„Krise als Chance“ – diese jungen Menschen haben in der Pandemie Neues gewagt

Preisverleihung in Berlin

Vordenkerinnen und Vordenker diskutierten über Digitalisierung und die Arbeitswelt von morgen.


(Foto: BCG)

Berlin Die digitale Zukunft dieses Landes, Führung in Zeiten von Homeoffice – und eine neue Unternehmenskultur: Mit diesen Themen beschäftigen sich sowohl Gründerinnen wie auch junge Führungskräfte und Visionäre aus den unterschiedlichsten Bereichen. Sie kamen am Montag in Berlin zusammen, als der neue Jahrgang der Vordenker-Initiative ausgezeichnet wurde, bei der das Handelsblatt und die Unternehmensberatung BCG jedes Jahr Menschen vorstellt, die in den vergangenen zwölf Monaten Bemerkenswertes geleistet haben.

Motto in diesem Jahr: „Die Krise als Chance: Wer in der Pandemie die Transformation vorangetrieben hat.“

Impulse dazu gab zunächst die Jury: Martina Rissmann, CFO von BCG, Christina Reuter, Head of DDMS bei Airbus, Patrick Staudacher, CFO von Lufthansa Airlines, Birgitta Wolff, ehemalige Präsidentin der Goethe-Universität Frankfurt, und Sebastian Matthes, Chefredakteur des Handelsblatts.

Die Vordenker haben „Lösungen für Probleme gefunden, die es vor der Krise nicht gab“, sagt Rissmann. „Es ist faszinierend zu erleben, wie schnell Antworten entwickelt werden.“ Matthes ergänzt: „Wir fokussieren uns zu oft auf die Menschen in der ersten Reihe, statt auf diejenigen zu blicken, die in Zukunft den Ton angeben werden.“

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Die Wirtschaft suche gerade die Antworten auf die Herausforderungen durch die Klimakrise, die Digitalisierung und die Pandemiebekämpfung. „Diese Probleme können wir nicht mit den Ideen von gestern lösen. Wir brauchen neue Ansätze und Ideen“, sagte der Handelsblatt-Chefredakteur.

Das hat auch Patrick Staudacher erlebt. Als der Manager im Mai 2020 seinen Posten als Finanzchef von Lufthansa Airlines antrat, waren mehrere Tausend Mitarbeiter in Kurzarbeit – und das Unternehmen stand am Abgrund. „Beruflich kam alles anders als erwartet“, sagt er. Eine Industrie, die nur von Wachstum lebte, beschäftigte sich plötzlich mit der Frage: „Wo parkt man 250 Flugzeuge?“

Keine Rückkehr in die alte Welt

Seitdem arbeitet Staudacher an Wegen, seine Mitarbeiter zu vernetzen. „Bis heute habe ich noch nicht alle Kolleginnen und Kollegen kennengelernt. Deshalb rufe ich mitunter einfach an und frage: Wie geht es dir eigentlich?“

Als Verantwortliche für die Themen Leadership war die BCG-Beraterin Rissmann für die Integration der Mitarbeiter im Homeoffice zuständig. „Es geht darum, Empathie und Nähe zu schaffen, ohne sich persönlich zu sehen“, sagt sie. Sie versuche vorzuleben, die eigenen Sorgen und Anliegen zu kommunizieren. Führungskräften empfiehlt sie, Kommunikation strukturierter zu durchdenken, statt sie dem Zufall zu überlassen. „Früher ist das an der Kaffeemaschine passiert.“

Die Zukunft der Arbeitswelt bewegte auch viele Besucher der Veranstaltung. Am Ende der Diskussion waren sich aber alle einig: Eine Rückkehr in die alte Welt werde es nicht geben. Aber eine nur noch virtuelle Arbeitswelt sei ebenso problematisch, weil der persönliche Kontakt, der Austausch – aber auch der Streit – wichtig sei für Kreativität und Innovationen.

Das gelte auch für die Wissenschaft, sagte Wolff. Die Hochschulen seien beim Thema Digitalisierung deutlich weiter als die Schulen, sagt sie. Die Technik sei vorhanden, die Tools nicht neu. Vor der Krise hätten sich einige Lehrende zwar nicht mit den Geräten vertraut gemacht. Das habe sich jedoch geändert, als es notwendig wurde.

