Luna Luna-Rezension: Der von Basquiat, Dali und Hockney entworfene Lost Carnival ist das Kunstereignis des Jahres

Luna Luna verschwand wie ein Traum fast aus der Erinnerung. 1987 öffnete der österreichische Popstar und Künstler André Heller in Hamburg die Tore eines einzigartigen Rummelplatzes. Im Inneren finden Wanderzirkusdarbietungen vor Karussells und Fahrgeschäften statt, die von einem Team aus den größten Künstlern ihrer Zeit entworfen wurden. Einige waren bereits weltberühmt, wie Salvador Dalí, David Hockney und Roy Lichtenstein. Andere waren exzentrische Europäer oder die aufstrebenden Stars der New Yorker Street-Art-Szene: Jean-Michel Basquiat, Kenny Scharf und Keith Haring. In diesem Sommer strömten 300.000 glückliche Besucher in den Park und tauchten in die farbenfrohe, radikale, witzige und manchmal skatologische Kunst ein. Dann, wie ein Zirkus, der die Stadt verlässt, packte Luna Luna zusammen und verschwand.

Heller hatte große Pläne, mit seinen Attraktionen die Welt zu bereisen, doch diese wurden nie verwirklicht. Stattdessen landete Luna Luna im Lager, verpackt in 44 riesigen Schiffscontainern irgendwo im sonnengebleichten Texas. Dort blieb es die nächsten 35 Jahre, in den Kunstgeschichtsbüchern vergessen und im Internet kaum erwähnt. Schließlich erfuhren einige derjenigen, die sich erinnerten, Drake von seiner Existenz, dessen Unterhaltungsunternehmen DreamCrew über die richtige Kombination aus Finanzkraft (in Höhe von 100 Millionen US-Dollar), Live-Event-Erfahrung und Kunstverstand verfügte, um Luna Luna wieder zum Leben zu erwecken. „Innerhalb eines 30-sekündigen Gesprächs über ‚Das existierte‘ waren wir alle dabei“, sagte Anthony Gonzales von DreamCrew Die New York Times Ungefähr in dem Moment, als er dem Rapper die Idee vorbrachte. „‚Wie engagieren wir uns?‘“

Die erste Aufgabe bestand darin, die Lagerbehälter zu öffnen und herauszufinden, in welchem ​​Zustand sich der Inhalt nach den Jahrzehnten in der Wüste befand. Sie wurden nach Kalifornien geflogen, wo die Anleger die Zähne zusammenbissen und den Atem anhielten. Als die Türen aufgebrochen wurden, fand das Produktionsteam Schlangen, Skorpione und wie durch ein Wunder ein gut erhaltenes Kunsttraumland, das immer noch ordentlich verpackt war.

Jetzt ist es also da, zurück aus dem Erinnerungsloch. In einem höhlenartigen Lagerhaus in der Innenstadt von Los Angeles präsentiert eine Ausstellung mit dem Titel „Luna Luna: Forgotten Fantasy“ die liebevoll restaurierten Juwelen dieses lange vergrabenen Schatzes. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine wunderbare Möglichkeit, ein paar Stunden zu verbringen: Es ist ein Ort, der ein kindliches Gefühl des Staunens hervorruft. An dem Tag, an dem wir ihn besuchen, herrscht reges Treiben bei Menschen unterschiedlichen Alters, aber jeder scheint ein neugieriges, erfreutes Lächeln auf den Lippen zu haben. Es erinnert mich an Kurt Vonneguts alten Satz: „Wenn das nicht schön ist, weiß ich nicht, was es ist.“

Sie bekommen einen Eindruck davon, was Sie erwartet, bevor Sie das Gebäude betreten: Draußen auf dem Parkplatz betreten Sie den Raum durch eine Nachbildung von Hellers eigener aufblasbarer Traumstation. Es sieht ein wenig aus wie eine Hüpfburg-Version eines Dalek, ein vielversprechendes Tor zu einer neuen Welt.

Im Inneren werden Sie von Kenny Scharfs bemalter Schaukelstuhlfahrt und einer Vielzahl von Skulpturen begrüßt, die auf seinen psychedelischen Graffiti-Gesichtern basieren und wie übergroße Zeichentrickfiguren Grimassen schneiden und grinsen. Daneben befindet sich ein erhabenes Karussell, das vom österreichischen Maler Arik Brauer entworfen wurde. Es ist voller fantastischer Kreaturen wie der „Pferdehand“, einer orangebraunen Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger und den Beinen eines Rosses, die einen Sattel trägt. Eine der wenigen Enttäuschungen bei „Forgotten Fantasy“ ist, dass man angesichts des modernen Wertes dieser Kunstwerke nicht mehr auf dem Pferderücken oder sonst etwas reiten darf.

Der Höhepunkt ist sicherlich das bemalte Riesenrad von Jean-Michel Basquiat, das von Zeit zu Zeit zu den Klängen von Miles Davis‘ Lied „Tutu“ aus dem Jahr 1986 zum Leben erwacht.

Allerdings dürfen Sie, solange Sie extra für einen VIP-Moon-Pass bezahlen, einen Blick in David Hockneys Enchanted Tree-Pavillon werfen. Eine Installation, die auf Bühnenbildern basiert, die er ursprünglich für eine Inszenierung der Oper von Maurice Ravel im Jahr 1981 geschaffen hat Das Kind und die Zauber, es sieht zunächst nicht nach allzu viel aus. Dann beginnt draußen die Lichtshow, eine Aufnahme der Berliner Philharmoniker mit ausgelassenen Walzern von Johann II. und Josef Strauss beginnt, und plötzlich ist man wieder ein Kind und bahnt sich seinen Weg durch einen hoch aufragenden Wald.

