Inflation stürzt türkischen Tourismus in die Krise

Kabak Das Boutique-Hotel „Olive Garden“ war bisher wegen seiner spektakulären Lage ein wahrer Touristenmagnet. Selbst Gäste aus anderen Unterkünften kamen vorbei, um im Pool mit Meerblick zu schwimmen und anschließend im hoteleigenen Restaurant zu essen.

In diesem Sommer ist vieles anders. So muss sich Hotelinhaber Fatih Canözü häufig mit seinen eigenen Übernachtungsgästen zufriedengeben. Der erwartete Ansturm bleibt aus.

Das Hauptproblem sei die aktuelle Wirtschaftspolitik der Regierung in Ankara, sagt der 43-jährige Hotelbesitzer aus Kabak. „Wir müssen die Preise anheben, weil unsere Kosten für Personal, Mahlzeiten und Renovierungen immer weiter steigen.“ Es bleibe ihm nichts anderes übrig, als den wachsenden Kostendruck an die Kunden weiterzugeben. „Und dann wird es für manche einfach zu teuer.“

Mit ihren großen Stränden im Westen und Süden des Landes war die Türkei lange bekannt als Paradies für Pauschalreisende, denen viel an einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis liegt.

Doch damit scheint es vorerst vorbei zu sein. Schuld ist die massive Inflation in der Türkei. Zuletzt hat die Geldentwertung wieder Fahrt aufgenommen, derzeit liegt sie bei mehr als 50 Prozent – und hinterlässt längst auch in der Tourismusbranche ihre Spuren.

Das Hotel Olive Garden im türkischen Küstenort Kabak

Hoteliers und Reiseveranstalter im Land kämpfen mit hohen Preisen und hohen Erwartungen der Regierung.

Nach Angaben des Datendienstleisters STR Global stieg der Tagespreis der Hotelzimmer in Antalya im Vergleich zum Vorjahr um 37,4 Prozent auf durchschnittlich 110 Euro an, in der Wirtschaftsmetropole Istanbul bezahlt man sogar mittlerweile 138 Euro. Der europäische Durchschnitt liegt mit etwa 140 Euro nur noch knapp darüber.

Die Entwicklung ist neu – und hat viele europäische Touristen überrascht. Noch in der Wintersaison hatten deutsche Reiseveranstalter mit günstigen Langzeitangeboten in der Türkei geworben, für unter 1000 Euro konnte man all-inclusive einen Monat an der türkischen Riviera verbringen. Der Aufenthalt sollte unterm Strich günstiger sein als ein Leben in Deutschland, wo die Heizkosten wegen der Energiekrise immer weiter kletterten.

Blaue Moschee, Istanbul

Gerade in der Wirtschaftsmetropole Istanbul sind die Hotelpreise stark gestiegen. Leidtragende sind vor allem Touristen.

(Foto: AP)

Hamit Kuk, Vorstandsmitglied des Verbands türkischer Reiseveranstalter (Türsab), warnt vor gravierenden Wettbewerbsnachteilen. Die türkische Inflation sei höher als die der großen Konkurrenten Spanien und Griechenland. „Auch russische Touristen, die wegen der Sanktionen nach Beginn des Ukrainekriegs nicht mehr in europäische Urlaubsländer reisen dürfen, bevorzugen aufgrund der gestiegenen Preise mittlerweile Ägypten.“

Das liege auch am Rubel-Verfall. „Viele Russen haben mit der Buchung ihres Urlaubs bis zur letzten Minute gewartet, und dann haben sie sich über die Preise gewundert“, sagt der Tourismusmanager. Er fürchtet, dass das Problem in der Sommersaison 2024 noch größer werden könnte. „Hohe Preise wirken sich auf Buchungen im Folgejahr aus, vor allem bei Frühbuchern.“

Reisen in die Türkei: Zahl der Touristen sinkt massiv

Auch Taras Kobischtschanow, Vizepräsident des russischen Reiseveranstalterverbands (Ator), sprach das Problem in einem Interview mit der türkischen Wirtschaftszeitung „Ekonomim“ an. Noch im vergangenen Jahr seien 5,2 Millionen Russen in die Türkei gekommen, in diesem Jahr werde die Zahl auf vier Millionen sinken.

Dabei sind die Einnahmen aus dem Tourismus für die Türkei von zentraler Bedeutung. Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Regierung konzentrieren sich darauf, das hartnäckige Leistungsbilanzdefizit zu reduzieren, um die Inflation endlich in den Griff zu bekommen.

Der touristische Nach-Corona-Boom im vergangenen Jahr hatte noch Begehrlichkeiten geweckt, man schraubte die Erwartungen nach oben. In diesem Jahr sollte die Branche 56 Milliarden Dollar einnehmen, für 2028 peilt Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy sogar 100 Milliarden Dollar Umsatz an.

Doch der Sektor bleibt weit hinter seinen Erwartungen zurück. 19,62 Millionen Ausländer bereisten zwischen Januar und Juni die Türkei, sie gaben 21,7 Milliarden US-Dollar aus, gab Ersoy Anfang August bekannt.