Wolff will auch in Zukunft die digitalen Möglichkeiten nutzen, um die Präsenzlehre zu verbessern. Forschungseinrichtungen werden weiterhin den persönlichen Austausch brauchen – in einem neuen „Normal“. Der Krisenmodus dürfe nicht zu einem Dauerzustand werden. „Wir sollten weniger von Krise reden, sondern von Chance.“ Damit setzte sie den Ton des Abends.

Hier eine Auswahl der Preisträgerinnen und Preisträger:

Katrin Alberding

Gründerin Katrin Alberding

Die Digitalplattform Kenbi plant und dokumentiert den Arbeitsalltag von Pflegern.

Die Kenbi-Gründerin will den Pflegeberuf revolutionieren. 200 Beschäftigte versorgen gemeinsam mehr als 1000 Kundinnen und Kunden in drei Bundesländern an 21 Standorten. Die lokalen Teams organisieren sich selbst, das reduziert den Verwaltungsaufwand. Alberding will damit Nachwuchs anlocken – als wichtiges Mittel gegen den Pflegenotstand. Investoren glauben an ihr Vorhaben – sieben Millionen Euro konnte das Gründerteam schon einsammeln.

Julian Ambrozy

Julian Ambrozy

„Ich bekam über meinen Großvater mit, wie mühselig es war, auf Plattformen der Impfzentren die Formulare immer aufs Neue auszufüllen.“

Der Schüler aus Esslingen wollte eigentlich seinem Großvater einen Impftermin organisieren. Daraus wurde mehr: Ambrozy programmierte eine Impftermin-Suchmaschine, die seit April rund vier Millionen Menschen nutzten. Auch Hausärzte können freie Termine einstellen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lud den Zwölftklässler in seinen Sommerferien ins Schloss Bellevue ein – zum Dankesfest für Helfer in der Coronakrise.

Vanessa Stützle

Vanessa Stützle

Mit Douglas will sie die größte Beauty-&-Health-Plattform Europas schaffen.

Die Douglas-Digitalchefin arbeitet an einer Vision: Sie will die größte Beauty-&-Health-Plattform Europas schaffen. Stützle nennt sich selbst eine „notorische Überzeugungstäterin“, die nicht nur rationale Argumente bietet, sondern auch „emotionales Engagement“. Ihre Strategie hat Erfolg: „168 Partner mit 110.000 Produkten haben wir schon auf der Plattform integriert“, sagt sie.

Christophe Theys

Christophe Theys

„Wir sollten Lieferketten nachhaltiger und widerstandsfähiger machen.“

Christophe Theys will Lieferketten robuster und nachhaltiger gestalten. „Mein Ziel im Job ist es, mich überflüssig zu machen“, sagt der DHL-Datenspezialist mit Blick auf seine Rolle als digitaler Transformator. Zuletzt setzte er zweieinhalb Jahre lang in ganz Skandinavien die IT der Kontraktlogistiksparte der DHL neu auf, nun übernimmt er von Bonn aus die Rolle des Global Head of Data Analytics für DHL Supply Chain.

Gesa Miczaika

Gesa Miczaika

Sie ist Geschäftsführerin des Start-up-Investors Auxxo und geschäftsführendes Vorstandsmitglied im Bundesverband Deutsche Startups e. V.


(Foto: Pressebild)

Die Investorin sucht nach Anlagemöglichkeiten mit nachhaltigem Anspruch. Mit der Beteiligungsgesellschaft Auxxo will sie Deutschland zu einem Unternehmerinnenland machen. „Ich wollte immer wirtschaftlichen Erfolg haben und diesen auch für gute Zwecke einsetzen“, sagt Miczaika. Indem sie Kapital und Coaching Start-ups zur Verfügung stellt, die einen positiven sozialen Impact versprechen, vereint sie beide Ansprüche: Geld für Gutes.

Anne Latz

Anne Latz

Die Digitalisierung sieht sie als Chance, die medizinische Versorgung zu verbessern.


(Foto: privat)

Anne Latz ist promovierte Medizinerin und Ökonomin – und zählt so zur wachsenden Gruppe der „Digital Doctors“, die sich für innovative Geschäftsmodelle und Konzepte im Gesundheitswesen einsetzen. Seit zwei Jahren engagiert sie sich beim zur Gothaer Krankenversicherung gehörenden medizinischen Start-up Alley, das über eine App Patienten mit Gelenkschäden berät. Als „Chief Medical Officer“ erklärt Latz beispielsweise im Video, wie eine Hüftgelenksprothese eingesetzt wird. Die Digitalisierung sieht sie als Chance, die medizinische Versorgung zu verbessern.

