Der Azubi-Mangel wird immer größer

Azubis bei der Deutschen Bahn

Der Anteil der Unternehmen, die der DIHK Probleme bei der Besetzung von Ausbildungsstellen melden, ist so hoch wie nie.

(Foto: dpa)

Berlin Jasmin Möller* wollte unbedingt Fachkraft für Lagerlogistik werden. Ein Praktikum in einem Betrieb bestärkte sie, doch eine Lehrstelle bekam die 17-Jährige nicht. „Sie wollten mich nicht, weil ich nur einen mittleren Schulabschluss habe“, sagt sie. Stattdessen habe das Unternehmen einen Abiturienten eingestellt, der aber nach wenigen Wochen wieder gekündigt habe. 

„Die Dummheit mancher Ausbilder kennt keine Grenzen“, meint der Unternehmensberater Johannes Gronover, der sich auf Ausbildungen spezialisiert hat. „Wer noch immer den Schulabschluss als Hauptkriterium für die Auswahl eines Azubis hält, macht einen entscheidenden Fehler.“ Zentral müssten immer Motivation und Begeisterungsfähigkeit sein, alles andere könne man ihnen beibringen, sagt Gronover. Er selbst hat in Elektro-Betrieben im Raum Heilbronn etwa 100 Azubis ausgebildet und berät inzwischen Firmen dazu.

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Guten Rat können zigtausende Betriebe in diesen Tag gut gebrauchen, denn Ende Juli waren nach Daten der Bundesagentur für Arbeit noch 228.000 Lehrstellen unbesetzt. Das Problem wird von Jahr zu Jahr größer: Nach der neuen Ausbildungsumfrage des DIHK konnten 2022 fast die Hälfte der Betriebe in Industrie und Handel nicht alle Lehrstellen besetzen. „Ein neues Allzeithoch“, sagte DIHK-Vize Achim Dercks bei der Vorstellung. 

Noch 2018 war nicht mal ein Drittel der Firmen vom Azubi-Mangel betroffen. Mehr als 30.000 Betrieben hätten 2022 nicht eine einzige Bewerbung bekommen. Gut zwei Drittel der rund 14.000 befragten Betriebe gaben an, sie hätten „keine geeigneten Bewerbungen“ erhalten. 

Die Betriebe reagieren zwar: 61 Prozent bieten mehr Praktika an, jeder zweite mehr Veranstaltungen, um für die duale Ausbildung zu werben, ergab die DIHK-Umfrage. 

Doch der seit Jahren anhaltende Niedergang der Ausbildung bedroht massiv die künftige Versorgung mit Fachkräften. 2022 wurden zwar erstmals wieder 0,8 Prozent mehr neue Ausbildungsverträge geschlossen als 2021. Doch das waren noch immer acht Prozent weniger als vor der Corona-Pandemie und sogar 14 Prozent weniger als vor zehn Jahren

Betriebe werben längst nicht alle digital für sich

Aber: „Wenn ich schon erwarte, keine oder keine ‘guten’ Lehrlinge zu finden, wird das natürlich nichts“, warnt Gronover vor Pessimismus, der sich selbst erfüllt. „Die Erwartungshaltung muss total offen sein“, meint er, „und wenn es mal gar nicht klappt, muss man sich eben trennen oder den Azubi nicht übernehmen.” Betrieben, bei denen sich überhaupt keine Kandidaten melden, müssten dorthin gehen, wo die jungen Leute sind: Auf Instagram und Tiktok. 

Nach einer Forsa-Umfrage hatte allerdings noch 2021 fast jeder dritte Betrieb überhaupt keine Internetpräsenz – vor allem kleine und mittelgroße Firmen. Eine aussagekräftige Website und digitale Stellenanzeigen seien aber Mindestvoraussetzung, damit potenzielle Azubis aufmerksam werden, riet schon damals das Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung am Institut der deutschen Wirtschaft. 

Das schient noch immer nicht in der Breite angekommen: Nach der DIHK-Umfrage macht nur ein Viertel der Firmen digitale Info-Angebote. 

Als Grund für den Lehrlingsmangel sieht der DIHK vor allem die gesunkene Zahl der Schulabgänger „Die Jahrgänge dünnen immer weiter aus“, sagte Derck. Heute gebe es rund 100.000 weniger Schulabgängerinnen und Schulabgänger als noch vor zehn Jahren. Dazu kam zuletzt, dass während Corona Berufsorientierung in den Schulen, Messen, Betriebsbesuche und Praktika kaum möglich waren.  

Potenzial ist da: Arbeitslose, Ungelernte und Hunderttausende in den Warteschleifen 

Potenzial gäbe es jedenfalls: So gibt es immer mehr junge Menschen ohne Job, derzeit ist knapp eine Viertelmillion Menschen unter 25 arbeitslos gemeldet, schlug BA-Chefin Andrea Nahles unlängst Alarm.

Die Zahl der Menschen zwischen 20 und 35 ohne jegliche Berufsausbildung hat zuletzt ein Rekordhoch von mehr als 2,6 Millionen Menschen erreicht. Und schließlich landeten auch 2022 wieder 240.000 junge Leute in den Kursen des „Übergangssystems“ an den Berufsschulen. Dort können sie Versäumtes oder einen Abschluss nachholen, aber keine Ausbildung machen.

Und es gibt durchaus Berufe mit mehr Bewerbern als Lehrstellen, meldet die BA: Zum Beispiel in der Softwareentwicklung, wo händeringend Fachkräfte gesucht werden. Wenige offene Plätze haben auch die Kfz-Technik und -Verkauf, Tischlerei, Gartenbau, Maler- und Lackierer- sowie Verwaltungsberufe. Auch in der Tierpflege, künstlerisch-kreativen Berufen wie Mediengestaltung, Raumausstattung, Veranstaltungs-, Kamera- oder Tontechnik sind die Aussichten auf eine Ausbildung weiter gering.

*Name von der Redaktion geändert 

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