Tado bekommt neuen Chef – und will Kunden billigeren Strom vermitteln

München Der Heizungs-App-Spezialist Tado will unter neuer Führung den Kunden mehr günstigen Strom vermitteln und so auf längere Sicht Milliardenumsätze erzielen. „Wir wollen nicht nur den Energieverbrauch der Kunden senken, sondern auch die Kosten pro Kilowattstunde Strom“, sagte Tado-Gründer Christian Deilmann dem Handelsblatt. Eine Energiemanagement-Plattform soll dazu den Stromeinkauf über flexible Tarife ermöglichen. 

Dass Tado das zweite Standbein neben den intelligenten Thermostaten ausbauen will, zeigt sich an der Auswahl des neuen Chefs: Als neuer CEO tritt Philip Beckmann an, der zuletzt beim Versorger Eon für den Geschäftskunden-Vertrieb zuständig war.

Ziel sei es, dass die Kunden ihren Stromverbrauch noch weiter reduzieren können, indem sie den Strom dann verbrauchen, wenn dieser an der Börse besonders günstig ist, sagte Beckmann. In der Summe aus dem Einsatz der smarten Tado-Thermostate und der flexiblen Stromvermarktung können die Kunden dann bei Stromverbrauch und -kosten mehr als ein Drittel einsparen.

Der neue Vorstandschef tritt die Nachfolge des Belgiers Toon Bouten an, der mit 65 Jahren in den Ruhestand geht. Der Konsumgüterexperte hatte in den vergangenen fünf Jahren vor allem den Verkauf der Hardware vorangetrieben.

2022 verkaufte Tado eine Million der speziellen Heizkörperthermostate, die mit einer App gekoppelt werden. Das System kann zum Beispiel erkennen, wenn ein Nutzer seinen Arbeitsplatz verlässt und nach Hause fährt, und die Wohnung schon mal vorheizen. Über das Handy weiß die Steuerung zudem, wann ein Bewohner einen Raum oder das Haus wieder verlässt. Die Kunden sollen dadurch im Schnitt 22 Prozent ihrer Heizkosten sparen können.

Strompreisbremse dämpft die Nachfrage nach smarten Thermostaten

Die Kunden zahlen für die Hardware und können kostenpflichtige Funktionen in der App abonnieren. Angesichts der Energiekrise konnte Tado die Umsätze im vergangenen Jahr laut Branchenschätzungen auf etwa 100 Millionen Euro verdoppeln.

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In der ersten Hälfte 2023 wurde eine Verdoppelung zwar noch nicht erreicht, sagte Deilmann. „Wegen der Energiepreisbremse denken manche Verbraucher wohl, man müsste nicht mehr so viel einsparen“, sagt Deilmann. Diese politische Kommunikation sei kontraproduktiv und verschließe „den Blick für Lösungen, die einerseits Kosten reduzieren, aber gleichzeitig auch den CO2-Ausstoß verringern“. Das Unternehmen rechnet dennoch damit, dass sich das starke Wachstum fortsetzen wird.

Bei den Wachstumsplänen setzt Tado stark auf das Energiemanagement. Dazu hatte das Münchener Start-up die österreichische Firma Awattar übernommen, einen Spezialisten für die Flexibilitätsvermarktung von Strom.

Mithilfe der IT-Plattform aus Wien sollen die Tado-Nutzer zum Beispiel ihr Elektroauto oder den Pufferspeicher der Wärmepumpe genau dann aufladen, wenn der Strom besonders günstig ist, weil zum Beispiel viel Wind- oder Sonnenenergie in das Netz eingespeist wird. In Phasen, in denen der Strom sehr teuer ist, kann der Ladevorgang unterbrochen werden.

Intelligente Heizungssteuerung von Tado

Das Start-up will seinen Kunden künftig auch günstigere Preise vermitteln, wenn der Strom an der Börse gerade besonders billig ist.