Yannick Timmer

Yannick Timmer

„Meine Freunde können sich mich in keinem anderen Feld als der Volkswirtschaft vorstellen.“

Seine Visums-Angelegenheiten hat er mit einiger Mühe geregelt. Yannick Timmer zieht Ende September zurück nach Washington. Dort will er ein neues Kapitel aufschlagen. Der promovierte Volkswirt wird in die geldpolitische Abteilung der US-Notenbank Fed einziehen, nachdem er zuvor drei Jahre – nur wenige Straßenblocks entfernt – beim Internationalen Währungsfonds IWF makroökonomische Finanzfragen untersucht hat. Aus der Pandemie habe er gelernt: „Wir müssen unser Technologiedefizit beseitigen, wenn wir für künftige Krisen gewappnet sein wollen.“

Katharina Jünger

Katharina Jünger

Das Versprechen von Teleclinic: Arztgespräch, Rezept und Krankschreibung in Minuten per App.


(Foto: Teleclinic)

Mit der Teleclinic-App vernetzt Katharina Jünger Fachärzte mit Patienten in einem Videogespräch. „Bei uns bleibt man zu Hause und bekommt binnen 30 Minuten einen Facharzt zugewiesen“, sagt sie. Der Patient füllt online einen Anamnesebogen aus, die Behandlung findet per Videokonferenz statt. „In der Corona-Pandemie wurden wir förmlich überrollt“, sagt Jünger. In der ersten Welle im April 2020 wuchs das Aufkommen um 50 Prozent pro Woche.

Christopher Reiners

Christopher Reiners

Er hat eine Plattform gebaut, auf der ehrenamtlich Nachhilfestunden vermittelt werden.


(Foto: privat)

Mit einem ehrenamtlichen Team vermittelt Christopher Reiners kostenlose Nachhilfestunden. „In meinem Umfeld halfen Medizinstudenten freiwillig im Krankenhaus, da haben meine Freunde und ich überlegt, ob wir als Mathematiker auch etwas Hilfreiches in der Krise leisten können“, erzählt der 23-Jährige. Die Idee: Man könnte eine Plattform bauen, auf der ehrenamtlich Nachhilfestunden vermittelt werden. Den Matching-Algorithmus, der Angebot und Nachfrage zusammenführt, hat das Team selbst entwickelt.

Rouven Morato

Rouven Morato

„Ich finde es sehr spannend, Dinge zu machen, die Impact haben – und dafür das Vertrauen des Vorstands zu bekommen.“

Rouven Morato lenkt den jungen Geschäftsbereich Business Process Intelligence bei SAP (BPI). „Wir helfen Unternehmen, die digitale Transformation auf operative Prozesse zu übersetzen“, erläutert Morato. „Wenn Unternehmen nicht ihre Business-Prozesse insgesamt angehen, werden sie nichts verändern können, und dabei unterstützen wir sie mit BPI.“ Das sei im Zuge der beschleunigten Digitalisierung entscheidend für den Markterfolg. Die Coronakrise habe dazu beigetragen, das Tempo zu erhöhen. Für den Erfolg von BPI spielt Teamgeist laut Morato eine überragende Rolle. „Da hat mich der Mannschaftssport mitgeprägt, das ist quasi in meinen Genen verankert – man muss persönliche Egos hintanstellen“, sagt Morato, der früher Fußball gespielt hat.

Chris Bieri

Chris Bieri

Auch leere Hotelzimmer oder Bars ließen sich als Ausweichbüros im Lockdown über Seatti buchen.

Chris Bieri ist Co-Gründer des Start-ups Seatti. Seine Software hilft Unternehmen, Teams ortsunabhängig zu vernetzen – und Büroauslastungen flexibel zu steuern.

Schon während seiner Arbeit für Tesla 2018 hatte Bieri eine Idee: „Das praktizierte Desk-Sharing ist ja modern, aber mit einem Tool müsste es viel leichter gehen.“ Im Frühjahr 2020 ließ der Wirtschaftswissenschaftler der Idee Taten folgen: Er entwickelte eine Software für Unternehmen, die Teams zu Hause und im Büro besser verbinden können. Flexible Arbeitsplätze lassen sich auf smarte Weise buchen, Dashboards zeigen transparent, wer gerade an welchem Projekt arbeitet – das helfe auch beim Erhalt der sozialen Komponente des Zusammenarbeitens, sagt Bieri. Für spontane Meetings brauche es nicht mehr die Bürokaffeemaschine als Fixpunkt.

