Britische Regierung fährt Zickzackkurs beim Klimaschutz

Psychologen bezeichnen den unangenehmen Gefühlszustand, den viele Briten bei diesen kaum miteinander in Einklang zu bringenden Nachrichten empfunden haben dürften, als kognitive Dissonanz. Politisch hat die wahltaktische Klimawende der Tories zu einer nationalen Dissonanz über den Zeitplan zur Klimaneutralität Großbritanniens geführt. Konservative Abgeordnete fordern offen ein Abrücken von den bisherigen Zielen – und Premierminister Rishi Sunak scheint nicht abgeneigt.

„Ja, wir werden Fortschritte in Richtung Net-Zero machen, aber wir werden das in einer angemessenen und pragmatischen Weise tun, die den Menschen nicht unnötig mehr Ärger und mehr Kosten in ihrem Leben beschert“, versprach Sunak diese Woche. Das ist weit entfernt von seinem Vorvorgänger Boris Johnson, der auf der Klimakonferenz 2021 in Glasgow noch gewarnt hatte: „Es ist eine Minute vor zwölf“ – und zugleich versprach, Großbritannien werde im Kampf gegen den Klimawandel weltweit führend sein. 

Schon 2019 hatte die damalige Premierministerin Theresa May die Regierung gesetzlich darauf verpflichtet, das Königreich bis 2050 klimaneutral zu machen. Damals ein weltweites Novum. Johnson verkündete dann im November 2020 ein Verkaufsverbot von Benzin- und Dieselfahrzeugen in Großbritannien bis 2030. Das Inselreich sei damit „auf dem besten Weg, das schnellste G7-Land bei der Dekarbonisierung von Autos und Lieferwagen zu werden“, erklärte die Regierung stolz.

Es folgte die Ankündigung, bis 2035 alle alten Gasboiler vor allem durch Wärmepumpen zu ersetzen. All das sollte unterstreichen, wie ernst die regierenden Konservativen den Kampf gegen den Klimawandel nehmen.

Wahlerfolg lässt Tories Klimaziele zur Debatte stellen

Bis zum vergangenen Donnerstag, als die Tories bei einer Nachwahl entgegen allen Prognosen den ehemaligen Parlamentssitz von Boris Johnson in Uxbridge nur deshalb halten konnten, weil sie Stimmung gegen die vom Londoner Bürgermeister Sadiq Khan (Labour) geplante Ausweitung der Umweltmaut auf die Randbereiche der Metropole machten. Seitdem wächst der Druck auf Sunak aus der eigenen Partei, die Klimaziele zurückzuschrauben, um bei den im kommenden Jahr anstehenden Parlamentswahlen doch noch die Nase vor der Labour-Partei zu haben. „Das Rennen ist noch nicht gelaufen“, sagte Sunak nach dem unverhofften Erfolg in Uxbridge.

High Street im Londoner Randbezirk Uxbridge

Die Konservativen gewannen eine Nachwahl am Londoner Stadtrand auch, weil Labour-Stadtregierung eine Umweltmaut ausweiten wollte.

(Foto: Bloomberg)

Sein Plan ist offenbar, die „grünen“ Investitionspläne der in Umfragen führenden Labour-Partei als teuer und unbezahlbar zu brandmarken. Labour-Chef Keir Starmer hatte angekündigt, 28 Milliarden Pfund (32 Milliarden Euro) pro Jahr in grüne Technologien zu investieren und dafür Kredite aufzunehmen. Inzwischen ist Labour von diesem Ziel wieder etwas abgerückt.

Der frühere konservative Wirtschaftsminister Jacob Rees-Mogg fordert derweil die eigene Regierung auf, sich von „teuren“ Klimaversprechen zu verabschieden. „Was funktioniert, ist die Abschaffung unpopulärer, teurer grüner Maßnahmen, und das ist eine echte Chance für uns“, sagte der Tory vom rechten Parteiflügel. Gemeint sind damit vor allem das Ende des Verbrennungsmotors und der Klimazuschlag auf die Energierechnungen.

Sein Parteifreund David Frost fragt gleichzeitig, ob der Klimawandel nicht sogar Vorteile für Großbritannien haben könnte. „Gegenwärtig sterben in Großbritannien siebenmal so viele Menschen an Kälte wie an Hitze. Steigende Temperaturen werden sich wahrscheinlich positiv auswirken.“ Zumindest Tausende britische Touristen, die vor den Waldbränden in Griechenland fliehen mussten und mit Sonderflügen nach Hause geholt wurden, dürften das anders sehen. Meinungsumfragen zeigen jedenfalls, dass eine Mehrheit der Briten an den Klimazielen festhalten will.

Tories lassen sich Hintertür offen – Wirtschaft verlangt Klarheit

Michael Gove, Minister für die Angleichung der Lebensverhältnisse, bekräftigte jetzt, dass die Regierung an dem Verkaufsverbot für Benzin- und Dieselfahrzeuge festhalten wolle. „Es ist wichtig, dass die Regierung angemessene und durchdachte Schritte unternimmt, um die Umwelt zu schützen“, sagte der Tory-Vordenker.

Zugleich warnte er: „Es gibt einige spezifische Bereiche, in denen die Kosten, die dem Einzelnen auferlegt werden, eine Gegenreaktion hervorrufen könnten.“ Das lässt zumindest eine Hintertür offen, um zum Beispiel die Lebensdauer von Hybrid-Fahrzeugen zu verlängern.

Bei der Wirtschaft kommt der Zickzackkurs der Konservativen gar nicht gut an: „Das macht ziemlich viel kaputt“, sagte Robert Forrester, Chef der Autohandelskette Vertu Motors, der BBC und wies darauf hin, dass sich die Industrie mit hohen Investitionen auf den Übergang zur Elektromobilität vorbereite.

„Die Hersteller haben Milliarden von Pfund in diese Umstellung investiert und brauchen jetzt eine Beschleunigung des Marktes“, forderte Mike Hawes vom britischen Automobilverband SMMT. Das indische Industrieunternehmen Tata, Mutter der Jaguar Land Rover Group (JLR), hat gerade eine Investition von vier Milliarden Pfund (4,6 Milliarden Euro) für eine Autobatteriefabrik in Großbritannien angekündigt.

Mehr: Mutlos lässt sich der Klimawandel nicht stoppen

source site-14