Wie Putin den Kontinent vereinnahmen will

Riga, Kapstadt Wieder einmal ertönt in der Nacht zu Donnerstag Luftalarm in der gesamten Ukraine. Besonders gewachsen ist die Anspannung in den Hafenstädten des Landes: Seit Russland das Getreideabkommen einseitig ausgesetzt hat, intensiviert die russische Armee die Angriffe auf ukrainische Häfen massiv.

Russlands Präsident Wladimir Putin lässt dabei gerade jene Anlagen bombardieren, die für die Getreideausfuhr und -lagerung wichtig sind. Von den Lieferungen aus der Ukraine sind viele ärmere Länder, insbesondere in Afrika, abhängig.

So zerstört der Kremlchef einerseits Getreide in der Ukraine und hindert das Land mit Gewalt an der Auslieferung – während er andererseits seinen Gästen beim Russland-Afrika-Gipfel in St. Petersburg kostenlose Getreidelieferungen in Aussicht stellt. Russland sei in der Lage, die Ukraine bei der Getreideversorgung in Afrika zu ersetzen, sagte Putin am Donnerstag.

Putin zufolge sei Russland bereit, in drei bis vier Monaten mit der kostenlosen Belieferung von sechs afrikanischen Staaten mit Getreide zu beginnen. Burkina Faso, Simbabwe, Mali, Somalia, die Zentralafrikanische Republik und Eritrea würden jeweils 25.000 bis 50.000 Tonnen erhalten.

Russland unternehme alle Anstrengungen, um eine Nahrungsmittelkrise zu verhindern, wird der Kremlchef in russischen Medien zitiert. Sein Land sei auch willens, die Beziehungen zu den afrikanischen Staaten in Handels- sowie humanitären Fragen zu vertiefen und mit ihnen bei der Entwicklung ihrer Finanzen zusammenzuarbeiten.

Podiumsdiskussion mit Putin (3.v.l.)

Diesmal kamen weniger Teilnehmer aus Afrika als beim ersten Gipfel 2019.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Allein kann sich Russland die angekündigten Wohltaten gegenüber Afrika aber offenbar nicht leisten: Wie die Financial Times jüngst berichtete, habe Moskau Katar und der Türkei einen Finanzierungsplan unterbreitet. Danach solle Katar Moskau dafür bezahlen, russisches Getreide in die Türkei zu verschiffen. Die Türkei werde das Getreide dann weiterliefern an Länder, die es benötigten.

Nach Financial-Times-Angaben haben aber weder Katar noch die Türkei dem Plan bisher zugestimmt. Was Katar im Gegenzug erhielte, geht aus dem Bericht nicht hervor. Schon im April hatte Außenminister Sergei Lawrow aber betont, Russland könne das Getreideabkommen durch eine Kooperation mit der Türkei und Katar umgehen.

Die Versprechungen zeigen nach Ansicht westlicher Beobachter, wie wichtig Putin die politische Unterstützung afrikanischer Staaten ist – auch wenn bezweifelt wird, dass er dafür die nötigen Geldreserven hat.

Russland kündigte Getreide-Abkommen auf

Seit Russlands Aufkündigung des Deals kann die Ukraine Weizen und Mais nicht mehr über das Schwarze Meer verschiffen. UN-Generalsekretär Antonio Guterres hatte daraufhin zum wiederholten Male beklagt, dass die Schwächsten den höchsten Preis zahlen werden – und warnte vor neuem Hunger in Afrika, wo bereits jetzt 23 Millionen in Somalia und Nordkenia betroffen sind.

Mit der einseitigen Beendigung des Abkommens sieht Russland offenbar eine Gelegenheit, sich den besonders hart betroffenen Ländern in Nordafrika als Wohltäter anzudienen. Putin selbst hatte im Vorfeld des Gipfels einen auf der Website des Kremls veröffentlichten Artikel verfasst, in dem er behauptete, von den jährlich exportierten 32,8 Millionen Tonnen Getreide entfalle nur ein geringer Prozentsatz auf Afrika. Demgegenüber seien über 70 Prozent der Gesamtmenge an Länder „mit hohem und oberem mittleren Einkommensniveau“ gegangen, weswegen der Export-Korridor seine „humanitäre Bedeutung“ verloren habe.

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Daneben erklärte der Kremlchef, Russland selbst wolle die ukrainischen Getreidelieferungen fortan ersetzen. Sein Land sei in der Lage, „ukrainisches Getreide sowohl auf kommerzieller als auch auf unentgeltlicher Grundlage zu ersetzen, weil in diesem Jahr eine weitere Rekordernte erwartet wird“. Bislang sind die Weizenpreise allerdings weltweit um 14 Prozent gestiegen und haben den Ankauf des Getreides für die Hungernden am Horn von Afrika durch internationale Hilfsorganisationen entsprechend verteuert.

