„Die EZB hat sich selbst in diese schwierige Situation gebracht“

Zürich Europa muss sich nach Ansicht von Axel Weber auf wirtschaftlich schwierige Zeiten einstellen. Der frühere Bundesbank-Chef und scheidende Präsident der Schweizer Großbank UBS blickt voller Sorge auf die rasant steigende Teuerung: „Was mich im Moment ökonomisch am meisten beunruhigt, sind die sehr hohen Inflationsraten.“ In den USA könnte die Inflation bald zweistellige Werte erreichen. Für die Euro-Zone erwartet er immerhin acht Prozent.

Angesichts solcher Teuerungsraten sieht er Versäumnisse bei den Notenbanken: „Es ist unverständlich, dass sich die Europäische Zentralbank, anders als die US-Notenbank, bei der geldpolitischen Wende so viel Zeit lässt“, so Weber. „Eine raschere Verschärfung der Geldpolitik wäre aus meiner Sicht wünschenswert.“

Herr Weber, schmerzt es Sie, gerade jetzt bei der UBS aufzuhören, mitten in einer geopolitischen und wirtschaftspolitischen Zeitenwende? Durch den Ukrainekrieg und seine ökonomischen Folgen sind die Risiken so groß wie vielleicht seit der Finanzkrise nicht mehr.
Der Ukrainekrieg ist ein fürchterliches Ereignis, das für immenses menschliches Leid sorgt und für politische Umwälzungen. Aber ich glaube nicht, dass Europa oder die Welt vor einer tiefen Rezession stehen. Es gibt deutliche Abwärtsrisiken, aber dank der Entspannung der Coronakrise zeigt sich die Weltwirtschaft momentan noch dynamisch und robust.

Wir hatten aufgrund des Krieges unsere Prognose von 4,6 Prozent globalem Wachstum in diesem Jahr um einen Prozentpunkt reduziert, was ungefähr dem langjährigen Durchschnitt entspricht. Unsere aktuelle Schätzung für das diesjährige deutsche Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent liegt sogar über dem langjährigen Durchschnitt.

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Ist das angesichts der Verwerfungen an den Energiemärkten nicht ein wenig optimistisch?
Klar ist, je länger der Krieg dauert, desto größer werden auch die wirtschaftlichen Risiken. Was mich im Moment ökonomisch am meisten beunruhigt, sind aber nicht die Wachstumsaussichten, sondern die sehr hohen Inflationsraten.

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der Teuerung?
In den USA liegt die Inflation bereits bei knapp acht Prozent und ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass wir noch im Frühjahr zweistellige Werte sehen werden. In der Euro-Zone rechnen wir ebenfalls mit Teuerungsraten von rund acht Prozent in den kommenden Monaten. Danach wird sich die Lage zwar wahrscheinlich etwas entspannen. Aber es ist unverständlich, dass sich die Europäische Zentralbank, anders als die US-Notenbank, bei der geldpolitischen Wende so viel Zeit lässt.

Das heißt, die EZB begeht gerade schwerwiegende Politikfehler?
Unsere Volkswirte erwarten die ersten Zinsschritte in der Euro-Zone im September bis Dezember. Ich halte es angesichts der aktuellen Teuerungsraten und der Inflationserwartungen nicht für hilfreich, damit noch so viele Monate zu warten. Ich sage seit mehr als einem Jahr, dass wir ein Inflationsproblem haben. Eine raschere Verschärfung der Geldpolitik wäre aus meiner Sicht wünschenswert. Insgesamt sehen wir gerade für Deutschland deutliche Aufwärtsrisiken bei der Inflation und deutliche Abwärtsrisiken bei der Wirtschaftsentwicklung.

Das klingt nach einem Stagflationsszenario, ähnlich wie in den 1970er-Jahren, als eine Mischung aus schwachem Wachstum und hoher Inflation die Weltwirtschaft lähmte.
Ich würde noch nicht von einer Stagflation sprechen. Aber wenn es zu einem Importstopp für russisches Öl und Gas käme, könnte das europäische Wirtschaftswachstum noch einmal um mehr als zwei Prozentpunkte schwächer ausfallen. Bei einem Ölpreis von 180 Dollar und einer Halbierung der Energieeinfuhren aus Russland droht Deutschland dann in der Tat eine Rezession.