Wenn Hockneys Werk die Unschuld der Kindheit beschwört, dann ist „Palast der Winde“ des österreichischen Künstlers Manfred Deix ein Geschenk für den kichernden Schulkind in uns allen. In den Achtzigern entwarf Deix für Luna Luna ein Festzelt, das speziell für die Aufführung von verstärktem Furzen mit klassischer Violine konzipiert war. Hier werden uns die prächtig illustrierten Wandgemälde zum Thema Blähungen präsentiert, die das Proszenium des Veranstaltungsortes schmückten, zusammen mit Fernsehbildschirmen, auf denen ein Konzertgeiger und ein paar Blähbäckige zu sehen sind, die eine Annäherung an Strauss‘ Walzer „Die blaue Donau“ spielen. Es macht Freude, es anzusehen, vielleicht wegen der Gegenüberstellung von anspruchsvoller und einfacher Kunst, oder weil es immer lustig ist zu sehen, wie ein Arsch ein Mikrofon anspricht.

An anderer Stelle erwähnt Keith Haring in einer Videoinstallation über die Geschichte von Luna Luna, dass Heller, als er ihn zum ersten Mal ansprach, ihn fragte, ob er „etwas für Kinder tun“ wolle. Haring war von der Idee begeistert. Der Künstler liebte Vergnügungsparks und nannte sein Engagement später ein „Fantasieprojekt“. Er flog nach Deutschland, um mit dem deutschen Fahrgeschäftsdesigner Peter Petz zusammenzuarbeiten, seine charakteristischen Charaktere von Hand zu malen und 3D-Versionen seiner Krabbelbabys, Krokodile und Hundemänner zu erstellen. Auch hier ist es einfach schade, dass man nicht wie in den Achtzigern einsteigen kann. Heute müssen wir uns damit begnügen, dass Harings riesige, industriell gefertigte Planen, die einst tolle Kulissen für Parkkünstler darstellten, noch besser für das Zeitalter von Instagram geeignet sind.

Im zweiten großen Raum der Ausstellung finden wir weitere monumentale Werke, darunter Salvador Dalís Dalídom-Pavillon, eine geodätische Kuppel mit einem verspiegelten Inneren, in die man hineinklettern kann, um einen kaleidoskopischen Blick auf die Unendlichkeit zu erhaschen, mit einem Ambient-Soundtrack aus gregorianischen Gesängen von Blue Chip-Orchester. Dann gibt es noch Roy Lichtensteins Luna Luna Pavilion, ein Glaslabyrinth, das von von Lichtenstein entworfenen Paneelen umgeben ist und einen Soundtrack des minimalistischen Komponisten Philip Glass hat.

Das Riesenrad von Jean-Michel Basquiat, im Hintergrund Roy Lichtensteins Luna-Luna-Pavillon und Salvador Dalís Dalídom

(Jeff McLane)

Der Höhepunkt ist jedoch sicherlich Jean-Michel Basquiats bemaltes Riesenrad, das von Zeit zu Zeit zu den Klängen von Miles Davis‘ Lied „Tutu“ aus dem Jahr 1986 zum Leben erwacht. Der Luna-Überlieferung zufolge stimmte Basquiat erst zu, das Fahrgeschäft zu entwerfen, nachdem Heller sich die Rechte gesichert hatte, Davis den Soundtrack für das Fahrgeschäft zu überlassen. Das antike Holzrad aus dem Jahr 1933 wurde anschließend von Wiener Kunsthandwerkern nach Basquiats Anleitung und Entwurf bemalt, das einzige Mal, dass der Künstler jemals ein Werk aus der Ferne ausgeführt hat. Am Ende war es mit seinen eigenwilligen Slogans („BLEEDING FINGERS“, „PORNOGRAPHY“) und cartoonartigen Street-Art-Illustrationen von Spaghettitellern und benommenen Hunden bedeckt. Auf der Rückseite des Rades ein weiterer Hauch von Obszönität: Das Rad scheint sich um das Hinterteil eines Affen zu drehen, den Schwanz nach oben, das Arschloch der Welt ausgesetzt.

Da ist es nur passend, dass die Ausstellung mit „Crap Chancellery“ des Schweizer Künstlers Daniel Spoerri endet. Zurück in Hamburg diente es als Eingang zu den Toiletten. Die Fassade ist den Entwürfen Albert Speers für die Reichskanzlei Adolf Hitlers nachempfunden, einem architektonischen Symbol der Größe und Macht der Nazis. Der Künstler schleppt spöttisch Speers neoklassizistischen Entwurf in den Dreck, auf dessen Säulen riesige Berge von Plastikkot zu sehen sind. Spoerri, dessen eigener Vater im Zweiten Weltkrieg von Nazis ermordet wurde, macht sich gnadenlos über die faschistische Ästhetik lustig. Wie vieles von Luna Luna ist es großartig, albern und anzüglich, aber dennoch seltsam bewegend, wenn man es in seiner vollen Pracht sieht. Wie dieser magische Rummelplatz, der fast in Vergessenheit geriet, sollte man nie vergessen, wie wertvoll es war, sich über die Nazis lustig zu machen.

„Luna Luna: Forgotten Fantasy“ ist jetzt in der 1601 E 6th St, Los Angeles geöffnet. Für Tickets und weitere Informationen, Liste lunaluna.com

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