Woher Chinas Wirtschaftskrise kommt – und was sie für die Welt bedeutet

Peking, Düsseldorf, Berlin, Frankfurt Erneute Turbulenzen in Chinas angeschlagenem Immobiliensektor und enttäuschende Wirtschaftsdaten schüren die Ängste um die Stabilität der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Die Krise droht auf den Finanzmarkt überzugreifen. Für Montag erwarten Analysten eine Senkung zweier Leitzinssätze durch die Notenbank, um die Wirtschaft zu stützen. Ende der Woche hatte der chinesische Immobilienentwickler Evergrande Insolvenz in den USA angemeldet, auch Konkurrent Country Garden meldete Zahlungsschwierigkeiten.

Yale-Ökonom Stephen Roach hält die Wachstumsschwäche in China für „ziemlich besorgniserregend“. China erlebe eine „Vertrauenskrise“, sagte er dem Handelsblatt. Harvard-Volkswirt Kenneth Rogoff spricht von einer „extrem herausfordernden Situation in China“.

Chinas Wirtschaft war im zweiten Quartal nur um 0,8 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen. In den vergangenen Wochen hatten sich mehrere Konjunkturdaten schlecht entwickelt, darunter der Konsum und die chinesischen Exporte. Rogoff erwartet in den kommenden zehn Jahren im Schnitt nur ein Wachstum von zwei bis drei Prozent.

Die Schwäche der chinesischen Wirtschaft droht zur Belastung für die Weltwirtschaft und vor allem für Deutschland zu werden. Natürlich müsse man sich Sorgen machen, wenn die deutsche Wirtschaft durch eine nachlassende Dynamik in China zusätzliche Probleme bekomme, sagte Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Industrieverbands BDI.

Für Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping kommen die Rückschläge zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Er wird am Dienstag beim BRICS-Gipfel der großen Schwellenländer erwartet, wo sich Peking als starke globale Führungsmacht präsentieren will.

China versucht, nervöse Investoren zu beruhigen

Das größte Risiko für die chinesische Wirtschaft gehe vom aufgeblähten Immobiliensektor aus, der bislang für fast ein Viertel der Wirtschaftsleistung stehe, sagt Rogoff. Das Kernproblem bestehe darin, dass das Land mit seiner Fähigkeit, sich auf ein immobilien- und infrastrukturbasiertes Wachstumsmodell zu verlassen, „am Ende angelangt ist“. Der bislang vergleichsweise solvente Bauträger Country Garden geriet zuletzt in Zahlungsschwierigkeiten. Evergrande, dessen Schieflage seit 2020 für Schlagzeilen sorgt, hatte am Donnerstag in den USA Antrag auf Gläubigerschutz gestellt.

Die chinesische Führung versucht, nervöse Investoren zu beruhigen. Das Land werde seine Finanzhilfen koordinieren, um die Schuldenprobleme lokaler Regierungen zu lösen, teilte die chinesische Zentralbank am Sonntag nach einem Treffen mit Finanz- und Wertpapieraufsehern mit. Große Banken wurden angewiesen, ihr Kreditvolumen zu erhöhen. Angesichts eines Wertverlustes des Yuan gegenüber dem US-Dollar sah sich die chinesische Zentralbank vergangene Woche bereits zu Stützungsmaßnahmen gezwungen.

„Die von der deutlichen Konjunkturabschwächung und hohen Schuldenständen insbesondere der Kommunen und des Immobiliensektors ausgehenden Probleme sind beispiellos“, warnte Rogoff − selbst wenn man berücksichtige, dass „die chinesischen Behörden bei der Eindämmung von Wirtschaftskrisen eine bemerkenswerte Erfolgsbilanz“ aufwiesen. Wenn es der Volksrepublik gelinge, in den kommenden zehn Jahren im Durchschnitt um zwei bis drei Prozent zu wachsen, sei sie „schon gut bedient“.

Für die chinesische Staatsführung könnten langfristig niedrige Wachstumszahlen zu einem Problem werden. Das Versprechen eines stets steigenden Wohlstands gilt seit dem Tiananmen-Massaker 1989 als wichtigste Legitimationsgrundlage der herrschenden Kommunistischen Partei. Niedrigere Wachstumsraten stellen diesen inoffiziellen Gesellschaftsvertrag und damit die Machtbasis der Partei jedoch infrage.

