C&A-Chefin Giny Boer will wieder in Deutschland produzieren

Düsseldorf Giny Boer steht nun seit einem Jahr an der Spitze von Deutschlands drittgrößtem Modehändler C&A. Sie hat große Pläne: Sollte es ihr gelingen, künftig 800.000 Jeans im Jahr in Mönchengladbach produzieren zu lassen, wäre sie eine Vorreiterin für einen Trend, von dem zwar häufig gesprochen wird, den aber vor ihr noch niemand umgesetzt hat: die Rückholung der Produktion nach Deutschland.

Den Online-Handelsumsatz des 1841 gegründeten Unternehmens der Familie Brenninkmeijer, der auf niedrigem Niveau war, hat sie verdoppelt, bereits 230 Filialen sind modernisiert worden. Der Kulturwandel hin zu flacheren Hierarchien nimmt langsam Gestalt an. Vor wenigen Wochen verkündete sie, dass sie Stellen abbauen muss.

Im Handelsblatt-Interview konkretisiert sie, wo sie Personal abbauen will.

Frau Boer, nach 23 Jahren Karriere bei Ikea wechselten Sie vor einem Jahr zu C&A. Wollten Sie endlich als CEO in der Verantwortung stehen?
Ich führe gern, das stimmt. Wichtig ist mir, dass das freundlich und kooperativ geschieht. Ich entfessele gern das Potenzial der Mitarbeitenden und arbeite mit ihnen gemeinsam, um das beste Ergebnis zu erreichen. Ich glaube an die Kraft sinnstiftender Organisationen, und wenn man diese führen kann, ist das eine große Aufgabe – vor der ich auch Respekt habe. Ich liebe Herausforderungen, und hier habe ich wirklich eine.

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Welches Argument der Familie Brenninkmeijer war ausschlaggebend für Ihren Wechsel von Ikea?
Oh, es waren keine Argumente der Familie, es war C&A. Erstens ist C&A für mich eine Ikone. Ich weiß, es ist ein deutsches Unternehmen, aber für mich als Niederländerin ist es auch eine niederländische Ikone. Meine Schwester und ich haben da schon eingekauft, meine Mutter, meine Oma.

Zweitens habe ich eine Leidenschaft für Mode. Schon als Studentin habe ich Mode verkauft. Es macht mir Spaß, nicht Mühe, mich den ganzen Tag mit Mode zu beschäftigen.

Drittens bin ich Retailerin, die mit den Produkten breite Bevölkerungsschichten ansprechen möchte. Viertens mag ich Familienunternehmen, weil sie wirklich langfristig denken.

2018 gab es aber Gerüchte, die Familie wolle C&A in Gänze verkaufen …
Bevor ich Ja gesagt habe, habe ich tief recherchiert. Mich hat die Nachhaltigkeitsstrategie der Brenninkmeijers in jeder Hinsicht überzeugt. Die Brenninkmeijers und die Cofra Holding als Eigentümer haben in ihren Statuten verankert, dass sie sich für das Gute einsetzen. Das ist in den Köpfen drin.

Vor dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013 war das aber noch anders. Und auch zu Beginn der Pandemie hielt C&A 166 Millionen Euro an Rechnungen zurück und zahlte erst später. Da haben die Brenninkmeijers nicht gut kommuniziert.
Entscheidungen meiner Vorgänger kommentiere ich nicht. Ich kann nur sagen: Es gab für mich viele gute Gründe, mich für C&A zu entscheiden.

Welche waren das?
Das Retailgeschäft war schon vor der Coronapandemie in der Transformation. Die Kundinnen und Kunden veränderten bereits ihre Kaufentscheidungen. Das wurde durch die Pandemie noch einmal deutlich beschleunigt. Daher glaube ich, dass der Handel sein Geschäftsmodell verändern muss. Kritisieren von außen kann man leicht, aber man kann auch Teil der Veränderung sein. Die Modeindustrie war eine neue Branche für mich. Zugleich war ich mir sicher, dass ich stark darin bin, auch auf unbekanntem Terrain zu führen. Das alles waren Gründe für die Zusage.

„Hier in der Organisation gibt es zu viele Hierarchiestufen, zu viel Bürokratie“

Jetzt sind Sie seit einem Jahr Chefin von C&A mit über 23.000 Mitarbeitern in 18 Ländern und 1400 Filialen. Was hat Ihnen schlaflose Nächte bereitet?
Covid! Es betrifft uns alle und all unsere Lebensbereiche. Als wir aus Spanien im September 2020 nach Düsseldorf gezogen sind, war einen Monat später alles dicht. Und jetzt ist es wieder so. Wie es in den Geschäften in den kommenden Wochen weitergeht, ist aktuell kaum vorherzusehen. Schauen Sie in mein Heimatland. Dort kam es sehr kurzfristig wieder zu einem Lockdown.

