Henkel-Chef Knobel weist Kritik zurück

Düsseldorf Der Konsumgüterkonzern Henkel begründet den Rückzug aus Russland unter anderem mit dem drohenden Reputationsschaden. „Wir haben verschiedene Faktoren berücksichtigt. Und das war einer davon“, sagte Henkel-Chef Carsten Knobel dem Handelsblatt. Es ist das erste Mal, dass sich Knobel öffentlich zu dem Thema äußert.

„Wir haben in keinem Land eine spürbare Veränderung im Kaufverhalten festgestellt. Aber das hätte sich auch ändern können.“ Zudem sei das Geschäft in Russland immer schwieriger geworden und die Eskalation des Kriegs habe die Entscheidung beeinflusst.

„Wir haben nicht lange gezögert“, sagte Knobel und verwies darauf, dass Henkel mit 2500 Beschäftigten, elf Werken und einer Milliarde Euro Umsatz ein deutlich größeres Geschäft als andere Konzerne dort habe. „Wenn man das berücksichtigt, haben wir die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt getroffen.“

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Derzeit ist Henkel, abgesehen von sanktionierten Bereichen, aber noch immer in Russland tätig. „Sie können kein Geschäft verkaufen, das nicht mehr existent ist.“ Der Dax-Konzern prüft, das Geschäft in Russland zu verkaufen, teilweise einzustellen, auch ein Management-Buy-out ist eine Option. „Wir arbeiten mit Nachdruck an der Umsetzung und wollen das in den nächsten Wochen und Monaten umsetzen.“ Erste Interessensbekundungen seien eingegangen, nicht nur aus Russland, sondern auch von internationalen Firmen, so Knobel.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Knobel, am 24. Februar sind russische Truppen in die Ukraine einmarschiert. Erst zwei Monate später hat Henkel angekündigt, seine Aktivitäten in Russland einzustellen. Warum waren Sie so zögerlich?
Wir haben nicht lange gezögert. Wir haben bereits Anfang März als eines der ersten Unternehmen unsere Werbeaktivitäten in Russland eingestellt und Neuinvestitionen in dem Land gestoppt.

Firmen wie BMW oder BP haben sich gleich nach Kriegsbeginn komplett aus Russland zurückgezogen. Henkel hat das erst am 19. April getan.
Ich kenne keinen anderen internationalen Konsumgüterkonzern in unserem Wettbewerbsumfeld, der schneller war als wir. Auch im Dax haben viele große Unternehmen erst mit oder nach uns den Ausstieg angekündigt. Man muss das in Relation setzen: Andere Unternehmen, die etwas früher angekündigt hatten rauszugehen, hatten ein deutlich kleineres Geschäft oder haben nur nach Russland exportiert. Wir haben dort 2500 Mitarbeiter, elf Werke, erzielen rund eine Milliarde Euro Umsatz und waren sehr profitabel. Das ist eine große Verantwortung. Wir haben verschiedene Faktoren abgewogen, weil die Konsequenzen eines Ausstiegs sehr weitreichend sind. Wenn man das berücksichtigt, haben wir die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt getroffen.

Sogar die ZDF-Satire-Sendung „Heute-Show“ hat Henkels Russland-Engagement thematisiert. Wurde am Ende der öffentliche Druck einfach zu groß – und die Sorge, an Reputation zu verlieren?
Wie gesagt: Wir haben verschiedene Faktoren berücksichtigt. Und das war einer davon. Ein weiterer Grund war die wirtschaftliche Situation. Das Geschäft in Russland ist immer schwieriger geworden, weil sich die Sanktionen im Laufe des Krieges verschärft haben. Wir konnten bestimmte Rohstoffe nicht mehr verwenden, Lieferungen sind nicht mehr angekommen. Drittens hat auch die Eskalation des Krieges unsere Entscheidung beeinflusst.

„Ich denke, dass die Marken von Henkel keinen nachhaltigen Schaden genommen haben“

Haben Sie die öffentliche Kritik daran, zunächst am Russlandgeschäft festzuhalten, auch im Laden gemerkt?
Wir haben in keinem Land eine spürbare Veränderung im Kaufverhalten festgestellt. Aber das hätte sich auch ändern können. Das hat auch eine Rolle gespielt. Ich denke aber, dass die Marken von Henkel keinen nachhaltigen Schaden genommen haben.

Noch auf der Hauptversammlung Anfang April haben Sie viele Gründe geliefert, warum Henkel am Russlandgeschäft festhält: dem lokalen Management drohe das Straflager, der Firma die Enteignung, den Mitarbeitern die Entlassung. Waren diese Bedenken nur vorgeschoben?
Nein. Die Gründe waren und sind auch weiterhin real. Das müssen wir im weiteren Prozess berücksichtigen. Wir sind im Austausch mit den russischen Behörden, um über diese Themen zu sprechen. Die Sicherheit unserer Mitarbeiter war und ist uns sehr wichtig.

