Das Female Allstar Board rückt die Vorbilder ins Scheinwerferlicht

Handelsblatt kürt rein weiblichen Vorstand

Mit Belén Garijo (CEO Merck KGaA, unten links), Ilka Horstmeier (Personalvorständin BMW, oben links), Claudia Nemat (Technologievorständin Deutsche Telekom, unten Mitte), Helene von Roeder (CFO Vonovia, oben rechts) und Britta Seeger (Vertriebsvorständin Daimler, unten rechts) wurden fünf herausragende Managerinnen in das „Female Allstar Board“ berufen.

Düsseldorf Sie sind deutsch, männlich, Mitte fünfzig und Wirtschaftswissenschaftler. Seit Jahrzehnten haben börsennotierte Unternehmen in Deutschland ihre Vorstände nach dem immer gleichen Muster rekrutiert und so den Archetyp des Vorstandsmitglieds erschaffen. Ganz anders kommt die Besetzung des „Female Allstar Board“ (FAB) daher, für das das Handelsblatt und die Beratung Bain & Company fünf C-Level-Persönlichkeiten aus deutschen Dax-Konzernen ausgezeichnet haben.

Das FAB ist international, hat mal Astrophysik, mal Medizin studiert – und vor allem ist es weiblich. „Sie sind eine Minderheit. Aber es gibt die Frauen, die die Geschäfte ihrer Unternehmen erfolgreich lenken“, sagte Walter Sinn, Managing Partner bei Bain & Company in Deutschland, bei der Preisverleihung in Düsseldorf. „Mit dem FAB rücken wir diese Leistungsträgerinnen ins Scheinwerferlicht.“ Die Frauenriege habe eigentlich auch nichts mit Diversität zu tun. „Aber es ist schon verwunderlich, warum rein männliche Vorstände oft kommentarlos hingenommen werden.“

Die Vorstände von Dax-Unternehmen sind von Geschlechtergleichheit weit entfernt. Der Frauenanteil wächst nur langsam – jedenfalls bei Weitem nicht schnell genug, meint etwa die deutsch-schwedische Allbright Stiftung. In ihrem diesjährigen Report zählte sie in den Vorständen der 160 Börsenunternehmen (Dax, MDax und SDax) 613 Männer und 86 Frauen.

Die Stiftung moniert, dass diese gerade einmal gut 16 Prozent Topmanagerinnen meist Positionen mit begrenztem Gestaltungsspielraum besetzen, zum Beispiel im Personal- oder Finanzwesen. Auf die FAB-Preisträgerinnen trifft das jedoch nicht zu.

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Der Personalbereich ist der Klassiker, um Vorstandsfrauenquoten zu erfüllen. Dabei ist er für eine zukunftsweisende Unternehmensstrategie entscheidend. Ilka Horstmeier ist Personalchefin beim Autobauer BMW, der wie die gesamte Branche unter enormem Transformationsdruck steht. Mobilität der Zukunft sei auch im Bereich Human Resources das zentrale Thema, „denn diese Zukunft wird vom Menschen gemacht“, sagt Horstmeier, die in der Kategorie CHRO die FAB-Jury überzeugte. Die Managerin will alle rund 130.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von BMW bei diesem Wandel mitnehmen und ganz nebenbei auch den Frauenanteil im Unternehmen erhöhen.

Die Dax-Erweiterung brachte nicht mehr Vielfalt

In der Kategorie CFO wurde Helene von Roeder ausgewählt, die Finanzchefin des Wohnungskonzerns Vonovia, der jüngst trotz einiger Widerstände mehr als die Hälfte der Aktien des Konkurrenten Deutsche Wohnen eingesammelt hat. Die Managerin, die alles andere als ein Dasein im Schatten ihres CEO fristet, ist überzeugt, dass sich die Kräfteverhältnisse in den Vorständen grundsätzlich verschieben werden und sich der CEO den Einfluss zunehmend mit dem CFO teilen wird.

