VW-Chef Herbert Diess will US-Geschäft stärken

VW-Chef Herbert Diess

„Wir müssen mit Sicherheit für das Elektrowachstum in den USA weitere Batteriefabriken bauen.“


(Foto: Volkswagen AG)

Austin Angesichts des Ukrainekriegs will Volkswagen andere Wachstumsmärkte außerhalb Europas stärken, vor allem die USA. „Wir müssen uns weltweit noch breiter aufstellen“, sagte VW-Chef Herbert Diess im Interview mit dem Handelsblatt. Der Marktanteil in den USA solle von vier auf zehn Prozent steigen.

Helfen sollen der Elektro-SUV ID.4 und der neu eingeführte Elektrobus ID.Buzz, aber auch weitere Modelle. Diese könnten im US-Werk in Chattanooga produziert werden. „Da wir in Chattanooga in die Grundtechnologie für die E-Auto-Produktion investiert haben, überlegen wir natürlich, welches Modell wir dort noch produzieren werden“, sagte Diess.

Eine Möglichkeit sei ein Elektro-Pick-up, wie der VW-Chef erstmals offenlegt: „Das Segment ist hochattraktiv.“ Beim Modell Amarok „überlegen wir bereits, ob es ihn nicht in einer elektrischen Variante geben sollte“. Außerdem gibt Diess Einblick in die Planung für eigene Batteriefabriken. „Wir müssen mit Sicherheit für das Elektrowachstum in den USA weitere Batteriefabriken bauen.“ Diese müssten nach 2025 anlaufen: „Ob als Joint Venture oder allein, das klären wir gerade.“

Russlands Krieg in der Ukraine verurteilt der VW-Chef. „Die Lage ist viel schlimmer, als wir uns das je hätten vorstellen können.“ Nötig seien harte Sanktionen des Westens. Sorge bereitet Diess, dass kein europäischer Politiker „auf Augenhöhe mit Präsident Putin redet“. Die Drohung Moskaus, die russischen Werke des Konzerns zu enteignen, müsse man ernst nehmen. Die Produktion von Kabelbäumen aus der Ukraine werde VW „vorübergehend abziehen“.

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Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Diess, wir sind hier auf der Konferenz „South by Southwest“ in Austin, Texas. Doch die Welt schaut derzeit vor allem auf die Ukraine. Wie bewerten Sie die Situation?
Es ist ein menschliches Drama, das uns allen sehr nahegeht. Die Lage ist viel schlimmer, als wir uns das je hätten vorstellen können. Viel hängt davon ab, ob es uns gelingt, den Konflikt noch einzudämmen, oder ob der Krieg weiter andauert. Deshalb finde ich es gut, wenn der Westen Russland hart sanktioniert – dann aber auch schnell versucht, an den Verhandlungstisch zurückzukommen.

Wie optimistisch sind Sie, dass das gelingt?
Mir macht Sorgen, dass wir keinen europäischen Verhandlungsführer sehen, der auf Augenhöhe mit Präsident Putin redet. Es steht viel auf dem Spiel für Europa und Deutschland. Die Probleme bei der Energieversorgung, in den Lieferketten und die dramatischen Preissteigerungen sind ein Vorgeschmack.

Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie für VW?
Unmittelbar betroffen sind wir bei den Lieferungen aus der Ukraine. Dort werden vor allem Kabelbäume für unsere Autos gefertigt. Noch produzieren unsere Zulieferer in der Westukraine trotz des Krieges weiter, auch wenn die Produktion auf 30 bis 50 Prozent gefallen ist.

Wollen Sie die Produktion in Nachbarländer verlagern, etwa nach Rumänien?
Wir bereiten Verlagerungen vor, wollen die Produktion aber nur vorübergehend abziehen.

Und wie sieht die Lage in Ihren russischen Werken in Kaluga und Nischni Nowgorod aus?
Unsere russischen Werke stehen still. Unsere dortigen Angestellten bezahlen wir weiter. Ein Zeitlimit gibt es bisher nicht. Ersatzteile liefern wir auch weiterhin nach Russland.

Produktion bei VW in Kaluga

Die VW-Werke in Russland stehen derzeit still.


(Foto: Volkswagen AG)

Die Regierung in Moskau droht, die Werke zu enteignen, wenn sie nicht wieder anlaufen.
Diese Drohung muss man ernst nehmen.

Eigentlich wollten Sie Ihren Absatz 2022 leicht steigern. Ist das noch zu halten?
Unser Ausblick hängt von der weiteren Entwicklung ab. Enden die Kriegshandlungen schnell, könnten wir durchaus noch ein ordentliches Jahr hinlegen.