Hunger in Äthiopien

Die Weizenpreise haben sich auf dem Weltmarkt massiv verteuert – die ärmsten Länder trifft das besonders hart.

(Foto: dpa)

Die Sorge, in Afrika könnten wegen des geplatzten Abkommens in Kürze Hungersnöte ausbrechen, halten viele Experten indes für überzogen. Die Abhängigkeit von Russland sei vor allem im Süden der Sahara weniger ausgeprägt als oft vermutet. Betroffen sind von den 48 Ländern in dieser Region vor allem Somalia, Äthiopien und Kenia, denen Russland nun zum Teil die besagten Gratislieferungen in Aussicht gestellt hat. Allerdings dürften die vielen Kleinbauern auf dem Kontinent zumindest mittelfristig unter den höheren Preisen für Dünger und Transportkosten leiden.

Einige Beobachter erinnert die gegenwärtige Lage bereits an die globale Lebensmittelkrise vor 15 Jahren. Damals war es vor allem in Westafrika zu Unruhen gekommen. In dem Wüstenstaat Burkina Faso protestierten die Menschen damals wütend gegen das Regime, in Mali kletterte der Brotpreis um 30 Prozent – ein gewaltiger Anstieg für Familien, die wie fast überall in Afrika rund die Hälfte ihres Einkommens für Essen ausgeben.

Der Kremlchef ist zunehmend isoliert

Aber auch ein Blick auf die Teilnehmer des Gipfels zeigt, wie isoliert der Kremlchef mittlerweile ist. 2019 hatten noch 43 Staatschefs vom afrikanischen Kontinent teilgenommen, in diesem Jahr sind nur 17 dabei. Der Kreml führt das auf eine westliche Kampagne zurück. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte vor Beginn des Gipfels, es habe eine „unverhohlene dreiste Einmischung durch die USA, Frankreich und andere Staaten über ihre diplomatischen Missionen in afrikanischen Ländern“ gegeben.

Russland hatte sich schon beim ersten Gipfel 2019, wie jetzt auch wieder, als die bessere Alternative zum Westen angeboten. Viel ist seitdem jedoch nicht passiert. Muliro Wilfred Nasong’o vom Institute of Diplomacy and International Studies (IDIS) an der Universität Nairobi verweist darauf, dass Putin damals zwar viel versprochen, aber wenig gehalten habe. Trotz vollmundiger Ankündigungen investiert Russland noch immer nur sehr wenig in Afrika.

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Hatte Putin 2019 in Sotschi noch eine Verdoppelung des russischen Handels mit Afrika binnen fünf Jahren in Aussicht gestellt, stagniert dieser seitdem bei etwa 18 Milliarden Dollar im Jahr. In puncto Direktinvestitionen in Afrika liegt der russische Beitrag sogar bei weniger als einem Prozent.

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin

Die Söldner-Truppe Wagner war bisher immer wieder im Auftrag Russlands an Kriegen in Afrika beteiligt. Nun soll ihr Chef in St. Petersburg aufgetaucht sein.

(Foto: dpa)

Nothilfe wurde bislang kaum gewährt. Dies sei auch in Afrika nicht verborgen geblieben und dürfte das verringerte Interesse zum Teil erklären, meint Nasong´o. Schon deshalb stehe Putin bei dem Gipfel diesmal unter besonderem Druck, seiner zuletzt immer wieder beschworenen Verpflichtung gegenüber Afrika mit seinen inzwischen 1,3 Milliarden Menschen nun auch Taten folgen zu lassen.

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Darüber hinaus geht es beim Gipfel auch um militärische Aspekte. Seit Jahren suchen eine Reihe von Afrikas Autokraten wie etwa im Sudan, in Mali oder der Zentralafrikanischen Republik engere Beziehungen zu Putin. Die vielen Militärabkommen und stark expandierten Waffenlieferungen sind ein Zeichen dafür.

Vor allem das russische Militärunternehmen Wagner dürfte nach seiner kurzlebigen Rebellion gegen die russische Zentralregierung ein wichtiger Punkt auf dem Gipfel sein, der noch bis einschließlich Freitag dauert. Das gilt insbesondere für die Regime im Sudan, Mali oder in der Zentralafrikanischen Republik, die Sicherheitsabkommen mit den russischen Söldnern geschlossen haben – und dafür Rohstoffe liefern. Für Aufsehen sorgte außerdem ein Foto, das den Chef der Wagner-Miliz Jewgeni Prigoschin am Rande des Gipfels in einem Hotel in St. Petersburg mit einem Vertreter der Zentralafrikanischen Republik zeigt.

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