Ökonom Axel Ockenfels kritisiert EU-Klimaziele vor Weltklimakonferenz

Die EU steigt unter schlechten Vorzeichen in die Verhandlungen auf der Weltklimakonferenz ein, die Ende dieser Woche in Glasgow beginnt. Das ist die Einschätzung des Kölner Verhaltensökonomen Axel Ockenfels. „Wenn man auf die nächste Weltklimakonferenz fährt und dort erklärt, dass die Klimaziele unabhängig von dem Verhalten anderer Länder bereits feststehen, gibt man Verhandlungsmacht aus der Hand“, sagte Ockenfels dem Handelsblatt.

„Bei manchen Signalen bekommt man den Eindruck, es gehe darum, wer sich zu Hause als Klimabester präsentieren kann“, kritisierte Ockenfels. „Künftige Generationen werden uns nicht fragen, welche nationalen Ziele wir uns überlegt haben, sondern was wir beigetragen haben, um die dramatische globale Entwicklung der Emissionen zu stoppen. Dafür müssen wir versuchen, andere Länder zum Mitmachen zu bewegen. Nichts ist wichtiger“, sagte er.

Ockenfels warnte: Einseitige Maßnahmen könnten sogar kontraproduktiv sein, „wenn beispielsweise schmutzige Aktivitäten ins Ausland wandern oder wenn die national eingesparten fossilen Brennstoffe in andere Regionen der Welt umgeleitet werden“.

Top-Jobs des Tages

Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Die Europäer sind in den vergangenen Jahren mit ehrgeizigen Klimaschutzzielen vorangegangen und haben diese Ziele erst vor Kurzem wieder erhöht. Gewinnt man so Nachahmer?
Schauen wir auf das große Bild: Die globalen CO2-Emissionen steigen und steigen, und das fast ungebremst, wie noch vor Ausbruch der Coronapandemie das UN-Umweltprogramm festgestellt hat. Dabei müssten sie drastisch fallen, wenn die Pariser Ziele erreicht werden sollen. Auch der Coronaeinbruch wird kaum einen Unterschied machen. Schon in diesem Jahr steigen die globalen CO2-Emissionen um sehr viel mehr, als ganz Deutschland ausstößt, und die nächsten Jahre drohen neue Rekordstände. Damit kann eigentlich niemand zufrieden sein.

Heißt das im Umkehrschluss, dass alle Bemühungen nutzlos sind und man sie darum einstellen kann?
Nein, das heißt es ganz und gar nicht. Doch ist es Zeit, einmal genauer nachzufragen, woran die Klimapolitik eigentlich scheitert. Ob Rio, Kyoto oder Kopenhagen – die Weltgemeinschaft reagiert seit Jahrzehnten auf steigende Emissionen mit ambitionierteren Zielen, doch Ziele reduzieren noch keine Treibhausgasemissionen. Und die verstreuten nationalen Bemühungen haben der globalen Entwicklung offenbar nicht genug entgegenzusetzen.

Mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 ist man doch der Umsetzung ein gutes Stück nähergekommen.
Das kann man auch anders sehen. Der Durchbruch in Paris war, dass man sich auf ein globales Ziel geeinigt hat. Doch das ist für sich genommen nicht allzu viel wert, wenn jedes Land für sich selbst entscheidet, ob und was es altruistisch zum Ziel beitragen möchte. Solange kein Land in die Pflicht genommen wird, kann Paris das Kooperationsproblem nicht lösen. Und so ist es ja auch gekommen. Selbst, wenn alle nationalen Absichtserklärungen voll umgesetzt würden – woran es Zweifel gibt –, wird das globale Ziel weit verfehlt. Vielerorts gilt das Prinzip: Sollen sich doch die anderen anstrengen und die Kosten tragen.

Axel Ockenfels

Der Wirtschaftswissenschaftler lehrt seit 2003 als Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität zu Köln.


(Foto: privat)

Gibt es denn keinen Altruismus, also keinerlei Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit?

