Leiter des German Institute for Defence and Strategic Studies (Gids), eines bundeswehreigenen Thinktanks.

Zugleich wäre der grüne Umbau selbst ein gefährliches Unterfangen. Er scheint kaum möglich, ohne die Wehrfähigkeit der Bundeswehr vorübergehend zu beeinträchtigen. Die Nato verfolgt bisher bewusst eine „Single-Fuel-Strategy“. Dahinter steht das Ziel, nur einen einzigen Kraftstoff für alle Systeme zu nutzen, um sie möglichst leicht versorgen zu können. Für diesen Kraftstoff hat die Nato beispielsweise ein unterirdisches Pipelinesystem angelegt. Für Wasserstoffpumas gibt es kein System, bei E-Leoparden wäre schnell der Akku leer.

Kampfpanzer Leopard 2A6

Moderne Panzer sind Umweltsünder.

(Foto: AP)

Ein grüner Umbau stellt Bundeswehr und Rüstungsindustrie vor eine der größten logistischen Herausforderungen ihrer Geschichte. „Niemand wird den Streitkräften eine Ladeinfrastruktur an der Front bauen“, sagt Shena Britzen. Sie leitet beim Rüstungs- und Automobilkonzern Rheinmetall das Wasserstoff-Programm. Das Unternehmen hat eine umfangreiche Strategie entwickelt, mit der es im zivilen wie im militärischen Geschäft am Megatrend Wasserstoff teilhaben will. Aber sie warnt: „Wenn wir nicht in Logistik denken, führt das am Ziel vorbei.“

Kraftstoff-Bedarf bei Nato-Einsatz: Bis zu 200.000 Tonnen am Tag

Der Energiebedarf im Kriegsfall ist enorm: „An einem Standardkampftag benötigt eine Heeresbrigade der Nato 100 Tonnen Kraftstoff pro Tag“, sagt Britzen. Andere Quellen prognostizierten sogar einen Bedarf von 60 bis 75 Liter pro Soldatin oder Soldat pro Tag. „Das wären hochgerechnet über 200.000 Tonnen für alle Streitkräfte der Nato in Europa pro Tag.“

Wie viel Kraftstoff die Bundeswehr im Friedensfall braucht, hält das Verteidigungsministerium geheim. Die Daten würden Rückschlüsse auf die militärischen Aktivitäten zulassen, heißt es.

Grafik

Das Ministerium gibt nur Daten zu den Treibhausgasemissionen heraus. Laut einer Sprecherin sollen Bundeswehrfahrzeuge 2022 etwa 0,85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente verursacht haben. Zum Vergleich: Die Mobilitätsemissionen in Deutschland insgesamt belaufen sich auf 148 Millionen Tonnen.

Damit ist der Energieverbrauch der Bundeswehr aber längst nicht umrissen. Laut dem Nachhaltigkeitsbericht des Verteidigungsministeriums für 2021 entstehen 53 Prozent der Bundeswehremissionen auf den Liegenschaften – also etwa beim Heizen von Gebäuden. Und dann kommen noch die Emissionen bei Auslandseinsätzen hinzu, deren Energiebilanz gleich in mehrerlei Hinsicht problematisch ist.

Solaranlagen schonen nicht nur das Klima, sondern retten Leben

Laut Karsten Pinkwart waren es gerade die Erfahrungen aus Afghanistan, die schon in den vergangenen Jahren verstärkt ein Bewusstsein für das Energieversorgungsproblem geschaffen haben. „Deutschland hat in Mazar-e-Sharif, wo sich eine der größten Liegenschaften befand, am Tag ca. 50.000 Liter Diesel verstromt – mit einer Effizienz von nur circa 30 Prozent“, sagt der Fraunhofer-Wissenschaftler. 70 Prozent der Energie sei also als Wärme in die Umwelt abgegeben worden – „und dass bei einer kritischen Abhängigkeit von Kraftstoff-Lieferungen“.

In Mali und Niger betreibt die Bundeswehr deswegen heute Photovoltaik- und Windkraftanlagen. 2020 und 2021 wurden laut Bundeswehr dadurch je 1.400 Megawattstunden elektrische Energie erzeugt und pro Jahr 450.000 Liter Diesel eingespart, die nicht mehr für Stromgeneratoren benötigt wurden. Mit der Abwärme bei der Energieerzeugung heizt die Bundeswehr ihr Wasser.

