Spiden will Apple mit einem Blutzucker-Sensor zuvorkommen

Pfäffikon An dieser Technologie forschen auch Apple und Samsung – bislang aber noch ohne durchschlagenden Erfolg: den Blutzuckerspiegel ganz ohne Nadelstich zu messen. Das Start-up Spiden aus dem Schweizer Ort Pfäffikon bei Zürich kommt nun dem Durchbruch näher. Spiden will den Blutzuckerspiegel mit einem optischen Verfahren messen, also mithilfe einer Lichtquelle – ähnlich wie Smartwatches von Apple oder Samsung bereits heute den Puls messen.

Die Nutzer könnten den Sensor in einem tragbaren Stück Technologie, einem sogenannten Wearable, einfach anziehen. Leo Grünstein, Gründer und CEO von Spiden, ist überzeugt: „Unser Wearable kann ein Massenprodukt werden.“ Der Markt für kontinuierliches Glukosemonitoring (CGM) sei ein „Multimilliardenmarkt“.

Viele Diabetiker nutzen heutzutage eine sogenannte minimalinvasive Technologie. Dabei stecken sie eine etwa einen Zentimeter lange Nadel an einem Mikrochip in die Hautoberfläche. Die Daten, die der Mikrochip erhebt, kann der Nutzer in Echtzeit per App auslesen und so seinen Blutzuckerspiegel kontinuierlich beobachten.

Um wen geht es?

Leo Grünstein hat Spiden im Jahr 2017 gegründet. Zuvor war der frühere McKinsey-Berater und Ex-Investmentbanker an mehreren Co-Gründungen und Start-up-Investments beteiligt. Zuletzt baute er das Fintech Moneypark mit auf und verkaufte es zu einer Bewertung von 150 Millionen Franken an den Versicherer Helvetia.

Für Spiden konnte er mehrere Industrie-Experten gewinnen: Chief Technology Officer Bernd Wittner hat 20 Jahre Erfahrung bei Medizintechnikunternehmen. Im Beirat sitzt unter anderem Young Sohn, Gründungspartner des Risikokapitalgebers Walden Catalyst und früherer Chef von Samsung Electronics.

Wie funktioniert die Technologie von Spiden?

Spiden will den Glukosewert im Blut mithilfe spektroskopischer Methoden bestimmen. Dabei bestrahlen sie Blut und Gewebe mit einer Lichtquelle, etwa einem Laser. Das Licht wird vom Gewebe reflektiert und dann durch einen Sensor gemessen. Die Entwickler machen es sich dabei zunutze, dass chemische Verbindungen Licht in bestimmten Wellenlängen reflektieren und ihm so ihren charakteristischen Stempel aufdrücken.

So kann der sehr empfindliche Sensor die Glukose im Blut an ihrem spezifischen Lichtspektrum im reflektierten Licht erkennen. Komplexe Computeralgorithmen, die Spiden rund fünf Jahre lang mit verschiedenen Glukose- und Blut-Messdaten trainiert hat, erlauben dann Rückschlüsse auf die Glukosekonzentration im Gewebe und schließlich im Blut.

Spiden-Gründer Leo Grünstein

Für die Firma konnte der frühere McKinsey-Berater mehrere Industrie-Experten gewinnen.

(Foto: Spiden)

Im Labor von Spiden in Pfäffikon füllt der Aufbau des spektroskopischen Verfahrens einen ganzen Raum. Ein Forscher-Team arbeitet daran, es deutlich zu schrumpfen, damit es in ein Handgelenk-Gerät von der Größe einer Apple-Watch passt.

Dafür hat Spiden bereits einen eigenen Miniatur-Lichtdetektor entwickelt und arbeitet eng mit Laserherstellern zusammen. Der technologische Fortschritt bei Chips und Lasern helfe dem Unternehmen dabei, sagt Technikchef Wittner: „Die Basistechnologien sind im Markt etwa durch Smartphones etabliert, erfordern aber Anpassungen an unsere speziellen Anforderungen.“

Warum ist das wichtig?

Die Bedeutung des Blutzuckermonitorings wächst, weil Diabetes weltweit immer häufiger wird: Waren 1980 weltweit etwa 100 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt, gehen Schätzungen inzwischen von über 500 Millionen Menschen weltweit aus.

