Sollte das Neun-Euro-Ticket verlängert werden?

Reiselust

Das Neun-Euro-Ticket hat für volle Züge gesorgt.

(Foto: dpa)

Das Neun-Euro-Ticket habe ihn „wieder zum Bus- und Bahnfahrer werden lassen“, schreibt ein Leser und gehört damit zu den zahlreichen Verfechtern des Sondertickets. Der große Vorteil sei gewesen, dass Besitzer des Neun-Euro-Tickets egal in welcher Stadt „einfach einsteigen und losfahren“ konnten, beschreibt es eine andere Leserin: „Absolut stressfrei.“

Zum Nachfolgemodell gibt es die unterschiedlichsten Ideen. Einige präferieren beispielsweise ein gestaffeltes Abo-Modell. Ein Leser schlägt ein Modell ähnlich zum Rundfunkbeitrag vor, bei dem jeder ab 18 Jahren vierteljährlich einen Beitrag zahlt. Ein anderer plädiert für einen kostenlosen Nahverkehr, der sich zum einen durch eingesparte Automaten und weniger Personal und zum anderen über eine Steuer für alle Bürger finanziert.

Doch da der ÖPNV häufig auf dem Land nur rudimentär ausgebaut ist und die dort lebenden Menschen das Neun-Euro-Ticket nicht im gleichen Maße nutzen können wie Stadtbewohner, finden einige es unfair, wenn sie dennoch das Ticket mitfinanzieren müssen. Deshalb plädieren auch viele für vermehrte Investitionen in die Infrastruktur des ÖPNV statt für eine Verlängerung des Tickets.

Um die Bahn als Alternative für den Berufsverkehr zu etablieren, seien andere Dinge erforderlich, schreibt eine Leserin. So bräuchte es mehr Pendlerzüge, um nicht wie „Ölsardinen“ unterwegs zu sein, sowie „bedingungslose Pünktlichkeit“. Ein anderer Leser argumentiert: „Keineswegs sollte sich die Politik der Illusion hingeben, man hätte damit Fahrten mit dem Auto reduziert.“ Vielmehr habe es zusätzliche Reiseströme produziert.

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Entsprechend haben viele Handelsblatt-Leserinnen und -Leser auch negative Reiseerfahrungen gemacht: „Übervoller Bahnsteig, überfüllte Züge, verstopfte Toiletten und jetzt auch noch grölende Fußballfans. Kein Berufspendler steigt dauerhaft in solch ein Chaos“, meint entsprechend ein Leser.

Aus den unterschiedlichen Zuschriften der Handelsblatt-Leserschaft haben wir hier für Sie eine Auswahl zusammengestellt.

Absolut stressfrei!

„Obgleich ich das Neun-Euro-Ticket nur in U- und S-Bahn genutzt habe, fand ich das Ticket genial! Egal in welcher Stadt, einfach einsteigen und losfahren. Keine Suche nach Apps oder Fahrscheinautomaten, die immer irgendwie anders funktionieren, kein Errechnen von Tarifzonen! Absolut stressfrei!“
Ulrike C. Henn

Auf dem Land kann das Ticket kaum genutzt werden

„Wenn die ÖPNV-Infrastruktur in Ordnung wäre, dann könnte das Ticket auch auf dem Land genutzt werden! Dem ist aber leider nicht so! Ergo kann es nicht sein, dass die ‚Landbewohner‘ das Neun-Euro-Ticket für die ‚Stadtbewohner‘ mitfinanzieren müssen!“
Uwe Zimmermann

Die Bahn ist überlastet und überfordert

„Das Neun-Euro-Ticket ist sinnlos. Warum? Der Nahverkehr in Baden-Württemberg müsste erst mal grundlegend reformiert/verbessert werden, sodass man überhaupt vernünftig von A nach B kommt. Denn momentan können Berufstätige kaum das Neun-Euro-Ticket nutzen, da es keine Verbindungen gibt

Rentner zu subventionieren ist wirtschaftlich sinnlos. Das Geld kann zum Beispiel für Schulen viel besser genutzt werden. Und: Die Bahn ist bei dem Ansturm vollkommen überlastet und überfordert.“
Silke Schittenhelm 

