Unsere Bewegungen verraten mehr über uns als wir wollen

Menschen mustern ihre Gegenüber innerhalb von Millisekunden. Sie haben noch nicht ein Wort gesagt, da hat ihr Gegenüber sich schon ein Bild von ihnen gemacht, Erwartungen gebildet und sie eingeschätzt.

Die gesenkte Stirn bei einer Diskussion in der Konferenz, die geschwungenere Sitzhaltung auf dem Bürostuhl – der Körper kommuniziert. Ob gewollt oder nicht.

Ob Vorstellungsgespräch, Meeting oder Präsentation – die Körperhaltung kann einen entscheidenden Anteil haben an Erfolg oder Misserfolg. Welche Signale der Körper wann sendet und wie die Menschen diese Zeichen ändern und beeinflussen können, damit beschäftigen sich die Bücher zweier Experten für Körpersprache, beleuchten Geschichte und Hintergründe der nonverbalen Kommunikation.

Die gängigsten Bewegungsmuster und ihre Interpretation sind den meisten Menschen geläufig: breitbeiniges Stehen signalisiert Kraft, hängende Schultern Mutlosigkeit, die gerunzelte Stirn lässt Zweifel am Gesagten aufkommen.

Der Griff an das eigene Brillengestell, dazu der ernste, direkte Blick zum Gegenüber soll heißen: „Ich durchschaue dich.“ So präsentiert sich Sabrina Rizzo auf dem Cover ihres Buches. Wenig bescheiden tritt sie an mit „Das Rizzo-Konzept – Was Sie wissen müssen, um Menschen zu durchblicken“.

Rizzo, Verhandlungsexpertin und Polizeicoach, die unter anderem für Kriminalfälle herangezogen wird, zieht als roten Faden die Anfrage eines Unternehmers durch das Buch. Dessen Mitarbeiter erhält anonyme Drohbriefe, und Rizzo soll helfen, diskret den Verdacht zu bestätigen. Alles, was sie braucht, ist ein Foto.

Mehr als eine anerzogene Marotte

Wieso eine Aufnahme alleine schon reicht, um sich zu verraten, will Rizzo vermitteln. Dazu handelt sie ausführlich die Psyche von Menschen ab. Rizzos Berufserfahrung stammt dabei zu großen Teilen aus der kriminalistischen Arbeit; ihr Buch wendet sich auch an vielen Stellen an diese Berufsgruppe.

Sabrina Rizzo: Das Rizzo-Konzept.
Books4Success,
Kulmbach 2023,
200 Seiten,
19,90 Euro

Manches erscheint daher zu sehr auf diesen Sektor fokussiert. Wer einen Ratgeber für Verhandlungsführung sucht, mag enttäuscht sein. Was die Autorin aber zeigt, sind die Werkzeuge, um Verhandlungstypen zu erkennen. Dafür benennt Rizzo vier Bausteine: Emotionen erkennen, überzeugen können, Fragetechnik beherrschen sowie Lügenerkennung und Wahrheitsfindung.

Wer Körpersprache dechiffrieren möchte, muss wissen, dass sie grundsätzlich nur zwei Zustände kennt: Anspannung und Entspannung. So könne es hilfreich sein, Kollegen zu beobachten, wie sie sich in entspannten Runden bewegen, um dann auf auffällige Veränderungen zu achten, sobald die Themen problematisch werden.

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Wer sein Gegenüber mit der richtigen Fragetechnik überzeugen möchte, bekommt Sprachmodelle an die Hand. Wenn es darum geht, eine Wahrheit ans Licht zu zerren, sei es zum Beispiel sinnvoll, Fragen so zu formulieren, dass sie nahelegen, die Wahrheit läge schon auf der Hand.

Zusätzlich geht Rizzo detailliert auf die wichtigsten Persönlichkeitsstörungen ein – von anankastisch (zwanghafte Persönlichkeitsstörung) bis schizoid (Desinteresse an sozialen Beziehungen). Sie sind mitprägend für das, was einen gegebenenfalls auffälligen Mitmenschen ausmacht. Diese ausführlichen Seiten wecken bei nicht-kriminalistisch tätigen Menschen jedoch zwangsläufig die Frage, ob das im Alltag, ob privat oder im Beruf, einen Nutzwert hat.

Hier wären mehr allgemeingültige Erklärungen wünschenswert gewesen. Die allgemeingültigen Tipps fallen dagegen dann oft zu allgemeingültig aus, à la „Gehen Sie niemals unvorbereitet in ein Interview. Sammeln Sie zunächst relevante Informationen.“ Insgesamt jedoch erhält der Leser einen munter geschriebenen Überblick über wesentliche Dysfunktionen unserer Psyche, die es sich lohnt, zu kennen und gegebenenfalls konzentriert zu verbergen, wie zum Beispiel die eigene Überempfindlichkeit bei Rückschlägen und Zurückweisungen.

