Große Lücken im Sortiment – Es wird eng für den Lieferdienst

Düsseldorf, Frankfurt Milch, Brot, Aufschnitt oder Eier sind beim Schnelllieferdienst Gorillas in vielen Städten derzeit nicht zu bekommen. Auch bei vielen anderen Produkten – etwa von namhaften Herstellern wie Rügenwalder oder Alnatura – klaffen in der Gorillas-App riesige Lücken. Das einst milliardenschwere Start-up zeigt Schwächen: Mit dem Versprechen, Lebensmittel innerhalb von Minuten an die Haustür zu bringen, hatte es die Branche fasziniert. Nun wird sein Geschäftsmodell selbst von vielen Risikokapitalgebern immer kritischer gesehen.

Gorillas sei bei Lieferanten seit Monaten im Zahlungsverzug, weshalb Geschäftspartner ihre Lieferung zumindest vorübergehend eingestellt hätten, sagten mit der Situation vertraute Personen. Ein Sprecher des Unternehmens räumte Lücken ein, erklärte aber, das Unternehmen arbeite daran, sie zu schließen und sei zuversichtlich „dass wir unser Sortiment in den nächsten Wochen wieder vervollständigen können“. Zu einem möglichen Zahlungsverzug wollte er sich nicht äußern.

Bei der Übernahme von Gorillas durch den türkischen Rivalen Getir im April war die Tonlage noch forscher. Turancan Salur, Regional-Geschäftsführer von Getir hatte geschwärmt, dass sich Produktpalette und Servicequalität erheblich verbessern würden. Doch nun zeigt sich eher, dass es für Gorillas eng werden könnte.

Während Kunden auf leere digitale Regale schauen, sehen Venture-Capital-Firmen, die zu den Eigentümern zählen, die Zukunft düster. „Gorillas kann potenziell seine Lieferanten nicht bezahlen, weshalb frische Produkte derzeit nicht lieferbar sind“, sagte ein Anteilseigner dem Handelsblatt. „Wenn du deine Lieferanten nicht bezahlen kannst, ist es nicht klar, ob es eine Zukunft gibt – außer es gibt dir jemand Geld.“

Investoren hatten Schnelllieferdienste lange mit Kapital geflutet. 2022 erhielt Getir 768 Millionen Dollar, was das Unternehmen mit 12 Milliarden Dollar bewertete, und Gorillas bekam 2021 rund 860 Millionen Euro bei einer Bewertung von drei Milliarden Dollar. Doch angesichts steigender Zinsen und der schwierigen konjunkturellen Lage sind Risikokapitalgeber zurückhaltend geworden. Nun kämpft die Branche um ihre Zukunft

Getir verbrennt Finanzkreisen zufolge monatlich zwischen 80 und 100 Millionen Dollar. Um die Finanzierung sicherzustellen, fand Finanzkreisen zufolge im Juli ein Krisentreffen der Anteilseigner statt.

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Das Management soll auf eine Summe frischen Investorenkapitals in Höhe von 500 Millionen Dollar gehofft haben. Mit den Verhandlungen vertraute Personen hatten hingegen erklärt, dass Lead-Investor Mubadala wohl nur noch bereit sei, weniger als 100 Millionen zu überweisen. Getir äußert sich grundsätzlich nicht zu Finanzierungsfragen.

Eine Einigung über eine Finanzierungsrunde sei weiterhin nicht in Sicht, heißt es. Geld werde möglicherweise nur in einzelnen Raten bereitgestellt, die an das Erreichen bestimmter Sparziele geknüpft sind. Das Unternehmen zieht sich derzeit aus mehreren Landesmärkten zurück und forciert die Umstellung des Bezugs von Waren von lokalen Franchisenehmern – weg von einer Lagerung in eigenen kleinen Lagern vor Ort.

Lücken auch im Sortiment von Getir

Auch bei Getir selbst ist das Produktangebot spärlicher geworden. Große Lücken gibt es beispielsweise im wichtigen Liefergebiet Berlin im Grundangebot von Obst und Gemüse, frische Milch, Joghurt und Aufschnitt fehlen.

Auch Getir soll in jüngster Zeit die Zahlungsziele sehr stark ausgereizt haben, was Lieferpartner verärgert habe, sagten mit der Angelegenheit vertraute Personen. Die Integration von Gorillas in die Strukturen von Getir habe für zusätzliche Verwerfungen gesorgt.

Gorillas hatte seine Lieferanten schon in der Vergangenheit mit Unregelmäßigkeiten bei Zahlungen verärgert. Bereits im August 2022 waren Partner nicht rechtzeitig bezahlt worden, wodurch es zu Lieferproblemen gekommen war. Gorillas hatte das damals mit einer Umstellung seiner Zahlungssoftware erklärt.