Natürlich ist nicht alles Handeln egoistisch motiviert. Doch die Klimaanstrengungen konzentrieren sich im Wesentlichen auf reiche Länder, und selbst dort sind sie unzureichend. Der Rest hält sich eher zurück, und nicht allen armen Ländern kann man das verdenken. Altruismus allein wird jedenfalls den Klimawandel nicht stoppen können. Es käme ja auch niemand auf die Idee, die Bereitstellung von Straßen, Schulen, Polizei und Müllabfuhr der Spendenbereitschaft der Menschen zu überlassen. Sicher würde es ein paar Spender geben. Doch ein Land, das sich bei seinen Kollektivgütern auf Altruismus verlässt, würde im Chaos versinken.

Welche Strategie empfehlen Sie?
Ein Fehler ist, dass wir uns in der Klimapolitik ganz auf nationale und regionale Ziele fokussieren. Dabei sagt uns die Klimawissenschaft, dass es auf die globalen Treibhausgasemissionen ankommt. Aus Anreizperspektive erfordern nationale und globale Ziele aber ganz unterschiedliche Maßnahmen.

Ist es denn nicht richtig, vor der eigenen Haustür zu kehren?
Doch, ist es. Aber wir sollten uns dazu mit unseren Nachbarn verabreden. Kooperation entsteht durch eine gemeinsame Verpflichtung. Das gilt besonders für die Klimapolitik, wo unilaterale Maßnahmen sogar kontraproduktiv sein können, wenn beispielsweise schmutzige Aktivitäten ins Ausland wandern oder wenn die national eingesparten fossilen Brennstoffe in andere Regionen der Welt umgeleitet werden. In solchen Fällen subventionieren die Anstrengungen der Klima-Altruisten einfach nur die CO2-Emissionen der Klima-Egoisten. Dazu kommen verhandlungsstrategische Nachteile. Wenn man auf die nächste Weltklimakonferenz fährt und dort erklärt, dass die Klimaziele unabhängig von dem Verhalten anderer Länder bereits feststehen, gibt man Verhandlungsmacht aus der Hand, mit der man weniger altruistische Länder zum gemeinsamen Handeln bewegen könnte.

Aber ist es nicht dennoch das richtige Signal der Europäer, sich vor der nächsten Weltklimakonferenz zu ehrgeizigen Zielen zu bekennen?
Bei manchen Signalen bekommt man den Eindruck, es gehe darum, wer sich zu Hause als Klimabester präsentieren kann. Ich vermisse Signale, die andere Länder zum Mitmachen motivieren.

Fridays for Future in Berlin

Die Klimaaktivisten wollen, dass die internationale Staatengemeinschaft das Pariser Klimaziel einhält.


(Foto: AP)

Wenn beispielsweise Deutschland zeigt, wie man Klimaschutz im eigenen Land betreiben kann, kann das ein Muster für die ganz Welt sein.
Deutschland kann beim internationalen Klimaschutz eine gewichtige Rolle spielen. Aber wird Deutschland dieser Verantwortung wirklich am besten durch nationale jahres- und sektorscharfe CO2-Reduktionsziele gerecht? Ich bezweifle das. Selbst wenn wir die Ziele erreichen sollten, können diese für sich genommen den Klimawandel bestenfalls etwas verlangsamen.

Und aus Sicht der Kooperationsforschung gibt es leider wenig Grund für die Hoffnung, dass ein Vorreiter andere Länder zu mehr Kooperation bewegt: Die Erfahrung etwa mit dem Kyoto-Protokoll bestätigt, dass Egoismus oft ansteckender ist als Altruismus. Es wäre also leichtfertig, alle Hoffnung nur auf dieses Narrativ zu setzen. Deshalb muss unser Altruismus effektiver werden.

