Spielwaren können zu spät für Weihnachten kommen

München Leere Regale in den Spielwarengeschäften zur Weihnachtszeit? Ein Albtraum, der dieses Jahr wahr werden könnte. Es gebe nach wie vor einen Stau in der Lieferkette, warnte Florian Sieber, Chef der Simba-Dickie-Gruppe, im Gespräch mit dem Handelsblatt. Die Konsequenz: „Bestimmte Artikel werden womöglich erst nach Weihnachten ihren Weg in die Geschäfte finden.“ Für Hersteller, Händler und Konsumenten ist dies eine Katastrophe. Die Spielwarenbranche erzielt in den Wochen vor Heiligabend normalerweise rund 40 Prozent ihres Jahresumsatzes.

Das ist nicht das einzige Problem der Industrie. In der Pandemie ist Spielzeug zwar stark gefragt, viel bleibt dieses Jahr aber davon nicht bei Herstellern wie Simba-Dickie hängen. „Wir sind zwar vom Umsatz her gut unterwegs, aber die Kosten fressen komplett auf, was wir dazugewonnen haben. Deshalb wird das Ergebnis deutlich unter Vorjahr ausfallen“, erläutert Sieber.

Der Transport aus Asien sei so teuer geworden, dass er bestimmte Produkte ganz aus dem Sortiment genommen habe, so Sieber: „Bei großen Plüsch- oder Kunststoffartikeln übersteigen inzwischen die Logistikkosten den Warenwert.“ Sehr viel teurer geworden seien zudem Kunststoff, Energie und Elektronikbauteile.

Der 34-Jährige übernahm im Frühjahr die Führung des größten deutschen Spielwarenherstellers mit 3000 Mitarbeitern. Zuvor hatte er die Gruppe aus Fürth einige Jahre zusammen mit seinem Vater Michael geleitet. Zu dem Mittelständler mit zuletzt 715 Millionen Euro Umsatz gehören 20 Marken, darunter Bobby Car, Noris-Spiele, der Gartenspielzeughersteller Smoby sowie Schuco und Majorette. Die Familie besitzt auch den Modellbahnhersteller Märklin.

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Angesichts der Lieferengpässe und steigender Rohstoffkosten müssen die Konsumenten tiefer in die Tasche greifen. Es sei allerdings ganz unterschiedlich, wie hoch die Preiserhöhungen ausfallen. Sieber: „Ferngesteuerte Autos dürften zwischen 15 und 20 Prozent teurer werden. Ähnlich verhält es sich zum Beispiel bei einem Sandeimer aus Kunststoff, selbst wenn er aus Europa kommt, weil sich da die Materialkosten stark bemerkbar machen. Bei einer Puppe sind eher zwischen acht und zehn Prozent Plus zu erwarten.“

Die gute Nachricht für Eltern und Großeltern: Das Gros der Preiserhöhungen kommt Sieber zufolge erst im nächsten Jahr.

Lesen Sie hier das vollständige Interview:

Herr Sieber, weltweit knirscht es in den Lieferketten. Müssen sich die Konsumenten um die Spielwarengeschenke zu Weihnachten Sorgen machen?
Vor allem bei Artikeln, in denen Halbleiter verbaut sind, etwa Sound- oder Lichtchips, dürfte es zu ausverkauften Regalen kommen. Das betrifft zum Beispiel ferngesteuerte Autos.

Kann die Simba-Dickie-Gruppe die Händler denn ausreichend für das wichtige Weihnachtsgeschäft versorgen?
Zum Glück haben wir frühzeitig in Asien bestellt und die Produkte nach Europa geholt. Daher haben wir einen hohen Lagerbestand. Viele andere Hersteller haben erst mal gewartet, weil sie gehofft haben, dass die Transportkosten sinken.

Aber das Gegenteil war der Fall.
Richtig, die sind nicht gefallen, sondern weiter gestiegen. Das Abwarten hat dazu geführt, dass sich in der Spielwarenbranche alles nach hinten verschoben hat. Normalerweise kommt die Ware aus Asien in Europa zwischen Juni und August an, dieses Jahr war es August bis Oktober. Wenn die Produkte überhaupt eintrafen. Denn es gibt nach wie vor einen Stau in der Lieferkette. Bestimmte Artikel werden womöglich erst nach Weihnachten ihren Weg in die Geschäfte finden.

Eine Katastrophe für Hersteller und Händler, oder?
Ja, denn für die Konsumenten, die Geschenke suchen, sind die Produkte damit natürlich nicht mehr relevant.

Die Simba-Dickie-Gruppe importiert seit vier Jahrzehnten Spielzeug aus Asien. Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?
Nein, ein solches Chaos auf den weltweiten Logistikwegen gab es noch nie. Für unsere Einkaufsabteilung in Hongkong, aber auch unseren Vertrieb in Deutschland ist das extrem belastend. Ständig ändern sich die Liefertermine. Das ist ein gewaltiger Zusatzaufwand, den unsere Leute neben dem normalen Geschäft stemmen müssen. Schließlich müssen wir auch unsere Händler laufend informieren.