Chinesische Ökonomen sollen Wirtschaftslage nicht kommentieren

Einige Experten warnen bereits vor japanischen Verhältnissen, also einer langjährigen Rezession. Trotz aller Sonderfaktoren, die Ähnlichkeiten würden immer deutlicher, sagte Roach. Er verweist auf den Preisverfall bei Immobilien, den Beginn einer Deflation sowie die steigende Verschuldung.

BDI-Vertreter Niedermark dagegen warnt vor einer Schwarzmalerei:. „Wir glauben nicht, dass sich hier ein Zusammenbruch des chinesischen Modells abzeichnet, dafür ist es noch zu früh“.

Ein Grund für die große Unsicherheit ist auch die wachsende Intransparenz. So halten die Behörden des Landes immer mehr Daten zurück, zuletzt etwa zur Jugendarbeitslosigkeit, die zuvor ein Rekordhoch erreicht hatte. Hinzu kommt, dass führende Ökonomen des Landes dazu aufgefordert werden, sich nicht negativ über die Wirtschaftslage zu äußern.

Grafik

Staats- und Parteichef Xi Jinping appellierte zuletzt an die Chinesen, „historische Geduld“ zu bewahren. Statt kurzfristigen materiellen Wohlstand zu verfolgen, solle sich das Land auf langfristige Ziele konzentrieren, etwa die Verbesserung der Bildung, des Gesundheitssystems und der Lebensmittelversorgung, zitiert ihn die Parteizeitschrift „Qiushi“. 

Das spricht dafür, dass Xi es ernst meint mit der Abkehr vom investitionsgetriebenen Wachstumsmodell. Er ist offenbar nicht nur bereit, dem Land die Schmerzen der Transformation zuzumuten. Er hält auch seine Machtposition inzwischen für ausreichend gefestigt.

Was sind die Ursachen der Krise in China?

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt stehe unter einem „starken Abwärtsdruck“, sagt Yale-Ökonom Roach. Die Hoffnung, dass sie sich kraftvoll von den verheerenden Folgen der Null-Covid-Politik erholt, habe sich nicht erfüllt. Roach nennt drei Faktoren, die für die Wachstumsschwäche verantwortlich seien: der unter Druck geratene Immobiliensektor, der schwache Privatkonsum und das schwindende Vertrauen im privaten Sektor. Zudem brachen zuletzt die Exporte ein, eine Folge der Abkühlung der Weltwirtschaft.

Derzeit kommen viele negative Faktoren zusammen, die sich gegenseitig verstärken, betont Jens Eskelund, Präsident der europäischen Handelskammer in China.

Staatspräsident Xi Jinping

Experten halten die strukturellen Probleme Chinas für schwer zu lösen.

(Foto: IMAGO/AFLOSPORT)

Experten halten daher die Signale, die von den Pleite-Meldungen zu Evergrande ausgehen, für bedenklich. Die Insolvenzbeantragung sehe im Umfeld von schlechten Konjunkturdaten und Nachrichten über Zahlungsschwierigkeiten beim chinesischen Immobilienentwickler Country Garden aus wie ein schlechter Scherz, sagte Alicia Garcia Herrero, Chefökonomin für den Asien-Pazifik-Raum bei der französischen Investmentbank Natixis, dem Handelsblatt. „Schaut in China niemand auf das Gesamtbild, wie dies vom Markt interpretiert werden könnte?“

>>Lesen Sie auch: Wettstreit der Supermächte: Hängen die USA jetzt China ab?

Die Staatsführung verfolgt zwar das Ziel, den Binnenkonsum zu stärken, um die eigene Wirtschaft unabhängiger von externen Einflüssen zu machen. Doch die strikte Null-Covid-Politik, aber auch die Krise auf dem Immobilienmarkt und die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung verunsichern die privaten Haushalte. Statt ihre Corona-Ersparnisse wie erhofft für Lustkäufe auszugeben, sparen sie weiter. In den ersten sieben Monaten 2023 stiegen die Spareinlagen der Haushalte um umgerechnet 2,4 Billionen Euro, wie am Mittwoch veröffentlichte Daten der Zentralbank zeigen. 

Wie ernst ist die Lage? 