„Nicht derjenige, der den Report hat, hat die Macht, sondern derjenige, der die Daten hat“, sagte von Roeder bei der Preisverleihung. Sie ist zuversichtlich, dass der Frauenteil in den Dax-Vorständen weiter steigen wird. „Wir werden mehr, und wir übernehmen mehr Ressorts. Das wird sich auspendeln, und über die Zeit werden wir überall sein.“

Ein Blick auf die Start-up-Szene dämpft solche optimistischen Erwartungen. Er belegt, dass das Geschlechterungleichgewicht sich womöglich nicht einfach rauswächst. Die Dax-Erweiterung im September brachte auch einige jüngere Unternehmen wie Hellofresh und Zalando in den deutschen Leitindex, vielfältiger wurden die Führungsetagen damit aber nicht – im Gegenteil. Mit den zehn Neulingen ging der Frauenanteil sogar von rund 19 auf 17,6 Prozent zurück.

Die Hälfte der zehn Dax-Neulinge hat überhaupt keine Frau im Vorstand. „Anders als es viele erwarten, sind auch Gründerteams oft rein männlich besetzt“, sagte Andrea Wasmuth, Geschäftsführerin der Handelsblatt Media Group, bei der Preisverleihung.

Da Abwarten und Selbstverpflichtungen nicht zu einem Wandel in den Vorständen führen, sehen viele eine Quotenregelung als einzige Lösung. Belén Garijo hält davon jedoch nichts. Sie sei gegen jede Form der Diskriminierung, „auch gegen positive Diskriminierung“. Die Spanierin steht als erste Frau allein an der Spitze eines Dax-Konzerns – und zwar an der des Pharma- und Chemiekonzerns Merck.

Startpunkt für ein Netzwerk herausragender Wirtschaftlerinnen

„Diversität ist eine Konsequenz guter Führung“, sagte die Managerin, die in der Kategorie CEO geehrt wurde, bei der Veranstaltung. „Wir müssen ein inklusives Umfeld schaffen, in dem Diversität ein Mehrwert ist und nicht bloß eine lästige Pflicht.“ Anderen Frauen rät Garijo zu netzwerken, statt darauf zu warten, irgendwann entdeckt zu werden.

Die FAB-Preisverleihung soll Startpunkt für ein Netzwerk herausragender Managerinnen von heute und morgen sein. Jede Preisträgerin benennt fünf Mentees für das FAB-Netzwerk. Dieses soll über die Zeit wachsen und das Thema Frauen in Führungspositionen stärken – wenigstens so lange, bis es solche Initiativen hoffentlich nicht mehr braucht.

Die fünf Preisträgerinnen in Kurzporträts:

Belén Garijo, Vorstandsvorsitzende Merck

Belen Garijo

Die Managerin ist seit Mai 2021 Vorsitzende der Geschäftsleitung der Merck KGaA.

(Foto: dpa)

Für Belén Garijo war der Schritt in die Pharmaindustrie eine Notlösung. Es waren die 1980er-Jahre, die junge Ärztin wollte sich eigentlich gerne in einem Madrider Krankenhaus um Patienten kümmern, doch die schlechte Lage am spanischen Arbeitsmarkt zwang sie zum Wechsel. Es folgten Stationen bei internationalen Konzernen wie Abbott, Rhône Poulenc, Aventis und Sanofi, bis sie 2011 bei Merck landete – einem traditionsbewussten Pharma- und Chemiekonzern, den lange Zeit Männer dominierten.

„In zehn Jahren hat sie es an die Unternehmensspitze geschafft und setzt sich dort wie kaum eine andere für Diversität ein“, lobte Walter Sinn, Managing Partner von Bain & Company in Deutschland, die Entschlossenheit von Deutschlands einziger Dax-CEO bei der Preisverleihung.