Modellauto

Die gute Nachricht: Das Gros der Preiserhöhungen kommt Sieber zufolge erst im nächsten Jahr.

Die Transportkosten aus Asien haben sich vervielfacht. Lohnt es sich noch, die Ware zu importieren?
Bei großen Plüsch- oder Kunststoffartikeln übersteigen inzwischen die Logistikkosten den Warenwert. Wir reagieren darauf, indem wir diese Artikel vorübergehend aus dem Sortiment nehmen. Denn die Kunden und der Handel würden Preiserhöhungen von 35, 40 Prozent schlicht nicht akzeptieren.

„Die meisten großen Hersteller werden erst nächstes Jahr ihre Preise massiv anheben“

Für welche Spielwaren müssen die Konsumenten jetzt besonders tief in die Tasche greifen?
Die Spanne ist riesig: Ferngesteuerte Autos dürften zwischen 15 und 20 Prozent teurer werden. Ähnlich verhält es sich zum Beispiel bei einem Sandeimer aus Kunststoff, selbst wenn er aus Europa kommt, weil sich da die Materialkosten stark bemerkbar machen. Bei einer Puppe sind eher zwischen acht und zehn Prozent Plus zu erwarten.

Wie viel sind die Kunden denn bereit, zusätzlich zu bezahlen?
Das wissen wir noch nicht. Die meisten großen Hersteller werden ohnehin erst nächstes Jahr ihre Preise massiv anheben. Außerdem sind da noch Lagerbestände im Handel und es gibt viele existierende Verträge mit unseren Handelspartnern, an die wir gebunden sind. Daher wird das Gros der Erhöhungen die Kunden 2022 treffen. Im Schnitt rechne ich mit einem Plus von acht, neun Prozent. Aber da werden wir nicht die einzige Branche sein.

Die Simba-Dickie-Gruppe investiert schon seit Jahren massiv in die Produktion in Europa – Sie waren ein Trendsetter der Branche. Zahlt sich das jetzt aus?
Ja, der Schritt war richtig und wichtig. Produkte, deren Transport aus China zu teuer geworden ist, können wir so ersetzen. Da können wir mit der Lieferfähigkeit punkten. Das ist der positive Part.

Wo liegen denn die Nachteile?
Die Materialkosten sind ebenfalls stark gestiegen – und das trifft vor allem die Produkte aus der hochautomatisierten Fertigung in Europa. Wir reden da von 40 bis 60 Prozent Materialkostenerhöhung. Das schlägt massiv durch.

Das heißt: Obwohl Sie nahe an den Kunden produzieren und liefern können, tun Sie sich schwer, weil die Rohstoffe unerschwinglich sind?
Na ja, verkaufen lässt sich die Ware natürlich, denn bei der Konkurrenz ist es ja nicht anders. Was ich damit vielmehr sagen möchte: Die europäischen Produkte werden ebenfalls deutlich teurer, auch wenn hier die hohen Transportkosten nicht so durchschlagen.

„In Europa haben wir die Möglichkeit, Liefertermine besser einzuhalten“

Das heißt: Keine weiteren Fabriken in Europa?
Wir überlegen schon, ob wir noch mehr Produktion zurückverlagern können. Denn in Europa haben wir zumindest die Möglichkeit, Liefertermine besser einzuhalten. In Frankreich und bei BIG in Burghaslach wird seit einiger Zeit der Maschinenpark erweitert und speziell in Frankreich prüfen wir derzeit auch eine Werkserweiterung.

Denken Sie über ganz neue Werke nach?
Ja, das ist eine der möglichen Optionen, allerdings eher in Frankreich. Bei Smoby haben wir sehr hohe Auftragsbestände.

Smoby produziert großes Gartenspielzeug aus Plastik.
Genau, da überlegen wir uns, wie wir das steigende Produktionsvolumen stemmen können. Eine Option ist der Ausbau der bestehenden Fabrik, eine andere wäre ein ganz neuer Standort.

Warum ziehen Sie Frankreich vor?
Die Rahmenbedingungen sind besser, insbesondere, weil Strom nur rund die Hälfte kostet. Gerade bei einer automatisierten Produktion, wie wir sie in Europa betreiben, wird das immer wichtiger.

Märklin

Florian Sieber hat die Marke über Jahre hinweg mühsam saniert.

Bekommen Sie denn genügend Personal?
Das ist ein großes Thema. Speziell für unserer Fabrik BIG in Burghaslach suchen wir ständig neue Mitarbeiter, aber auch im thüringischen Sonneberg in unserem Logistikzentrum. Zudem haben wir Stellen in der Zentrale in Fürth ausgeschrieben. Häufig bekommen wir keinerlei Bewerbungen von ungelerntem Personal, aber auch Fachkräfte anzulocken ist schwer.

