Düsseldorf Bayer steht unter Zugzwang: Erst Ende Juli musste der Chemie- und Pharmakonzern seinen Ausblick für 2023 kappen, in diesem Jahr werde es keine freien Finanzmittel (Free Cashflow) mehr geben, teilte der Konzern mit. Bayer braucht dringend neue, umsatzstarke Medikamente.
Besondere Hoffnungen setzt Bayer dabei in die Entwicklung neuer Zelltherapien, insbesondere der US-Tochter Bluerock Therapeutics. Deren neue Wirkstoffe sollen unter anderem gegen Parkinson und Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt werden und versprechen Milliardenumsätze. Doch aktuell belastet das Tochterunternehmen mit seinen hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung auch die Bilanz.
Darum setzt die Bayer-Tochter nun den Rotstift an: Fünf von neun Entwicklungen für neue Medikamente werden gestoppt, 50 Mitarbeiter an den Standorten New York, Toronto und Cambridge müssen gehen − immerhin rund zwölf Prozent der Belegschaft.
Bluerock soll sich auf die Entwicklungen konzentrieren, die Erfolg versprechen und Ergebnisse liefern. Laut Geschäftsbericht waren die Ausgaben im Bereich der Zell- und Gentherapien einer der Gründe, dass Bayers Ebitda im Pharmageschäft im zweiten Quartal um 6,7 Prozent auf 1,4 Milliarden gesunken ist.
Bayers Investmentarm hatte Bluerock im Jahr 2016 gemeinsam mit Versant Ventures als Joint Venture gegründet. 2019 übernahm Bayer dann 100 Prozent der Anteile. Das US-Start-up forscht etwa an Zelltherapien, mit denen bislang unheilbare Krankheiten behandelt werden können. Forscher und Medizinerinnen versprechen sich viel von der Entwicklung: Denn die neuen Wirkstoffe lassen sich individualisieren, sind also auf den Patienten zugeschnitten. Diese teuren Therapien versprechen Milliardenumsätze für Pharmaunternehmen wie Bayer.
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Darum setzt der neue Bayer-CEO Bill Anderson große Hoffnungen in das Geschäft. Per Videobotschaft hatte er seine Mitarbeiter noch auf einem Forschungsevent in Boston Ende Juni auf Wachstum eingeschworen. Er sei „energiegeladen und optimistisch“ angesichts des Potenzials, das Bayer habe. Was der Konzern erforsche, werde große Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Bayer sieht durch die neuen Therapien einen möglichen „Paradigmenwechsel in der Patientenbehandlung“, gerade bei seltenen Erkrankungen, deren Behandlung noch weniger erforscht ist.
Trotz der jüngsten Entlassungen bleibt Bluerock für Bayer darum wichtig. Die Tochter sei Marktführer im Bereich der stammzellbasierten Zelltherapie und habe ein „wachsendes Portfolio“, um „innovative Therapien zur Behandlung von Patienten“ zu entwickeln, teilte der Konzern noch Ende Juni per Pressemitteilung mit.
Vom kreativen Biotech zum skalierenden Pharmaunternehmen
Nun wird aber genau dieses Portfolio von bisher neun auf nur noch vier Produktkandidaten zusammengekürzt: Was bleibt, ist etwa das Parkinsonmittel Bemdaneprocel, das vielversprechendste Medikament in Bluerocks Pipeline. Bisher gibt es kein Heilmittel gegen Parkinson. Wer zuerst eine wirksame Therapie anbieten kann, sichert sich Milliardenumsätze. In einer Phase-1-Studie konnte das Bluerock-Mittel zuletzt vielversprechende Ergebnisse abliefern. Im ersten Halbjahr 2024 will die Bayer-Tochter weitere Patienten für die Phase-2-Studie rekrutieren.
In der Konzernzentrale weist man die Verantwortung für die jüngsten Stellenstreichungen von sich. Bluerock sei zwar ein hundertprozentiges Tochterunternehmen von Bayer, agiere aber eigenständig, teilt der Konzern auf Anfrage mit. Das Start-up wolle sich nun „auf die priorisierten Programme konzentrieren“, heißt es weiter.
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Doch die jüngsten Stellenstreichungen zeigen, dass sich die Rolle der Tochter innerhalb des Unternehmens gewandelt hat. Bislang konnte Bluerock arbeiten wie ein junges Biotech-Start-up, in dem Wissenschaftlerinnen und Forscher ihre Ideen frei austauschen und an Medikamentenkandidaten feilen, bevor sie damit in klinische Studien eintreten. Doch Bayer erwartet nun Ergebnisse: Wirkstoffe des Start-ups sollen in klinischen Studien erforscht werden − und perspektivisch auch Umsatz und Gewinn erwirtschaften.
Strategiewechsel von Bill Anderson?
Tochterunternehmen großer Pharmakonzerne, die selbst Forschung und Entwicklung betreiben, stecken oft in einer schwierigen Doppelrolle: Einerseits betreiben sie meist die besonders innovativen Projekte, andererseits werden sie häufig als Konkurrenz zur konzerneigenen Forschung und Entwicklung gesehen – meist trifft sie ein Sparkurs darum zuerst.
Die Entlassungen und die Fokussierung bei der Corporate-Venture-Tochter könnten auch ein erstes Zeichen von Andersons neuer Strategie bei Bayer sein, mutmaßen Beobachter: Der Konzern könnte sich im Pharmabereich stärker fokussieren und konsolidieren. Das soll Kosten sparen und die begrenzten Mittel des Konzerns auf vielversprechende Entwicklungen lenken.
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