Vor anderthalb Monaten haben Sie angekündigt, dass Sie Mitarbeiter entlassen müssen. Warum genau?
Meine wichtigste Aufgabe ist, die Modernisierung von C&A voranzutreiben, einen Kultur- und Strukturwandel umzusetzen. Hier in der Organisation gibt es zu viele Hierarchiestufen, zu viel Bürokratie. Wir müssen einfacher, schlanker und schneller werden, um zu bestehen. Um unternehmerischer zu arbeiten, brauchen wir weniger Hierarchiestufen – das ist der Grund.

Wie viele Mitarbeiter wird es treffen?
Das können wir nicht sagen, weil die Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern noch laufen.

Solche Ankündigungen relativ kurz vor Jahresende schüren Unruhe …
Sie haben vollkommen recht, das ist für alle frustrierend. Aber wir versuchen, so transparent zu sein wie möglich und unsere Mitarbeiter mitzunehmen auf dieser Reise. So hatten wir in der Woche vor Weihnachten zum Beispiel ein virtuelles Townhall-Meeting mit 3000 Teilnehmern, bei dem wir verschiedene Informationen zum Prozess, aber auch Neuigkeiten aus den Geschäftsbereichen geteilt haben.

Uns interessiert vor allem, wie es in Deutschland weitergeht. Wann wollen Sie denn die neue Struktur genau bekannt geben?
Es wird Land für Land bekannt gegeben, wenn wir uns mit den jeweiligen Betriebsräten geeinigt haben.

„Ich spreche nicht so gern vom Scheitern, lieber vom Lernen“

Was ist mit Belgien, schließen Sie dort den zweiten Hauptsitz?
Auch in Belgien werden wir uns verändern. Wie genau, wird sich in den weiteren Gesprächen mit dem Betriebsrat zeigen. Sicher ist, dass wir in Belgien weiter stark aufgestellt sein werden. Uns kommt es nicht auf die Bezeichnung des Standorts an, sondern darauf, dass wir vor Ort sind. Vielleicht sogar noch an neuen Standorten, an denen wir neue Talente finden.

Sie sprechen gern vom Kulturwandel, vom unternehmerischen Denken. Wie soll das funktionieren, wenn die Mitarbeiter Angst um ihre Jobs haben?
Wichtig war, dass ich mit Jean Sebastien Guy einen sehr guten Chief People & Culture Officer engagiert habe, mit dem ich bereits bei Ikea zusammengearbeitet habe. Schon einen Monat nachdem er im März bei C&A anfing, hat es die ersten Treffen mit den Mitarbeitenden gegeben. Seitdem alle zwei Wochen. Dann treffen wir uns zu Value Sessions, Townhalls oder auch in kleiner Runde mit nur 20 Kolleginnen und Kollegen und sprechen über unsere Erfahrungen und Erkenntnisse.

Ist das der „Failure Friday“, den Sie eingeführt haben?
Nein. Failure Friday ist ein weiteres Format, bei dem eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter erzählt, wann schon einmal etwas nicht gut gelaufen ist und was sie oder er daraus gelernt hat.

Woran sind Sie denn in diesem Jahr gescheitert?
Ich spreche nicht so gern vom Scheitern, lieber vom Lernen.

„Covid ist ein Stresstest: Wenn man muss, dann geht sehr viel“

Was haben Sie denn gelernt?
Covid ist ein Stresstest, nicht nur für C&A. Als die Pandemie ausbrach, sahen wir die Agilität im Unternehmen. Meine Erkenntnis: Wenn man muss, dann geht sehr viel. Die Pandemie hat gezeigt, dass das alles keine Theorie, sondern Wandel möglich ist.

Die Eigenkapitalquote ist mit etwas mehr als zehn Prozent dünn. Mit welcher Quote würden Sie entspannt arbeiten können?
Dazu möchte ich nichts sagen.

Sie sagen, Sie seien gekommen, um zu bleiben. Wo steht C&A in fünf Jahren?
Um das zu verstehen, muss ich etwas ausholen: In meinen beiden Lehrmonaten hier, bevor ich alleinige CEO wurde, habe ich wirklich alles mitgeschrieben – mit der Hand. Dann habe ich meine Erkenntnisse und Gedanken in einen Plan übertragen. Den „One C&A-Plan“. Dann galt es, als Nächstes das Managementteam zu stärken, um den Plan umsetzen zu können. Eine der ersten Aufgaben dieses neuen Teams war es, unseren Purpose zu definieren. Diesen haben wir mit Mitarbeitenden, Kunden und der Familie diskutiert und dann kommuniziert.