Bedeutet das, dass Sie einen Boykott für russische Energielieferungen für falsch halten?
So wie ich die Haltung der Bundesregierung verstehe, will sie die Energiesicherheit für Unternehmen und Haushalte nicht gefährden. Aber auch ohne Boykott könnte es zu dem Szenario kommen, das ich beschrieben habe. Eine der Gaspipelines von Russland nach Westeuropa läuft durch die Ukraine. Wenn diese durch die Kämpfe beschädigt wird und ausfällt, könnte es schnell zu einer drastischen Reduzierung der Energielieferungen nach Deutschland kommen.

In einer solch heiklen Situation die Geldpolitik zu verschärfen ist für die EZB nicht leicht.
Das stimmt, aber letztlich hat sich die EZB selbst in diese schwierige Situation gebracht. Im Vergleich zur US-Notenbank Fed ist sie weiter im Rückstand. Einige frühe präventive Schritte bereits im vergangenen Jahr hätten vielleicht weitreichendere Eingriffe verhindert, die jetzt notwendig werden könnten.

In den USA ist ein Teil der Zinskurve inzwischen invers. Das heißt die kurzfristigeren Zinsen sind höher als die langfristigen. Dieses Phänomen gilt als Indiz für eine drohende Rezession. Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Gefahr?
Eine Rezession in den USA sehe ich im Moment nicht. Aber die Inversion der Zinskurve bremst die Wirksamkeit der Geldpolitik. US-Notenbank-Chef Jerome Powell geht mittlerweile davon aus, dass die Inflationsraten während dreier Jahre über dem Ziel der Fed liegen werden. Das ist eine lange Zeit.

Und wie lange wird die EZB ihr Stabilitätsziel von zwei Prozent Inflation verfehlen?
Angesichts der langsamen Normalisierung der Geldpolitik in der Euro-Zone gehe ich davon aus, dass die Teuerung länger über zwei Prozent liegen wird, vielleicht sogar mehrere Jahre. Angesichts solcher Zeiträume wird es sehr schwer, die Tarifparteien dazu anzuhalten, sich mit hohen Lohnforderungen zurückzuhalten, um eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern.

Abgesehen von den wirtschaftlichen Folgen, wie beurteilen Sie die langfristigen geopolitischen Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine?
Der Krieg wird vieles verändern. Er hat dazu beigetragen, dass sich die Europäische Union wieder stärker als Wertegemeinschaft und als Friedenssicherungsprojekt versteht. Das war leider in den vergangenen Jahren etwas verloren gegangen. Außerdem wird Europa seine Verteidigungsausgaben deutlich erhöhen, so wie es die USA seit Langem fordern. Innerhalb kürzester Zeit hat der russische Präsident Wladimir Putin das Gegenteil von dem erreicht, was er eigentlich wollte. Er hat Europa und die Nato geeint.

Wie sieht es denn mit den Russlandrisiken der UBS aus?
Wir sind kaum betroffen. Wir haben schon früh begonnen, unsere Positionen abzubauen. Seit Anfang des Jahres haben wir diese weiter reduziert. Wir machen kein Neugeschäft in Russland. Jetzt helfen wir unseren Kundinnen und Kunden, ihre Russlandrisiken abzubauen.

Und wie sieht es in der Vermögensverwaltung aus? Stehen viele Ihrer Kunden auf den westlichen Sanktionslisten?
Bei UBS setzen wir alle Sanktionen aller Länder um, in denen wir aktiv sind, also neben den schweizerischen auch die amerikanischen, britischen und die der EU. Wir haben die Vermögen von Kunden, die auf den Sanktionslisten stehen, eingefroren.

