Thalia-Chef Michael Busch zu den staatlichen Coronamaßnamen: „Das ist die Todeszone“

Düsseldorf Thalia-Chef Michael Busch mahnt bei der Bundesregierung eine bessere finanzielle Unterstützung des durch die Coronamaßnahmen belasteten Handels an. „Die Politik fordert vom Handel ein Sonderopfer“, sagt er im Interview mit dem Handelsblatt. Das könne man gesellschaftspolitisch begründen, aber dann müsse der dadurch entstehende Schaden zu einem angemessenen Teil ersetzt werden. „Im Moment haben wir den Schaden und bekommen nichts ersetzt“, klagt er.

Die Buchhandelskette Thalia Mayersche verliere durch die 2G-Regel jeden Monat größere Millionenbeträge, das sei ein Umsatzrückgang von 15 bis 20 Prozent. Busch nennt das die „Todeszone“, weil es staatliche Hilfen erst ab einem Umsatzrückgang von 30 Prozent gebe.

„Wir brauchen als Einzelhändler Rahmenbedingungen, welche die Basis unserer Existenz absichern“, fordert er. Dazu gehörten insbesondere öffentliche Investitionen in die Digitalisierung. „Diese werden dringend benötigt – dringender als die zunehmende staatliche Regulierung der Wirtschaft“, sagt er an die Adresse der Ampelkoalition und appelliert: „Nach der Euphorie der ersten Wochen müssen sie jetzt liefern.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Busch, Ihre Filiale hier an der Düsseldorfer Königsallee ist ziemlich leer. Wie stark trifft die Pandemie Ihr Geschäft?
Das ist unterschiedlich. Buchhandlungen wie hier in den Innenstadtlagen trifft es am stärksten. Es hängt auch davon ab, ob wir in einem Bundesland unter die 2G-Regel fallen oder nicht. Die Faustformel lautet: Wenn die Läden dem täglichen Bedarf zugeordnet sind, verlieren sie zehn bis 15 Prozent an Umsatz, wenn sie Eingangskontrollen machen müssen, sind es bis zu 35 Prozent Umsatzrückgang. Im Schnitt verlieren wir im Moment etwa 15 bis 20 Prozent Umsatz.

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Damit kommen Sie ja im Vergleich zu vielen anderen Händlern noch glimpflich davon.
Aber gerade das ist doch die Todeszone. Wenn Sie weniger als 30 Prozent Umsatz verlieren, gibt es keinerlei staatliche Hilfen, und diesen erheblichen Verlust können Sie nicht komplett über den Onlinehandel ausgleichen. E-Commerce macht bei uns etwa 40 Prozent am Geschäft aus. Aber der Onlineverkauf bringt weniger Marge, weil der Großhandelsanteil höher ist und zusätzliche Marketing- und Versandkosten anfallen. Und die Kosten in den Buchhandlungen laufen ja weiter.

Was kosten Sie die Coronamaßnahmen denn konkret?
Seit die 2G-Regel in Kraft getreten ist, verlieren wir jeden Monat größere Millionenbeträge.

Fühlen Sie sich von der Politik ungerecht behandelt?
Die Politik fordert vom Handel ein Sonderopfer. Das lässt sich gesellschaftspolitisch begründen. Aber dann muss der Schaden, der daraus entsteht, zu einem angemessenen Teil ersetzt werden. Im Moment haben wir den Schaden und bekommen nichts ersetzt.

Corona als Rütteltest

Sind Sie also als Krisenmanager gefordert?
Corona war für uns ein Rütteltest, wir haben alle unsere Schwachstellen gesehen. Das Positive war für uns, dass wir schon vor der Pandemie angefangen hatten, uns neu aufzustellen. Durch Corona wurde die Strategie der Verknüpfung von stationärem Geschäft und E-Commerce dann noch schneller vorangetrieben.

Sind es denn wirklich die fehlenden technologischen Voraussetzungen, die bei vielen Händlern den Einstieg in den E-Commerce verhindern, oder gibt es nicht eher eine Blockade im Kopf?

Michael Busch

Thalia-Chef Michael Busch mahnt bei der Bundesregierung eine bessere finanzielle Unterstützung des durch die Coronamaßnahmen belasteten Handels an.


(Foto: John M. John / Thalia)

Wenn man zu lange eine neue Situation verdrängt oder vor sich herschiebt, dann ist das eine Kopfsache. Viele Händler haben den E-Commerce in den vergangenen zehn Jahren verschlafen. Wer die Entwicklung aber antizipiert und rechtzeitig reagiert hat, der läuft jetzt ein Stück voraus. Ich bin Volkswirt, und was mich im Studium am meisten fasziniert hat, ist der Schumpeter’sche Gedanke, dass Innovation ein Prozess der schöpferischen Zerstörung ist.

