SPD-Fraktion setzt eigene Akzente – zulasten des Kanzlers

Berlin Vor der Kabinettsklausur in Meseberg am Dienstag musste Olaf Scholz (SPD) am Montag noch in eine andere Klausur. In Wiesbaden tagte die SPD-Bundestagsfraktion. Nach dem Ampelstreit eine willkommene Abwechslung, könnte man meinen. Doch der Eindruck trügt. Denn die SPD-Fraktion beginnt zur Halbzeit der Ampelregierung verstärkt, ein Eigenleben zu entwickeln.

Mit gleich drei Papieren, die sich gegen den eigenen Kanzler oder die Koalitionspartner richten, machte die SPD-Fraktion im Vorfeld ihrer Klausur von sich reden. So fordern die SPD-Abgeordneten einen Industriestrompreis, den Scholz stark skeptisch sieht.

Mit einem Vorstoß für einen Mietpreisstopp provozieren die SPD-Abgeordneten Scholz’ Koalitionspartner, die FDP. Und auch sozialpolitisch geht die Fraktion in die Offensive: In einem dem Handelsblatt vorliegenden Beschluss pochen die Sozialdemokraten auf eine Bürgerversicherung im Gesundheitssystem.

Um die SPD-Bundestagsfraktion war es lange Zeit ruhig gewesen. Befürchtungen zu Beginn der Wahlperiode, die verjüngte Fraktion könnte Scholz Ärger bereiten, bewahrheiteten sich nicht. Im Gegenteil: Mit Blick auf die schwachen Umfragewerte der SPD fanden zuletzt immer mehr Abgeordnete, Partei, aber auch Fraktion müssten wieder selbst stärkere Akzente setzen. SPD-Chef Lars Klingbeil tat dies, als er mit der Forderung nach einer Abschaffung des Ehegattensplittings eine Sommerdebatte lostrat.

Nun hat sich auch die SPD-Bundestagsfraktion dazu entschieden, stärker auf Angriff zu spielen. So sagt der Co-Vorsitzende der SPD-Linken, Sebastian Roloff: „Uns ist an guter Regierungsarbeit gelegen, aber es kann nicht immer nur um Kompromisse gehen – für das eine oder andere werden wir klar kämpfen.“ Das gelte zum Beispiel für „dringend überfällige Erleichterungen für Mieterinnen und Mieter in Ballungsräumen“.

Vorschlag dürfte in der FDP auf wenig Begeisterung treffen

Um Druck zu machen, wollte die SPD-Fraktion auf ihrer Klausur daher ein Konzept beschließen, nach dem in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt für drei Jahre eine maximale Mietsteigerung von nur noch sechs Prozent bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erlaubt sein soll.

Wohnraum

Die SPD-Fraktion wollte ein Konzept beschließen, nach dem in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt für drei Jahre eine maximale Mietsteigerung von nur noch sechs Prozent bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erlaubt sein soll.

(Foto: Photothek/Getty Images)

Ebenso wie dieser Vorschlag dürfte in der FDP ein weiterer Vorstoß der SPD-Fraktion auf wenig Begeisterung treffen. So unterstrich die SPD, dem zweigleisigen Gesundheitssystem aus privater und gesetzlicher Krankenversicherung ein Ende bereiten zu wollen. „Wir halten an unserem Ziel einer umfassenden Bürgerversicherung fest, in der alle versichert sein sollen“, heißt es in dem Beschlussentwurf. 

Für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung brauche es eine „verlässliche und in die Zukunft gerichtete Finanzierung“, sagte SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt. Für die FDP eine rote Linie. Der Ausschluss einer Bürgerversicherung soll eine der Bedingungen gewesen sein, um mit Grünen und SPD zu koalieren.

In der FDP fragen sich manche bereits, ob angesichts der schlechten Umfragewerte nun auch die SPD flatteriger wird. Und ob, nachdem sich bislang vor allem Grüne und FDP beharkten, künftig aus Reihen der SPD verstärkt Streitpunkte aufgemacht werden.

So will der linke SPD-Flügel etwa auch die Schuldenbremse schleifen, die der FDP so heilig ist. „Bei der Schuldenbremse muss entschieden werden, ob sie als heilige Kuh vor sich hergetragen wird oder ob wir in der aktuellen Situation wirtschaftspolitisch angemessener reagieren“, sagt Roloff. Der Kanzler dürfte aus Rücksicht auf die FDP die Vorstöße nicht weiterverfolgen.

Deutlich mehr gerät Scholz durch die Vehemenz unter Druck, mit der seine Fraktion in einem neuen Beschluss auf einen Industriestrompreis drängt. Denn nun sieht es so aus, als ob sich auch die eigene Fraktion gegen Scholz stellt. Noch am Sonntag hatte er gesagt, um den Strompreis dauerhaft zu subventionieren, „fehlen uns nicht nur das Geld, sondern auch die rechtlichen Möglichkeiten“.

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In Fraktionskreisen wird zurückgewiesen, den Kanzler vor sich hertreiben zu wollen. Mit dem Vorschlag wolle man vielmehr „eine Brücke bauen, über die die Bundesregierung gehen kann“. Auf jeden Fall will die SPD-Fraktion selbstbewusster auftreten. Das machte Fraktionschef Rolf Mützenich gleich zu Beginn der Klausur bei der Kindergrundsicherung deutlich, bei der er sogleich Änderungen ankündigte: „Als selbstbewusste SPD-Fraktion werden wir das ein oder andere am Gesetz noch einmal modifizieren.“

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