Dass derzeit in der chinesischen Wirtschaft so viele Probleme gleichzeitig auftreten, sei kein Zufall, sagt Michael Pettis, Finanzprofessor an der renommierten Peking-Universität. Systemische Ungleichgewichte würden sich oft so lange zuspitzen, bis ein Kipppunkt erreicht sei. Dann könnte eine Trendwende bei einer einzigen Variable einen viel größeren Schaden anrichten als erwartet. Pettis spricht von einer „Minsky-Dynamik“. Das Phänomen, benannt nach dem Wirtschaftswissenschaftler Hyman Minsky, beschreibt den plötzlichen Kollaps von Vermögenswerten nach einer langen Boomphase.

China drohe eine sogenannte „Bilanz-Rezession“, warnte Richard Koo, früherer Chefvolkswirt der japanischen Investmentbank Nomura, im Juni. Koo hat den Begriff in den 1990er-Jahren erfunden, um die wirtschaftliche Lage Japans nach dem Platzen der Finanzblase zu beschreiben. Da Banken, Haushalte und Unternehmen sich damals beeilten, ihre Schulden abzutragen, schrumpfte die japanische Wirtschaft mehr als ein Jahrzehnt. Die Zeit wird als „verlorene Dekade“ bezeichnet.

Weitere Hintergründe zur Lage lesen Sie hier:

Zwar gebe es einige Ähnlichkeiten zwischen dem heutigen China und dem Japan der 1990er-Jahre, schreiben die Ökonomen der US-Investmentbank JP Morgan in einer ausführlichen Analyse. Doch sie sehen „genügend Unterschiede, die darauf hindeuten, dass die Diagnose ‚Bilanzrezession‛ und die daraus abgeleiteten politischen Empfehlungen nicht korrekt sind“. 

Dennoch hatten JP Morgan und eine ganze Reihe anderer großer Banken ihre Prognosen für China in der vergangenen Woche gesenkt. Am Freitag reduzierte die japanische Großbank Nomura ihre Schätzung für dieses Jahr von 5,1 Prozent auf 4,6 Prozent, für 2024 gehen die Experten von einer weiteren Abkühlung auf 3,9 Prozent aus. Zuvor hatten Morgan Stanley und JP Morgan ihre Prognosen auf 4,8 beziehungsweise 4,7 Prozent gesenkt.

Die Stimmung an den Märkten sei zu Recht negativ, sagt Shehzad Qazi, Geschäftsführer des sonst sehr kritischen US-Analysehauses China Beige Book, aber inzwischen „weit, weit aus dem Ruder gelaufen“. Er hält die aktuellen Zahlen ebenfalls nicht für gut, aber sie seien auch „nicht verheerend“.

Welche Gefahr droht der Weltwirtschaft und Deutschland?

Wenn China niest, bekommt die Welt einen Schnupfen, lautet ein geflügeltes Wort. Mit seinem rasanten Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt war China in den vergangenen beiden Jahrzehnten einer der wichtigsten Wachstumsmotoren für die Weltwirtschaft. Umgekehrt profitierte die Volksrepublik massiv von der Nachfrage nach chinesischen Waren im Ausland.

Für 2023 geht der Internationale Währungsfonds (IWF) bislang davon aus, dass die Volksrepublik knapp 35 Prozent zum globalen Wachstum beitragen wird. Chinas wirtschaftliche Probleme sind deshalb auch ein Risiko für die Weltwirtschaft „Es steht viel auf dem Spiel“, schreiben die IWF-Experten Cerdeiro und Jain-Chandra. Wenn Chinas Wachstum um einen Prozentpunkt steige, erhöht sich das Wachstum in anderen Ländern um etwa 0,3 Prozentpunkte. Dies unterstreiche, wie sehr Reformen Chinas Wirtschaft sowie die anderer Länder ankurbeln könnten.

In Deutschland, für das die Volksrepublik ein wichtiger Handelspartner ist, müsse man sich an geringere Wachstumsraten in China gewöhnen, sagt Holger Görg, Außenhandelschef am Kiel Institut für Weltwirtschaft: Da die deutsche Wirtschaft sehr stark exportorientiert ist, habe das „dämpfende Effekte“ auf die Konjunktur hierzulande. So seien im ersten Quartal 2023 die deutschen Exporte nach China um zwölf Prozent gesunken. „Das ist schon eine Hausnummer“, sagt Görg. 

