Statthalter des Kremls sollen etwas mehr Legitimität erhalten

Vorgezogene Stimmabgabe in der Stadt Tawrijsk

In 20 konstituierenden Regionen Russlands werden die Wähler die Mitglieder der jeweiligen regionalen gesetzgebenden Versammlung wählen.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Wien Ein knappes Jahr nach den sogenannten Volksabstimmungen über die Zugehörigkeit zu Russland laufen in den von Moskau besetzten Gebieten der Ukraine „Wahlen“. Der letzte Wahltag ist der 10. September. Dann finden gleichzeitig in verschiedenen Regionen Russlands Teilwahlen statt.

Das Plebiszit soll den Kollaborateuren in der Süd- und Ostukraine pseudodemokratische Legitimation verleihen. Die von Moskau eingesetzten „Gouverneure“ treten als Spitzenkandidaten der Regierungspartei Einiges Russland an. Drei offiziöse russische „Oppositionsparteien“ und eine regionale „Bewegung“ stehen ebenfalls zur Wahl.

Die russischen Staatsmedien bemühen sich nach Kräften, der Farce einen seriösen Anstrich zu verleihen. Auf Bildern sind freundliche Wahlhelfer zu sehen, die mit transparenten Urnen die Stimmen direkt von Dorfbewohnern abholen. Es gibt regionale und lokale Wahlkommissionen sowie eine Website mit farbigen Grafiken, die in Echtzeit die Wahlbeteiligung anzeigen sollen.

Die staatliche Nachrichtenagentur Tass verbreitete allerdings auch Videos, auf denen zu sehen ist, wie vermummte Sicherheitskräfte den Urnengang stumm überwachen. Von einer freien Wahl kann keine Rede sein, zumal es auch bereits Meldungen gibt, wonach staatliche Institutionen Instruktionen erhalten haben, ihre Mitarbeitenden verlässlich und möglichst vollzählig abstimmen zu lassen. Solche Praktiken sind in Russland gang und gäbe.

Da Putins Angriffskrieg nur teilweise erfolgreich war, kontrolliert Moskau heute keine der vier einverleibten Regionen vollständig. Die anhaltenden Gefechte schaffen eine besonders prekäre Sicherheitslage. Die berechtigte Angst vor Beschuss und Anschlägen hält die Ukrainer auf ihrem Gebiet bisher davon ab, Wahlen durchzuführen.

Mitarbeiter der Wahlkommission besuchen Bewohner in ihren Häusern

Die vorgezogenen Wahlen haben in Donezk und anderen kürzlich umgewandelten russischen Regionen am 30. August begonnen.

(Foto: IMAGO/SNA)

Die Okkupanten gehen hingegen von Haus zu Haus, um Stimmen bei einer passiven bis feindseligen Bevölkerung einzuholen. Dies öffnet Missbrauch und Druckausübung Tür und Tor. Moskau will eine möglichst hohe Wahlbeteiligung mit feststehendem Resultat: Letztes Jahr lag die „Zustimmung“ in den vier Regionen zur Eingliederung in die Russische Föderation bei zwischen 87 und 99 Prozent.

Für den jetzigen Urnengang haben kremlnahe Meinungsforscher bereits eine Unterstützung von 80 Prozent für die Spitzenkandidaten von Einiges Russland „errechnet“.

Schwache „Gouverneure“

Dennoch können die „Gouverneure“ nicht damit rechnen, dass dieser scheinbar überwältigende Vertrauensbeweis ihre Position stärkt. Die zivilen Besatzungsbehörden sind von der russischen Armee abhängig, vor allem in Saporischja und Cherson, wo ihre Angehörige immer wieder Anschlägen zum Opfer fallen.

Die Kollaborateure haben aber auch große Probleme mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Dienstleistungen, da ihnen trotz Geld und Arbeitskräften aus Russland die Mittel und das Know-how fehlen. Zwar versuchen sie sich im weitgehend fiktiven Wahlkampf mit neuen Straßen, Schulgebäuden und Gasleitungen zu profilieren. Doch die Resultate sind mager und propagandistisch überhöht.

Ein Soldat steht während der vorgezogenen Stimmabgabe vor einem Wahllokal

Für den Kreml stellen die lokalen Statthalter nur Instrumente zur Festigung seiner Macht in den besetzten Gebieten dar.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Die mangelnde Kompetenz der „Gouverneure“ hat auch damit zu tun, dass der Kreml auf Politiker zurückgreifen musste, die als willige und bedingungslos loyale Vollstrecker seines Willens zur Verfügung standen. Oft sind dies Figuren, die 2022 ihren Zenit bereits seit Jahren überschritten hatten.

So saß Jewgeni Balizki für Saporischja einst im ukrainischen Parlament, wurde 2019 aber abgewählt. Wladimir Saldo, der Leiter der Chersoner Okkupationsbehörden, war Bürgermeister der Regionalhauptstadt und bis 2014 Parlamentarier der prorussischen Partei der Regionen. Danach waren sie politisch marginal – bis die Russen kamen.

Schwache lokale Eliten

Dass ihnen die neuen Herren nicht vertrauen, lassen sie die beiden spüren, indem sie ihnen eine Reihe von aus Moskau entsandten Stellvertretern zur Seite stellen. In den seit 2014 russisch kontrollierten „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk sind die lokalen Eliten etwas länger verankert. Doch auch sie stellen nur das ukrainische Gesicht einer weitgehend vom Kreml direkt kontrollierten Führungsriege dar.

Dies gilt auch für die Durchführung der Wahlen: Die von Wohnung zu Wohnung getragenen Urnen ermöglichen es, Informationen über eine durch den Krieg völlig veränderte Bevölkerung zu sammeln und ihr die Möglichkeit zu nehmen, sich den staatlichen Strukturen zu entziehen.

Vor allem im Hinblick auf weitere Mobilisierungen ist diese von großem Wert zu einer Zeit, da gerade der Südteil von Saporischja militärisch durch die ukrainische Offensive stark unter Druck steht.

Mehr: Alle Entwicklungen im Ukraine-Krieg in unserem Newsblog

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