Wahlen: Polen entdeckt die Volksabstimmung

Jaroslaw Kaczynski

Der PiS-Chef wettert bereits gegen die Opposition.

(Foto: Agencja Wyborcza.pl via REUTERS)

Wien Volksentscheide sind in Europa der politische Traum vieler rechtspopulistischer Politiker. Manche von ihnen sagen bloß, sie würden Referenden einführen, falls sie an die Macht kämen. Andere schreiten zur Tat, beispielsweise Polens Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Am 15. Oktober wählen die Polen ein neues Parlament. Zeitgleich sollen die Polen auch zu vier Fragen ihre Meinung äußern. Es geht um Einwanderung, nationale Sicherheit, Privatisierung von Staatsbesitz und die Altersvorsorge. PiS-Vertreter haben die Fragen über das vergangene Wochenende schrittweise enthüllt – über vier Tage wurde je eine von ihnen bekannt gegeben.

Am brisantesten ist die Frage nach der Migration. Sie lautet, ob die Wähler für die Zuwanderung „Tausender illegaler Migranten aus dem Nahen Osten und aus Afrika“ sind, wie das der Migrationspakt der EU-Bürokratie vorsehe. Gefragt werden die Polen ferner, ob sie die Erhöhung des Rentenalters befürworten, den Bau des Grenzzauns zu Belarus abbrechen möchten und dem Verkauf von Staatsfirmen zustimmen.

Die Fragen sind insofern maßgeschneidert, als dass es sich um Themen handelt, die die Wähler von PiS besonders stark beschäftigen. Sie sind konservativ, wohnen eher auf dem Land und haben in vielen Fällen nicht zu Unrecht das Gefühl, vom wirtschaftlichen Aufschwung Polens nicht profitiert zu haben. Offensichtlich will PiS diese Wähler zusätzlich motivieren, an den Wahlen teilzunehmen.

Den Kampf um die Stimmen führen Polens Parteien auf aggressive Weise. Die politischen Gegner schrecken nicht davor zurück, sich mit Schmähungen zu überhäufen. Jaroslaw Kaczynski, der Präsident von PiS und stellvertretende Ministerpräsident, nannte seinen Rivalen Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) vor wenigen Tagen den „Inbegriff des Bösen“. Ein Vertreter der Volkspartei (PSL) meinte darauf, Kaczynski sei verrückt geworden.

Feindbild Deutschland und Europa

Gerne decken PiS-Vertreter auch Deutschland und die EU mit Beleidigungen ein. Polens Regierung passe nicht in den deutsch-russischen Plan, Europa zu beherrschen, sagte Kaczynski im vergangenen Herbst. Er verstieg sich gar zur Analogie, dass die EU zu einem vierten deutschen Reich werden könnte.

Mateusz Morawiecki

Polens Ministerpräsident bedient sich oft etablierter Feindbilder im Ausland.

(Foto: Reuters)

Manche Verdächtigungen sind nicht nur abstrus, sondern auch unfreiwillig komisch: So meinte Kaczynski jüngst, Deutschland wolle mithilfe der EU polnische Wälder privatisieren und damit den Polen das Pilzesammeln verbieten.

Ein Feindbild von PiS ist auch Manfred Weber, der Präsident der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament. Polens Regierungspartei hat er vorgeworfen, dass sie den Rechtsstaat und die Medien bekämpfe. Deshalb sei sie für die EVP ein Gegner. Das hat PiS-Politiker derart empört, dass Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki Weber zum Fernsehduell aufgefordert hat. 

Der Ausgang der Wahlen in offen, PiS befindet sich aber in einer besseren Position als die liberale PO. In Umfragen kommen sie und ihre Partner auf rund 35 Prozent der Stimmen, das Bündnis um die PO auf 30 Prozent. Beide Gruppierungen wären somit auf Partner angewiesen, um zu regieren.

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Diese Rolle könnte die Partei Konföderation übernehmen, die in Umfragen Werte um 13 Prozent erreicht und damit die drittstärkste Partei ist. Viele Beobachter halten sie für rechtsextrem und äußerst nationalistisch; jüngst haben die staatskritischen Liberalen und Libertären in der Partei aber an Gewicht gewonnen.

Victor Orban dient Polens PiS-Partei als Vorbild

PiS hat Referenden, die je nach politischer Lage opportunistisch abgehalten werden, nicht erfunden. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat dieses Instrument schon mehrmals genutzt. Vor sieben Jahren fragte er die Stimmbürger etwa, ob sie dafür seien, dass die EU dem Land vorschreiben könne, ausländische Staatsbürger aufzunehmen.

Das Ergebnis fiel für Orban zwiespältig aus: 98 Prozent sagten zur Frage zwar Nein, das Ergebnis war aber folgenlos. Das Referendum hätte nur Gültigkeit gehabt, wenn über 50 Prozent der Bürger an die Urne gegangen waren. Dieses Quorum wurde nicht erreicht.

Danach führte Orban bloß noch „nationale Konsultationen“ durch. Im vergangenen Winter konnten sich die Ungarn etwa dazu äußern, ob sie mit den Sanktionen, welche die EU Russland auferlegt hat, einverstanden seien. 97 Prozent sprachen sich gegen die Maßnahmen aus. Geändert hat sich am Sanktionsregime dadurch nichts. Orban trägt die Maßnahmen der EU murrend mit, ihm ist es lediglich gelungen, gewisse Sanktionen abzuschwächen, etwa jene im Energiebereich.

Unmittelbare Folgen werden auch die Referenden in Polen nicht haben. So zwingt die EU Polen nicht dazu, Migranten aufzunehmen. Auch fordert keine politische Partei die Erhöhung des Rentenalters. Polen wird um einen solchen Schritt möglicherweise aber nicht herumkommen. Immerhin liegt das gesetzliche Rentenalter für Frauen bei 60 Jahren und somit fünf Jahre unter jenem der Männer.

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