Unternehmen engagieren sich bei Grundbildung

Helfertätigkeit

Da Helfertätigkeiten zunehmen verschwinden, steigt der Anspruch an Flexibilität und Kommunikation.

(Foto: dpa)

Berlin Mit dem Fachkräftemangel rücken auch die etwa neun Millionen Un- und Angelernten in den Fokus, für die es immer weniger Jobs gibt. Immer mehr Unternehmen bilden Geringqualifizierte im Betrieb weiter. Das zeigt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die dem Handelsblatt vorliegt.

Denn in dem Maß, wie einfache Helfertätigkeiten verschwinden, steigt der Anspruch an Flexibilität und Kommunikation – aber auch an Grundfähigkeiten. „Vor allem die Unternehmen, die jetzt schon große Rekrutierungsprobleme haben, erkennen, dass sie den Strukturwandel mit der Belegschaft bewältigen müssen, die sie haben – und sie dafür auch bei elementaren Kenntnissen selbst qualifizieren müssen“, sagt der Bildungsexperte des IW, Axel Plünnecke. 

Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeber (BDA), sagt ebenfalls, dass der Bedarf, Basisfähigkeiten zu schulen, gestiegen sei. „Immer mehr Betriebe sehen die Möglichkeit und Notwendigkeit, Mitarbeitern dabei zu helfen, Lücken beim Lesen, Schreiben, Rechnen oder auch bei grundlegenden IT-Kenntnissen zu schließen.

Am größten ist das Potenzial bei Zugewanderten, aber auch bei Einheimischen, die längere Zeit arbeitslos oder krank waren. Dazu kommen junge Menschen ohne Schul- und Berufsabschluss, die mit Helfertätigkeiten in den Arbeitsmarkt eingestiegen sind“, schildert Kampeter die Breite der Aufgabe. „Für alle bildet eine Grundbildung zugleich die Chance, sich im Anschluss weiter zu qualifizieren – bis hin zu einer Berufsausbildung.“

Immer mehr Kurse in Unternehmen

In der IW-Umfrage gaben Ende 2022 rund 20 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie Lese- und Schreibkurse für Nichtdeutsche organisieren – 2014 waren es noch acht Prozent. Doch auch für deutschsprachige Mitarbeiter bieten zwölf Prozent Lese- und Schreibkurse an – gegenüber vier Prozent 2014. Rechenkurse organisieren mittlerweile gut sechs Prozent, Basis-IT-Kurse sogar 20 Prozent. Die Ergebnisse seien zwar nicht exakt vergleichbar, da die Gruppe der Teilnehmer sich etwas geändert habe, sie zeigten aber den eindeutigen Aufwärtstrend, sagte Plünnecke.

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Nach Daten der Bundesregierung gab es 2018 in Deutschland noch immer 6,2 Millionen Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können. Dabei wurden lediglich Erwachsene zwischen 18 und 64 berücksichtigt, die so gut deutsch sprechen, dass sie eine Stunde lang Rede und Antwort stehen konnten. 

Der Bund hatte schon 2016 eine „AlphaDekade“ gestartet. 2022 schlossen sich dann Bildungswerke der Wirtschaft aus acht Bundesländern in dem Projekt „AlphaGrund vernetzt“ zusammen und organisieren mit Bundesmitteln Grundbildungsmaßnahmen vor Ort in den Betrieben.

„Wichtig ist, dass die Kurse in den Arbeitsalltag integriert sind“, erklärte Kampeter. „In diesem Schutzraum ist es für viele leichter, Defizite zuzugeben – und zugleich spüren sie unmittelbar den Erfolg, womit auch das Selbstvertrauen steigt.“

Daher müsse die bis Ende 2024 laufende Förderung des Bildungsministeriums weiterlaufen, fordert der BDA-Chef. Allerdings sind die Arbeitgeber aus acht vor allem kleineren Bundesländern noch nicht dabei, es fehlen vor allem die der Stadtstaaten. Zugleich kooperieren die Arbeitgeber aber mit der Grundbildungsinitiative des DGB „Arbeit und Leben“.

Gruppe schwierig zu erreichen

Die Klientel ist weniger gut zu erreichen als andere Gruppen. So sagen in der IW-Umfrage fast drei Viertel der Unternehmen, dass Geringqualifizierte lieber an Präsenz- als an digitalen Kursen teilnehmen – teilweise weil ihnen die technische Ausrüstung fehle. Knapp zwei Drittel kritisieren, digitale Angebote seien oft auch didaktisch nicht für diese Gruppe geeignet. 

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Die bisherigen Fördermaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit waren kaum geeignet für Grundbildungsmaßnahmen. Neuerdings macht das Bürgergeld deutlich mehr möglich: Nun können Arbeitsagenturen nach Paragraf 81 SGB III auch Grundbildung fördern, wenn das die Basis für eine Weiterbildung schafft oder ganz allgemein „die Beschäftigungsfähigkeit verbessert“. Das müssten die Agenturen nun in ihrem Arbeitgeberservice „aktiv betreiben“, fordert Kampeter, und verspricht, dass dies „auch die Arbeitgeberverbände tun“.

Die Verbände machen allerdings klar, dass Basiswissen bei Deutschen Aufgabe der Schulen ist: „Die Wirtschaft muss darauf bauen können, dass mit dem Schulabschluss eine Grundbildung in allen Schulfächern vorhanden ist“, sagt der Bildungsexperte der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Oliver Heikaus.

Das ist aber nicht der Fall: Seit Jahren gehen nach den Studien für die Kultusministerkonferenz die Leistungen der Schüler zurück, Corona hat den Trend noch verschärft. Inzwischen erreichen etwa in Mathe 22 Prozent der Viertklässler die Mindeststandards nicht. 

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DIHK-Umfragen zeigen, dass Unternehmen zunehmend auch leistungsschwächere Auszubildende aufnehmen. Für Defizite, etwa in Deutsch oder Mathematik, gibt es häufig Nachhilfe. „Fehlendes Interesse am Beruf oder mangelnde Sozialkompetenzen sind dagegen erfahrungsgemäß deutlich schwerer aufzuholen“, sagt Heikaus.

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