Die Seatti-Software fürs Desk-Booking und Office-Management traf den Bedarf in der Coronakrise. Unternehmen wie Osram und Sartorius nutzen das System weltweit. Ein Pluspunkt: Es lässt sich an Microsoft andocken.

Auch leere Hotelzimmer oder Bars ließen sich als Ausweichbüros im Lockdown über Seatti buchen. „Wir sind allerdings nicht nur eine Lösung für die Coronakrise“, sagt Bieri, der zwischen München und Berlin pendelt, in Sankt Gallen und Harvard studiert hat und auch den amerikanischen Pass besitzt. „Der Wunsch nach hybridem Arbeiten wird immer größer – und dabei geht die Nachfrage von Unternehmen wie Beschäftigten gleichermaßen aus.“ Seatti hat bereits 500.000 Euro Wagniskapital eingesammelt.

Katrin Dribbisch

Katrin Dribbisch

„Wir brauchen Empathie und clevere Lösungen in den Ämtern.“


(Foto: privat)

In Singapur und Australien forschte Katrin Dribbisch zur Einführung von Design Thinking als nutzerzentriertem Innovationsansatz in der Verwaltung. „Ich habe dort gesehen, dass es besser gehen kann als in Deutschland“, sagt sie. „Auch Großbritannien und Dänemark haben uns gegenüber einen Vorsprung.“ Dribbisch gründete das sogenannte Public Service Lab, einen ehrenamtlich betriebenen Thinktank, der sich zum Ziel gesetzt hat, inspirierende Beispiele für guten Verwaltungsservice bekannter zu machen. „Wir brauchen Empathie und clevere Lösungen in den Ämtern“, sagt sie.

Saad Saeed

Saad Saeed

Er baute während der Pandemie den Lebensmittel-Lieferdienst Flink mit auf.


(Foto: privat)

Mitten in der Pandemie hat Saad Saeed mit Flink einen Lebensmittel-Lieferdienst in drei Ländern mit aufgebaut. Die Idee hat er persönlich auf Validität überprüft – als Kurier in Hamburg.
Saeed hat an der Universität Bremen Elektrotechnik und Informatik studiert, danach bei Kreditech als Portfoliomanager gearbeitet und neben Flink den Online-Supermarkt Pickery gegründet. Als technischer Direktor ist er ausgestiegen. „Ich bleibe in einer beratenden Rolle und freue mich, als Angel-Investor aufstrebende Start-ups zu fördern und neue Abenteuer zu beginnen“, sagt er.

Michael Siebers

Michael Siebers

Er hat eine Plattform für Ferienhäuser entwickelt.


(Foto: privat)

Mit seinem Bruder entwickelte Michael Siebers eine Plattform für Ferienhäuser, über die Vermieter und Urlauber zuverlässig zusammenfinden können. Die Idee entstand während der Vorbereitung eines Surftrips: „Wir wollten nach Peniche und suchten nach Ferienhäusern“, erinnert sich Michael Siebers. „Uns fiel auf, dass dieselben Häuser auf zig Portalen auftauchten. Aber mal als frei gemeldet, mal als belegt.“ Sie entdeckten die Marktlücke und entwickelten „Holidu“.

Julia Römer

Coolar-Gründerin Julia Römer

„Die nächste große Aufgabe ist es, unseren Prototypen in ein Produkt umzusetzen.“

Noch heißen die Schränke intern „Kühli 1, 2 oder 3“, doch bald werden die Prototypen auch für den nahenden Marktauftritt getauft. Dass sie funktionieren, davon kann man sich in der Werkstatt von Julia Römers Start-up Coolar überzeugen. Bei bis zu 43 Grad Außentemperatur hält der Kühlschrank im Inneren zuverlässig die Temperatur zwischen zwei und acht Grad Celsius. Damit ist er prädestiniert, in heißen Gegenden der Welt wie Afrika die Kühlung von Medikamenten und Impfstoffen zu gewährleisten.

Mehr: Arbeitsplatz-Revoluzzer Bieri: „Homeoffice ist erst der Anfang“

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