Offshore-Windstrom wird für Industrie deutlich teurer

Berlin Die jüngste Versteigerung von Lizenzen für den Betrieb von Offshore-Windparks endete mit einer kleinen Sensation: Die erfolgreichen Bieter waren bereit, insgesamt 12,6 Milliarden Euro zu zahlen, um den Zuschlag für Felder im deutschen Teil von Nord- und Ostsee zu bekommen.

Für die künftigen Kunden der Windparkbetreiber ist das keine gute Nachricht. Sie werden nach Einschätzung von Fachleuten kräftig draufzahlen müssen: „Der einzelne Kunde aus der Industrie, der mit einem der Betreiber der Windparks aus dieser Auktionsrunde einen Vertrag abschließt, dürfte mit deutlich höheren Strompreisen konfrontiert werden“, sagte Dominik Hübler von Nera Economic Consulting dem Handelsblatt. Das stehe „in krassem Widerspruch zum Bestreben der Bundesregierung, der Industrie Zugang zu günstigem Strom aus erneuerbaren Quellen zu ermöglichen“, ergänzte er.

Tatsächlich arbeitet das Bundeswirtschaftsministerium an Modellen, die großen Stromverbrauchern aus der Industrie Zugang zu Strom aus Offshore-Windparks zu niedrigen Preisen ermöglichen sollen. Solche Modelle sind Bestandteil des Industriestrompreis-Konzepts des Ministeriums, für das sich Minister Robert Habeck (Grüne) seit Wochen einsetzt. Doch das aktuelle Auktionsergebnis führt in die entgegengesetzte Richtung.

„Unseren Berechnungen zufolge wird die Megawattstunde Strom aus einem der Windparks zwischen 24 Euro und 31,50 Euro teurer, wenn man die 12,6 Milliarden, die von den erfolgreichen Bietern zusätzlich aufgebracht werden müssen, auf eine Laufzeit von 20 Jahren verteilt“, sagte Hübler. Wenn man davon ausgehe, dass die reinen Stromgestehungskosten in den neuen Offshore-Windparks zwischen 50 und 80 Euro lägen, seien das „relevante Zusatzkosten“. Zur Einordnung: Vor der Energiepreiskrise war Strom im Großhandel über viele Jahre für 30 oder 40 Euro je Megawattstunde zu haben.

Dass Bieter für Flächen in Nord- und Ostsee in Deutschland Geld zahlen müssen, um den Zuschlag für eine Fläche zu bekommen, ist ein Novum. Mitte Juli war die Versteigerung von vier Flächen für die Offshore-Windkraft in Nord- und Ostsee mit einem Potenzial von sieben Gigawatt (GW) installierter Leistung zu Ende gegangen. Das entspricht der Leistung von sieben Atomkraftwerken. Die Gebiete liegen rund 120 Kilometer nordwestlich von Helgoland und 25 Kilometer nördlich von Rügen. Eine Ausschreibung in dieser Größenordnung ist global bislang ohne Vorbild.

BP und Total setzten sich durch

Zuvor war in der Versteigerung eine erste Gebotsrunde mit Geboten zu null Cent je Kilowattstunde abgeschlossen worden. Das heißt, dass in der ersten Gebotsrunde alle Bieter bereit waren, auf eine gesetzlich garantierte Vergütung je produzierter Kilowattstunde Strom zu verzichten. Daraufhin startete erstmals eine zweite Runde, das sogenannte „dynamische Gebotsverfahren“: Die Bieter mit der höchsten Zahlungsbereitschaft für eine Fläche erhielten dabei den Zuschlag.

Erfolgreiche Bieter waren die Mineralölkonzerne BP und Total. Nach Informationen des Handelsblatts hatten auch RWE, Orsted, EnBW zusammen mit Equinor und Baywa mit dem französischen Energiekonzern EdF geboten. Sie konnten sich gegen die zahlungskräftigen Mineralöl-Multis jedoch nicht durchsetzen.

Der Strom, der in den noch zu errichtenden Parks aus der jüngsten Ausschreibungsrunde produziert wird, wird nicht über den Strommarkt verwertet, sondern über direkte Abnahmeverträge zwischen Windparkbetreibern und einzelnen Unternehmen. Im Fachjargon heißen diese Verträge „Purchase Power Agreement“ (PPA). In der Industrie sind solche Verträge begehrt, weil sie den Weg zur Dekarbonisierung ebnen.

Kritik am Verfahren

Geregelt ist das Auktionsverfahren im Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG), das im vergangenen Jahr reformiert wurde. Gegen den zweiten Teil des Verfahrens, die „dynamische Gebotskomponente“, regt sich Widerstand, etwa aus der SPD-Bundestagsfraktion: „Es ist exakt das eingetreten, was wir verhindern wollten. Es ist zu einem Überbietungswettbewerb gekommen, der dazu führen wird, dass die Stromgestehungskosten höher ausfallen als nötig“, sagte Bengt Bergt, stellvertretender energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dem Handelsblatt.

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Die dynamische Gebotskomponente habe außerdem dazu geführt, dass nun Player auf den Markt gekommen seien, „die wir nicht kennen“. Leider sei es nicht mehrheitsfähig gewesen, die negative Gebotskomponente zu verhindern.

Sein Kollege Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, teilt die Kritik. Mineralölkonzerne hätten die Preise hochgetrieben. Damit werde die Stromerzeugung aus Offshore-Windkraft unnötig verteuert. „Diese Entwicklung darf sich nicht fortsetzen“, sagte Westphal.

Total wies indes vor wenigen Tagen die Kritik zurück, dass man sich den Zuschlag teuer erkauft hätte. Vorstandsvorsitzender Patrick Pouyanné sagte, man bewege sich genau im Rahmen der eigenen Ziele.

Die Industrie hatte das dynamische Gebotsverfahren schon im Gesetzgebungsprozess für das neue WindSeeG im vergangenen Jahr kritisiert. Christian Hartel, CEO des Wacker-Konzerns, hatte dem Handelsblatt gesagt: „Die unlimitierte Gebotskomponente wird die Kapitalkosten für die Finanzierung von Offshore-Windparks erhöhen. Und höhere Kapitalkosten führen zu höheren Stromgestehungskosten und damit zu höheren Preisen dieses CO2-freien Stroms für die energieintensive, transformationswillige Industrie.“

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Wenig tröstlich ist aus Sicht der Industrie, dass 90 Prozent der Auktionserlöse von 12,6 Milliarden Euro eingesetzt werden sollen, um die Offshore-Netzumlage zu senken. Denn diese Entlastung wird auf sämtliche Stromkunden umgelegt, die preisdämpfenden Effekte für den einzelnen Stromkunden dürften daher überschaubar bleiben.

Wie hoch sie sind, ist noch unklar: „Wie sich die Auktionserlöse konkret auf die Höhe der Offshore-Netzumlage niederschlagen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen“, heißt es etwa beim Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz. Die Offshore-Netzumlage ist Bestandteil der Stromrechnung, sie dient der Finanzierung der Offshore-Netzanschlüsse.

Außerdem sieht Nera-Experte Hübler bessere Verwendungsmöglichkeiten für die Auktionseinnahmen: „Man darf die Frage aufwerfen, ob das Geld mit der Entlastung der Übertragungsnetzentgelte gut angelegt ist“, sagt er. Die gesamte Lieferkette für den politisch gewollten Ausbau der Offshore-Windkraft ächze unter den enormen Herausforderungen. So fehle es beispielsweise an Hafenkapazitäten. „Da würden sich sinnvolle Verwendungsmöglichkeiten für das Geld ergeben“, sagte Hübler.

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