Abnehmspritze macht Novo Nordisk zum wertvollsten Konzern Europas

Düsseldorf, Frankfurt Das wertvollste börsennotierte Unternehmen Europas kommt jetzt aus Dänemark. Der Pharmahersteller Novo Nordisk hat am Dienstag eine Marktkapitalisierung von umgerechnet 424 Milliarden Dollar erreicht. Damit liegt der Konzern deutlich vor dem französischen Luxusgüterhersteller LVMH mit 411 Milliarden Euro.

Beide Firmen haben in den vergangenen Tagen um den Spitzenplatz gerungen. Doch am Dienstag zogen die Dänen zum Börsenstart davon. Novo Nordisk ist aktuell mehr wert als die Dax-Schwergewichte SAP, Siemens, Telekom und Mercedes-Benz zusammen. Der Grund für die hohe Bewertung liegt im Erfolg mit Abnehmspritzen.

Eigentlich stellt Novo Nordisk seit einem Jahrhundert Diabetesmedikamente her und macht damit auch weiterhin den größten Teil des Umsatzes. Doch das ebenfalls zur Behandlung von Diabetes vorgesehene Medikament Ozempic entwickelte sich als Abnehmmittel zum absoluten Verkaufsschlager. Vor allem Prominente hypten das Mittel zum Abnehmen. Die Arznei kann Studien zufolge bei einer Anwendung über mehrere Wochen das Gewicht um bis zu 15 Prozent reduzieren.

Die Nachfrage nach Ozempic war in den USA zwischenzeitlich so groß, dass Diabetespatienten Schwierigkeiten hatten, das Medikament zu bekommen. Viele Menschen ließen sich das Mittel mit dem Wirkstoff Semaglutid verschreiben, obwohl sie keinen Diabetes haben. Analysten der UBS schätzen den Anteil dieses sogenannten Off-Label-Use auf rund 30 Prozent.

Inzwischen vertreibt Novo Nordisk auch eine höher dosierte Abnehmversion der Spritze unter dem Namen Wegovy. Die soll Patienten mit starkem Übergewicht – sogenannter Adipositas – helfen.

Das Geschäft mit den Abnehmspritzen hat Novo Nordisk im vergangenen Jahr bereits einen Umsatzsprung um 26 Prozent auf umgerechnet 24 Milliarden Euro eingebracht. Die Firma ist damit mittlerweile größer als die Pharmasparte von Bayer. Ein Drittel davon entfällt auf Ozempic. Der operative Gewinn schnellte ebenfalls um ein Viertel in die Höhe.

In der hohen Börsenbewertung zeigt sich die Erwartung der Anleger, dass Novo Nordisk mit dem Fokus auf Abnehm-Medikamente weiter wachsen wird. Für 2023 rechnen Analysten im Schnitt mit einem weiteren Umsatzsprung auf 32 Milliarden Euro, 2024 trauen die Experten dem Unternehmen noch einmal ein Plus von 20 Prozent zu.

Hintergrund ist der erhebliche Bedarf bei der Behandlung von Fettleibigkeit, die für zahlreiche andere Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems ursächlich sein kann. Novo Nordisk will mit neuen Studien diesen medizinischen Nutzen seines Adipositasmittels unterstreichen und das Image eines Lifestylemedikaments für Prominente loswerden.

Eine über fünf Jahre laufende Studie mit 18.000 Erwachsenen ergab, dass mit der Einnahme von Wegovy das Risiko von Schlaganfällen und Herzinfarkten deutlich gesenkt werden könne. Die Pharmaexperten der US-Investmentbank JP Morgan erwarten von derartigen neuen Mitteln gegen Fettleibigkeit sogar einen Paradigmenwechsel in der Behandlung von Herz-Kreislauf-Behandlungen.

Herstellung der Injektions-Pens

Das neue Abnehmmittel Wegovy ist sehr teuer und wird von Krankenkassen nicht übernommen. Doch es könnte die Behandlung von Adipositas-Folgeerkrankungen nachhaltig verändern.

(Foto: Bloomberg via Getty Images)

Die Marktforscher von Global Data erwarten, dass Ozempic 2029 einen Umsatz von rund 17 Milliarden Dollar erreichen könnte – und damit zu einer der weltweit umsatzstärksten Arzneien aufsteigen könnte. Die Analysten von Barclays trauen Novo Nordisk einen weiteren Kursanstieg auf 1550 dänische Kronen zu – aktuell kostet die Aktie 1300 Kronen. Doch liegen in dem Geschäft auch einige Risiken, die sich negativ auf den künftigen Börsenwert auswirken könnten.

US-Regierung will Arzneimittelpreise drücken

Etwa bei den Preisen im wichtigen US-Markt: Bisher werden die Kosten für den Einsatz gegen Adipositas kaum von Krankenversicherungen übernommen, was Novo Nordisk mit den neuen Studien zum Nutzen der Abnehmspritzen ändern will. In Deutschland ist die Erstattung bisher komplett ausgeschlossen.

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Das Diabetesmittel Ozempic wiederum gehört zu den Medikamenten, die die staatliche Krankenversicherung Medicare viel Geld kosten: 2021 fielen dafür bereits rund zwei Milliarden Dollar an. Die US-Regierung will in den kommenden Jahren bei Medicare die Preise für solche kostenintensiven verschreibungspflichtigen Mittel kräftig drücken. Analysten erwarten Preisnachlässe von 35 bis 50 Prozent. Aktuell steht Ozempic noch nicht auf dieser Liste. Doch die Pharmaexperten des Beratungsunternehmens Evercore ISI rechnen fest damit, dass die Arznei in der nächsten Runde in die Preisverhandlungen aufgenommen wird.

Novo-Nordisk-Chef Lars Fruergaard Jorgensen unterstreicht, dass der Konzern bereits Rabatte beim Verkauf von Ozempic gebe. In einem Interview mit Bloomberg-TV betonte er, es könne Nachteile für Patienten und deren Zugang zu Innovationen haben, wenn es zu scharfen Preisrestriktionen komme.

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Aktuell kostet die Monatsdosis Ozempic in den USA ohne staatliche Zuschüsse rund 1000 Dollar. Die hochdosierte Spritze Wegovy ist noch teurer und wird vom staatlichen Medicare-Programm gar nicht bezuschusst.

Abnehm-Mittel Wegovy

Novo Nordisk kommt mit der Produktion der Mittel mit dem Wirkstoff Semaglutid nicht hinterher.

(Foto: Bloomberg via Getty Images)

Risiko Nummer zwei ist die Lieferfähigkeit. Schon jetzt kann Novo Nordisk die hohe Nachfrage nicht decken. „Wir verkaufen alles, was wir produzieren können“, sagt Jorgensen. Bei einem europäischen Zulieferer gab es offenbar Produktionsprobleme. In den USA hat das Unternehmen nun einen weiteren Auftragsfertiger engagiert.

Zahlreiche neue Mittel gegen Fettleibigkeit in der Entwicklung

Risiko Nummer drei ist der verschärfte Wettbewerb. So könnte der US-Pharmakonzern Eli Lilly noch in diesem Jahr in den USA die Zulassung eines neuen Wirkstoffs gegen Adipositas bekommen, der starke Studienergebnisse vorweisen kann.

Zur Behandlung von Diabetes ist das Mittel bereits in den USA und Europa zugelassen. Marktexperten gehen davon aus, dass innerhalb eines Jahrzehnts bis zu zehn konkurrierende Adipositas-Medikamente auf den Markt kommen könnten.

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