Das ist ein erster Schritt. Aber der Anteil erneuerbarer Energien in den Einsatzliegenschaften der Bundeswehr liegt laut Nachhaltigkeitsbericht bei nur zehn Prozent. Das muss nicht nur aus Klimagesichtspunkten mehr werden.

„Ein Liter Kraftstoff hat die westlichen Streitkräfte im Afghanistaneinsatz je nach Bedrohungslage zwischen 25 bis 250 Dollar gekostet“, sagt Rheinmetall-Managerin Britzen: „Teilweise müssen Sie den Kraftstoff einfliegen, Sie müssen ihn durch verminte Straßen bringen, und ein Teil der Lkws wird womöglich in die Luft gesprengt.“

Gids-Chef Stefan Bayer beschreibt es ähnlich drastisch: „Im Irak und in Afghanistan haben wir gesehen, dass die Logistik massiv angegriffen wurde – mit vielen Toten. Wenn wir im Auslandseinsatz erneuerbare Energien nutzen, werden die Streitkräfte weniger vulnerabel.“ Solaranlagen in einem Feldlager kann die Bundeswehr deutlich besser schützen als Tanklaster.

Auch dürfte es für die Bundeswehr sehr bald Folgen haben, dass die grüne Transformation in vollem Gange ist.

Die zivile Entwicklung macht Militärs zusätzlichen Druck

„Streitkräfte stützen sich auf zivile Infrastruktur“, sagt Simon Struck, der am Gids zur strategischen Ausrichtung von Streitkräften im Klimawandel forscht und dabei einbezieht, wie sich die zivile Infrastruktur bis 2050 verändern wird. Beides müsse zusammengedacht werden, sagt Struck: Wenn sich die zivile Infrastruktur verändere, woher solle dann die Bundeswehr ihre Treibstoffe beziehen?

Auch das Fahrzeug selbst kann ein Problem werden. Die Rüstungsfirma KMW baut beispielsweise geschützte Bundeswehr-Einsatzfahrzeuge wie den Dingo. Die Basis dafür ist der Klein-Lkw Unimog von Daimler Truck. Der Nutzfahrzeughersteller hat auf einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT) im September seine Pläne für umweltfreundliche Antriebe vorgestellt.

Allschutz-Transportfahrzeug Dingo in Afghanistan

Das Militärfahrzeug ist eine Weiterentwicklung des zivilen Unimog-Fahrzeugs von Daimler Truck und könnte schon bald mit Wasserstoff-Brennzelle betrieben werden.

(Foto: imago/StockTrek Images)

Demnach könnte der Unimog künftig nicht nur mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden, die etwa aus Kohle, Erdgas, Biomasse oder Industrieabgasen hergestellt werden können. Daimler Truck arbeitet auch an einem Wasserstoffverbrenner. Karsten Pinkwart vom Fraunhofer-Institut sagt: Wenn die zivile Plattformbasis – also der Unimog – irgendwann nur noch mit Wasserstoffverbrenner angeboten wird, könne Wasserstoff bei einer Nachrüstung neuer Fahrzeuge „ganz schnell in den Landplattformen der Bundeswehr Einsatz“ finden.

Wie kommt der Wasserstoff an die Front?

Auch bei Rheinmetall ist das Thema Wasserstoff durch das zivile Geschäft als Automobilzulieferer auf die Agenda gekommen: „Das Thema Wasserstoff beschäftigt uns bei jeder Vorstandssitzung und bei jedem Management-Meeting der einzelnen Divisionen“, sagt Managerin Britzen.

Bis die Entwicklung eines Wasserstoffpanzers auf die Agenda kommt, dürfte es trotzdem noch lange dauern. Zu viele logistische Fragen sind ungeklärt. Am wichtigsten: Wie kommt der Wasserstoff an den Einsatzort?

Wasserstoff hat, gemessen am Volumen, eine sehr niedrige Energiedichte. Britzen schätzt: „Wenn die Streitkräfte heute fünf Lkw brauchen, um eine Heeresbrigade mit dem Tagesbedarf an Kraftstoff zu versorgen, wären es bei der Umstellung auf Wasserstoffnutzung aufgrund der aufwendigeren Speicherung 35.“

>> Lesen Sie jetzt auch: Wasserstoff – Diese Weltregionen sind Gewinner des Booms

Fraunhofer-Forscher Pinkwart verweist jedoch auf die wasserstoffbetriebenen U-Boote der Marine: Dort könne man sehen, dass die logistische Verfügbarkeit von Wasserstoff im militärischen Bereich umsetzbar sei.