Getir

Der türkische Lieferdienst ist in den vergangenen Jahren weltweit expandiert.

(Foto: © 2022 Bloomberg Finance LP)

Die Lieferanten sind sehr zurückhaltend, wenn die Sprache auf Gorillas und Getir kommt. Sowohl Alnatura wie Großhändler Bünting erklären auf Nachfrage, dass sie sich zu den Beziehungen zu Geschäftspartnern nicht äußern wollen.

Im Zuge ihrer Fusion hatten Gorillas wie Getir ursprünglich einiges getan, um ihr Angebot gerade an frischen Lebensmitteln auszubauen. Sie hatten zahlreiche Manager von etablierten Lebensmitteleinzelhändlern abgeworben, um die Beziehungen zur Lebensmittelindustrie zu stärken und sich Know-how ins Unternehmen zu holen.

Flink ist dank Partner Rewe weiter lieferfähig

So hatte Getir beispielsweise Ben Hulme zum Einkaufschef gemacht, der zuvor im Einkauf von Aldi Nord und Lidl Erfahrungen gesammelt hatte. Er sollte dank seiner guten Beziehungen weitere Lieferanten gewinnen.

Doch Hulme wird Getir nach eineinhalb Jahren wohl schon wieder verlassen, er soll sich in Verhandlungen über den Ausstieg befinden, hieß es im Umfeld des Unternehmens. Die „Lebensmittelzeitung“ hatte zuerst über die Personalie berichtet. Auch Finanzchef Thomas Dennhardt soll das Unternehmen verlassen haben. Getir äußert sich dazu nicht.

Durch ihre Lieferprobleme geraten Gorillas und Getir ins Hintertreffen in der Konkurrenz mit dem wichtigsten Rivalen Flink. Dieser hat den Supermarktbetreiber Rewe nicht nur als Investor, sondern auch als Großhändler im Rücken. Dadurch ist Flink in allen Produktkategorien vollumfänglich lieferfähig.

Bei der jüngsten Finanzierungsrunde von Flink im Juni über 150 Millionen Euro war Rewe Leadinvestor und hat damit seinen Anteil auf mehr als zehn Prozent ausgebaut. „Es wird in jedem Land langfristig nur einen Anbieter geben“, hatte Rewe-Chef Lionel Souque danach im Handelsblatt-Interview prognostiziert und betont: „Und deshalb investieren wir in Flink.“

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Auch Matthias Schu, E-Commerce-Experte von der Hochschule Luzern, beurteilt die Aussichten für Gorillas und Getir als eher schwierig. Dem türkischen Unternehmen Getir habe von Anfang an das Gespür für den deutschen Markt gefehlt, das Sortiment habe nicht zu den Kundenwünschen gepasst.

Insgesamt sei es für die Schnelllieferdienste sehr schwer, profitabel zu sein. Angesichts des meist geringen Werts der einzelnen Bestellungen müssten die Unternehmen ihre Prozesse und die Kosten perfekt im Griff haben, um in die schwarzen Zahlen zu kommen. „Reich wird damit niemand“, sagt Schu.

Experten erwarten Konsolidierung bei den Lieferdiensten

Noch vor wenigen Monaten gab es Berichte, Getir überlege, den Konkurrenten Flink zu übernehmen, um den Markt zu beherrschen – und irgendwann kostendeckende Preise einführen zu können. Doch mittlerweile erscheint das als zunehmend unwahrscheinlich.

Die 60 Hubs, die Gorillas noch hat, dürften nach Branchenschätzungen im Schnitt pro Monat 7500 Euro an Miete kosten. Dabei liegt ein Großteil davon in Straßen und Ecken, in denen Rivale Flink selbst Geschäftsräume hat.

Auch mit den knapp 4000 verbliebenen Liefer-Fahrern von Gorillas dürfte Flink nicht viel anfangen können, da die aktuellen Standorte mit Mitarbeitern versorgt seien. Deshalb stünde Flink wahrscheinlich ein aufwendiges Abwicklungsverfahren ins Haus, in das auch der Gorillas-Betriebsrat involviert wäre, heißt es in Branchenkreisen. Und selbst die wertvollen Kundenkontakte könnten Flink kostenlos zufallen, falls Gorillas weitere Standorte aufgibt.

Auch Experte Schu würde darauf setzen, dass sich eher Flink im Markt durchsetzt, schon weil das Unternehmen für Investor und Großhändler Rewe mehr strategische als finanzielle Bedeutung hat. „Flink traue ich zu, dass sie es schaffen“, so Schuh.

Und er geht von einer deutlichen Konsolidierung bei den Express-Lieferdiensten aus. Mittelfristig, so der E-Food-Fachmann, werde es wohl in jeder Stadt nur einen größeren, bundesweit tätigen Schnelllieferdienst geben, ergänzt maximal von einem lokalen Spezialisten.

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