Das müssen Sie genauer erklären.
Ich versuche es mit einem Vergleich: Entwicklungshilfepolitik hat jahrzehntelang den Menschen in Entwicklungsländern nur mäßig geholfen. Viele Milliarden Euro sind in bester Absicht und mit hehren moralischen Ansprüchen geflossen. Die Ergebnisse waren jedoch oft deprimierend. Seit man Armut aber als Problem erkannt hat, das man ganz rational und datenbasiert bekämpfen kann, gab es spektakuläre Fortschritte.

Was heißt das mit Blick auf den Klimaschutz?
Wir müssen Gutes besser tun. Künftige Generationen werden uns nicht fragen, welche nationalen Ziele wir uns überlegt haben, sondern was wir beigetragen haben, um die dramatische globale Entwicklung der Emissionen zu stoppen. Dafür müssen wir versuchen, andere Länder zum Mitmachen zu bewegen. Nichts ist wichtiger. Wenn das nicht gelingt, droht unsere selbstzentrierte Klimapolitik zu scheitern.

Wie bringt man andere Länder dazu mitzuziehen?
Die wichtigste Einsicht ist, dass Kooperation eine reziproke Verpflichtung erfordert. Reziprozität ist das zentrale Prinzip, weil es Kooperationswillige vor Trittbrettfahrern schützt und zugleich die Unwilligen motiviert, zum gemeinsamen Ziel beizutragen. Das gilt im Kleinen, beim Abwasch in der WG, wie im Großen. Alle effektiven internationalen Abkommen haben das gemein. Nehmen Sie Handelsabkommen. Kein Land der Welt käme auf die Idee, einseitig Zölle abzuschaffen in der Hoffnung, dass andere Länder dem Vorbild schon folgen werden und ihre Zölle ebenfalls senken. Nein, es funktioniert anders: Ein Land knüpft seine Senkung von Zöllen an die Bedingung, dass andere Länder die Zölle ebenfalls senken. Dasselbe lässt sich für Abkommen zur Rüstungsbegrenzung oder zur Mindestbesteuerung von Unternehmen sagen. Nur in der Klimadiplomatie wird darauf weitgehend verzichtet.

Weist die Idee eines Klimaklubs, in dem sich mehrere Länder verbindlich zum Klimaschutz verpflichten, in die richtige Richtung?
Ja, durchaus, solange es eine gemeinsame, reziproke Verpflichtung gibt. Reziprozität kann dabei natürlich auch bedeuten, dass ärmere Länder im Gegenzug zur Einhaltung ihrer Klimaverpflichtungen finanzielle Zuwendungen erhalten. Auch ist es weder nötig noch empfehlenswert, von Anfang an alle Länder einbeziehen zu wollen. Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn ein Klub der Willigen den Anfang macht.

Und würden dann beispielsweise auch die Chinesen mitmachen?
China weist oft darauf hin, dass der Klimawandel eine Gemeinschaftsaufgabe ist, und China weiß, dass ein Klimaklub die beste Chance hat, wenn es selbst mitmacht. Auf der anderen Seite ist internationale Kooperation kein Selbstläufer, und der Teufel steckt im Detail. Doch wir sollten es versuchen. Es geht schließlich um sehr viel.

Kohlekraftwerk in China

Haben internationale Bemühungen für mehr Klimaschutz Erfolg? Das hängt auch vom Handeln Chinas ab.

(Foto: Reuters)

Wie könnte denn eine gemeinsame Verpflichtung in einem Klimaklub aussehen?
Dafür gibt es viele Blaupausen. Die vielversprechendsten basieren auf einem international koordinierten CO2-Mindestpreis. Ein CO2-Preis ist nämlich leichter zu verhandeln als eine lange Liste von Emissionsbudgets für die verschiedenen Länder. Er ist auch flexibel, weil er durch direkte Bepreisung oder Emissionshandel implementiert werden kann, und er kann sozial und fair ausgestaltet werden, weil er Einnahmen generiert. Schließlich erlauben CO2-Preispolitiken von Anfang an die Vergleichbarkeit der nationalen Anstrengungen, was die Reziprozität und die tatsächliche Durchsetzung der Ziele erleichtert.