>> Lesen Sie auch: Warum sich Notenbanker beim Treffen in Jackson Hole auch mit China befassen

Experten erwarten zudem, dass chinesische Unternehmen − unterstützt durch Peking − noch stärker als bislang auf die Auslandsmärkte drängen, um die schwache Binnennachfrage in China auszugleichen − und damit auch deutschen Firmen noch mehr Konkurrenz machen.

Die Probleme Chinas hatten die internationalen Kapitalmärkte zuletzt belastet. Manche Investoren fürchten angesichts der akuten Probleme großer Immobilienentwickler gar einen neuen „Lehman-Moment“ − die Pleite der gleichnamigen US-Bank verursachte 2008 einen Dominoeffekt bei anderen Banken und gilt als einer der Auslöser der weltweiten Finanzkrise.

Experten halten die Auswirkungen der jüngsten Entwicklungen jedoch bislang für überschaubar. „Für die globalen Finanzmärkte ist diese Krise handhabbar“, da die Verschuldung primär im chinesischen Inland und nur zu sehr geringen Teilen im Ausland liegt, betont Joachim Schallmayer, leitender Kapitalmarktstratege bei der Sparkassenfondstochter Deka.

Zwar erwartete er durch die Krise bei den Immobilienentwicklern Zahlungsausfälle und hohe Abschreibungen bei lokalen Finanzinstituten und Investoren. Doch diese hätten insgesamt „nicht das Potenzial, die globalen Finanzmärkte zu erschüttern“. Dennoch rechnet auch er mit einer Belastung für die globale Wirtschaft.

Warum ist die Bauwirtschaft für die chinesische Wirtschaft so wichtig? 

Seit der Finanzkrise 2008 ist Chinas Wirtschaft insbesondere dank privater und staatlicher Investitionen in Infrastruktur und Immobilien gewachsen. Diese sorgten direkt und indirekt für bis zu einem Drittel der Wirtschaftsleistung. Mit indirekt ist gemeint, dass von dem Bauboom viele Branchen wie Chemie- und Rohstoffindustrie, aber auch Haushaltsgeräte- und Möbelhersteller profitierten. 

Seit Langem kritisieren Ökonomen, dass dieses Wachstumsmodell nicht nachhaltig ist. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping forciert die Abkehr von diesem „fiktiven“ Wachstum. Seit 2020 reguliert die Staatsführung deshalb den Immobilienmarkt strikter. Das gilt als wichtiger Auslöser für den aktuellen Abschwung sowie für die Liquiditätsprobleme großer Immobilienentwickler wie Evergrande und Country Garden, die derzeit die Märkte beunruhigen. Allerdings spielen auch strukturelle Faktoren eine Rolle. Bereits heute besitzen 90 Prozent aller chinesischen Haushalte eine Immobilie. Die schrumpfende Bevölkerung und der geringere Zuzug in die Städte begrenzen die künftige Nachfrage. 

Klar ist: Solange ein neuer Wachstumstreiber fehlt, bedeutet eine Abkehr vom investitionsgetriebenen Modell deutlich niedrigere Wachstumsraten im niedrigen einstelligen Bereich.

Warum steuert die chinesische Staatsführung nicht stärker gegen?

In den Pekinger Behörden herrschte trotz Urlaubszeit in den vergangenen Wochen rege Betriebsamkeit. Ständig werden neue Pläne zur Stützung der Wirtschaft vorgestellt: 31 Vorschläge zur Stärkung der Privatwirtschaft, 20 Maßnahmen zur Förderung des Konsums, 26 Ideen für mehr Beschäftigung und 24 Punkte, um das Umfeld für ausländische Investoren zu verbessern. Doch bislang handelt es sich dabei in erster Linie um Ankündigungen. 

Unverständnis herrscht bei China-Beobachtern darüber, warum sich die Staatsführung bislang weigert den Konsum zu stützen. „Was, wenn sie nicht das volle Ausmaß der Schulden und der möglichen Wechselwirkungen verstehen?“, fragt der renommierte Chinaexperte Bill Bishop.

