So stellen sich die Tankstellen auf das Verbrenner-Aus ein

Bochum Jahrzehntelang prägten Tankstellen das Bild vieler Städte, doch jetzt kämpfen sie ums Überleben. „Seit 2019 ist der Kraftstoffverbrauch in Deutschland um rund acht Prozent zurückgegangen. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen und noch verstärken“, sagt Aral-Chef Achim Bothe im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Wenn ich das nicht ersetzen kann, sehe ich einen massiven Druck auf die Wirtschaftlichkeit – bei deutlich steigenden Kosten“, warnt er.

Um seinem Tankstellennetz die Zukunft zu sichern, setzt Aral auf neue Geschäftsfelder. Der erste Schritt ist jetzt die Verlängerung des Vertrags mit der Rewe-Tochter Lekkerland über die Belieferung der „Rewe To Go“-Tankstellenshops bis zum Jahr 2028. „Rewe To Go ist für uns ein Wachstumsfeld“, sagt Bothe. Bis Ende des Jahres soll das Konzept um 50 auf dann 900 Stationen ausgeweitet werden.

Gleichzeitig investiert Aral in neue Ladesäulen für Elektroautos. „Wir haben jetzt 1600 Ladepunkte an 240 Stationen und wollen das bis Ende des Jahres auf 3000 Ladepunkte ausbauen“, sagt Bothe. „Dafür investieren wir allein in diesem Jahr 100 Millionen Euro.“ Bis Ende 2025 seien 5000 Ladepunkte geplant.

Shell plant Mobility-Hubs mit Geldautomaten und Paketservice

Die Tankstellen stehen an einem Wendepunkt. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ihre Zahl bereits schleichend halbiert. Doch mit dem geplanten Aus für den Verbrennungsmotor stellt sich die grundsätzliche Frage: Investiere ich in ein Geschäft, das es vielleicht morgen nicht mehr gibt?

„Der Markt erlebt einen strukturellen Wandel, das haben wir so in den vergangenen 20 Jahren nicht beobachtet“, bestätigt Aral-Chef Bothe. „Da kann ein ‚Weiter-so‘ keine Antwort sein, nur nach höheren Effizienzen zu suchen ist keine Lösung.“

Konkurrent Shell will seine Tankstellen zunehmend zum Rundum-Dienstleister ausbauen. Neben Strom, Kraftstoff und Autowäsche sollen dort auch Geldautomaten und Paketservices angeboten werden. In den Stores setzt Shell vor allem auf ein „vielfältiges Kaffeeangebot, frische Backwaren und Snacks“.

Einige innerstädtische Tankstellen sollen zu „Mobility-Hubs“ werden, die dann nur noch Kunden mit Elektroauto bedienen. Stationen an Autohöfen hingegen sollen künftig neben Strom auch zunehmend Bio-Flüssigerdgas oder Wasserstoff anbieten, um den Schwerlastverkehr zu bedienen.

Shell hat bisher 205 seiner knapp 2000 Tankstellen mit Ladepunkten ausgerüstet. Exxon Mobil bietet an 128 der 980 Esso-Tankstellen in Deutschland Ladestationen an.

Aral setzt an den Tankstellen auf das Ultraschnellladen

„Wir wollen einen Teil der Frequenz, der perspektivisch durch das sinkende Kraftstoffgeschäft verloren geht, durch das Ladegeschäft kompensieren“, sagt Aral-Chef Bothe. Um sich von der Konkurrenz abzusetzen, setzt Aral bewusst auf das Ultraschnellladen, bei dem geeignete Fahrzeuge innerhalb von zehn Minuten bis zu 300 Kilometer Reichweite zuladen können.

Doch nicht alle Betreiber kämpfen um ihre Tankstellen in Deutschland. Der Mineralölkonzern Total Energies beispielsweise hat sein gesamtes deutsches Netz mit 1200 Stationen an den kanadischen Shopbetreiber Couche-Tard verkauft. Vertraglich ist dieser jetzt nur noch fünf Jahre gebunden, auch die Kraftstoffe von Total zu verkaufen.

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Der französische Energie- und Erdölkonzern sieht in der Elektromobilität keine Zukunft für die Tankstelle. „Einer der Gründe hierfür ist, dass Elektroautos eher zu Hause oder im Unternehmen aufgeladen werden, nicht an den Ladestationen der Tankstellen“, gab das Unternehmen zur Begründung des Verkaufs an. Laut Experten finden in der Tat nur 20 Prozent aller Ladevorgänge an öffentlichen Ladepunkten statt.

Dazu kommt: Bei den Ladesäulen haben die Energieversorger einen deutlichen Vorsprung. Laut der Bundesnetzagentur waren die drei größten Ladesäulenbetreiber in Deutschland mit Stand 1. Mai EnBW (4746 Ladepunkte), Eon Drive (2848) und EWE (2076).