Auch gibt es bei den klimafreundlichen Antrieben ein Mengenproblem. Denn klimafreundlich wird Wasserstoff erst, wenn er „grün“ ist, also wenn er mit Ökostrom hergestellt wird. Bei Elektrolyse-Verfahren wird dazu Wasser unter Strom gesetzt und in die Bestandteile Wasser- und Sauerstoff zerlegt. Derzeit wird er aber meist aus Erdgas hergestellt – und der gilt als „grau“.

Rheinmetall konzentriert sich bisher auf spezielle Drucktanks: Alle Produkte, die die Herstellungskosten von grünem Wasserstoff senken und die Speicherung vergünstigen, seien für den Konzern strategisch rational, sagt Britzen. Zudem arbeitet das Unternehmen etwa an Lösungen, mit denen Streitkräfte auch im Einsatz mithilfe von Wasserstoff synthetischen Treibstoff als Reserve herstellen könnten. 

Die Bundeswehr kann frühestens in 30 Jahren klimaneutral sein

Fakt ist aber auch: Nicht alle Waffensysteme und Fahrzeuge der Bundeswehr lassen sich in absehbarer Zeit mit Wasserstoff oder E-Motor betreiben.

Die Zusammensetzung für den Nato-Kraftstoff wird heute durch das Kampfflugzeug F-35 bestimmt. Solange dieses Flugzeug im Einsatz ist, sieht Britzen keine Möglichkeit, auf Kraftstoffe zu verzichten. „Die F-35 hat eine Nutzungsdauer von 50 Jahren, und die wird immer mit Kerosin fliegen.“

Zwar waren alternative Antriebe bei der großen Flugzeugmesse Paris Air Show im Juni ein großes Thema. Doch die Entwicklungszyklen sind lang und die Anforderungen an Kampfjets besonders hoch.

Weitere Teile der Serie Insight Innovation:

Wasserstoff-Expertin Britzen hält synthetische Kraftstoffe noch auf Jahre für den einzig gangbaren Weg. Zwar sei der Prozess nicht effizient, weil beim Umwandlungsprozess Energie verloren geht. Das müsse man aber zugunsten der Logistik in Kauf nehmen.

Früher oder später wird sich eine Kombination aus verschiedenen Antriebstechnologien aber wohl nicht vermeiden lassen. Gids-Leiter Bayer ist optimistisch: „Ein Energiemix ist ein organisatorisches Problem, aber kein Argument dafür, dass die Versorgung scheitern muss.“ Seine Prognose: „Ich rechne damit, dass die Übergangsphase hin zu einer Bundeswehr ohne fossile Brennstoffe 30 bis 40 Jahre dauert.“  

Bundeswehr könnte Technologietreiber werden – wenn die „Zeitenwende“ gelingt

Doch selbst dafür müsste die Bundeswehr jetzt mit dem grünen Umbau anfangen. Bayer blickt deshalb auch kritisch auf Fahrzeuge und Waffensysteme, die jetzt aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr beschafft werden sollen: „Die fossilen Brennstoffe, die wir für heutige militärische Großgeräte benötigen, bekommen wir in einigen Jahren möglicherweise nicht mehr – oder sie sind so teuer, dass wir erhebliche Budgetprobleme riskieren.“

Gleichzeitig wäre es wohl riskant zu hoffen, dass der grüne Wasserstoff schon da sein wird, wenn etwa 2035 die ersten Main Ground Combat Systems ausgeliefert werden sollen, die deutsch-französischen Kampfpanzer der nächsten Generation. „Ohne Abnahmegarantien wird die Produktion nicht schnell genug hochlaufen“, sagt Rheinmetall-Managerin Britzen.

Sie plädiert deshalb dafür, dass die Nato jetzt massiv in Wasserstoff-Herstellung investieren sollte. Diesen Wasserstoff könne man zunächst nutzen, um E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, herzustellen. Später könne der Wasserstoff dann direkt in der Brennstoffzelle verwendet werden.

Stefan Bayer sieht eine Chance, dass die Bundeswehr jetzt zum Technologietreiber werden könnte, wie es die amerikanische Armee schon oft vorgemacht habe: „Wir müssen eine marktfähige Nachfrage generieren, und das ist aufgrund der Größe der Bundeswehr möglich.“

Mehr: Rettungsdrohne von Avilus – Diese Drohne soll verwundete Soldaten retten

source site-12