„Die Waldbrandsaison dauert immer länger“ – EU-Kommissar fordert mehr Löschflugzeuge

Brüssel Janez Lenarcic, der EU-Kommissar für Katastrophenschutz, ist in diesen Tagen ein viel gefragter Mann. Rund um das Mittelmeer brechen immer neue Waldbrände aus, und die Löschflugzeuge der europäischen Flotte „RescEU“ sind im Dauereinsatz.

„Bisher haben wir alle Anfragen bewältigen können“, sagt Lenarcic dem Handelsblatt. Zu Beginn der diesjährigen Waldbrandsaison stand Griechenland im Fokus. Auf der Insel Rhodos etwa mussten die griechischen Behörden 20.000 Menschen vor den Flammen evakuieren. Doch inzwischen melden auch andere Länder verheerende Brände – von Italien bis Syrien.

Lenarcic, seit vier Jahren im Amt, sieht ein Muster. „Der Trend in den vergangenen Jahren ist eindeutig. Die Waldbrandsaison beginnt früher und endet immer später“, sagt er. 2021 seien die Löschflugzeuge noch Ende Oktober Einsätze in Österreich geflogen. Außerdem dehne sich die Gefahrenzone geografisch immer weiter aus – in nördlichere Regionen wie Deutschland, wo es früher keine großen Waldbrände gab.

Vergangenes Jahr verbrannten europaweit 250 Prozent mehr Wald als im langfristigen Durchschnitt. Die EU erhielt insgesamt elf Hilfsanfragen. Daraufhin hat sie ihre „RescEU“-Flotte für diesen Sommer verdoppelt – auf 24 Löschflugzeuge und sechs Hubschrauber. In den kommenden Jahren sollen weitere neun Hubschrauber und zwölf Flugzeuge geleast werden.

Auf Dauer werde auch das nicht ausreichen, sagt Lenarcic. „Selbst wenn wir unsere Kapazitäten weiter ausbauen, wird es nie ausreichen. Denn die Frequenz und Intensität extremer Wetterereignisse nehmen ständig zu, weil sich die Klimakrise vertieft. Wir sind immer dabei aufzuholen.“

Brüssel gewinnt durch Dauerkrise an Bedeutung 

Deshalb plädiert er eindringlich dafür, mehr gegen den Klimawandel zu tun. „Die Krise ist schon da“, sagt er. „Die Bilder, die wir in Sizilien, in Sardinien, in Puglia sehen, sind der Klimakrise geschuldet.“ Man müsse die grüne Transformation der Wirtschaft beschleunigen, das Forstmanagement verbessern und natürliche Überschwemmungsgebiete an Flüssen wiederherstellen.

Wie sich dieses Jahr entwickelt, will er noch nicht vorhersagen. Doch werde es immer eng, wenn drei Faktoren zusammenkämen: lange Dürreperioden, Hitzewellen und starke Winde. Dann sei es extrem schwierig, die Vielzahl an Bränden unter Kontrolle zu bringen, und die Regierungen bäten um Hilfe.

Aktuell haben nur Griechenland und Tunesien um europäische Unterstützung gebeten. Die Flugzeugflotte ist in verschiedenen EU-Staaten stationiert und kann bei Bedarf angefordert werden. Lenarcic zufolge sind alle Maschinen derzeit entweder aktiv im Einsatz oder auf Stand-by für Gebiete mit hoher Warnstufe.

Die Fäden der Waldbrandbekämpfung laufen im Erdgeschoss eines Brüsseler Bürogebäudes zusammen. Der „Ops Room“ des Krisenzentrums ERCC („Emergency Response Coordination Centre“) ist rund um die Uhr besetzt, eine Handvoll „duty officers“ arbeitet an Rechnern oder telefoniert mit gedämpfter Stimme.

Waldbrände auf Rhodos

Vergangenes Jahr verbrannten europaweit 250 Prozent mehr Wald als im langfristigen Durchschnitt.

(Foto: IMAGO/NurPhoto)

An einer Wand hängen vier Großbildschirme. Ganz links ist eine Satellitenkarte der Waldbrandgebiete am Mittelmeer zu sehen, daneben eine meteorologische Karte eines Taifuns in den Philippinen, es folgt eine Übersicht der aktuellen Frontstellungen im Ukrainekrieg sowie eine Weltkarte mit den jüngsten Naturkatastrophen.