Als Sie vor zehn Jahren bei der UBS angefangen haben, wurde bereits über die internationale Konsolidierung des europäischen Bankenmarkts gesprochen. Bisher hat sich kaum etwas getan. Wann werden wir die so lange erwarteten großen Fusionen sehen?
In Europa haben wir es noch immer mit 27 einzelnen Bankenmärkten und 27 Aufsehern zu tun, über denen dann noch die EZB als 28. Aufseher steht. Das ist ein deutlicher Unterschied zum riesigen einheitlichen Binnenmarkt, von dem die US-Banken profitieren. Die grenzüberschreitende Konsolidierung in Europa muss kommen, sie ist überfällig. Aber Politik und Regulatoren müssen erst einmal die Voraussetzungen dafür schaffen. Es fehlt die Kapitalmarktunion und die Vollendung der Bankenunion in der EU.
Bis wann rechnen Sie denn mit einer Vollendung von Banken- und Kapitalmarktunion?
Ich glaube, das kann schneller gehen als viele glauben. Die neuen geopolitischen Herausforderungen werden für einen Integrationsschub in der EU sorgen, und der wird auch Wirtschafts- und Finanzmarktprojekte erfassen. Europa muss seine Zersplitterung überwinden, und der Impetus dafür ist im Moment so stark wie lange nicht mehr.

Wie wird die Zukunft der UBS aussehen? Was müssen Ihr Nachfolger Colm Kelleher und der neue CEO Ralph Hamers tun, damit die UBS zu den besten globalen Konkurrenten aufschließen kann?
Wir haben schon sehr viel getan. UBS zählt heute zu den profitabelsten Banken in Europa. Im vergangenen Jahr haben wir einen Nettogewinn von 7,5 Milliarden Dollar erzielt, das beste Ergebnis seit 15 Jahren. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren 44 Milliarden Dollar Kernkapital erwirtschaftet und davon knapp 26 Milliarden ausgeschüttet. Gemessen an Kursgewinnen und Dividendenzahlungen gehören wir zu den besten Banken in Europa. Das müssen beide weiter vorantreiben.

Aber die Lage sieht anders aus, wenn man die US-Banken mit einrechnet. Der Abstand von UBS zu Konkurrenten wie Goldman Sachs, JP Morgan oder Morgan Stanley ist noch immer groß, auch was den von Ihnen angesprochenen Total Shareholder Return angeht.
Wir haben durchaus den Ehrgeiz, die Lücke zu schließen. UBS hat mit Colm Kelleher, dem ehemaligen Präsidenten von Morgan Stanley, einen ausgewiesenen Kenner des Bankgeschäfts und US-Markts zu meinem Nachfolger ernannt. Unsere Strategie wird auch in Zukunft funktionieren. Wir haben uns auf unsere traditionellen Stärken, die Vermögensverwaltung und unseren Heimmarkt, konzentriert, die Risiken im Investmentbanking abgebaut, uns mit Zukäufen zurückgehalten und alle Umbauten möglichst geräuschlos vollzogen. UBS wurde manchmal vorgeworfen, langweilig zu sein. In meinen Augen ist eine langweilige Bank eine gute Bank.

Mit dem niederländischen Digitalisierungsexperten Ralph Hamers und dem US-Banker Colm Kelleher haben Sie zwei externe Kandidaten verpflichtet. Muten Sie der Bank zu viel Kulturwandel zu?
Viel, aber nicht zu viel. Frischer Wind belebt das Geschäft. Wir hatten als UBS in der Vergangenheit den Ruf, dass wir eine sehr hierarchisch geführte Organisation seien. Ein privatwirtschaftliches Institut muss in einem sich schnell wandelnden Umfeld jedoch dynamisch agieren können, um erfolgreich zu sein. Das wird künftig wichtiger denn je.

Welche Rolle spielt Europa in der zukünftigen Strategie der UBS noch?
In Europa sind wir schon gut aufgestellt. Wir haben in der EU und in unserem Heimatmarkt Schweiz bereits einen großen Marktanteil in der Vermögensverwaltung. Das Wachstum aber findet vor allem in dynamischen Märkten mit tiefen, liquiden Kapitalmärkten statt – und das sind nun einmal insbesondere die USA und Asien, allen voran China. Auf diese Regionen werden sich unsere Wachstumsinitiativen konzentrieren. In Europa wollen wir die Effizienz steigern.