Und das passiert jetzt?
Viele versuchen, ihr Unternehmen wie auf einem Schachbrett zu optimieren, aber merken nicht, dass sich das gesamte Schachbrett zur Seite bewegt hat und sie gar nicht mehr darauf stehen. Das nennt man dann klassisch einen Konkurs. Letztlich ist Corona für den Handel eine Disruption.

Aber wäre das, was jetzt passiert, nicht auch ohne Corona gekommen?
Ja, aber jetzt kommt es viel schneller. Es ist eine riesige Chance für Unternehmen, die in der Lage und willens sind, in den Markt zu investieren. Wir sehen auch in Amazon eine große Chance, weil Amazon den Markt komplett verändert hat. Das kann man bejammern, man kann aber auch den Trend aufgreifen und daraus ein eigenes, anderes und besseres Geschäftsmodell kreieren, das für die Kunden noch attraktiver ist.

Chancen für Buchhändler

Was macht Sie denn attraktiver als Amazon?
Zum einen beschäftigen wir unsere Leute größtenteils in diesem Land, wir zahlen alle Steuern hier. Zum anderen sind wir durch unser stationäres Geschäft und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter näher am Kunden. Wir bei Thalia erreichen unsere Kunden überall, auf jedem Weg, zu jeder Zeit; wir sind einfach für sie da – wie sie während Corona für uns da waren. Das lässt sich nicht einfach kopieren. Und diesen Vorteil mit den Optionen der Technologie zu verbinden bietet riesige Möglichkeiten.

Haben Sie da nicht leicht reden? Sie sind im Buchhandel in Deutschland Marktführer und haben die finanziellen Ressourcen für die dafür notwendigen Investitionen.
Ich bin jetzt seit fast 27 Jahren Unternehmer im Buchhandel. Wir starteten mit 42 kleinen Buchhandlungen und haben 70 Millionen Euro Umsatz gemacht. Da waren wir bei Weitem nicht die Größten. Aber wir haben die Entwicklung besser eingeschätzt und uns mutiger darauf eingestellt.

Aber hat ein kleiner Buchhändler diese Chance auch jetzt noch?
Auf jeden Fall. Wir haben vor zwei Jahren entschieden, Thalia zu einer Plattform umzubauen. Jeder andere Buchhändler kann unsere Lösungen nutzen, um Zugang zum E-Commerce zu bekommen und unsere gesamte Infrastruktur für das eigene Geschäft einsetzen, ohne seine unternehmerische Selbstständigkeit zu verlieren.

Aber machen Sie da nicht das Gleiche, was sie Amazon vorwerfen? Sie haben als Marktführer mit der Plattform den Kundenkontakt und machen alle anderen Händler von sich abhängig.
Im Gegenteil! Wir versetzen die vielen unabhängigen Buchhändler in die Lage, mit der Zeit zu gehen und einen Service anzubieten, den sie allein niemals stemmen könnten. Das belegt die Geschichte unserer E-Book-Plattform Tolino. Als wir diese vor acht Jahren gegründet haben, hat uns niemand geglaubt, dass wir die Plattform für unsere Branche öffnen wollen. Heute befinden sich rund 2000 selbstständige Buchhändler im Netzwerk. Tolino hat 42 Prozent Marktanteil, Amazons Kindle hat 50 Prozent. Jeder Buchhändler kann beim E-Reading mit Amazon in einer Liga spielen, das gibt es in keinem anderen Land.

Warum sollte ein Kunde denn überhaupt ein Buch auf der Thalia-Plattform kaufen und nicht bei Amazon?
Weil Sie das Buch bei uns schneller bekommen können. Ein Beispiel: Sie sitzen im Büro, bestellen ein Buch bei Thalia.de und wollen es abends schon haben. Bei uns können Sie sehen, ob das Buch in Ihrer Buchhandlung in der Nähe verfügbar ist und Sie es dort abholen können. Als Nächstes docken wir an allen Läden Fahrradkuriere an und bringen Ihnen das Buch auf Wunsch auch ins Büro. Solchen Service kriegen Sie bei Amazon nicht.

Werden wieder mehr Kunden kommen?

Experten gehen davon aus, dass ab Ende Februar die Infektionszahlen wieder zurückgehen. Erwarten Sie, dass dann auch wieder die Kunden in die Geschäfte zurückkehren?
Das ist wie bei einer Kirchenglocke. Jedes Pendel, das in ein Extrem geht, schwenkt auch wieder zurück. Vor zehn Jahren kam schon die Frage: Eröffnen Sie überhaupt noch neue Buchhandlungen? Wir haben kontinuierlich unser Netz ausgebaut, weil wir daran glauben, dass die Zukunft im Zusammenspiel zwischen lokaler Präsenz und E-Commerce liegt.

Was lockt Kunden noch in den Laden?
Erst einmal ist es die persönliche Beratung, aber auch die besondere Atmosphäre zum Eintauchen in Geschichten. Die Kundinnen und Kunden wollen sich inspirieren lassen, wollen ein Buch in die Hand nehmen, bevor sie es kaufen. Ganz wichtig ist auch: Die Menschen waren sehr lange durch Corona eingeschlossen. Die wollen wieder raus und andere Menschen treffen, wollen ins Café gehen, sich unterhalten.

