Salvador Das Timing könnte nicht besser sein. Genau zum großen Amazonasgipfel in der brasilianischen Metropole Belém kann Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den versammelten Staatschefs beeindruckende Zahlen zum Schutz des Regenwalds vorlegen: In den sieben Monaten seiner Amtszeit sind die Rodungen im Amazonasgebiet demnach im Vergleich zum Vorjahr um 47 Prozent zurückgegangen.
Die abgeholzte Fläche betrug rund 3000 Quadratkilometer, etwa so viel wie zuletzt 2018. Danach war die Zahl unter dem Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro deutlich gestiegen.
Mit den neuen Zahlen kann Lula in den Verhandlungen über eine Freihandelszone zwischen der EU und den Mercosur-Staaten beim von den Europäern geforderten stärkeren Schutz des Regenwalds ein Signal setzen: Südamerika kümmert sich selbst um den Amazonas und braucht keine Ratschläge oder Druck aus Übersee. „Wir machen unsere Hausaufgaben“, sagte Umweltministerin Marina Silva. „Auch Europa muss das anerkennen.“
Für Lula ist der Erfolg der am Dienstag beginnenden Konferenz entscheidend für sein internationales politisches Gewicht.
Mit einem in der Amazonasfrage geeinten Südamerika hinter sich, das zudem den Regenwald glaubhaft schützen will, könnte Brasiliens Präsident wieder die Vorreiterrolle bei den internationalen Klimakonferenzen einnehmen – wie in seinen ersten zwei Legislaturperioden von 2003 bis 2010. Mit dem Stopp der Regenwaldrodungen würde Südamerika seine Kohlendioxidemissionen fast halbieren.
Am Amazonasgipfel nehmen auch Vertreter aus Norwegen und Deutschland teil. Lula will bei dem Treffen mit den Präsidenten von Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Guyana, Peru, Surinam und Venezuela den Amazonaspakt von 1978 wiederbeleben. Mit dem Pakt vereinbarten die Anliegerstaaten des Amazonasbeckens eine stärkere Zusammenarbeit, unter anderem beim Umweltschutz.
Brasilien hat dabei automatisch die Führungsrolle: Rund 60 Prozent des Amazonas-Regenwalds befinden sich in Brasilien, 13 Prozent in Peru und zehn Prozent in Kolumbien.
Rodung nicht in allen Teilen Brasiliens zurückgegangen
Lula will die anderen acht südamerikanischen Staaten dazu bringen, sich auf ein gemeinsames Datum für einen kompletten Rodungsstopp zu einigen. Zudem möchte Brasilien eine Art Interpol des Amazonas gründen, die gegen die organisierte Kriminalität, den illegalen Bergbau und Rodungen grenzüberschreitend ermitteln könnte.
Darüber hinaus strebt Lula eine neue Überwachungsbehörde für den Flugverkehr an, die über die Echtzeitdaten der nationalen Aufsichtsbehörden verfügen kann.
Vor dem Gipfel kann der brasilianische Präsident allerdings nicht nur Erfolge vorweisen. So ist zwar die Rodung im Land insgesamt zurückgegangen.
Besorgniserregend bleiben jedoch die Rodungen im Cerrado. Die Feuchtsavanne liegt im Zentrum und Westen Brasiliens und reicht bis nach Paraguay und Bolivien. Ambitionen der Agrarindustrie gefährden dieses Savannenbiotop von der Größe Mexikos.
Anders als im Amazonasgebiet, wo Landwirte legal maximal ein Fünftel der Fläche roden dürfen, müssen die Bauern im Cerrado nur 20 Prozent ihres Landes erhalten. Zudem gibt es dort weniger indigene Reservate und Naturschutzgebiete als im Amazonas. Die meisten Flächen befinden sich in Privatbesitz – anders als im Amazonas, wo der Staat der größte Grundbesitzer ist.
Fast alle Rodungen im Cerrado sind legal. Somit sind der Regierung die Hände gebunden bei dem Vorhaben, das weitere Schrumpfen des Biotops zu verhindern. Die Regierung will im September ein Aktionsprogramm zur Rettung der Feuchtsavanne starten, so, wie sie es für den Regenwald zum Jahresbeginn gemacht hat.
Regierung setzt zum Schutz des Amazonas auf Kontrolle
Die Politik erhofft sich davon schnelle Resultate: Umweltministerin Silva erklärte, dass vor allem die wiederhergestellten staatlichen Kontrollmöglichkeiten zum starken Rückgang der Rodungen im Amazonas geführt haben.
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Lulas Vorgänger Bolsonaro hatte die für Regenwaldschutz und Umwelt zuständigen Behörden weitgehend abgebaut und dem Militär unterstellt, das mit dem Amazonasschutz überfordert war. Umweltvergehen im Amazonas wurden weder verfolgt noch bestraft. Heute gebe es hingegen kein Klima der Straffreiheit mehr, erklärte Silva.
Die nun vorgestellten Zahlen müssen allerdings mit Vorsicht behandelt werden. Die Erhebungen basieren auf Echtzeitsatellitenaufnahmen. Sie können von den Brandraten abweichen, die das Nationale Institut für Weltraumforschung (Inpe) jährlich im November im Rahmen konsolidiert vorstellt.
Streit um Rohstoff-Exploration im Amazonas-Gebiet
Lula wird beim Gipfel Verhandlungsgeschick beweisen müssen: Nicht alle Anrainer wollen sich an ehrgeizigen Rodungsstopps beteiligen. Kontrovers sehen die Staaten zudem den Vorschlag des kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro, ab sofort jede neue Öl-, Gas- und Kohleexploration im Amazonas zu untersagen.
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Der halbstaatliche brasilianische Ölkonzern Petrobras will in der Amazonasmündung nach Öl suchen. Auch andere Amazonasländer wie Guyana, Venezuela oder Peru haben große Vorkommen an Öl und Gas im Amazonasgebiet, die sie weiterentwickeln wollen.
Auch dürfte der Kampf gegen die organisierte Kriminalität in der Realität schwieriger sein, als es am Verhandlungstisch aussieht. In den vergangenen Jahren haben die Drogenmafias den Amazonas systematisch besetzt. Das Gebiet von knapp der Größe Australiens ist ein wichtiger Handelskorridor für Kokain nach Europa und Fernost geworden.
Zudem waschen die Mafiagruppen dort ihre Gelder mit illegalen Geschäften im Goldbergbau, in der Fischerei und in Holzunternehmen, aber auch in der legalen Wirtschaft.
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