(Foto: Tado)

Dynamische Stromtarife sind in Deutschland noch rar. Zwar muss seit Jahresbeginn jeder Elektrizitätsversorger mit mehr als 100.000 Kunden einen solchen Tarif anbieten. Aber viele von ihnen verstecken diese Option regelrecht vor ihren Kunden.

Oft ist es für Energielieferanten zusätzlicher Aufwand, dynamische Tarife für einzelne Kunden freizuschalten, und sie fürchten, dass die Kunden die Tarife falsch nutzen und sich am Monatsende über hohe Kosten ärgern. Deshalb sind es vor allem Start-ups wie Tibber aus Norwegen oder Tado mit Awattar, bei denen tatsächlich schon Verbraucher dynamische Stromtarife abschließen.

.„Wenn Strom im Überschuss da ist, muss man den Kunden auch die günstigen Preise verfügbar machen“, sagt Philipp Schröder, Gründer und CEO des Start-ups 1Komma5Grad. Das Greentech-Unternehmen verkauft neben PV-Anlagen, Wärmepumpen und Speichern auch eine Energie-Management-Software, mit der Hausbesitzer ihren Verbrauch in Echtzeit je nach Strompreis managen können.

Umsatzziel könnte noch einmal erhöht werden

Wer am Ende das Geschäft mit der Flexibilisierung machen werde – die großen Stromversorger oder die kleinen Start-ups, die früh dran waren – sei noch nicht ausgemacht, sagt ein Brancheninsider. Schließlich könnten die Traditionalisten auf ganz andere Vertriebspower setzen, wenn sie das Thema einmal ernsthaft angehen.

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Der potenzielle Markt ist so groß, dass für mehrere Anbieter Platz sein dürfte. „Die europäischen Haushalte geben jedes Jahr allein 200 Milliarden Euro im Jahr dafür aus, ihre Wohnräume zu heizen und zu kühlen“, sagt Tado-Gründer Deilmann. Das Start-up wolle europäischer Marktführer mit den Thermostaten und im flexiblen Energiemanagement werden. „Wir streben stets Marktanteile von über 25 Prozent an und arbeiten daran, die Firma in Milliardenumsätze zu entwickeln.“

Bislang sahen Boutens Geschäftspläne für Tado mittelfristig Erlöse von 500 Millionen Euro vor. Der neue Tado-Chef Beckmann will nun prüfen, wie das Start-up mit neuen Plänen noch stärker wachsen kann. Dann werde zu gegebener Zeit auch ein Börsengang zum Thema werden. „Wenn wir unsere ambitionierten Wachstumspläne umsetzen wollen, werden wir weiteres Kapital brauchen“, sagt Beckmann.

Ein erster Börsengang war im Jahr 2022 gescheitert. Tado wollte damals über einen sogenannten Spac-Deal an die Börse, also die Fusion mit einer leeren Firmenhülle, die bereits notiert ist. Doch hatte die Spac-Euphorie ihren Höhepunkt bereits überschritten, das Projekt musste abgesagt werden. 

Investoren sehen aber weiterhin gute Chancen für das Geschäftsmodell. In diesem Jahr sammelte Tado in einer Finanzierungsrunde insgesamt 55 Millionen Euro ein. Dabei wurde das Energie-Start-up laut Branchenkreisen mit einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag bewertet. 

Deilmann hatte das Unternehmen 2011 gegründet. Er sieht auch bei den Thermostaten noch viel Potenzial. „Der Markt ist noch längst nicht gesättigt.“ In den Niederlanden hätten etwa 30 Prozent der Haushalte ein steuerbares Thermostat, in den meisten anderen europäischen Ländern seien es aber erst zehn Prozent oder noch weniger.

Ein Grund dafür nach Einschätzung des neuen CEO Beckmann: „Wir sind bei den Privatkunden immer noch nicht bekannt genug.“ Die Haushalte hätten sich lange nicht wirklich für ihre Energierechnungen interessiert. „Das aber hat sich spätestens mit dem Ukrainekrieg und der Energiekrise deutlich geändert.”  

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