Streit ums Geld und Wahltaktik blockieren Einigung zwischen London und Brüssel

Pharmaforschung an der Universität Oxford

Britische Universität gehörten in der Vergangenheit zu den größten Empfängern von EU-Fördermitteln. 

(Foto: REUTERS)

London, Brüssel Den Bemühungen um eine politische Wiederannäherung zwischen Großbritannien und der EU nach dem Brexit droht ein Rückschlag: Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel über eine Wiederaufnahme der Briten in das EU-Forschungsprogramm Horizon stecken fest. 

Die EU möchte das Thema noch vor ihrer Haushaltsplanung 2024 im September abhaken, die konservative Regierung in London zögert jedoch aus wahltaktischen Gründen. Ein Scheitern würde nach Meinung von Wissenschaftlern die europäische Forschung im Wettbewerb mit den USA und asiatischen Ländern zurückwerfen. Auch politisch wäre das heikel: Das „neue  Kapitel in den Beziehungen“, das EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und der britische Premier Rishi Sunak nach dem Brexit aufschlagen wollen, könnte schnell zu Ende sein. 

Eigentlich sollte das Problem längst gelöst sein. Nachdem Sunak und von der Leyen Ende Februar den Handelsstreit über Nordirland mit dem Windsor-Rahmenabkommen beigelegt hatten, kündigten beide Politiker „sofortige Gespräche“ über eine neue Vollmitgliedschaft Großbritanniens im EU-Forschungsprogramm an.

Horizon Europe ist mit einem Volumen von fast 100 Milliarden Euro das weltweit größte Förderprogramm für Forschungsvorhaben vom Klimaschutz über die Entwicklung neuer Technologien bis hin zur Biotechnologie. Von der Leyen sprach damals von „einem guten Tag für die Wissenschaft“. 

London und Brüssel konnten sich jedoch bislang nicht über die Konditionen der britischen Mitgliedschaft einigen. Wie schon zu Zeiten der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher geht es dabei vor allem ums Geld – genauer gesagt, um einen „Korrekturmechanismus“ oder Beitragsrabatt, falls die Briten weniger aus ihrer Horizon-Mitgliedschaft herausbekommen, als sie einzahlen.

Plan B für Großbritannien

Nach dem Austritt aus der EU hatte Großbritannien zuletzt jährlich rund zwei Milliarden Pfund (umgerechnet 2,3 Milliarden Euro) für eine assoziierte Mitgliedschaft gezahlt. Großbritannien gehörte zusammen mit Deutschland und Frankreich lange zu den führenden Empfängerländern für Finanzmittel aus dem Fördertopf von Horizon, ist in den vergangenen drei Jahren jedoch immer weiter zurückgefallen.

Rishi Sunak und Ursula von der Leyen

Das „neue  Kapitel in den Beziehungen“, das EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und der britische Premier Rishi Sunak nach dem Brexit aufschlagen wollen, wäre bei einem Scheitern schnell zu Ende. 

(Foto: Reuters)

„Die Gespräche laufen noch, und es wurde noch keine Vereinbarung getroffen“, sagte eine Sprecherin des britischen Außenministeriums auf Anfrage. Es sei der Wunsch der Regierung in London, Horizon wieder beizutreten, „aber der Premierminister hat deutlich gemacht, dass jede Vereinbarung ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis für die Steuerzahler und im besten Interesse der britischen Wissenschaft und Forschung sein muss.“ Als Plan B arbeiten die Briten unter dem Namen „Pioneer“ an einem eigenen Forschungsprogramm mit einem Volumen von umgerechnet fast 17 Milliarden Euro. 

Viele Wissenschaftler in Großbritannien blicken jedoch mit Sorgen auf ein mögliches Scheitern der Gespräche mit der EU. „Die Wissenschaftler nennen Pioneer Plan B, weil Plan A besser ist“, betonte Vivienne Stern, Direktorin von Universities UK, einer Vereinigung britischer Hochschulen.

Tim Bradshaw, Chef der Russel Group, in der sich die forschungsstarken Universitäten im Königreich zusammengetan haben, weist darauf hin, dass die Wissenschaft auf beiden Seiten des englischen Kanals von einer britischen Vollmitgliedschaft in Horizon profitieren würde: „Das Ausmaß der von Horizon Europe unterstützten Forschung wird zu medizinischen Durchbrüchen, neuen Technologien und Fortschritten in Bereichen wie der Künstlichen Intelligenz beitragen, um unser aller Leben zu verbessern und die gemeinsamen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen zu bewältigen, vor denen wir stehen.“

Wissenschaftler wie der britische Medizin-Nobelpreisträger Paul Nurse wundern sich deshalb, wie Sunak seinen Anspruch einlösen will, Großbritannien zu einer „Supermacht in Wissenschaft und Forschung“ zu machen, wenn er die Gespräche mit der EU über Horizon an Mitgliedsbeiträgen scheitern lassen sollte. „Dass der Premier so lange zögert, hat sicher auch innenpolitische Gründe“, mutmaßt ein EU-Diplomat in London. Bis Ende 2024 wird in Großbritannien gewählt, und Sunak will sich von seinen europaskeptischen Parteifreunden bei den Tories nicht vorhalten lassen, er habe sich anders als Thatcher von den „Eurokraten“ in Brüssel über den Tisch ziehen lassen.  

>> Lesen Sie hier: Aktionsplan der Forschungsministerin stößt auf Skepsis

In Brüssel ist man ebenfalls verwundert über das britische Zögern. Die Kommission hatte schon vor zwei Monaten mit einem Deal gerechnet und würde das Geschacher mit London gerne noch im September beenden, damit man bei der Aufstellung des EU-Haushalts für das kommende Jahr weiß, wie viel Großbritannien für Horizon einzahlen wird. Sunak will sich jedoch erst nach der politischen Sommerpause entscheiden – und die endet am 4. September.

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