Man kann nicht nicht kommunizieren. Getreu diesem watzlawickschen Axiom erläutert auch der Autor Stefan Verra in seinem Buch „Körpersprache gendert nicht“, dass es quasi unmöglich ist zu verhindern, Dinge über sich mitzuteilen. Der Titel des Buches meint, dass die unterschiedlichen Bewegungsmuster und Körperhaltungen stets verraten, zu welchem Geschlecht die Person gehört. Sie zu erkennen und gegebenenfalls zu justieren, ist Anliegen des Körpersprache-Experten.

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Er leitet seine Argumentation aus der Steinzeit und Evolution ab, aus einer Phase vor dem Wort, wo die Kommunikation im Wesentlichen aus Mimik und Gestik bestand – was im Tierreich noch heute zu beobachten ist. Zudem beschreibt er körperliche Voraussetzungen wie die Unterschiede des Skeletts, die zum Beispiel für das gefürchtete Manspreading mitverantwortlich sind, und auch der embryonalen Entwicklung ab der achten Woche, die unseren Hormonhaushalt samt Konsequenzen für den erwachsenen Menschen betrifft. Beides sei für vieles, was Menschen unbewusst mit Bewegungen und Mimik kommunizieren, verantwortlich.

Körpersprache sei eine Lingua franca, die überall auf der Welt verstanden würde. Schließlich existierten ihre Vokabeln schon vor dem modernen Menschen. Das Senken des Schädels als Zeichen der Unterlegenheit, das Aufplustern als Signal der Dominanz.

Rasch stellt Verra klar, dass sich nahezu alle diese Faktoren von kräftigem Stand bis zu überschlagenen Beinen im Gespräch von den Anforderungen der Partnersuche in der Frühzeit ableiten, und folgert: „Es ist ein Missverständnis, dass die körpersprachliche Unterscheidung heutzutage nur eine anerzogene Marotte sei.“

Stefan Verra: Körpersprache gendert nicht.
Ariston Verlag,
München 2022,
224 Seiten,
20 Euro

Bildhaft, beispielreich, mit Augenzwinkern und erzählerischem Ton erfahren die Leserinnen und Leser so, dass unsere Körpersprache in der Regel ein Versprechen sei. Ihr Ausdruck löst beim Gegenüber eine Erwartung aus, bevor das erste Wort gewechselt sei. Und dass auch heute noch unser „körpersprachliches Verhalten tatsächlich stark geprägt ist durch den Drang zur erfolgreichen Reproduktion unseres Genoms“.

Wie also reden Frauen und Männer, wenn sie sich bewegen? Und sollte das eine Geschlecht die Grammatik des anderen übernehmen? Verra warnt zumindest Frauen in Führungspositionen in neuen Situationen davor, männliche Posen der Gebietsmarkierung zu übernehmen und vor Gruppen mit breiten Beinen und verschränkten Armen aufzutreten. Es wäre das erste falsche Signal – wie es das auch dann folgerichtig für Männer ist: „Souverän ist, wer zeigt, dass er nicht unmittelbar um seinen Status kämpfen muss.“

In einer Besprechung mehr Aufmerksamkeit bekommen? Dafür reiche, sich nicht nach hinten zu lehnen und mit dem Stuhl nach hinten zu schieben – also keine Distanz zu den Vorgängen aufzubauen. Universell gültig und sinnvoll sei auch das Lächeln, das laut Verra Frauen bis zu 62 Mal am Tag einsetzen, Männer hingegen durchschnittlich lediglich acht Mal.

Es sei Türöffner und gleichzeitig Hierarchiesignal, dient es doch in bestimmten Situationen, die eigene Unterlegenheit verschämt anzuerkennen: „Am angenehmsten ist es, wenn sich alle Beteiligten mit einem Lächeln begegnen. Damit ist klar: Rangkampf gibt es unter uns keinen.“

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Dass nicht alle aus dem Balzverhalten zwischen Männlein und Weiblein begründeten Ausdrücke und vor allem Schlüsse jedem Menschen gefallen werden, liegt auf der Hand. So provoziert Verras Gedankenspiel, dass Frauen es gewohnt sind, im Paarverhalten umworben zu werden und Männer bei Anbahnungen lernen, mit Ablehnungen umzugehen. Man sieht Verra förmlich fragend die Schultern zucken, wenn er schreibt: „Könnte es sein, dass sich Frauen aufgrund dieser Bedingungen im Berufsleben stärker vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn sie abgelehnt werden?“

Bei der Lektüre beider Bücher, wenn sie in der Argumentation auch ihre Schwächen haben, werden Leserin und Leser die eigenen Bewegungsmuster damit abgleichen – und sich fragen, ob die Realität nicht komplexer ist. Mindestens genauso oft aber werden sie sich ertappt fühlen.

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