Eine kluge und zukunftsweisende Idee

„Das Neun-Euro-Ticket ist eine kluge und zukunftsweisende Idee. Öffentlicher Verkehr ist immer preiswerter und demokratischer als Individualverkehr. Wie wäre es mit einer Handhabung parallel zum Rundfunkbeitrag/GEZ? Jeder ab 18 Jahren zahlt vierteljährlich einen Beitrag von 55,08 Euro und bekommt dafür die Leistungen des Neun-Euro-Tickets. Das sind 15 Milliarden Euro zur Finanzierung des ÖPNV bei moderater Belastung des Einzelnen, und jeder kann entscheiden, ob er trotzdem den Individualverkehr nutzt.“
Kurt H. Flesch

Eine nette Idee, es braucht aber mehr

„Das Ticket war eine nette Idee, um Urlaubsausflüge zu ermöglichen, die man ohne das Ticket nicht gemacht hätte. Da ich keinen Urlaub hatte, habe ich es nicht genutzt.

Um die Bahn als Alternative für den Berufsverkehr zu etablieren, sind andere Dinge erforderlich:

1. Kostensenkungen für ICE und IC
2. Mehr Pendlerzüge, damit man etwa von Köln nach Aachen nicht jeden Tag wie die Ölsardine unterwegs ist
3. Bedingungslose Pünktlichkeit: Ich bin vor Corona regelmäßig Bahn gefahren, habe aber durch Corona die Verkehrswende zum Auto vollzogen, da es verlässlicher, günstiger und komfortabler ist. Das Neun-Euro-Ticket nutzt da nicht, da es meine beruflichen Fahrten unakzeptabel lang machen würde. Statt Bus fahre ich im Sommer ohnehin lieber Rad.“
Iris Maaß

>> Lesen Sie dazu auch unseren Kommentar: Neun-Euro-Ticket soll verlängert werden – koste es, was es wolle

Es hat mich wieder zum Bus- und Bahnfahrer werden lassen

„Das Neun-Euro-Ticket war für mich die Chance, den öffentlichen Nahverkehr ausgiebig für meine Fahrten zu testen. Es hat mich wieder zum Bus- und Bahnfahrer werden lassen. Mein Auto kam kaum noch zum Einsatz. Das Neun-Euro-Ticket muss in irgendeiner Form weiterlaufen, nur so kommen wir weg vom erdrückenden Autoverkehr.“
Karl-Josef Federlein 

Abschaffung von Subventionen für die urbane Mittelschicht

„Ich bin Rentnerin und lebe ländlich ohne vernünftigen öffentlichen Nahverkehr im Taunus. Der Regionalbahnhof ist mit Fahrrad kaum nutzbar, da nur über Treppen erreichbar. Das Neun-Euro-Ticket habe ich im Juni und Juli jeweils einmal für einen Arztbesuch in der Stadt genutzt und jeweils einen Euro gespart.

Ich bin für die Abschaffung von Subventionen für die urbane und suburbane, meist gut verdienende Mittelschicht, die ich mit meinen Steuern als Rentnerin finanziere.

Stattdessen sollte endlich die lang angedachte Steuerreform mit Minimierung der Ausnahmeregelungen erfolgen und bei allen Subventionen gnadenlos der Rotstift angesetzt werden. Das wäre ein Weg in Richtung von mehr Abgabengerechtigkeit.“
Heike Schmidt-Hunkel

Ein Freiheitserlebnis

„Ich nehme mir heute vor, die paar Hundert Meter in die Stadt zu Fuß zu gehen. Schließlich wird es doch eng für den Termin – ach ja, da vorn fährt die Linie 60: schnell aufspringen, sich um nichts kümmern und drei Haltestellen einfach mitfahren, und der Termin ist gerettet und ich auch, denn ich kann gar nichts falsch machen: Ich muss nicht über 60 (oder 65?) sein, es geht auch vor 9 Uhr, und ich muss auch nicht im selben Bundesland bleiben! Und wenn ich in der Eile in den falschen Bus einsteige, korrigiere ich das ebenfalls ganz unaufgeregt.

Dieses Freiheitserlebnis hatte ich schon mal, damals vor 20 Jahren, als mich der Arbeitgeber mit der Bahncard100 versorgte!“
Peter Paul Schepp

Von den Kosten her lohnt es sich, das Auto stehen zu lassen

„Eine Fortsetzung zu akzeptablem Preis wäre schön. Wir haben das Ticket genutzt, wenn auch nur zu privaten Fahrten, für den Commute brauche ich den ICE, ich fahre aber derzeit (da überwiegend HO) mit dem Auto.