Das Führungsteam von C&A

Von links nach rechts: Martijn van der Zee (zuständig für Handel und Nachhaltigkeit), Giny Boer (CEO), Birgit Kretschmer (Finanzvorständin), Eric Brenninkmeijer (zuständig für Cluster und Länder), Joris Van Rooy (zuständig für Digitales und Kundenbindung), Betty Kieß (zuständig für Unternehmenskommunikation), Jean Sebastien Guy (zuständig für Personal und Unternehmenskultur)


(Foto: C&A)

Und wie heißt er in einem Satz?
„We inspire you every day to look, feel and do good.“ Außerdem haben wir die Werte identifiziert, die definieren, wie wir zusammenarbeiten. Das Ergebnis: Wir sind ein Unternehmen, das von seinem Sinn und seinen Werten hergeleitet wird.

Jetzt fehlt noch die Antwort auf meine Frage: Wo steht C&A in fünf Jahren?
Wir sind ein Omnichannel-Anbieter, der langlebige, nachhaltige Kleidung zu einem bezahlbaren Preis anbietet. Wir müssen fokussierter werden – vor allem noch digitaler und kundenzentrierter.

„Wir werden einen Großteil der Kooperationen mit externen Partnern nicht fortsetzen“

Was haben Sie bereits erreicht?
Wir haben seit September bereits 230 Filialen neu eingerichtet, im nächsten Geschäftsjahr, das im März beginnt, werden es 600 sein. An vielen Stellen ist dies nur ein Facelift, aber es ist ein Anfang. In diesen Filialen können Mitarbeitende und Kunden den Wandel erleben.

Wollen Sie wie die Konkurrenz auch Filialen verkleinern?
Nicht nur. Und wenn wir Filialen verkleinern, geht das nicht auf Knopfdruck. Wir haben künftig die normalen C&A-Filialen in drei Größen und zusätzlich die Concept Stores. Auf Basis dieser Entscheidung schauen wir uns alle Stores an: Welche sind transformierbar und welche nicht? Wir haben zum Beispiel auch herausgefunden, dass Kundinnen und Kunden in der Regel nur ungern mehr als eine Rolltreppe hochfahren wollen, auch solche Aspekte gilt es zu berücksichtigen.

Selbst wenn all Ihre Projekte für sich genommen erfolgreich sind, lösen Sie nicht das Grundproblem, dass die Marke bei jungen Leuten nicht zieht und die Filialen seit bald 40 Jahren oft als „cheap and awful“ bezeichnet werden.
Lassen Sie uns das Gegenteil beweisen! Wir glauben, dass man ein Unternehmen auch Schritt für Schritt umbauen kann, das passiert derzeit an allen möglichen Stellen gleichzeitig. Wir wollen dabei unsere eigene Handschrift hinterlassen. Wir werden einen Großteil der Kooperationen mit externen Marken nicht fortsetzen, obwohl sie teilweise sehr erfolgreich waren. Strategisch ist es aber wichtiger, dass wir uns stärker auf uns besinnen. Das Design der Kleidungsstücke selbst entwickeln und damit auch der Materialien.

Das Kernproblem bleibt: Wie erreichen Sie die jüngeren Kunden? Konkurrenten setzen schon viel länger auf Influencer.
Die meisten kennen uns nur aus den Filialen, sie müssen uns online kennen lernen. Wir haben die Zahlen im Onlinehandel, seitdem ich da bin, verdoppelt. Das lag vor allem an den größeren Lagerkapazitäten. Wir hatten bislang ein Logistikzentrum. Wir haben seit Oktober ein zweites in Poznan, und in einem halben Jahr eröffnen wir ein drittes in Kamen. So können wir künftig auch deutlich schneller liefern.

„Bis 2024 oder 2025 wollen wir die Hälfte des Umsatzes online erwirtschaften“

Sie wollen die Hälfte des Umsatzes online erwirtschaften, derzeit liegt der Onlineumsatz geschätzt bei unter 20 Prozent. Wann wollen Sie das Ziel erreichen?
2024 oder 2025 wollen wir das geschafft haben.