Zehn Millionen Kunden pro Tag besuchen eine Tankstelle

Die große Hoffnung der Branche ist es, dass das Geschäft mit den Tankstellenshops weiterhin boomen wird. Immer mehr Menschen essen außer Haus und unterwegs, rund 82 Milliarden Euro werden die Deutschen dafür dieses Jahr schätzungsweise ausgeben. Besonders gefragt ist fertig zubereitetes Essen wie Salat oder Sandwiches, sogenannte Convenience-Artikel. Doch bisher fließt erst ein Bruchteil der dafür getätigten Ausgaben in die Kassen der Tankstellenbetreiber.

„Wir sehen einen klaren Trend, dass die junge Generation sehr viel offener für den Verzehr außer Haus ist. Das zeigt, welches Potenzial das Convenience-Geschäft noch hat“, sagt Lekkerland-Chef Patrick Steppe und hofft: „Wenn wir unser Angebot noch attraktiver machen und genau die Kundenwünsche treffen, haben wir die Chance, noch viel mehr Geschäft in die Verkaufsstellen zu ziehen, die wir beliefern.“

„Dass Couche-Tard das Tankstellennetz von Total übernommen hat, zeigt, welches Potenzial sie in diesem Geschäft in Deutschland sehen“, freut sich Steppe. Heute schon besuchten in Deutschland zehn Millionen Kunden pro Tag eine Tankstelle, im Umkreis von 500 Metern um die bestehenden Tankstellen wohnten 20 Millionen Menschen. „Wegen dieses Potenzials glauben wir an die Zukunft der Tankstelle“, so Steppe. Konkurrenz seien weniger andere Tankstellen als vielmehr Supermärkte, Bäckereien und Schnellrestaurants.

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Der Unternehmer Roland Schüren, der neben Bäckereien einen großen Ladesäulenpark – und somit eine Art Tankstelle für E-Autos – am Autobahnkreuz Hilden betreibt, erklärt, was das Geschäft so lukrativ macht: „Im Convenience-Bereich sind die Margen höher als in normalen Supermärkten. Denn Tankstellenshops oder Kioske können deutlich höhere Preise verlangen. Außerdem übernehmen die Tankstellenpächter die Personalkosten.“

Ein weiterer Vorteil ist, dass sich die Betreiber nicht an Ladenschlusszeiten halten müssen. „Tankstellenshops sind so attraktiv, weil sie längere Öffnungszeiten haben als gewöhnliche Supermärkte. Das gilt vor allem in Bayern, wo die Läden um 18 Uhr schließen. Dann bleibt nur noch die Tankstelle zum Einkaufen“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen.

Too Good To Go verwertet Lebensmittel von Aral-Tankstellen

Schüren ist allerdings skeptisch, was eine Erweiterung des Sortiments an Tankstellenshops angeht. Er sagt: „Hauptumsatztreiber an Tankstellen ist klassischerweise Tabak. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute künftig typische Dinge des täglichen Bedarfs in Tankstellenshops suchen.“

Lekkerland und Aral setzen in ihren Rewe-To-Go-Shops sehr stark auf frische Produkte, um neue Kunden anzuziehen – und hoffen, dass das auf Dauer angenommen wird. „Der Kunde muss erst mal lernen, welches Angebot er jetzt an einer Aral-Tankstelle findet“, sagt Lekkerland-Chef Steppe. Doch bis dahin bleibt das Geschäft schwierig, viel frische Ware bleibt liegen, wenn die Nachfrage nicht da ist.

Vor einigen Jahren klagten Aral-Pächter, dass sie durch die Einführung der Rewe-To-Go-Läden täglich massenweise Lebensmittel wegwerfen müssten. Aral hat darauf reagiert und betreibt jetzt alle Shops über ein Agentursystem selbst. „Damit übernehmen wir unter anderem das Risiko, dass die frischen Lebensmittel auch rechtzeitig verkauft werden“, so Bothe. Zugleich arbeitet Aral an 1100 Stationen mit der Organisation Too Good To Go zusammen, die Lebensmittel kurz vor dem Verfall günstig abgibt.

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Unternehmer Schüren bestätigt das Problem. „Frische Lebensmittel eignen sich nicht alle für Convenience-Stores“, sagt er. Nachmittags beispielsweise würden bei ihm Brötchen nur noch auf Nachfrage belegt. „Hätten wir vorbereitete belegte Brötchen, müssten wir zu viel wegwerfen“, sagt er. Deshalb finde man in Convenience-Stores klassischerweise so viele abgepackte Sandwiches.

Aber vielleicht haben die Tankstellenbetreiber für den Umbau ihres Geschäfts doch noch mehr Zeit, als viele fürchten. „Auch wenn viele neue Elektroautos zugelassen werden, wandelt sich der Bestand nur langsam“, gibt Autoexperte Dudenhöffer zu bedenken. „Nach meiner Einschätzung fahren im Jahr 2030 auf deutschen Straßen noch mehr als 75 Prozent als Verbrenner.“

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