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„Wir haben immer mehrere Krisen gleichzeitig im Blick“, erklärt Ana Ascensao da Silva vom ERCC. Das Zentrum koordiniert nicht nur die Waldbrandbekämpfung. Es organisiert auch Zelte und Notstromaggregate für Ukraineflüchtlinge, hilft bei Überschwemmungen in Pakistan oder in medizinischen Notfällen wie der Pandemie. Alle Länder weltweit können um Unterstützung bitten.

450 Feuerwehrleute an Hotspots stationiert

Neben den Beamten im „Ops Room“ gibt es weitere auf Stand-by, die bei Bedarf zur Verstärkung herangezogen werden können. Denn Krisen kommen in der Regel plötzlich. Der Hilferuf nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei etwa ging um vier Uhr morgens ein. Noch am selben Tag waren die ersten Teams aus der EU vor Ort.

EU-Kommissar Janez Lenarcic

„Selbst wenn wir unsere Kapazitäten weiter ausbauen, wird es nie ausreichen.“

(Foto: Reuters)

In den vergangenen Jahren hat die Generaldirektion Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe, in Brüssel bekannt als DG Echo, an Bedeutung gewonnen. „Die jüngste Krisenserie hat in den Mitgliedstaaten das Bewusstsein geschaffen, dass es Situationen gibt, in denen spontan organisierte bilaterale Hilfe nicht ausreicht“, sagt Lenarcic. So habe sich die Idee einer strategischen Reserve auf europäischer Ebene durchgesetzt.

Zu der besseren Vorsorge zählt auch das sogenannte „Pre-Positioning“. Seit vergangenem Jahr entsenden einige Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, zu Beginn der Waldbrandsaison Feuerwehrleute mitsamt Gerät in bekannte Gefahrenzonen am Mittelmeer. Diese bleiben zwei bis vier Wochen vor Ort, tauschen Erfahrungen mit den lokalen Kräften aus und greifen im Notfall mit ein.

Dieses Jahr wurden rund 450 Feuerwehrleute aus dem Rest der EU in Griechenland, Frankreich und Portugal stationiert. Eine slowakische Einheit kam nun beispielweise auf Rhodos zum Einsatz. 

Anfangs gab es großen Widerstand aus den Mitgliedstaaten, weil der Katastrophenschutz eine nationale Kompetenz ist. Deshalb kann die EU-Kommission auch nicht von sich aus tätig werden, sondern reagiert nur auf Anfrage eines Staates. „Wir spielen eine unterstützende Rolle“, sagt Lenarcic. Aber es sei gelungen, diese unterstützende Rolle auszuweiten.

Auch heute noch wachen die nationalen Regierungen genau über ihre Zuständigkeiten. In Deutschland ist der Katastrophenschutz sogar Ländersache. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) warnte bei einem Besuch in Brüssel kürzlich davor, zu viele Aufgaben auf die EU-Ebene zu verlagern. Das könne dazu führen, dass manche Mitgliedstaaten ihren eigenen Katastrophenschutz vernachlässigen, weil sie sich auf die EU-Hilfe verlassen.

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Das sogenannte „Free Rider“-Problem werde immer wieder genannt, sagt Lenarcic. Aber wenn man sich die Erfahrung mit der Waldbrandbekämpfung anschaue, dann stimme es einfach nicht. Die Mittelmeeranrainer hätten alle große Kapazitäten aufgebaut. Das sehe man aktuell daran, dass etwa Italien und Frankreich noch nicht um EU-Hilfe gebeten haben.

Auch erinnert er daran, dass selbst Deutschland während der Waldbrände im vergangenen Jahr eine Hilfsanfrage gestellt habe. „Deutschland ist zu Recht stolz auf seinen Zivilschutz“, sagt Lenarcic. Die Bundesländer hätten hervorragend ausgebildete und ausgerüstete Feuerwehrleute und Katastrophenschützer. „Und trotzdem mussten sie um Hilfe bitten.“ Das zeige, dass jedes Land mal in die Lage komme, eine Krise nicht allein bewältigen zu können.

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