Was hat Ihnen die Kooperation mit Zalando gebracht?
Zahlen nennen wir auch hier nicht, aber wir sind sehr zufrieden mit dieser Partnerschaft. Jetzt, wo es in den Niederlanden wieder einen Lockdown gibt, können wir zum Beispiel aus den Filialen heraus über die Plattform wenigstens liefern. Das ist sehr gut.

Würden Sie auch eine neue Marke oder spezielle Stores entwickeln, um jüngere Kunden zu gewinnen?
Nein!

Sie sagen, Nachhaltigkeit war schon fest verankert, als Sie kamen. Wie haben Sie das weiterentwickelt?
Wir haben eine Nachhaltigkeitsstrategie für den Zeitraum bis 2028 entwickelt. Dabei hat uns geholfen, dass wir bereits einer der weltweit größten Abnehmer von Bio-Baumwolle sind.

Was sind Ihre Nachhaltigkeitsziele?
Wir wollen nicht nur die Mode demokratisieren, sondern auch die nachhaltige Mode. Dafür muss es einfach sein, sich für ein nachhaltiges Kleidungsstück zu entscheiden. Darüber hinaus haben wir in der erwähnten Strategie für 2028 ganz konkrete Ziele benannt. Bis 2028 sollen unter anderem 100 Prozent der Kernmaterialien nachhaltiger bezogen werden, sieben von zehn Produkten durch die Verbindung von Innovation und Kreislaufwirtschaft eine längere Lebensdauer haben und 50 Prozent der Einwegkunststoffe in Geschäften, im Onlineshop und in der Lieferkette durch nachhaltige Alternativen ersetzt werden.

„Wir sind die Ersten, die wieder hier produzieren“

Sie produzieren als erstes Unternehmen in ihrer Peer Group wieder hierzulande. In Mönchengladbach wird nicht mehr nur geforscht und entwickelt.
Ja, wir forschen dort nicht nur, sondern schaffen auch ein Geschäftsmodell. In einer ersten Ausbaustufe werden wir rund 400.000 Jeans produzieren, später 800.000. Die Idee ist, dass wir Wege sparen, neueste Technologie einsetzen und mit Start-ups und Hochschulen an neuen Verfahren arbeiten, um noch besser zu werden. Und dann sind wir die Ersten, die wieder hier produzieren.

Wie viel Prozent des Bruttowarenvolumens wären das?
Etwa drei Prozent unserer gesamten Jeansproduktion.

Wie läuft das Secondhandgeschäft, das Sie in Hamburg gerade testen?
Wir evaluieren das gerade erst. Ich bin aber zufrieden und möchte weiter daran arbeiten.

Könnten Sie sich vorstellen, ganz anders zu wirtschaften?
Das tun wir an vielen Stellen schon, etwa mit der Fabrik in Mönchengladbach, mit neuen Lieferketten und Kooperationen zum Beispiel bei der Baumwolle, mit der Rücknahme von Kleidungsstücken, egal, wo sie gekauft wurden, und mit Secondhand.

„Flache Hierarchien: Das wollen wir auch bei C&A“

Sie sagen, Sie arbeiten gern in Familienunternehmen. Was ist der größte Unterschied zwischen Ihrem früheren Arbeitgeber Ikea und C&A?
Nach einem Jahr möchte ich nicht mehr viel über Ikea sprechen, ich bin jetzt hier. Ikea ist eine fantastische Firma mit flachen Hierarchien, das wollen wir auch bei C&A.

Wie muss man sich das Verhältnis zu den Eigentümern vorstellen?
Ich habe gerade eines von den drei Treffen pro Jahr mit den Gesellschaftern gehabt. Ansonsten haben wir aber einen eigenen Aufsichtsrat, mit dem wir alles besprechen.

Bei Brenninkmeijer durften weibliche Familienmitglieder früher nicht einmal Anteilseigner werden. Das hat Sie nicht abgeschreckt?
Das war in der Vergangenheit vielleicht so. Ich habe die Familie als ganz modern empfunden – auch bei der Cofra-Holding.

Angelika Schindler-Obenhaus ist seit Sommer erste weibliche CEO von Gerry Weber. Müssen die Frauen es richten in der Modeindustrie?
Es ist schon merkwürdig, wie wir noch immer über Frauen an der Spitze sprechen: als Ausnahmen. Ich verstehe ein Stück weit das Interesse an diesem Thema, arbeite aber eigentlich auf eine Zukunft hin, in der Führung nie eine Frage des Geschlechts ist, sondern einzig und allein eine Frage des Talents und der erzielten Ergebnisse.

Frau Boer, vielen Dank für das Interview.

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