Dann könnten sie auch nicht einschätzen, wie sich Zahlungsausfälle auf das System auswirken und welche systemischen Risiken, dies haben könne. Nach den Erfahrungen der strikten Null-Covid-Politik und des chaotischen Endes der Restriktionen sei nicht ausgeschlossen, dass Xi den Entschluss getroffen habe, „es einfach laufen zu lassen“. Möglich sei aber auch eine plötzliche Kehrtwende, mit beherzten Eingriffen, um die Wirtschaft zu stabilisieren. 

Lesen Sie weitere Artikel zu Chinas Wirtschaft:

Viele Ökonomen halten es für richtig, dass China seine Wirtschaft nicht mehr künstlich durch Investitionen ankurbelt. Inzwischen sollte jedem klar sein, dass „sinnvolle Maßnahmen echte Transfers an die Haushalte beinhalten müssen“, sagt Finanzprofessor Pettis.

Wichtiger sei es, strukturelle Reformen anzugehen, fordert der IWF. Dazu zählen die Anhebung der Renteneintrittsalters, das heute bei 55 Jahren für Frauen und 60 Jahren bei Männern liegt, der Ausbau der Arbeitslosen- und Krankenversicherung sowie die Reform staatlicher Unternehmen. Derartige Reformen würden es China ermöglichen, das „Einkommensniveau in fünf Jahren um etwa 2,5 Prozent zu steigern“, schreiben die IWF-Chinaexperten Diego A. Cerdeiro and Sonali Jain-Chandra. 

Der Schwerpunkt der Reformen müsse darauf liegen, „eine sinnvolle Steigerung des Produktivitätswachstums genau dann zu erreichen, wenn eine demografisch geschwächte chinesische Wirtschaft dies am meisten benötigt“, mahnt auch Stephen Roach.

Warum sind Chinas Lokalregierungen so hoch verschuldet und welche Folgen hat das?

Insgesamt belaufen sich Chinas Schulden auf 281,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ein Großteil davon entfällt auf die Lokalregierungen. Die Verschuldung der Zentralregierung beträgt 21,4 Prozent. Die lokalen Gebietskörperschaften haben Schulden von umgerechnet 12,8 Milliarden Dollar angehäuft. Das entspricht 76 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. In der am höchsten verschuldeten Stadt Tianjin sind die Verbindlichkeiten drei Mal so hoch wie die jährlichen Einnahmen. 

Die Schuldenexplosion hat mehrere Ursachen. Jahrzehntelang haben die lokalen Verantwortlichen massiv in Infrastruktur investiert, größtenteils auf Pump, und so die Wirtschaft vor Ort angekurbelt. Finanziert wurden die Ausgaben mit Einnahmen aus Landverkäufen für Bauprojekte. Doch aufgrund der Immobilienkrise ist die Nachfrage nach Land eingebrochen und die Einnahmen sinken. Erschwerend kommt hinzu, dass die Lokalregierungen im vergangenen Jahr die Hauptlast der Kosten für die zeitweise fast täglichen Coronatests der Bevölkerung tragen mussten. Allein die Regierung der südchinesischen Provinz Guangdong bezifferte die Ausgaben zur Eindämmung der Pandemie im vergangenen Jahr auf umgerechnet 10,4 Milliarden Dollar.

Droht in China eine akute Schuldenkrise?

Trotz der hohen Verschuldung hält Wang Tao, China-Chefvolkswirtin der Schweizer Investmentbank UBS, das Risiko einer „typischen“ Schulden- oder Finanzkrise, bei der große Zahlungsausfälle zu Bankenzusammenbrüchen, einer schweren Kreditklemme oder einer starken Abwertung des Wechselkurses führen, in China für relativ gering, wie sie dem US-Radiosender NPR sagte. Zum einen verfüge die Zentralregierung über beträchtliche Vermögenswerte, die sie veräußern könnte. 

Wichtiger sei aber noch, dass eine Schuldenkrise typischerweise eine Liquiditätskrise sei. In China hingegen seien 95 Prozent aller Schulden inländische Schulden. Die hohen Ersparnisse der chinesischen Haushalte liegen auf den Konten lokaler Banken und können aufgrund der strikten Kapitalverkehrskontrollen nicht ins Ausland gebracht werden, erläutert Wang. Das unterscheidet China von anderen Ländern, in denen sich Schuldenkrisen auch dadurch zuspitzen, dass in- und ausländische Investoren ihr Geld abziehen. 

Mehr: Diese sieben Grafiken zeigen die Probleme der chinesischen Wirtschaft.

source site-12