Inwiefern leiden Sie unter coronabedingten Fabrikschließungen?
In Europa sind wir davon verschont geblieben. In Thailand hingegen stand unsere Majorette Fabrik im August wochenlang still. Das spüren wir bis heute, denn der Auftragsbestand ist sehr hoch. Wer heute Ware aus diesem Werk in Bangkok bestellt, muss fünf bis sechs Monate warten.

Was passiert denn, wenn Sie die Händler nicht rechtzeitig oder gar nicht beliefern?
Wir müssen Strafzahlungen an den Handel leisten, und das in sehr hohem Maß. Es gibt einfach Verträge, aus denen kommen wir rechtlich nicht raus. Eine Situation wie dieses Jahr ist da schlicht nicht vorgesehen. Das Gros des Handels beharrt auf seinen Forderungen, ein paar wenige kommen uns entgegen, was wir sehr positiv im Hinterkopf behalten werden.

„Die Nachfrage nach Spielwaren ist nach wie vor sehr positiv“

Wann werden Sie denn wieder zuverlässig und fristgerecht liefern?
Das nächste Jahr wird sicher noch schwierig. Für 2023 hoffe ich, dass wir zu einer einigermaßen normalen Situation zurückkehren.

Die Pandemie hat die Umsätze der Spielwarenbranche vergangenes Jahr stark steigen lassen. Wie steht es derzeit um Ihre Industrie?
Die Nachfrage nach Spielwaren ist nach wie vor sehr positiv. Letztes Jahr war diese hohe Nachfrage gepaart mit einer funktionierenden Lieferkette. Dieses Jahr ist die hohe Nachfrage kombiniert mit einer komplett außer Kontrolle geratenen Lieferkette.

Was heißt das für die Simba-Dickie-Gruppe?
Wir sind zwar vom Umsatz her gut unterwegs, aber die Kosten fressen komplett auf, was wir dazugewonnen haben. Deshalb wird das Ergebnis deutlich unter Vorjahr ausfallen.

Das spüren Sie und Ihre Familie unmittelbar als Gesellschafter …
Natürlich werden wir uns mit geringeren Ausschüttungen zufriedengeben. Das meiste, was wir erwirtschaften, stecken wir aber ohnehin wieder ins Unternehmen.

Wirft Sie die Pandemie denn auch bei Märklin wieder zurück? Sie selbst haben, bevor Sie CEO wurden, die Marke über Jahre hinweg mühsam saniert.
Wir haben immer noch eine sehr hohe Nachfrage und freuen uns über einen großen Auftragsbestand, können aber vieles davon nicht bedienen. Denn die Produktion lässt sich nur langsam ausbauen. Insbesondere für die Fabrik in Ungarn tun wir uns schwer, Mitarbeiter zu finden, doch auch in Deutschland fehlen hier und da Facharbeiter.

Die Sammler warten also vergeblich auf ihre Lieblingsloks?
Wir kommunizieren deshalb viel mit Handel und Konsumenten, das funktioniert ganz gut. Aber natürlich gibt es enttäuschte Gesichter, weil einzelne Modelle nicht verfügbar sind. Ganz klar: Wir könnten mehr verkaufen, als wir zu liefern vermögen.

Hongkong ist die zweite Heimat der Simba-Dickie-Gruppe. Nun ist die Stadt wegen Corona schon seit anderthalb Jahren de facto abgeriegelt, genauso wie die Volksrepublik China selbst. Schadet Ihnen das?
Das wirft uns extrem zurück bei der Entwicklung von Neuheiten, das hat sich massiv verlangsamt. Einerseits, weil unsere Mitarbeiter nicht mehr nach Hongkong reisen können. Andererseits, weil unsere Leute aus Hongkong nicht nach China kommen. Früher sind wir als Management zudem regelmäßig im Jahr erst nach Hongkong gereist und dann nach China, um die Lieferanten zu besuchen. Da wurden mit den Produktionspartnern gemeinsam die neuen Produkte durchgegangen. Das geht vor Ort viel schneller als am Computer, wenn Du die Muster erst durch die halbe Welt schicken musst.

Sie haben im Frühjahr die alleinige Führung des Unternehmens übernommen – und den Krisenmodus seither wegen der Pandemie nicht verlassen. Den Amtsantritt haben Sie sich gewiss anders vorgestellt?
Ja, ich hatte mir vorgenommen, mehr an strategischen und strukturellen Dingen zu arbeiten. Aber seither hat sich jede Woche ein neues Problem aus den aktuellen Rahmenbedingungen ergeben. Da bleibt wenig Zeit für langfristige Themen.

Ganz grundsätzlich: Was wollen Sie ändern bei Simba-Dickie?
Wir werden nächstes Jahr kommunizieren, in welche Richtung es geht. Momentan arbeiten wir noch daran.

Herr Sieber, vielen Dank für das Gespräch.

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