Düsseldorf In den vergangenen zwei Jahren war die Coronapandemie für die Impfstoffhersteller ein florierendes Geschäft. Jetzt deutet sich ein Verteilungskampf an: Der US-Konzern Moderna kritisiert eine Bevorzugung des deutschen Herstellers Biontech durch die Bundesregierung. „Wir sorgen uns um den fairen Wettbewerb in Deutschland“, sagte Gerald Wiegand, Deutschlandchef von Moderna, im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Zunächst hatte die Bundesregierung Lieferverträge für Covidimpfstoffe mit verschiedenen Herstellern geschlossen. Mittlerweile gibt es nur noch einen Vertrag mit dem Mainzer Unternehmen Biontech über insgesamt 44 Millionen Impfdosen bis 2025 – außerdem stehen noch 10,6 Millionen Lieferungen des Impfstoffs des Herstellers Novavax aus.
Die restlichen Hersteller fallen mit ihren Impfstoffen in die normale Regelversorgung, also die Beschaffung über den Markt. Das US-Unternehmen Moderna, das in der Pandemie nach Biontech in Deutschland am zweithäufigsten zum Zuge kam, dürfte in Zukunft deshalb wohl weitgehend leer ausgehen.
Anders als vom Bund beschaffte Impfstoffe, also in Zukunft nur noch das Biontech-Mittel, sind die Impfstoffe in der Regelversorgung für die Krankenkassen schließlich nicht kostenlos.
Die Kritik an der Beschaffungspolitik der Bundesregierung wird von Ärztinnen und Patientenschützern geteilt. Martin Danner, Sprecher der Patientenvertretung beim Gemeinsamen Bundesausschuss, sagt: „Biontech/Pfizer haben faktisch eine Monopolstellung, weil sie den Deal mit der Bundesregierung haben.“
Hersteller von Corona-Impfstoffen fahren inzwischen Verluste ein
Für Biontech ist der Liefervertrag mit der Regierung wichtig: Das Geschäft mit den Coronaimpfstoffen schrumpft immer weiter, im zweiten Quartal machte das Unternehmen mit 190 Millionen Euro erstmals seit 2020 wieder einen Verlust. Der Umsatz fiel verglichen mit dem Vorjahresquartal auf gerade einmal fünf Prozent. Bei Moderna sieht es ähnlich aus: Im zweiten Quartal 2023 verbuchte das US-Unternehmen ebenfalls erstmals seit 2020 wieder einen Verlust – er betrug 1,4 Milliarden Dollar. Der Umsatz lag bei sechs Prozent des Vorjahresquartals.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt derzeit jährliche Auffrischungsimpfungen für Personen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf – das sind unter anderem Personen über 60 Jahre – und für Personen, die ein erhöhtes Infektionsrisiko aufweisen, „vorzugsweise im Herbst“. Dementsprechend hätten 30 Millionen Deutsche einen Anspruch auf die Impfung.
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Die Empfehlung ähnelt dabei der für die Grippeimpfung: Zuletzt hatten sich 47 Prozent der über 60-Jährigen gegen Grippe impfen lassen, in den anderen Risikogruppen lag der Anteil niedriger. Die 14,2 Millionen Covid-19-Impfdosen, die der Staat in diesem Jahr von Biontech zentral beschafft, dürften für die Patienten, die sich impfen lassen, also vollends ausreichen – und die anderen Hersteller leer ausgehen.
Moderna: „Das sind keine fairen Marktvoraussetzungen“
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) verweist darauf, dass es „keine rechtlichen Hürden für den Markteintritt der anderen Impfstoffhersteller“ wie etwa Moderna gebe. Auch liege die konkrete Auswahl des Impfstoffs bei Ärztin und Patient – und hänge „von zahlreichen Faktoren“ wie etwa der Empfehlung der Stiko ab. „Dabei ist auch das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten“, so das BMG.
Und genau das ist das Problem für die Biontech-Konkurrenten: „Es ist unwirtschaftlich, wenn ein Arzt etwas zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet“, sagt Gesundheitsökonom Jürgen Wasem, der an der Universität Duisburg-Essen Medizinmanagement lehrt. Moderna sorgt sich also zu Recht, dass sein Vakzin nicht verschrieben wird.