Ökonomen empfehlen schon lange einen CO2-Preis.
Ja. Der übliche Grund ist, dass mit einer CO2-Bepreisung Klimaziele zu geringen volkswirtschaftlichen Kosten erreicht werden können. Beim Klimaklub geht es aber um etwas Wichtigeres: Die wahre Herausforderung ist angesichts der weltweit steigenden Emissionen ja nicht die mangelnde Effizienz der deutschen oder der europäischen CO2-Vermeidung, sondern das internationale Kooperationsversagen. Die Botschaft für die Klimapolitik ist, dass auch für diese Herausforderung die CO2-Bepreisung der richtige Weg ist.

Die EU strebt einen CO2-Grenzausgleich an. Was halten Sie von diesem Instrument?
Die Idee klingt zunächst mal gut. Die Väter und Mütter der Idee sagen: Wenn ihr selbst eure CO2-Emissionen nicht bepreist, dann werden wir das für euch an unserer Grenze tun und die Einnahmen generieren, die euch dann entgehen. Das schützt unsere Wirtschaft und unsere Klimapolitik gegen den Rest der Welt.

Was spricht dagegen, so zu verfahren?
Die meisten Ökonomen sind sehr skeptisch, dass die Ziele, die die EU mit dem Grenzausgleich verbindet, auch erreicht werden können. Wichtiger ist aber, dass es der internationalen Kooperation und dem Klima kaum helfen dürfte, eine europäische Klimafestung zu etablieren und abzuschotten. Schützenswert wäre dagegen ein Klimaklub mit beispielsweise Europa, USA und China. Andere werden sich einem solchen Klimaklub dann kaum mehr entziehen können. Dann wären Klima und Wirtschaft gleichermaßen geholfen.

Was kann Deutschland jenseits der Idee eines Klimaklubs tun?
Da gibt es einiges. Die beste Chance, den Klimawandel notfalls auch durch einseitige Maßnahmen aufzuhalten, ist die Förderung von Technologie und Innovation. Wenn es gelingt, zuverlässige grüne Energie zu entwickeln, die billiger ist als fossile Energie, wäre es fortan im Eigeninteresse aller Länder und Unternehmen, die fossilen Ressourcen in der Erde zu lassen. Klimapolitik, Kooperation und internationale Verhandlungen wären weitgehend überflüssig. Dazu kommt, dass jeder Technologiefortschritt auch internationale Kooperation wahrscheinlicher macht, weil sie bezahlbarer wird. Daher könnte Deutschland mit einer Art Manhattan-Projekt für Klimainnovationen im Vergleich zu manch anderer regionaler Klimapolitik die Chance gewaltig erhöhen, einen spürbaren Unterschied im Kampf gegen den Klimawandel machen zu können.

Hilft persönlicher Verzicht?
Jeder weiß, dass es guttun kann, seinen Lebensstil zu überdenken und zu verändern. Nicht jeder Konsum macht glücklich. Klimaschutz erfordert aber mehr, auch deswegen, weil leider auch private Bemühungen CO2-Emissionen oft einfach nur woanders hin verdrängen. Manche Strategien können dem entgegenwirken: Anbieter wie Compensators.org, die im Auftrag Emissionsberechtigungen kaufen und stilllegen, sorgen etwa dafür, dass der berüchtigte Wasserbetteffekt im Emissionshandel nicht alle Bemühungen wieder wettmacht. Am Ende des Tages kommt es aber auf die kollektiven Maßnahmen an. Wenn wir gemeinsam dem Klimawandel Einhalt gebieten, stellt sich auch die Frage nach dem persönlichen Verzicht nicht mehr. Dann geht es uns allen besser.

Herr Ockenfels, vielen Dank für dieses Interview.

Mehr: Klamme Klima-Start-ups: Den Technologien der Zukunft fehlt Kapital

.
source site