Muss das Management in Russland also nicht das Straflager fürchten?
Es ist schwer, das eindeutig zu beantworten. Das entsprechende Gesetz ist bislang noch nicht verabschiedet. Eine große Sorge der russischen Behörden war, dass viele Beschäftigte auf einmal arbeitslos werden. Wir haben unseren russischen Mitarbeitern zugesichert, bis Jahresende die Gehälter zu zahlen.

Persil-Produktion

Henkel beschäftigt in Russland 2500 Mitarbeiter.


(Foto: Bloomberg)

Wie läuft der Rückzug aus Russland genau ab?
Wir haben ein Team, das sich intensiv damit beschäftigt. Wir prüfen derzeit verschiedene Optionen: Zunächst, dass wir das Geschäft an Dritte verkaufen. Möglicherweise werden wir auch einige Bereiche komplett einstellen, weil wir nicht wollen, dass unser Know-how einem Wettbewerber zukommt. Auch ein Verkauf an das lokale Management ist denkbar.

„Wir führen das Geschäft, abgesehen von den sanktionierten Bereichen, noch weiter“

Gibt es auch Interessenten aus dem Ausland, beispielsweise von chinesischen Firmen? Diese könnten so einfach in Russland Marktanteile gewinnen.
Es sind erste Interessensbekundungen eingegangen – nicht nur aus Russland, sondern auch international.

Produziert Henkel noch in Russland?
Wir führen das Geschäft, abgesehen von den sanktionierten Bereichen, noch weiter.

Sie haben aber schon vor einem Monat den Rückzug bekannt gegeben.
Wir haben vor einem Monat einen geordneten Prozess eingeleitet. Jedes Unternehmen, das angekündigt hat, sich aus Russland zurückzuziehen, ist gerade in einer ähnlichen Situation. Sie können kein Geschäft verkaufen, das nicht mehr existent ist. Aber mir ist auch wichtig: Wir haben schon kurz nach Kriegsbeginn im Klebstoffbereich den Vertrieb und die Herstellung von Produkten eingestellt, von denen wir nicht ausschließen können, dass sie auch im militärischen Bereich eingesetzt werden.

Wann ist der Rückzug aus Russland abgeschlossen?
Wir arbeiten mit Nachdruck an der Umsetzung und wollen das in den nächsten Wochen und Monaten umsetzen.

Ist das Russlandkapitel von Henkel dann endgültig beendet?
Wir haben eine klare Entscheidung getroffen.

„Wir dürfen jetzt nicht die Wirtschaft allein verantwortlich machen“

Wie moralisch müssen Unternehmen wie Henkel agieren, wenn sie im Ausland aktiv sind?
Wir haben den Anspruch an uns, überall so zu handeln, dass dies mit unseren Werten und Überzeugungen im Einklang steht. Dazu gehört auch der Blick auf Ethik und Moral.

Die Situation in Russland ist schon seit Jahren fragil. Der erste Angriff der Russen auf die Krim war 2014. Selbst danach hat Henkel seine Produktionskapazitäten in Russland kontinuierlich ausgebaut. Ist das Ihr Blick auf Ethik und Moral?
Wir dürfen jetzt nicht die Wirtschaft allein verantwortlich machen. Das sind grundlegende gesellschaftliche und politische Fragestellungen. Die Vertiefung der Beziehungen durch Geschäfte war ja auch politisch gewünscht.

Jahrelang galt in Bezug auf weniger demokratische Staaten der Leitspruch „Wandel durch Handel“. Ist das nun nicht mehr zeitgemäß?
Das war lange die erklärte Hoffnung in Wirtschaft und Politik. Der Krieg gegen die Ukraine hat gezeigt, dass das in diesem Fall nicht funktioniert hat.

Waren deutsche Firmen womöglich zu sorglos mit ihren Auslandsgeschäften?
Gerade deutsche Unternehmen machen sich schon sehr viele und tiefgreifende Gedanken – und handeln sehr verantwortungsvoll. Sie setzen auch im Ausland in den Bereichen Nachhaltigkeit und ethisches Verhalten hohe Standards. Ich würde daher nicht sagen, dass deutsche Firmen mit ihren Auslandgeschäften zu sorglos waren.

Müssen Sie vor dem Hintergrund des Kriegs auch andere Auslandsengagements neu bewerten? In China macht Henkel acht Prozent des Umsatzes, und dort geht es auch nicht demokratisch zu.
Es gibt auf der Welt immer unterschiedliche Denk- und Handlungsweisen. Fakt ist, dass es nicht in jedem Land die Demokratie in einer Ausprägung gibt, wie wir sie kennen. Aber natürlich müssen sowohl die Politik als auch die Wirtschaft ihr Handeln immer kritisch überprüfen.

Henkel-Zentrale in Düsseldorf

Der Konsumgüterhersteller will in einem ersten Schritt 2000 Stellen streichen.

(Foto: Reuters)

Wie viel Ihrer Zeit geht für das Russlandthema drauf?
Das ist ja nicht die einzige Herausforderung. 2022 ist schon ein besonderes Jahr, was das angeht: Neben dem Krieg in der Ukraine sind wir gerade in Asien erneut stark mit Corona konfrontiert. Die Rohstoff- und Logistiksituation ist so angespannt, wie ich es in 20 Jahren nicht erlebt habe. Und wir arbeiten an einem weitreichenden strategischen Umbau unseres Konzerns. Eine solche Vielfalt an Veränderungen zur gleichen Zeit gab es sicherlich seit Langem nicht.