>> Lesen Sie hier: Jahresbilanz von Volkswagen: Porsche schlägt wieder alle im Konzern

Könnten die hohen Spritpreise zumindest den Durchbruch der Elektromobilität beschleunigen?
Wir brauchen keine höheren Treibstoffpreise, die Nachfrage ist auch so schon hoch. Das E-Auto ist auch schon bei Benzinpreisen von 1,30 Euro je Liter wettbewerbsfähig.

Muss VW angesichts der Krise seine geografische Aufstellung überdenken?
Ja, wir machen uns natürlich Gedanken. Wir sehen, dass Investoren derzeit Wachstumsmöglichkeiten außerhalb Europas suchen. Wir müssen uns weltweit noch breiter aufstellen.

In China dürften Sie sich kaum verstärken wollen. Der Markt steht heute schon für 40 Prozent des VW-Absatzes. Ein Klumpenrisiko.
Das sehe ich nicht so. Wir müssen in China präsent sein. Die chinesische Wirtschaft wird weiter wachsen, außerdem wird China auch technologisch für die Autowelt immer relevanter, Stichwort vernetztes Auto und autonomes Fahren. Unsere Präsenz in China ist auch für die Zukunft enorm wichtig.

VW-Chef will in den USA zehn Prozent Marktanteil erreichen

Peking könnte den Schulterschluss mit Moskau üben. Das macht Ihnen keine Sorgen?
Natürlich besorgt uns die geopolitische Entwicklung. Aber die großen Mobilitäts-Wachstumsregionen bleiben China und die USA.

Reden wir über die USA. Nach einer Dekade mit Verlusten haben Sie hier im vergangenen Jahr 200 Millionen Euro Gewinn erzielt. Wie geht es weiter?
Die Wachstumsperspektiven in den USA sind derzeit viel besser als in Europa. Unser Marktanteil bei den E-Autos ist mit rund acht Prozent schon heute doppelt so hoch wie bei den Verbrennern, hier sind wir die Nummer zwei hinter Tesla. Aber wir sind hier insgesamt immer noch viel zu klein. Wir brauchen einen deutlich höheren Marktanteil, um eine echte Rolle zu spielen. Aktuell sind wir bei vier Prozent. Wir streben zehn Prozent an.

VW hatte in den USA lange ein angestaubtes Image. Nun präsentieren Sie in Austin den ID.Buzz, die Elektro-Neuauflage des klassischen VW-Busses. Was erhoffen Sie sich von ihm?
Der Buzz ist unser wichtigstes Produkt, um die Marke VW emotional aufzuladen. In den USA, aber auch weltweit. Das Auto hat Kultstatus. Dass es endlich da ist, ist für mich auch ein persönlicher Erfolg. Ich habe für den Buzz schon geworben, als ich zu Volkswagen gekommen bin. Er kommt bei den Menschen hier in Austin sensationell gut an!

ID.Buzz

Der VW-Chef sieht den Start des Elektrobusses als „persönlichen Erfolg“.

(Foto: dpa)

In Ihrer Fabrik in Chattanooga, Tennessee produzieren Sie bereits den ID.4 und stecken die Batterien, die SKI liefert, für das Auto zusammen. Wollen Sie dort auch den Buzz oder andere Elektroautos herstellen?
Wir haben noch keine Entscheidung getroffen. Aber klar ist: Wir wollen in den USA wachsen. Und da wir in Chattanooga in die Grundtechnologie für die E-Auto-Produktion investiert haben, überlegen wir natürlich, welches Modell wir dort noch produzieren werden.

Planen Sie auch eigene Batteriefabriken in den USA?
Ja, wir müssen mit Sicherheit für das Elektrowachstum in den USA weitere Batteriefabriken bauen. Bis 2025 sind wir abgedeckt mit den aktuellen Kapazitäten unseres Zulieferers. Aber nach 2025 müssen zusätzliche Fabriken kommen. Ob als Joint Venture oder allein, das klären wir gerade.

VW bietet viele Modelle an. Aber in den USA haben Sie eine echte Leerstelle: Pick-ups sind hier die meistverkauften Autos. Ford ist mit einem E-Pick-up, dem F-150 Lightning, gestartet. Wo bleibt Ihr E-Pick-up?
Wir überlegen durchaus, einen E-Pick-up anzubieten. Das Segment ist hochattraktiv und wird bisher von den US-Amerikanern dominiert, mit klassischen Verbrennern. Wenn das Segment jetzt elektrifiziert wird, auch durch neue Wettbewerber wie Rivian, können wir dort vielleicht auch Fuß fassen.