Wir sind hier in der Kleinstadt über den Regionalverkehr gut angebunden, und die Fahrten in die nächstgrößeren Städte dauern kaum länger oder genauso lang wie mit Auto. Insofern würden wir das Ticket auch in Zukunft und vermutlich auch häufiger nutzen, da es sich auch von der Kostenseite her lohnt, das Auto stehen zu lassen.“
Bettina Kasper

Neun-Euro-Ticket

38 Millionen Neun-Euro-Tickets wurden laut dem Verband Deutscher Verkehrsbetriebe seit dem Verkaufsstart Ende Mai bis zum 8.8.2022 bundesweit kumuliert verkauft.

(Foto: dpa)

Etwas anderes überlegen

„Wenn wir unsere Bahn und deren Mitarbeiter nicht auf Verschleiß fahren wollen, beziehungsweise vom Goodwill des jeweiligen Finanz- und Verkehrsministers abhängig machen wollen, müssen wir uns etwas anderes überlegen. Man könnte zum Beispiel steuerlich das Jobticket besser fördern oder die Absetzbarkeit geschäftlicher Bahnfahrten gegenüber denen mit Kfz verbessern.

Vor allem aber muss in die Infrastruktur des ÖPV investiert werden, damit es einfach und attraktiv wird, öffentlich zu fahren. Ein bis zwei Euro pro Tag sind sogar in unserer Geiz-ist-geil-Gesellschaft möglich…“
Björn Groß

Ein anderes Mobilitätsverständnis zu entwickeln dauert

„31 Millionen bisher verkaufte Tickets zeigen ein hohes Interesse der Gesellschaft an der Nutzung des ÖPNV. Das allein sollte schon ein Grund dafür sein, eine Nachfolgeregelung anzustreben. Dass damit nicht zwingend und unmittelbar ein kurzfristiger Umstieg vom Auto auf die Bahn erfolgt ist – zumal in der Ferienzeit vieler Bundesländer –, kann dabei nicht überraschen.

Denn ein erweitertes Mobilitätsverständnis zu entwickeln ist ein gesellschaftlicher Prozess, in dem viele Räder buchstäblich ineinandergreifen. Die dauerhafte attraktive Preisgestaltung ist dabei ebenso wichtig wie der Ausbau des Streckennetzes und die Verdichtung des Taktes beziehungsweise bedarfsgerechte Lösungen im ländlichen Raum. Der Verkaufserfolg des Tickets hat zudem eine Möglichkeit gezeigt, wie der Verkehrsminister den CO2-Einsparzielen seines Sektors endlich näherkommen kann.“
Jan Ovelgönne

Lindners Argumente greifen nicht

„Der Nahverkehr sollte für alle kostenlos sein, wie in Luxemburg. Finanziert unter anderem durch eingesparte Automaten und Personal für Kontrollen. Die Restkosten sollten auf alle Bürger mit regelmäßigem Einkommen über eine Steuer umgelegt werden. Die von Herrn Lindner vorgebrachten Argumente greifen nicht. Ich besitze kein Auto, aber finanziere schließlich auch über die Steuer alles mit, wie Straßenbau und diverse andere Subventionen, die ich nie nutze.“
Stefan Blömeke

Das Neun-Euro-Ticket ist spitze!

„Das Neun-Euro-Ticket ist spitze! Ich habe es für den ÖPNV in der Stadt oft verwendet. Lindner und seine Klientelpartei sind auf dem Holzweg. Man mag die Ungerechtigkeit gegenüber den Menschen auf dem Land anführen, aber ungerecht ist es nur wegen der jahrzehntelangen Ausrichtung auf das Auto und der Vernachlässigung einer guten ÖPNV-Struktur. Man kann auch mal fragen, warum der ÖPNV nicht komplett kostenfrei benutzt werden kann.“
Bernhard Schäfer 

Einsteigen und losfahren

„Spontan einsteigen und losfahren – das war das Schönste am Neun-Euro-Ticket, und eine Fortführung wäre absolut wünschenswert. Der Preis war übertrieben gering! Mein Vorschlag: gestaffelte Abopreise zum Beispiel für einen Monat 40 Euro, Dreimonatsabo für 38 Euro monatlich, Sechsmonatsabo für 35 Euro monatlich, Zwölfmonatsabo für 30 Euro monatlich. Geltung bundesweit. Für 69 Euro monatlich würde ich es nicht spontan kaufen, nur wenn ich vorher weiß, dass es lohnt.“
Martina Odenbrett