Als Garijo den Merck-Chefposten im Mai dieses Jahres antrat, überraschte sie, wie viel Aufmerksamkeit ihr Frausein dabei erregte. „Ich sehe mich selbst einfach als CEO eines großartigen Unternehmens“, erklärte die 61-jährige Spanierin bei der Preisverleihung im Interview mit Handelsblatt-Vize-Chefredakteurin Kirsten Ludowig. „Aber ich bin stolz, auch anderen Frauen Türen öffnen zu können.“ Schon jetzt sind 35 Prozent der Merck-Führungskräfte weiblich. Und wenn es nach Garijo geht, sollen es bald 50 Prozent sein.

Ilka Horstmeier, BMW-Personalvorständin

Ilka Horstmeier

Die Personalvorständin ist die oberste Change-Managerin bei BMW.


(Foto: imago images/sepp spiegl)

Für die Preisverleihung schaltete sich Ilka Horstmeier per Video aus der „BMW-Welt“ in München zu, ihrem beruflichen Zuhause. „Sie ist ein richtiges BMW-Gewächs“, bestätigte Christine Bortenlänger, geschäftsführende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts, in ihrer Laudatio. Horstmeier leitete lange das wichtigste deutsche BMW-Werk in Dingolfing und war für die Motorentwicklung zuständig – einen Bereich, in dem sonst häufig männliche Ingenieure das letzte Wort haben.

Horstmeier hingegen hat BWL studiert und ist eine Frau. „Ich bin früh in die Produktion gewechselt. Dort war ich lernbereit und brachte Fähigkeiten ein, die andere Kollegen nicht hatten“, sagte sie. Für die Position brauche es nicht bloß Motorenexpertise, sondern strategische Fähigkeiten und Teamgeist. „27 Jahre an der Schnittstelle von Einkauf und Entwicklung haben mich geprägt und machen mir meine Arbeit auch heute noch deutlich leichter.“

Seit Ende 2019 ist Horstmeier BMW-Personalchefin und gestaltet so die Transformation des Konzerns mit. „Die kann uns nur mit dem richtigen Team gelingen“, so Horstmeier.

Claudia Nemat, Technologievorständin Deutsche Telekom

Claudia Nemat

Die 52-Jährige ist seit 2011 Mitglied des Vorstands der Telekom.


(Foto: Bloomberg/Getty Images)

Als Studentin wollte sie vor allem Technik verstehen, heute will sie Menschen bewegen – mit Algorithmen, mit Künstlicher Intelligenz, mit Daten. „Als Physikerin bin ich ein Tech-Geek“, so beschrieb es Claudia Nemat bei der Preisverleihung in Düsseldorf selbst. Dann holte sie zum Rundumschlag aus und erzählte vom Potenzial der Digitalisierung für Lieferketten, Gesundheitsversorgung, Recycling und Landwirtschaft.

Nemat hat ihre Karriere als Beraterin bei McKinsey gestartet und so in zahlreiche Branchen und Länder reingeschaut. Seit 2017 führt sie das Ressort Technik und Innovation der Deutschen Telekom – eine Schaltstelle für die Digitalisierung im Land. „Nemat ist absolute Überzeugungstäterin und steht wie kaum eine andere Unternehmerin für Digitalisierung“, sagte Gesche Joost, Professorin für Designforschung an der Universität der Künste Berlin, in ihrer Laudatio.

Sie lobte auch den schlanken Managementstil der Telekom-Vorständin. Als Nemat ihre Position antrat, flachte sie Hierarchien ab und verkürzte Entscheidungswege. Nur so könne man mit dem rasanten Tempo der Digitalisierung mithalten. Davon ist die 52-Jährige überzeugt – und wollte noch schnell einen letzten Punkt loswerden: „Das Wichtigste muss ich noch sagen: Ich sorge auch für den 5G- und den Glasfaserausbau. Versprochen!“ Jedes Funkloch sei eines zu viel.