VW-Werk in Chattanooga

„Wir wollen in den USA wachsen.“


(Foto: AP)

Würde ein möglicher eigener E-Pick-up in der Klasse der großen Pick-ups antreten – als Konkurrent zum F-150 oder dem GM Silverado?
Wir müssen nicht unbedingt einen Pick-up in der Größe des F-150 anbieten. Wir werden ja noch in diesem Jahr gemeinsam mit Ford einen Nachfolger für den Amarok auf den Markt bringen …

… den bisher einzigen VW-Pick-up, ein recht kleines Modell …
… und dort überlegen wir bereits, ob es ihn nicht in einer elektrischen Variante geben sollte.

Von den US-Konkurrenten will GM bis 2040 komplett auf Elektroautos umstellen. Ford will ohne Enddatum weiter Verbrenner produzieren für das ländliche Amerika. Auch VW nennt kein Ausstiegsdatum.
Zu Recht. Über den Ausstieg entscheiden nicht die Hersteller. Ob es Sinn macht, komplett aus dem Verbrennungsmotor auszusteigen, hängt auch vom jeweiligen Markt ab und davon, wie der dortige Strom für die E-Autos gewonnen wird. In Südamerika zum Beispiel wird viel Ethanol verbrannt, das einen kleinen CO2-Fußabdruck hat. Dort macht der Verbrenner auch in Zukunft mehr Sinn als ein Elektroauto. Aber in Europa sind wir auf einen vollständigen Ausstieg vorbereitet, wenn ihn die Politik will. 2035 wird knapp. 2040 ist möglich.

Die Herkunft des Stroms ist das eine Thema. Aber was ist mit den riesigen Batterien: Müssen die nicht künftig recycelt werden?
Absolut. Bei VW werden wir keine Batterien aus der Hand geben, sondern alle recyceln. Das Verfahren testen wir schon in Salzgitter. Es wird jedoch noch Jahre dauern, bis die Altbatterien auf den Markt kommen. Am Ende ihrer Lebenszeit im Auto werden die Batterien im Haushalt eingesetzt, da sie immer noch 70 Prozent Leistungsfähigkeit haben. Eine Batterie wird 20 bis 30 Jahre im Einsatz sein, bevor sie recycelt wird.

Als Strafe für den Dieselskandal musste VW zwei Milliarden Dollar in den Aufbau eines großen Ladesäulennetzes investieren. Jetzt profitieren Sie von „Electrify America“. Eigentlich ein Witz!

Na, ich finde gar nicht, dass das ein Witz ist. Es war ein berechtigtes Anliegen der US-Aufsicht, die Elektrifizierung voranzubringen. Heute kommt uns die Strafe entgegen – aber nur, weil wir unsere Strategie voll auf die E-Mobilität ausgerichtet haben. Unsere Ladesäulen stehen zudem allen offen.

„Es wird noch Jahre dauern, bis wir autonomes Fahren auf Level vier erreichen“

Wie sieht es beim Zukunftsthema autonomes Fahren aus? Tesla setzt hier allein auf Kameras und Künstliche Intelligenz. Experten kritisieren, es brauche weitere Systeme zur Unterstützung. Steckt Tesla in der Sackgasse?
Es ist noch zu früh, das zu beurteilen. Fakt ist: Wir brauchen Redundanzen, um das autonome Fahren bei schwierigen Wetter- und Sichtbedingungen sicher zu machen. Laserscanner sind gut im Stadtverkehr, Kameras bei höheren Geschwindigkeiten. Das werden auch die Regulierungsbehörden einfordern. Die Autos werden sich kontinuierlich verbessern, und es wird noch Jahre dauern, bis wir autonomes Fahren auf Level vier erreichen.

Elon Musk sagt, das selbstfahrende Auto komme binnen Jahresfrist.
Rein ökonomisch geht seine Strategie auf: Tesla-Kunden zahlen 12.000 Dollar für ein System, das es so noch nicht gibt. Verkauft wird ihnen das autonome Fahren, real bekommen sie einige Assistenzsysteme. Und Tesla generiert damit riesige Datenmengen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Tesla eines Tages ein redundantes zweites System einführt. Wir sollten ihn nicht unterschätzen.

VW-Chef Herbert Diess vor dem ID.Buzz

Im Interview mit den Handelsblatt-Korrespondenten Katharina Kort und Felix Holtermann.

Sind Daten die eigentliche Währung?
Ja. Tesla wertet als einziger Autohersteller kontinuierlich Tausende schwieriger Situationen, etwa mit Fußgängern oder Rollstuhlfahrern, aus und trainiert damit die eigenen Systeme. Je größer die Fahrzeugflotte, die die Daten liefert, desto besser können seltene, gefährliche Situationen erkannt und entschärft werden. Jeden Tag sammeln zwei Millionen Tesla-Autos Daten.