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„Wir haben lange vor zu hohen Preissteigerungen gewarnt“, betont Deniz Ugur, der den auf Türkeiurlaube spezialisierten Reiseveranstalter Bentur leitet. Zum Jahreswechsel habe es eine „starke Frühbucherphase“ gegeben, obwohl die Preise schon damals nicht gerade niedrig gewesen seien. „Die Steigerungen wurden mit hoher Nachfrage und den gestiegenen Kosten für Energie und Löhne gerechtfertigt.“

Ugur verweist auf den Nach-Corona-Effekt in der Sommersaison 2022. „Die Türkei hat davon stark profitiert.“ Viele Hoteliers hätten darauf spekuliert, dass sich dieser Boom 2023 fortsetzen werde. „Doch das war ein Irrtum“, meint Ugur.
Die Zahlen geben ihm recht. Laut Tourism Databank stiegen die Übernachtungszahlen in Griechenland gegenüber dem Vorjahr besonders stark an, und zwar um 143 Prozent. Italien (58 Prozent), Frankreich (45 Prozent) und Spanien (35 Prozent) liegen dahinter. Nur in der Türkei ging die Zahl der Hotelübernachtungen um acht Prozent zurück.

Tatsächlich ist der Kampf um die Reisenden hart, und das ehemalige Preis-Leistungs-Paradies Türkei zieht derzeit häufig den Kürzeren. Laut einem Vergleich der britischen Verbrauchervereinigung kostet die günstigste wöchentliche Pauschalreise in der Sommersaison in Spanien rund 807 Euro. Die Türkei ist mit 932 Euro mehr als 120 Euro teurer.

Altstadt von Kalkan

Viele Händler klagen über Umsatzeinbußen.

(Foto: mauritius images / robertharding)

Hotels müssten inzwischen das Doppelte für Energie, Verpflegung und Löhne ausgeben, meint Mete Vardar, Vorstandsvorsitzender des türkischen Reiseveranstalters Jolly Tur. Allein die Energiekosten seien um 180 Prozent gestiegen.

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Die hohen Preise setzen sich bei den Ausflugsprogrammen fort. Eine Untersuchung der Ticket-Suchmaschine Ticketlens hat ergeben, dass weltweit die Preise für Touren und Eintrittskarten in den vergangenen vier Jahren im Schnitt um 18 Prozent gestiegen seien. Die Türkei führt das Ranking dabei an mit einem durchschnittlichen Anstieg von über 35 Prozent.

So kostet ein Besuch im neuen historischen Museum der Istanbuler Ayasofya-Moschee 1000 Lira, umgerechnet 34 Euro. Zum Vergleich: Das British Museum in London nimmt keinen Eintritt, der Zugang zum Pergamonmuseum in Berlin kostet derzeit zwölf Euro, zum Louvre in Paris 15 bis 17 Euro.

Preisnachlässe bei Reise für Kurzentschlossene

Um doch noch Umsatz zu generieren, werben viele Veranstalter nun mit Preisnachlässigen um Kurzentschlossene. Seit Anfang Juli sei erstmals seit Jahren das Last-minute-Geschäft wieder gut gelaufen, sagt Bentur-Chef Ugur. „Für uns als Reiseveranstalter war das gut, für den Hotelier könnte es aber ein Verlustgeschäft gewesen sein.“

Schon jetzt reagieren einige Unternehmen aus dem Sektor auf die Entwicklungen. So haben die britische Fluggesellschaft Easyjet und Wizz Air aus Ungarn für den kommenden Winter mehrere Flüge nach Antalya und Dalaman gestrichen.

Ein weiterer Grund für die Flaute dürften Boykottaufrufe aus dem arabischen Raum sein. In den vergangenen Jahren kamen immer mehr Gäste aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien sowie Katar an die Strände der türkischen Riviera. Ein kaufkräftiges Publikum, das auch außerhalb der Hotels viel Geld ausgab.

Doch im zurückliegenden Wahlkampf der Präsidentschaftswahlen hatten vor allem oppositionelle türkische Parteien gefordert, Migranten und Touristen aus dem arabischen Raum die Einreise zu erschweren.

In sozialen Medien rufen seitdem viele bekannte Araber zum Boykott auf und warnen vor angeblichen Gefahren einer Türkeireise. Eine internationale Delegation islamischer Gelehrter reiste eigens in die türkische Hauptstadt und traf sich mit Staatschef Erdogan, um das Problem an höchster Stelle zu besprechen.

Bentur-Chef Deniz Ugur fordert neue Konzepte der Branche, um die Krise zu bewältigen. All-inclusive-Hotels hätten zum Beispiel immer noch häufig alle alkoholischen Sorten im Sortiment, obwohl gerade Schnaps, Wein und das Nationalgetränk Raki durch Steuererhöhungen immer teurer geworden seien. Ugur fordert, solche Spirituosen aus dem Angebot zu nehmen. „Wir brauchen günstigere Basispreise“, sagt er.

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