Der GKV-Spitzenverband bestätigt auf Anfrage des Handelsblatts, dass zentral mit Steuermitteln beschaffte Impfstoffe eingesetzt werden sollten, wenn sie verfügbar sind. Moderna-Deutschlandchef Wiegand empört sich: „Das sind keine fairen Marktvoraussetzungen.“ Das Vorgehen habe das Potenzial, die Therapiefreiheit einzuschränken. Patientenvertreter Danner sorgt sich, dass der Eindruck einer „zwanghaften Einheitsimpfung“ entstehen könnte.
Warum beschafft die Bundesregierung ausgerechnet Biontech?
Ist der Impfstoff von Biontech besser als der von Moderna? Bisher gibt es keine Studien, die Vor- oder Nachteile von bestimmten Impfstoffen für bestimmte Patientengruppen zeigen. Auch Moderna-Deutschlandchef Wiegand ist „überzeugt von der Qualität“ seines Produkts.
Ist der Biontech-Impfstoff billiger? Auf die Frage antwortet das BMG nicht spezifisch und verweist an die EU-Kommission, die Abnahmeverpflichtungen mit den Pharmaunternehmen geschlossen hat. Die EU-Kommission verweist allerdings ihrerseits darauf, dass die spezifischen Lieferverträge direkt zwischen den EU-Staaten und den Unternehmen vereinbart würden. Bis zum 8. April 2023 wurden laut Zahlen des BMG 37,7 Millionen Dosen des Moderna-Impfstoffs ausgeliefert und 164,7 Millionen Dosen des Impfstoffs von Biontech und Pfizer.
Dass manche Verträge verlängert würden und andere nicht, könne etwa an Verfallsdaten und Verlängerungsklausen liegen, so die EU-Kommission. Dass der Bund zentral noch den Biontech-Impfstoff beschafft, lässt sich also am ehesten mit Vertragstreue erklären.
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Dass Impfstoffe nach dem Übergang der Pandemie in die Endemie noch zentral beschafft werden, stößt auf Unbehagen. „Es gibt derzeit keine Argumente, dass wir die Impfstoffe außerhalb der Regelversorgung einkaufen müssen“, sagt Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Facharzt für Innere Medizin.
Angepasste Corona-Impfstoffe sollen im Herbst kommen
Moderna will sich trotz der aus Sicht des Unternehmens unfairen Lage auf den Herbst vorbereiten: Seinen Impfstoff hat Moderna wie Biontech auch an die aktuelle XBB-Variante des Coronavirus angepasst, derzeit befinden sich beide Impfstoffe noch im Zulassungsverfahren. Im September rechnen sowohl Biontech als auch Moderna mit der Zulassung. „Im Herbst werden wir Deutschland und den Rest der Welt mit unserem Impfstoff versorgen“, sagt Wiegand.
Beide Hersteller bleiben vorsichtig optimistisch: Biontech rechnet damit, seine Anfang des Jahres getroffene Prognose zu erfüllen und fünf Milliarden Euro mit dem Impfstoff Comirnaty einzunehmen. Der US-Vertragspartner Pfizer will damit 13,5 Milliarden Dollar umsetzen.
Moderna möchte mit seinem Impfstoff Spikevax zwischen sechs und acht Milliarden Dollar umsetzen. Vier Milliarden Dollar sollen aus bereits angekündigten Lieferverträgen kommen, der Rest aus erwarteten kommerziellen Verträgen in den USA und anderen Märkten – wohl auch aus Deutschland und Europa. Derzeit versucht Moderna, mit der EU-Kommission zu einem Anschlussvertrag zu kommen.
Dennoch werde die Spanne der Verkäufe „in erster Linie durch die Größe des Covid-19-Marktes in den USA im Herbst 2023 bestimmt“, heißt es von Moderna. Die hänge von den Impfraten ab und betrage voraussichtlich zwischen 50 und 100 Millionen Dosen.
Die Vereinigten Staaten scheinen für Moderna mittlerweile auch wegen der gesetzlichen Regelungen attraktiver zu sein: Dort wurden die Covid-19-Impfstoffe bereits in die Regelversorgung überführt. „Die sind den ganzen Schritt gegangen – wir gehen ihn nur halb“, sagt Wiegand.
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