Und wie viele Volkswagen tun das?
Gar keine. Wir haben bisher keine Möglichkeit, kritische Fahrsituationen hochzuladen und auszuwerten. Unsere Wettbewerber übrigens auch nicht. Aber das wird sich ändern. Unser Kartenmaterial verbessern wir bereits durch Fahrdaten.

… worüber sich der Kartenpartner Mobileye freut.
Ja, aber auch wir profitieren.

Wie weit ist eigentlich die Arbeit von Argo AI fürs autonome Fahren, also der gemeinsamen Forschungstochter mit Ford?
Bei Argo AI arbeiten wir zusammen mit Ford an Robotaxis. Hier wollen wir schon bald bei niedrigen Geschwindigkeiten und wenig Verkehr in US-Vorstädten den Fahrer ersetzen, vor allem dank Laserscannern. Auf deutschen Autobahnen hilft dieser Ansatz aber kaum, da den Lasern die Reichweite fehlt. Hier setzen wir auf eine Kombination aus Kameras, Radar und Lasern. Mit jedem Softwareupdate übernehmen unsere Autos mehr Fahraufgaben – auch wenn der menschliche Fahrer sicher auch noch 2030 gebraucht wird. Hauptentwicklungsträger ist hier die VW-Softwaretochter Cariad.

Herbert Diess (r.) und Tesla-Chef Elon Musk

„Wir sprechen nicht mehr so häufig wie früher.“


(Foto: picture alliance/dpa)

Die Software war lange ein Sorgenkind. Zum Start des ID.3 sorgte das Bordsystem für Enttäuschung. Wird es beim ID.4 und beim ID.Buzz ähnliche Probleme geben?
Nein, die neueste Software funktioniert super – das spiegeln uns auch viele, die den ID.Buzz getestet haben. Bei meinem Antritt war VW bei dem Thema Software völlig rückständig, aber das hat sich geändert. Die Softwareprobleme sind behoben, wir bieten jetzt von Anfang an Over-the-Air-Updates an. Das ist ein Systembruch: Früher hatten nur unsere Händler Kundenkontakt. Jetzt bekommen unsere Entwickler kontinuierlich direktes Feedback. Wir befinden uns in der spannendsten Zeit für die Autoindustrie. Das Auto wird zum komplexesten Softwareprodukt der Welt, voller Künstlicher Intelligenz. Ich bin sehr froh, wie schnell unsere Teams dazulernen und besser werden.

Stellantis bezieht seine Kernsoftware von Google.
Das ist keine Strategie für VW, die Software muss von uns kommen. Sie ist hoch sicherheitskritisch, ich will bei Updates nicht auf einen Dritten warten.

„Wir nehmen die Konkurrenz durch Tesla sehr ernst“

Wie viel Geld wollen Sie mit dem VW-App-Store im Auto verdienen?
Das ist für uns kein Kriterium. Auch Apple hat in den ersten fünf Jahren mit dem App-Store keinen Gewinn gemacht. Unsere Marge erzielen wir mit dem Autoverkauf. Die Apps verbessern die Nutzererfahrung.

Sprechen Sie eigentlich noch regelmäßig mit Elon Musk?
Ja, aber nicht mehr so häufig wie früher. Liegt vielleicht auch an Corona.

Musk will demnächst die neue Gigafactory in Brandenburg eröffnen und damit den europäischen Markt aufrollen. Macht Ihnen das Sorgen?
Nein, aber wir nehmen die Konkurrenz sehr ernst. Und ich bin froh, dass wir jetzt eine Zukunftsvision für Wolfsburg haben. In Grünheide geschieht viel Innovatives, und wir setzen uns damit auseinander.

War es denn nötig, mit einem Jobabbau von 30.000 Stellen zu drohen?
Wir bauen für zwei Milliarden Euro ein neues Werk in Wolfsburg, nur so hat VW eine Zukunftschance. Das ist das richtige Zeichen!

Wirbt Tesla Ihnen schon die besten Leute ab – vielleicht auch mit dem cooleren Standort?
Nein, wir merken keinen Mangel. Die finanziellen Rahmenbedingungen in Wolfsburg und Berlin sind vergleichbar. Und auch bei uns pendeln schon heute 5000 Leute täglich aus Berlin ein. Unsere Entwickler sitzen sowieso an vielen Standorten.

Nach dem Ärger mit dem Aufsichtsrat ist es seit Dezember ruhiger geworden. Sie konnten trotz des Krachs im Amt bleiben. Hält der Frieden auch 2022?
Aus meiner Sicht gibt es wenig Anlass für neue Unruhe. Wir haben seit dem Herbst viel erreicht, bekommen ein neues Werk, das modernste Entwicklungszentrum Deutschlands und eine neue Struktur in der Zentrale. Ich bin sehr zufrieden.

Herr Diess, vielen Dank für das Interview.

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