1919: Die erste Thalia Buchhandlung im Thalia-Theater Hamburg

Thalia startete 42 kleinen Buchhandlungen.


(Foto: Thalia)

Schafft auch Technik in den Läden mehr Umsatz?
Sie haben immer das Risiko, dass Sie in den Laden gehen und das Buch, auf das Sie sich gefreut haben, nicht im Regal steht. Wir lösen das über unsere Handy-App. Der Kunde kann sich direkt am Regal alles anzeigen und direkt nach Hause schicken lassen.

Nutzen die Kunden das denn wirklich?
Ja, im Vergleich zum Vorjahr werden rund 150 Prozent mehr Einkäufe über die App getätigt, und die Nutzung steigt stark an. Entscheidend war, dass wir immer mehr Zusatznutzen eingebaut haben. Besonders beliebt ist die Funktion, mit der man Bücher im Geschäft einscannen und online bezahlen kann, ohne an der Kasse zu warten. Und bevor Sie fragen: Die Zahl der Diebstähle hat sich dadurch nicht erhöht.

Wie sieht der Königsweg aus?

Ist Omnichannel, also die Verknüpfung von Onlinehandel und Filiale, der Königsweg?
Unter einer Bedingung: Man muss in beiden Bereichen wettbewerbsfähig sein und dann beides miteinander verknüpfen. Bevor wir Tolino gestartet haben, hatte Thalia einen Marktanteil bei E-Books von zwölf Prozent, heute liegt er bei 27 Prozent. Vor acht Jahren hatten wir im E-Commerce mit Büchern einen Marktanteil von acht Prozent, heute liegt er bei 20 Prozent. Die Verknüpfung ist dann die Königsdisziplin, wenn sie nochmals einen Zusatznutzen bietet.

Wodurch haben Sie die Kurve bekommen?
Für uns war das E-Book die zweite Chance im Leben, die wir konsequent genutzt haben. Die erste Chance, den Einstieg in den Onlinehandel, hatten wir in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts, ehrlich gesagt, etwas verschlafen. Wir haben zu lange darauf gesetzt, im Internet nur profitabel zu wachsen. Der Schlüssel ist aber, schnell eine große Kundenbasis aufzubauen, dann kommt man in die Skalierungsvorteile. Beim E-Book hat das dann geklappt.

Was war dabei der entscheidende Punkt?
Wir mussten den Mitarbeitern in den Buchhandlungen diesen Zusammenhang gut erklären. Denn sie hatten das Gefühl, dass sie die Kunden aktiv dazu bringen sollen, morgen nicht mehr ins Geschäft zu kommen. Wir haben ihnen gesagt, wenn es uns gelingt, mit dem E-Book unsere E-Commerce-Kundenbasis auszubauen und dann, im zweiten Schritt, auf die Abholung von online bestellten Büchern im Laden setzen, kommen die Kunden in einem Jo-Jo-Effekt zurück.

Und das hat funktioniert?
Es kam noch besser: Wir haben fast 85 Prozent unserer E-Reader nicht online, sondern in der Buchhandlung verkauft. Und jetzt kaufen die Leute bei uns auch ihre E-Books. Die Gewinner sind unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort – sie konnten selbst an ihrer eigenen Zukunft bauen.

Rahmenbedingungen zur Absicherung der Existenz

Aber der Handel kann die Innenstädte nicht allein retten. Welche Unterstützung brauchen Sie vom Staat?
Wir brauchen als Einzelhändler Rahmenbedingungen, welche die Basis unserer Existenz absichern. Das bezieht sich nicht nur auf die Wirtschaftshilfen oder einige aus meiner Sicht als Unternehmer an der Realität vorbei getroffenen Entscheidungen während der Pandemie. Vielmehr meine ich zum Beispiel öffentliche Investitionen in die Digitalisierung. Diese werden dringend benötigt – dringender als die zunehmende staatliche Regulierung der Wirtschaft. 

Thalia-Filiale

Aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Maßnahmen wird der Buchhandel weniger gut besucht.


(Foto: imago images/CHROMORANGE)

Sehen Sie da Bewegung?
Wenn man die Versprechen der Ampelkoalition hört, sollte sich ziemlich viel bewegen. Nach der Euphorie der ersten Wochen müssen sie jetzt liefern. Aber eins ist klar: Die Modernisierung des Landes wird nicht funktionieren, wenn die Regierung nur ihre eigenen Vorstellungen umsetzt. Es geht nur im Schulterschluss mit der Wirtschaft. Nur dann kann die Investitionsbereitschaft entfesselt werden, die wir für die dringend notwendige Wende in diesem Land brauchen. Wir stehen dafür bereit – bewiesen haben wir es.

Herr Busch, vielen Dank für das Interview.

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