Arbeitgeber halten geplantes Tariftreuegesetz für verfassungswidrig

Berlin Das von der Ampelkoalition geplante Bundestariftreuegesetz verstößt aus Sicht des Arbeitgeberverbands (BDA) gegen die Verfassung und gegen EU-Recht. Dabei beruft sich der Verband auf ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Felix Hartmann von der FU Berlin.

„Tarifzwangsregelungen greifen in die vom Grundgesetz geschützte Tarifautonomie ein“, sagte BDA-Präsident Rainer Dulger. Betriebe würden gezwungen, bei der Ausführung von öffentlichen Aufträgen Regelungen aus Tarifverträgen anzuwenden, die nicht ihre seien.

Nach dem Willen der Ampelkoalition soll der Bund künftig nur noch Aufträge an Unternehmen vergeben, die sich an für die jeweilige Branche repräsentative Tarifverträge halten. In einem ersten Arbeitsentwurf für ein Tariftreuegesetz hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Auftragsschwelle bei 10.000 Euro angesetzt. Noch gibt es aber keinen geeinten Entwurf zwischen dem für das Vergaberecht zuständigen Wirtschaftsministerium und dem für das Tarifrecht zuständigen Arbeitsministerium.

Ziel der Regierung ist eine Stärkung der seit Jahren zurückgehenden Tarifbindung. Im vergangenen Jahr galt laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nur noch in jedem vierten Betrieb ein Flächen- oder Firmentarifvertrag. Von den Beschäftigten arbeitete noch gut jeder zweite nach Tarif.

Die Ampel erhofft sich einen Anreiz für mehr Tarifverträge, wenn Aufträge des Bundes – ähnlich wie in vielen Bundesländern – an Tariftreueregelungen geknüpft werden. Laut dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vergibt die öffentliche Hand jährlich Aufträge im Volumen von 300 bis 500 Milliarden Euro. Davon entfällt knapp ein Achtel auf den Bund.

Subunternehmer und Zeitarbeitsfirmen sollen Tarifregeln einhalten

Nach dem bekannt gewordenen Entwurf will das Arbeitsministerium auf Antrag von Arbeitgebern und Gewerkschaften in Rechtsverordnungen festlegen, welche verbindlichen Arbeitsbedingungen Firmen erfüllen müssen, damit sie Aufträge vom Bund erhalten können. Dies betrifft beispielsweise die Entlohnung, den bezahlten Urlaub oder Mindestruhe- und Pausenzeiten.

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Die Regeln sollen auch für Nachunternehmer oder Zeitarbeitsfirmen gelten, die für den Auftragnehmer arbeiten. Gibt es für Beschäftigte einer Branche mehrere Tarifverträge mit sich überschneidenden Geltungsbereichen, dann soll die Regierung in der Verordnung den repräsentativeren Tarifvertrag als verbindlich festlegen. Selbst tarifgebundene Unternehmen könnten also gezwungen sein, über den eigenen Tarifvertrag hinausgehende Bedingungen zu akzeptieren.

Der vom BDA beauftragte Gutachter Hartmann sieht das Grundgesetz gleich zweifach verletzt, sollte das Vorhaben umgesetzt werden. Zum einen hätten Unternehmen nach der Verfassung das Recht, ihre Arbeitsbedingungen frei auszuhandeln. Dieses werde unterlaufen, wenn der Staat sie nun verpflichte, bei der Ausführung öffentlicher Aufträge fremde Tariflöhne einzuhalten. Wer keine entsprechende Erklärung abgebe, werde aus dem Wettbewerb gedrängt.

Zum anderen verletze das Gesetz die Koalitionsfreiheit, also das Recht von Arbeitgebern und Beschäftigten, sich Verbänden und Gewerkschaften anzuschließen – oder aber, dies bewusst nicht zu tun. Hartmann sieht jedoch auch die europäische Dienstleistungsfreiheit verletzt, wenn Auftragnehmer aus dem Ausland sich an in Deutschland geltende repräsentative Tarifverträge halten müssen.

Mit dem Arbeitnehmerschutz lasse sich eine solche Regelung nicht rechtfertigen. Denn eine Ausbeutung ausländischer Beschäftigter werde bereits durch den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und zahlreiche allgemein verbindliche Branchenmindestlöhne verhindert.

Grundrechtseingriffe erfordern stichhaltige Begründung

Wolle der Staat dermaßen stark in von der Verfassung geschützte Grundrechte eingreifen, brauche er dafür eine stichhaltige Begründung, argumentiert Hartmann. Doch das erklärte Ziel, die Tarifbindung zu stärken, werde gerade nicht erreicht, wenn der Staat per Verordnung bestimmte Tarifverträge vorschreibe.

Das sieht Arbeitgeberpräsident Dulger ähnlich: „Ich bleibe dabei: Das erste Mittel der Wahl für mehr Tarifbindung sind attraktive Tarifverträge.“ Hier seien aber die Tarifpartner selbst gefordert – und nicht der Gesetzgeber.

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Ob das Bundesverfassungsgericht am Ende ein Bundestariftreuegesetz kippen würde, hängt stark von der Ausgestaltung ab. In den Vergabegesetzen der Länder gibt es jedenfalls eine Reihe von Tariftreueregelungen, die bislang nicht beanstandet wurden. Sie unterscheiden sich je nach Land stark in der Regelungstiefe.

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So müssen in Rheinland-Pfalz Bieter für öffentliche Aufträge ab 20.000 Euro nur eine Erklärung abgeben, dass sie sich an allgemein verbindliche Branchentarifverträge oder ansonsten an den Mindestlohn halten. Im Saarland dagegen legt die Landesregierung – ähnlich wie im Arbeitsentwurf des Heil-Ministeriums geplant – per Rechtsverordnung branchenspezifische Arbeitsbedingungen fest, die die jeweiligen Tarifverträge widerspiegeln und die von Bietern zu erfüllen sind.

Wenn die Bundesregierung partout eine Tariftreueregelung plane, dann solle sie eine Ausgestaltung wählen, die möglichst wenig in die Grundrechte eingreife, empfiehlt Gutachter Hartmann. Eine Möglichkeit wäre, Bietern zumindest die Wahl zwischen mehreren für eine Branche geltenden Tarifverträgen zu lassen. Auch sollten Unternehmen, die selbst schon tarifgebunden sind, nicht gezwungen werden, andere Tarifverträge anzuerkennen.

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