Bangkok Es riecht nach frischer Farbe in Indiens Hauptstadt. Wenige Tage vor dem Gipfeltreffen der größten Industrie- und Schwellenländer in Neu-Delhi streichen junge Männer in der Nähe des Regierungsviertels einen heruntergekommenen Straßenzug rubinrot an.
Es ist nicht die einzige notdürftige Verschönerungsaktion vor dem Eintreffen der Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten. Entlang der Hauptstraßen reihten die Behörden Blumentöpfe auf, um Löcher in den Gehwegen zu verbergen. Vor dem Tagungsort ist der Zement, mit dem die Bordsteinkante ausgebessert wurde, noch nass.
Indiens Regierungschef Narendra Modi will bei dem Gipfel am Wochenende aber nicht nur Neu-Delhi von seiner besten Seite zeigen, sondern auch sich selbst. Rund sieben Monate vor der nächsten Parlamentswahl, bei der sich Modi um eine dritte Amtszeit bewirbt, ist das G20-Treffen für ihn ein inoffizieller Wahlkampfauftakt.
Der 72-Jährige inszeniert sich dabei als mächtiger Staatsmann, der Indien zu globalem Einfluss verhilft. Der Empfang der weltpolitischen Prominenz bietet ihm zudem die Gelegenheit, internationale Kritik an seinem Umgang mit Minderheiten in den Hintergrund zu drängen.
Wie stark Modi die indische G20-Präsidentschaft mit seiner Person verknüpft, zeigt seine Werbeoffensive in der Hauptstadt. An Baustellenzäunen, Straßenlaternen und großen Werbetafeln hängen G20-Plakate mit seinem Konterfei – und mehr oder weniger knackigen Slogans wie „Die Welt gesünder machen“, „Technologische Zusammenarbeit vorantreiben“ und „Die größten Herausforderungen der Menschheit lösen“.
Modi nutzt Symbol seiner Partei auf G20-Plakaten
Landesweit lässt Modi zudem seit Monaten das offizielle G20-Logo plakatieren. Zentrales Element ist eine Lotusblume.
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Die Pflanze ist auch das offizielle Symbol von Modis hindunationalistischer Partei BJP – kein Zufall, kritisiert die Opposition. „Modi und die BJP lassen keine Gelegenheit verstreichen, um schamlos für sich zu werben“, kritisierte Jairam Ramesh, Generalsekretär der Kongresspartei. Er warf Modi vor, den Gipfel für eine Persönlichkeitskampagne zu missbrauchen und zu versuchen, von den wahren Problemen der Inder abzulenken.
Zwar verfügt Indiens Wirtschaft derzeit über die höchsten Wachstumsraten aller G20-Länder. Doch stark gestiegene Lebensmittelpreise machen den Inderinnen und Indern zu schaffen. Zudem gelingt es dem Land trotz des Wirtschaftsaufschwungs bisher nicht, genug Arbeitsplätze für die schnell wachsende Bevölkerung zu schaffen.
Modi will sein Land bei den G20-Teilnehmern dennoch als Musterbeispiel darstellen: „Die raschen und nachhaltigen Fortschritte Indiens haben das Interesse der ganzen Welt geweckt“, sagte er am Wochenende in einem seltenen Interview, das er der indischen Nachrichtenagentur PTI gab. Statt als eine Nation mit mehr als einer Milliarde hungriger Mägen werde Indien nun als Land mit einer Milliarde aufstrebenden Köpfen gesehen, fügte er hinzu. „Die Ansichten über Indien haben sich geändert.“
Indiens Regierung setzt auf Nationalstolz
Modis Narrativ, dass Indien seinetwegen international an Ansehen gewonnen hat, verfängt bei vielen Wählern. Mit diversen symbolischen Gesten versuchte die Regierung während der G20-Präsidentschaft zusätzlich den Nationalstolz zu befeuern.
In offizielle Dokumente arbeitete sie Phrasen in Sanskrit ein und ließ ein G20-Vorbereitungstreffen demonstrativ im Bundesstaat Arunachal Pradesh abhalten, den auch China für sich beansprucht. Vor dem Tagungsort bauten die Behörden eine 19 Tonnen schwere Statue einer Hindu-Gottheit auf.
Eine offizielle Dinner-Einladung ging am Dienstag erstmals mit dem Absender „Präsident von Bharat“ an die Delegationen. Bharat ist eine alternative Bezeichnung für Indien, die Hindunationalisten zum alleinigen offiziellen Namen des Landes machen wollen.
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Gleichzeitig präsentiert sich Indien den G20-Teilnehmern in einer Ausstellung als die „Mutter der Demokratie“. Dabei kritisieren internationale Beobachter seit Längerem, dass die Modi-Regierung zunehmend autoritär auftritt, indem sie die muslimische Minderheit ausgrenzt und Druck auf Medien, zivilgesellschaftliche Organisationen und Oppositionelle ausübt.
In weiten Teilen der Bevölkerung stößt Modi mit der Politik aber auf Zustimmung und gilt deshalb weiterhin als der Favorit bei den Wahlen im kommenden Jahr.
Womöglich wird die Abstimmung, die zwischen April und Mai erwartet wird, für Modi aber nicht ganz so einfach wie die Wahl 2019, als er mit seiner BJP deutlich eine absolute Mehrheit holte.
Dieses Mal will die Opposition mit einer knapp 30 Parteien umfassenden Allianz geeint gegen ihn antreten. Sie bekundet, Indiens Demokratie verteidigen zu wollen. In einer im August veröffentlichten Umfrage kam die Gruppe bis auf wenige Prozentpunkte an Modis BJP und deren Verbündete heran.
Mit den Bildern vom G20-Gipfel kann Modi aber am Wochenende auf neuen Rückenwind hoffen. Seine Parteifreunde kalkulieren damit bereits seit Monaten.
„Warum sollte der G20-Gipfel nicht für die Innenpolitik genutzt werden?“, fragte Modis Innenminister Amit Shah Anfang des Jahres rhetorisch. „Wenn er erfolgreich abgeschlossen wird, dann muss Modi auch die Anerkennung dafür bekommen“, forderte er.
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