Kunden suchen Alternativen zum Chipdesigner

München In mehr als 99 Prozent aller Smartphones steckt Technologie des Chipdesigners Arm. Das erklären die Briten in ihrem gerade veröffentlichten Börsenprospekt. Das klingt nach grandiosem Erfolg, droht aber gleichzeitig zum größten Problem der Firma aus Cambridge zu werden. Viele Kunden fühlen sich Arm ausgeliefert – und versuchen daher, sich aus der Abhängigkeit zu befreien.

Gerade hat eine Handvoll Chipkonzerne ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet, das in Konkurrenz zu Arm treten soll. Ziel sei es, „die Kommerzialisierung künftiger Produkte auf Basis der Open-Source-Architektur RISC-V zu beschleunigen“. Es ist der wohl bislang bedeutendste Angriff auf Arm. „Die Industrie versucht, eine Alternative aufzubauen und so für Wettbewerb zu sorgen“, sagt Ondrej Burkacky, Chipexperte der Beratungsgesellschaft McKinsey.

Zu den Initiatoren gehört Qualcomm, der wichtigste Hersteller von Handychips weltweit und Großkunde von Arm. Darüber hinaus sind aus Deutschland Infineon und Bosch dabei. Auch Wettbewerber NXP hat sich dem Vorhaben angeschlossen.

Der Technologieinvestor Softbank will Arm in den kommenden Wochen an die Technologiebörse Nasdaq in New York bringen. „Die letzten Jahre sind sie sehr erfolgreich gewesen“, sagt Jan-Hinnerk Mohr, Chipspezialist der Beratungsfirma BCG. So habe der Konzern sein Portfolio clever erweitert: „Arm deckt inzwischen die gesamte Bandbreite der Prozessoren ab, von ganz einfachen Produkten fürs Internet der Dinge über die Smartphones bis hin zu Servern.“

Zu Volumen und Preis der Aktienplatzierung machte die Firma bislang keine Angaben. Der Finanzinformationsdienst Bloomberg rechnet mit einer Bewertung zwischen 60 und 70 Milliarden Dollar.

Angesichts der Flaute bei Börsengängen beobachten Unternehmen und Investoren sehr genau, wie sich Arm schlägt. So könnte der Chipdesigner eine höhere Bewertung erreichen als der Elektroautobauer Rivian, der beim Start auf dem Parkett 2021 auf eine Marktkapitalisierung von 70 Milliarden Dollar kam. Womöglich ist Arm sogar wertvoller als der Fahrdienstleister Uber, der im Jahr 2019 mit 75 Milliarden Dollar bewertet wurde.

Das Geschäft von Arm stagniert

Die Chip-Architektur der Briten hat sich in den vergangenen Jahren durchgesetzt, weil sie energieeffizient ist und Prozessoren heute in Millionen Geräte eingebaut werden. So erzielte der Konzern im abgelaufenen Geschäftsjahr, das im März endete, einen Gewinn von 524 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 2,68 Milliarden Dollar. Im Vorjahr waren es 549 Millionen Dollar Gewinn bei Erlösen von rund 2,7 Milliarden Dollar gewesen. Arm litt zuletzt unter dem schwachen Smartphone-Markt.

Es hat seinen Grund, dass die Kunden auf Distanz zu Arm gehen: Branchenkenner sprechen von zum Teil drastischen Preiserhöhungen im Vorfeld des Börsengangs. Das Geschäftsmodell war bislang einfach: Arm liefert die Baupläne für Prozessoren, also die Gehirne der Mobiltelefone und vieler anderer elektrischer Geräte. Dafür kassiert die Firma Gebühren, und zwar pro sogenanntem Rechenkern.

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Nun aber versucht Arm-Chef Rene Haas, die Preise am Wert der Endgeräte zu orientieren. Derselbe Chip im neuesten iPhone würde der Firma deutlich mehr einbringen als in einem günstigeren Gerät. Daher rumort es in der Chipindustrie. „Die große Frage ist: Schadet sich Arm selbst langfristig durch sein neues Lizenzmodell?“, sagt ein Insider, der nicht genannt werden will.

Manches Produkt lohne sich jetzt gar nicht mehr, klagt ein Industriemanager. Die Folge: „Wir diskutieren bei jedem Produkt, ob es sinnvoll ist, RISC-V einzusetzen“, sagte unlängst Lars Reger, Technikvorstand des Halbleiterkonzerns NXP, dem Handelsblatt.

RISC-V ist ein von der Universität Berkeley entwickelter Standard, der frei zugänglich ist. Bislang hat er keine große Verbreitung gefunden. „Der Marktanteil liegt noch bei unter einem Prozent“, sagt Burkacky von McKinsey. Es läuft zu wenig Software darauf, manche Patentfragen sind nicht endgültig geklärt. Aber die Preispolitik von Arm macht die Branche empfänglich für die kostenlose Alternative.

Die Briten sind sich bewusst, dass die Konkurrenz zunimmt. „Viele unserer Kunden sind auch große Befürworter der RISC-V-Architektur und verwandter Technologien“, heißt es im Kleingedruckten des Börsenprospekts. „Wenn die RISC-V-bezogene Technologie weiterentwickelt wird und die Marktunterstützung zunimmt, können sich unsere Kunden dafür entscheiden, diese kostenlose Open-Source-Architektur anstelle unserer Produkte zu verwenden.“

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Die auf Entwicklungstools spezialisierte Firma Lauterbach bestätigt eine sprunghaft wachsende Nachfrage nach RISC-V-Werkzeugen. Die Produkte des Mittelständlers kommen bei allen wichtigen Chipherstellern zum Einsatz. Die Bayern sind damit eine Art Frühindikator für Marktentwicklungen.

„Weltweit werden zunehmend RISC-V-Prozessoren für unterschiedliche Einsatzzwecke entwickelt und eingesetzt“, erklärt Geschäftsführer Norbert Weiss. Besonders starkes Interesse gebe es in China.

China ist eine Bedrohung für Arm

Das Geschäft dort ist die nächste Bedrohung für Arm: Weil RISC-V von Forschenden und Firmen rund um den Globus weiterentwickelt wird, entzieht es sich weitgehend politischer Einflussnahme. Das macht es für chinesische Chipfirmen interessant, die angesichts weitreichender US-Sanktionen von westlichem Know-how abgeschnitten werden.

„China hat ein enormes Interesse daran, stärker auf RISC-V zu setzen“, sagt Peter Fintl, Technologieexperte der Beratungsgesellschaft Capgemini. Arm erzielt eigenen Angaben zufolge ein Viertel vom Umsatz in dem Land.

Noch weiß niemand, ob dem alternativen Standard wirklich der Durchbruch gelingt. Aber eins scheint sicher: „Innerhalb der kommenden zwei bis fünf Jahre muss sich Arm auf deutlich mehr Konkurrenz durch RISC-V einstellen“, erklärt BCG-Experte Mohr.

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