Wenn Sie das Wachstumspotenzial in Asien und den USA sehen, interessiert sich die UBS in Zukunft noch für die Bankenkonsolidierung in Europa?
Wir haben uns in den letzten Jahren deutlich von der Konkurrenz abgesetzt. Bei uns hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir aus eigener Kraft sowie durch gezielte Übernahmen, die unsere Fähigkeiten ergänzen, eine höhere Wachstumsdynamik erreichen können. Das ist für uns vielversprechender als mit einer Universalbank zu fusionieren und diese dann mühsam in die UBS zu integrieren. Hinzu kommt: Eine zu starke Abhängigkeit vom Anleihegeschäft …

… in dem beispielsweise Deutsche Bank und Credit Suisse besonders stark sind …
… würde uns strategisch um Jahre zurückwerfen. Insofern hat sich für uns das Thema, ob wir aktiver Teil der EU-Konsolidierung sein wollen, etwas gewandelt.
Wie sieht es bei Zukäufen im Asset-Management aus?
Wir sind nach wie vor offen für weitere Kooperationen und Übernahmen. Das Problem ist: Vieles von dem, was gut wäre, ist nicht verfügbar. Und vieles, was verfügbar ist, ist nicht gut genug. Wir verwalten Vermögen von 4,6 Billionen Dollar. Wir sind allein im vergangenen Jahr über 100 Milliarden Dollar netto gewachsen. Das heißt, wir wachsen alle fünf Jahre um die Größe einer größeren Schweizer Privatbank. Mit dieser Dynamik können wir meines Erachtens auf organisches Wachstum setzen.

Die Deutsche Bank hat vor einigen Jahren potenzielle Fusionspartner durchrechnen lassen. Das Ergebnis lieferte die UBS als Wunschpartner. Beruht das auf Gegenseitigkeit?
Zu einem Wettbewerber sage ich nichts. Ich glaube, dass der Schluss durchaus richtig ist, dass jede Bank, der man UBS hinzufügt, eine bessere Bank wird. Die Frage ist, ob jede Bank, die sie uns hinzufügen, uns zu einer besseren Bank macht. Die wenigsten Konkurrenten in Europa haben über die letzten zehn Jahre gesehen netto attraktive Erträge für ihre Aktionäre erzielt. Insofern denke ich, dass wir mit unserer jetzigen Strategie auf dem richtigen Weg sind.

Die große verbliebene Baustelle bleibt der Prozess wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in Frankreich. Wie geht es dort weiter?
Diese Baustelle habe ich von meinen Vorgängern geerbt, und ich muss sie leider meinem Nachfolger überlassen. Das zeigt, wie langsam die Mühlen der Justiz mahlen. Wir habe eine deutliche Verbesserung des Urteils erreicht. In der ersten Instanz lag die Buße bei insgesamt bei 4,5 Milliarden Euro, in der zweiten sank sie auf 1,8 Milliarden Euro. Inzwischen liegt der Fall beim höchsten französischen Gericht. Wir haben die Möglichkeit, mit der Rücknahme unseres Widerspruchs den Fall endgültig zu beenden. Aber dabei muss man auch mögliche langfristige Kollateralschäden in Betracht ziehen und sorgfältig abwägen.

Welche Plane haben Sie persönlich nach zehn Jahren an der Spitze des Verwaltungsrates der UBS, abgesehen von der Führung des Center For Financial Studies in Frankfurt, die bereits angekündigt ist?
Ich werde der Schweiz verbunden bleiben, aber mein Lebensmittelpunkt wird wieder hauptsächlich in Deutschland sein. Ich werde nun ein bisschen kürzertreten und bis zum Herbst entscheiden, was ich zukünftig machen möchte. Ich bin noch zu jung, um gar nichts zu tun. Mein Ziel ist es, in Zukunft noch etwas unternehmerischer zu arbeiten. Ich bleibe sicherlich den Kapitalmarktthemen treu. Aber ich will mich nicht gleich in die nächste Herausforderung stürzen.

Herr Weber, vielen Dank für das Interview.

Mehr: UBS hängt Credit Suisse ab: Höchster Jahresgewinn seit 15 Jahren

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