Ein Forscherteam um Nicholas Davison von der Lancaster University schreibt in einem Aufsatz für die Fachzeitschrift „Diabetology“: „Es ist klar, dass Diabetes zu einem ernsten Problem wird, und die erfolgreiche Versorgung der ständig wachsenden Zahl von Diabetespatienten ist eine große Herausforderung für die Gesundheitssysteme weltweit.“ Eine möglichst genaue Überwachung des Blutzuckerspiegels sei „ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung von Diabetes“.

Typ-1-Diabetiker müssen wegen einer Autoimmunerkrankung ihren Blutzuckerspiegel durch Gabe von Insulin regulieren, weil ihr Körper den Stoff nicht in ausreichender Menge selbst produziert. Sie sind daher auf regelmäßige Messungen ihrer Glukosewerte angewiesen. Sie müssten sich mit der Technologie von Spiden dafür keine Nadeln mehr in die Haut stecken.

Die Überwachung des Blutzuckerspiegels kann jedoch auch dabei helfen, frühzeitig ein Risiko für die auch „Altersdiabetes“ genannte Diabetes vom Typ 2 zu erkennen. „Diesen Menschen, die noch keine Diabetiker sind, deren Blutzucker aber immer mehr außer Kontrolle gerät, können durch einen gesünderen Lebensstil eine Erkrankung verhindern“, sagt Spiden-Chef Grünstein.

Was sagt die Branche?

Den Forschern der Uni Lancaster zufolge haben optische Sensoren zur Glukosemessung im Labor bereits vielversprechende Ergebnisse geliefert. Sie schränken jedoch ein: „Es bleibt eine Herausforderung, beim Menschen eine vergleichbare Genauigkeit wie bei Glukosemessgeräten zu erreichen.“

2021 hat Spiden den Schweizer Gesundheits-App-Entwickler Ornament als Investor gewonnen. Deren CEO Snezhana Gurina sagt, der „einzigartige Datensatz“ des Unternehmens könne helfen, „Zusammenhänge zwischen Lifestyle-Entscheidungen, Medikamenten und Langlebigkeit aufzudecken“.

Lesen Sie mehr Start-up-Checks

Ornament soll in Zukunft die Nutzeroberfläche für das Wearable von Spiden liefern. Ein auf Gesundheitstechnologie spezialisierter Risikokapitalgeber bestätigt: „Leo Grünstein ist da an einem sehr spannenden Anwendungsfall dran.“

Wer sind die Konkurrenten?

Ein Konkurrent von Spiden ist die deutsche Firma Diamontech. Deren aktueller Prototyp hat die Größe eines Schuhkartons. Das Berliner Unternehmen forscht ebenfalls daran, die Technologie weiter zu schrumpfen. Anfang 2022 hat Diamontech fünf Millionen Euro frisches Kapital von Samsung Ventures erhalten, nachdem es 2019 einen Börsengang absagen musste.

Einem Bericht von Bloomberg zufolge kam auch Apple bei der Entwicklung einer eigenen CGM-Technologie für die Apple Watch kürzlich einen wichtigen Schritt weiter.

Wie geht es weiter?

Derzeit sammelt Spiden frisches Kapital ein, um sich bis zum für das Jahr 2025 geplanten Produktstart der Glukose-Wearables zu finanzieren. Spiden muss mit eigenen Daten belegen, dass die Qualität der optischen Messung nicht zu stark von Bluttests aus dem Labor abweicht. Zudem muss die Software von Spiden aktuell regelmäßig mit Daten aus Bluttests gefüttert werden, um verlässliche Ergebnisse zu erzielen.

Das Start-up arbeitet daran, diese sogenannte Kalibrierung überflüssig zu machen. „Die Technologie muss möglichst narrensicher sein und in den unterschiedlichsten Situationen verlässlich funktionieren“, sagt Grünstein. Geht sein Zeitplan auf, stehen die Chancen für Spiden gut, Apple und Co. hinter sich zu lassen.

Mehr: Diabetes-Mittel Ozempic löst Hype in den USA aus

source site-12