Die Konjunkturschwäche wird Deutschland länger begleiten

Düsseldorf Die deutsche Wirtschaft hat im zweiten Quartal stagniert – jedenfalls nach bisherigem Stand. Denn die Schnellschätzungen des Statistischen Bundesamtes vier Wochen nach Quartalsende sind angesichts der sehr dünnen Datenlage mit hoher Unsicherheit behaftet.

So hatte das Amt in seinen ersten Meldungen für das vierte Quartal 2022 und das Auftaktquartal 2023 ebenfalls eine Stagnation gemeldet – heute wissen wir, dass die Wirtschaftsleistung in beiden Quartalen geschrumpft ist, Deutschland sich also in einer technischen Rezession befand.

Schaut man auf die inzwischen veröffentlichten Daten, so ist diese Sorge nicht von der Hand zu weisen. Im Juni sank die Produktion im produzierenden Gewerbe im Vergleich zum Vormonat um kräftige 1,5 Prozent, der reale Einzelhandelsumsatz schrumpfte um 0,8 Prozent – beide Größen gelten als Schwergewichte der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.

Für die Dienstleister ist die Datenlage noch wackeliger, Daten sind erst mit größerem Zeitverzug verfügbar. So stieg nach jüngsten Erkenntnissen im Mai der Umsatz spürbar um reale 1,4 Prozent zum Vormonat an. Und auch der Außenhandel gibt wenig Grund zur Hoffnung, die Exporte stiegen im Juni um 0,1 Prozent. Die Importe schrumpften um 3,4 Prozent, so dass der Überschuss zulegte.

Keine wirtschaftliche Trendwende in den kommenden Monaten

Insgesamt scheint eine Änderung der Wachstumsrate auf knapp über oder auch knapp unter die Nulllinie also gut möglich – genaueres wissen wir am kommenden Freitag, wenn das Statistische Bundesamt Details zur Wirtschaftsentwicklung im zweiten Quartal veröffentlicht.

Weit wichtiger als der Blick zurück ist der Blick nach vorne. Vom Finanzdatendienstleister Bloomberg befragte Ökonomen erwarten im Mittel für das dritte und vierte Quartal je 0,2 Prozent Wachstum – kein Aufschwung, aber eben auch kein neuerlicher Einbruch.

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„Aktuelle Frühindikatoren deuten noch nicht auf eine nachhaltige konjunkturelle Belebung in den kommenden Monaten hin“, räumte auch das Bundeswirtschaftsministerium in einer Mitteilung ein.

Behielte die Konsensschätzung recht, wäre dies womöglich schon eine Erfolgsmeldung. Denn derzeit spricht einiges für einen neuerlichen Einbruch im Herbst.

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Das Ifo-Geschäftsklima sinkt bereits drei Monate in Folge, insbesondere die Erwartungen sind sehr negativ, der ZEW-Konjunkturindex notiert im roten Bereich und das IMK beziffert die Rezessionswahrscheinlichkeit im Zeitraum August bis Ende Oktober auf 71,5 Prozent.

Andere Länder kommen mit der Krise besser zurecht

Zudem weist der Einbruch der Baugenehmigungen auf kein rasches Ende der Baukrise hin; im ersten Halbjahr wurden 27 Prozent weniger Genehmigungen erteilt als im Vorjahreszeitraum. Einzig Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht am Horizont ein neues „Wirtschaftswunder“ aufziehen.

Nahezu allen anderen Industrieländer kommen weit besser mit der Inflation, höheren Zinsen und der Energiekrise zurecht. Die USA können womöglich trotz der aggressiven Zinspolitik der Federal Reserve eine Rezession vermeiden.

Japans Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal überraschend kräftig. Nominal kletterte das Bruttoinlandprodukt mit einer Jahresrate von zwölf Prozent nach der bei uns üblichen Lesart entspricht dies immerhin noch einem realen Plus von rund 1,5 Prozent zum Vorquartal.

Und auch in den übrigen Ländern der Euro-Zone läuft es deutlich besser als in Deutschland – auf das Gesamtjahr gerechnet dürfte die gesamtwirtschaftliche Leistung um rund 0,5 Prozent wachsen, trotz des Bremsklotzes Deutschland. Schlecht, vermutlich noch schlechter als die amtlichen Daten es widerspiegeln, entwickelt sich hingegen die Konjunktur in China, Deutschlands wichtigstem Handelspartner.

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Insgesamt scheint damit allenfalls ein vorsichtiges Anziehen der Auslandsnachfrage im zweiten Halbjahr möglich. Ob das für die Stabilisierung der schwachen deutschen Konjunktur ausreicht, ist fraglich.

Arbeitslosigkeit und Unternehmenspleiten steigen

Derzeit wachsen in Deutschland nur die Arbeitslosenzahl sowie die Unternehmenspleiten. Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, überschrieb ihre Mitteilung zu den Arbeitsmarktdaten für Juli mit den Worten „schwache Konjunktur hinterlässt Spuren“. Mit Beginn der Sommerpause seien Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung im Juli gestiegen.

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Was oft übersehen wird: Gemessen an den Tiefstständen vor der Pandemie ist die saisonbereinigte Arbeitslosigkeit heute um fast 400.000 Personen gestiegen. Von „Vollbeschäftigung“ und „Jobwunder“ spricht heute niemand mehr.

Ebenfalls kräftig gestiegen ist im Juli die Anzahl der Unternehmenspleiten. Die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen lag im Juli um 23,8 Prozent höher als im Vorjahresmonat; im Juni hatte der Zuwachs 13,9 Prozent betragen.

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Bei den Ergebnissen gilt es zu berücksichtigen, dass die Verfahren erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts in die Statistik einfließen. Der tatsächliche Zeitpunkt des Insolvenzantrags liegt meist rund drei Monate davor.

Der IWH-Insolvenztrend zeigt für Juli insgesamt 1025 Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften. Diese Zahl liegt zwar leicht unter dem Niveau des Vormonats, aber um 44,4 Prozent über dem Vorjahresmonat.

„Ökonomischer Neustart der Ampelkoalition notwendig“

„Insgesamt nimmt das Insolvenzgeschehen seit der zweiten Jahreshälfte 2022 im Trendverlauf kontinuierlich zu, allerdings ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau“, räumt das Bundeswirtschaftsministerium ein.

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Kleiner werden die wirtschaftspolitischen Herausforderungen für die Bundesregierung jedenfalls erstmal nicht. Die Schwäche der Weltkonjunktur mag irgendwann enden, die wachstumspolitischen Defizite des Standorts Deutschland bleiben.

„Notwendig ist ein ökonomischer Neustart der Ampelkoalition mit klaren wirtschafts-, finanz- und industriepolitischen Prioritäten im Rahmen einer Wachstumsagenda“, mahnten am Freitag die wissenschaftlichen Berater des SPD-Wirtschaftsforums in einem Positionspapier – und forderten billigere Energie und mehr Investitionen auf Pump.

Über die Empfehlungen mag man streiten, über den Befund hingegen nicht.

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