Die Konkurrenz ist in einer ähnlichen Situation. Wegen gestiegener Rohstoffkosten musste Henkel zuletzt vor niedrigeren Gewinnen warnen, Ihre Mitbewerber nicht. Warum läuft es bei Ihnen schlechter?
Hier müssen wir auch die Unterschiede im Portfolio berücksichtigen. Wir sind hier für steigende Materialkosten stärker exponiert. Anders als Mitbewerber sind wir vor allem im Massenkonsumgütergeschäft präsent. Dort sind die Bruttomargen geringer als etwa bei Luxuskosmetik, und der Anteil der Herstellungskosten am Preis ist deutlich höher. Auch das wollen wir mit dem Konzernumbau verändern.

>>> Lesen Sie mehr: Fallende Aktienkurse und Gewinne: Henkel verliert den Anschluss an die Konkurrenz

Sie wollen das schwächelnde Kosmetikgeschäft mit der Wasch- und Reinigungsmittelsparte zusammenlegen. Am Ende soll Henkel auf zwei etwa gleich großen Säulen stehen – der neuen Konsumgütersparte „Consumer Brands“ und dem bisherigen Klebstoffgeschäft.
Einer der Gründe, warum wir die neue Plattform schaffen, ist, dass wir konsequenter Portfolio-Entscheidungen treffen können. Wir können uns so einfacher von Marken trennen, die unsere Erwartungen an Bruttomarge, Umsatzwachstum und Marktposition nicht erfüllen.

„Der Konzernumbau ist ein mutiger Schritt“

Für Branchenbeobachter ist der Konzernumbau eine Defensivmaßnahme mit Vorteilen auf der Kostenseite. Wo soll das Wachstum herkommen?
Es ist auch wichtig, Kosten zu senken. Wenn wir gleichzeitig auf Produkte setzen, die höhere Bruttomargen haben, steigen unsere Einnahmen, und wir können mehr Geld in unsere Marken investieren. So stärken wir bei unseren Kunden die Relevanz unserer Produkte und können leichter Preiserhöhungen im Handel durchsetzen. Dadurch entsteht eine höhere Wachstumsdynamik.

Das gilt es noch zu beweisen.
Der Konzernumbau ist ein mutiger Schritt, und wir sind davon überzeugt, dass es der richtige ist. Den Beweis kann ich heute noch nicht erbringen, weil wir noch in der Umsetzung sind.

Analysten raten Ihnen schon länger, das Kosmetikgeschäft komplett zu verkaufen. Was hat Sie daran gehindert?
Wir haben uns mit allen strategischen Optionen beschäftigt, auch einem Verkauf. Wir sind aber davon überzeugt, dass die Zusammenlegung beider Bereiche für uns am gewinnbringendsten ist. Gerade unser weltweites Haargeschäft läuft gut und ist mit Blick auf Marktposition und Wachstumspotenzial sehr gut aufgestellt. Ein solches Geschäft muss man im Markt erst mal finden. In anderen Bereichen müssen wir allerdings deutlich stärker werden.

„Der Aktienkurs ist enttäuschend“

In diesem Bereich ist Ihnen seit Jahren kein schlagkräftiger Zukauf gelungen.
Es macht wenig Sinn, nach hinten zu schauen. Zukäufe sind weiterhin integraler Bestandteil unserer Strategie. Unser klarer Fokus liegt nun aber auf dem Zusammenschluss der beiden Unternehmensbereiche, und wir können nicht alle Dinge gleichzeitig machen. Unser Ziel ist aber, das Geschäft größer und profitabler zu machen.

Im Zuge der Umstrukturierung baut Henkel in einem ersten Schritt 2000 Stellen ab, vor allem in Verwaltung und Marketing. Ist die Düsseldorfer Zentrale besonders betroffen?
Das ist eine weltweite Integration. Wir sind mit den Geschäften in mehr als 60 Ländern aktiv. 85 Prozent der Mitarbeiter sind außerhalb von Deutschland beschäftigt. Aber auch der Standort Düsseldorf wird betroffen sein. Das sind Entscheidungen, die mir nicht leichtfallen.

Der Aktienkurs von Henkel notiert so tief wie seit fast zehn Jahren nicht mehr. Können Sie Ihren Aktionären Hoffnung machen?
Der Aktienkurs ist enttäuschend. Da spielt auch der Russlandkrieg mit hinein, weil wir dort ein großes Geschäft haben, das in Zukunft wegfallen wird. Ich bin aber auch überzeugt, dass der Aktienkurs heute definitiv nicht den Wert zeigt, den das Unternehmen in sich trägt. Wenn wir Henkel wie geplant entwickeln, wird sich auch der Kurs verändern – und zwar nach oben.

Herr Knobel, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Persil-Hersteller Henkel will mehr als 2000 Mitarbeiter entlassen – vor allem im Management

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