Helene von Roeder, Finanzvorständin Vonovia

Helene von Roeder

Die Physikerin arbeitet seit drei Jahren für Vonovia, zuvor war sie bei der Credit Suisse.


(Foto: imago images / Sven Simon)

Die Fusion von Vonovia und Wettbewerber Deutsche Wohnen war schon lange im Gespräch gewesen. Vielleicht brauchte es eine Finanzvorständin beim Immobilienkonzern, um sie endlich in die Tat umzusetzen. Helene von Roeder sei gelungen, woran die Männer vor ihr gescheitert seien, sagte FAB-Jury-Mitglied Simone Menne, unter anderem Aufsichtsrätin bei Henkel und der Deutschen Post. „Wir würdigen ihr klares, unaufgeregtes Auftreten“, lobte Menne.

Die Multi-Aufsichtsrätin verwies noch auf einen anderen Coup. Von Roeder hat in diesem Jahr den ersten Green Bond der Vonovia emittiert und damit 600 Millionen Euro an frischem Kapital eingesammelt. Die studierte Astrophysikerin begann ihre Karriere im Risikomanagement der Deutschen Bank und verließ die Bankenwelt erst mit ihrem Wechsel zur Vonovia im Jahr 2018.

„Ein Höhepunkt in ihrer Karriere?“, wurde sie bei der FAB-Preisverleihung gefragt. „Es ist ein wichtiger und spannender Schritt, aber ich muss noch nicht über Höhepunkte nachdenken. Es wird noch viel kommen“, sagte von Roeder gewohnt unaufgeregt. Demnächst wird die 51-Jährige im Vonovia-Vorstand für Digitalisierung und Innovation verantwortlich sein.

Britta Seeger, Daimler-Vertriebsvorständin

Britta Seeger

Die Daimler-Managerin sitzt auch im Aufsichtsrat der Lufthansa.


(Foto: Bloomberg/Getty Images)

Britta Seeger handelt mit Sternen – und in 30 Jahren bei Daimler habe sie auch nie darüber nachgedacht, etwas anderes zu machen. „In einem so großen Konzern gibt es immer die Möglichkeit für eine Abwechslung“, sagte Seeger. Sie hatte viel Abwechslung, seitdem sie noch als Studentin bei dem Autobauer ihre Karriere startete. Die Jury beeindruckte am meisten Seegers Schritt nach Südkorea, sagte Paul Achleitner, FAB-Laudator und Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank – „zumal sie für die Abstimmung mit ihrer Familie gerade mal 48 Stunden brauchte“.

In Südkorea übernahm die Mutter von Drillingen als erste Frau die Führung einer Automobiltochter. Es ging weiter nach Istanbul und Anfang 2017 als Vertriebsvorständin zurück nach Stuttgart. Seitdem wird sie vor allem daran gemessen, wie viele Fahrzeuge Daimler weltweit verkauft. Weitere Benchmarks: Bis 2025 soll jedes vierte Auto online verkauft werden. Bis 2022 will Seeger in jedem Autosegment eine Batterievariante anbieten. „Das fünfte E-Fahrzeug haben wir bereits vorgestellt“, sagte die 52-Jährige. „Wir sind voll auf Zielkurs.“

Die Methode

Für das „Female Allstar Board“ (FAB) wurden Managerinnen ausgezeichnet, die typische C-Level-Positionen in deutschen Unternehmen besetzen. Die Jury ermittelte die Finalistinnen auf wissenschaftlicher Basis. Dafür analysierte das Handelsblatt Research Institute (HRI) das berufliche Profil mehrerer Tausend Managerinnen in einem Mehrebenenmodell.

Kriterien für die Performance der Kandidatinnen waren neben allgemeinen Unternehmensdaten die Leistungen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen. Das HRI bewertete jeweils Innovationsgrad und Erfolgsniveau. Wie neuartig waren die Ansätze – und konnten sie vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht überzeugen?

Mehr: Was Frauen in der Karriere nach vorn bringt. Eine Serie.

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