Kein Berufspendler steigt dauerhaft in solch ein Chaos

„Übervoller Bahnsteig, überfüllte Züge, verstopfte Toiletten und jetzt auch noch grölende Fußballfans. Kein Berufspendler steigt dauerhaft in solch ein Chaos. Das Ticket ist ein nettes Geschenk für Rentner, Studenten und Bürgergeldempfänger und bedient nur die neuen Leitmotive der Deutschen: Freizeit, Urlaub, Party – bezahlen sollen bitte die anderen.“
Hartmut Hoffmann

Vor allem für touristische Zwecke

„Ich persönlich würde mich gegen die Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets aussprechen, weil es nicht eine Maßnahme für den alltäglichen und notwendigen Nahverkehr ist, sondern mehrheitlich für touristische Zwecke genutzt wird. Außerdem löst es nicht die Mobilitätsprobleme in regionalen Räumen, die nur mangelhaft oder gar nicht an den ÖPNV angeschlossen sind.“
Gerhard Trojanek

Für ein gestaffeltes Monatsticket

„Tatsächlich fände ich es am sinnvollsten, wenn es ein gestaffeltes Monatsticket gäbe – also eines für den Regionalverkehr und eines für den Bund. Ob man dazu noch kommunale oder regionale Lösungen (über mehrere Bundesländer hinweg) einführt, könnte man noch überlegen.

Kaum jemand fährt jeden Monat durch die halbe Republik, sondern die meisten Fahrten finden im näheren Umkreis statt. Kund:innen könnten also ein günstiges Ticket für den heimatlichen ÖPNV im Abo nehmen und bei Bedarf das teurere Regional- oder Bundesticket hinzukaufen. So gibt es flexible Lösungen für alle, und die Kosten werden besser abgebildet.“
Ina Ullrich 

Einen Bärendienst erwiesen

„Eine Verlängerung sollte es auf keinen Fall geben. Albert Einstein darf zitiert werden: ‚Was nichts kostet, ist auch nichts wert.‘ Leider hat sich auch genau so ein Großteil der Fahrgäste verhalten. Auch und insbesondere Fahrgäste, die unter normalen Umständen (zu normalen Fahrpreisen) diese Fahrten gar nicht unternommen hätten.

Keineswegs sollte sich die Politik der Illusion hingeben, man hätte damit Fahrten mit dem Auto reduziert. Im Gegenteil: Man hat zusätzliche Ströme an Reisen produziert, und dies mit einer Deutschen Bahn, die schon im Normalbetrieb auf Anschlag fährt und kaum in der Lage ist, das Reiseaufkommen gut und pünktlich zu bewältigen. Die Kosten für krankheitsbedingte Ausfälle beim Personal, defekte Züge, Toiletten etc. werden über die künftigen Fahrpreise umgelegt werden müssen, sodass man diesen Reisenden nicht nur während der Zeit des Neun-Euro-Tickets, sondern auch noch auf lange Sicht danach einen Bärendienst erwiesen hat.“
Volker Klemens

Mein Pkw ist seit dem 2. Juni nicht mehr gefahren

„Endlich brauchte man nicht mehr auf Fahrscheine, Tarife und Tarifgrenzen zu achten! Ich habe neue Verbindungen erfahren und entdeckt, wie viele Ziele sich mit Bahn und Bus erreichen lassen – sogar im Rollstuhl. Oft habe ich nicht viel länger gebraucht als mit dem Auto, und die Reise war entspannt. Mein Pkw ist seit dem 2. Juni nicht mehr gefahren.“
Franz A. Roski

Unsinnige Spaßfahrten

„Lindner hat recht, wenn er die Gratismentalität kritisiert. Das Neun-Euro-Ticket hat kaum zur Verlagerung von Verkehr beigetragen, sondern jede Menge zusätzlichen Verkehr erzeugt, den es sonst nicht gegeben hätte, teilweise unsinnige Spaßfahrten mit dem Regionalexpress. Der öffentliche Verkehr braucht eine vernünftige Finanzierung, auch durch die Nutzer. Und wer das Klima schützen will, muss Mobilität reduzieren, nicht anheizen.“
Matthias Schulze-Böing

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Mehr: In der vergangenen Woche hat die Handelsblatt-Leserschaft darüber debattiert, ob die drei verbliebenen Atomkraftwerke länger am Netz bleiben sollten.

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